Römische (flavische) Tafelgesetze auf dem Acker

Hm, wenn man sich die Orte ansieht, so ist doch eine gewisse Überzufälligkeit zu erkennen. Zuerst einmal hinsichtlich der Menge an Gesetzestafeln: Nirgendwo steht, dass Domitian gerade Baetica mit besonders vielen Stadtgesetzen/Tafeln ausstattete; nichtsdestotrotz wurden mehrere gefunden (in anderen Gegenden gar keine). Vielleicht hatte der Statthalter zu Domitians Zeiten eine Runde Bronzetafeln spendiert, die in dieser Provinz Objekte besonderen Stolzes waren …

Aus der Gegend meiner Heimat (Gegend von Ladenburg) weiß ich von einigen Gelegenheiten, bei denen Jupitersäulen regelrecht "begraben" wurden, wahrscheinlich in der Hoffnung, sie irgendwann wieder aufstellen zu können; die versteckten Stadtgesetze könnten z. B. von römischen Loyalisten eben vor gotischen, maurischen etc. Schrottsammlern versteckt worden sein, in der Hoffnung, sie später wieder einsetzen zu können. Gerade dass sie in die Berge gebracht worden sind … irritierend dabei ist aber die Sammlung von lokalen und entfernten Tafeln. Auch wissen wir nicht, wie viele dieser Tafeln (in wievielen Städten der Baetica) es überhaupt gab. Vielleicht war das Einsammeln und -schmelzen der Tafeln und anderer römischer Bronzen angeordnet, und es gelang angenommenen Widerständlern, diese Tafeln zu retten (und zu verstecken). Vielleicht wurden die Städte dergestalt in effigie irgendwelchen höhenbewohnenden Göttern geopfert.

Menschenskinder, das ist eines der Rätsel, die verworrener werden, je länger man drüber nachdenkt!
 
Hm, wenn man sich die Orte ansieht, so ist doch eine gewisse Überzufälligkeit zu erkennen. Zuerst einmal hinsichtlich der Menge an Gesetzestafeln: Nirgendwo steht, dass Domitian gerade Baetica mit besonders vielen Stadtgesetzen/Tafeln ausstattete; nichtsdestotrotz wurden mehrere gefunden (in anderen Gegenden gar keine). Vielleicht hatte der Statthalter zu Domitians Zeiten eine Runde Bronzetafeln spendiert, die in dieser Provinz Objekte besonderen Stolzes waren …

Wäre es denkbar, dass in der senatorischen Provinz Baetica, zeitnah zur Ermordung Domitians und der Adoption des "Andalusiers" Trajan durch Nerva, eine ganz spezielle Dynamik im Umgang mit Stadtrechten hervorgerufen worden sein könnte?
"Urplötzlich" entsteht da in tiefster Provinz eine ganz außerordentliche politische Nähe zur "ganz großen Bühne" in Rom. Der "Neue" ist ja einer von uns, er selbst wie sein "Papa" sind aber keineswegs unumstritten, Gegenströmungen gibt es, man kann also einfach noch nicht abschätzen was da so kommen wird...
Es ergibt sich ein herausforderndes Spannungsfeld, einerseits will man nicht auf die Vorzüge der unter den Flaviern verliehenen Rechte verzichten, andererseits dem neuen Princeps gefallen und der damnatio memoriae Domitians gerecht werden, und hofft womöglich auf noch viel weiter reichende Privilegien - vorsichtshalber verbuddelt man die Bronzetafeln unverfänglich weitab irgendwo im Ackerland, um aber gegebenenfalls auf einst verbürgtes zurückgreifen zu können. Letzteres ist aber nicht nötig, denn Trajan bleibt und es lässt sich fortan prima leben.
 
Gibt es eigentlich Hinweise, wann die Tafeln in die Erde kamen?

Und gab es nicht in der Spätantike Aufstände in Hispanien ähnlich der Bagauden in Gallien?
 
Gibt es eigentlich Hinweise, wann die Tafeln in die Erde kamen?

Kein archäologischer Hinweis, doch eine (weitere) zeitliche Option für die Motivation zum Verbuddeln bietet W. D. Lebek in der unten verlinkten Publikation an. Ich habe sie nur aufs gröbste überflogen, primär geht es um Inhalte der Gesetzestafeln sowie Interpretationen ihrer Auswirkungen auf die Politik in den Municipien.
Lebek sieht eine einschneidende Veränderung für die auf den flavischen Lex Lati beruhenden Rechtslagen in den spanischen Municipien durch die Verleihung des römischen Bürgerrechts an die freien Reichsbewohner im Zuge der Constitutio Antoniniana 212/13. Dadurch seien wesentliche Teile der jeweiligen Municipalgesetze obsolet geworden, was vor allem die lokalen Autoritäten dazu gezwungen habe, sich in den veränderten Rechtsverhältnissen neu orientieren zu müssen. Es lässt Lebek den Verdacht äußern, dass dies der Grund gewesen sein könnte, weshalb die Tafeln einst in die Erde kamen, "damit der Metallhort bei Bedarf für neue Zwecke nutzbar gemacht werden konnte." (S.193)
An welche Zwecke da dann zu denken sein könnte, dazu äußert Lebek sich zumindest in dieser Publikation nicht - oder ich habe es beim Querlesen übersehen.

http://www.uni-koeln.de/phil-fak/ifa/zpe/downloads/1995/107pdf/107135.pdf
 
Ich habe noch ein wenig herumgegoogelt:

Es gibt da eine Schrift "Estudios sobre los dos bronces encontrados en Málaga a fines de octubre de 1851” von Manuel Rodríguez de Berlanga y Rosado aus dem Jahr 1853.

Online läßt sie sich unter http://www.bibliotecavirtualdeandal...go_imagenes/imagen.cmd?path=150717&posicion=1 finden.

Ich habe sie noch nicht überflogen, aber vielleicht läßt sich daraus etwas über die Fundumstände herausfinden. Möglicherweise sind da noch andere Funde/Befunde gemacht worden, die erlauben, den Zeitpunkt der Deponierung zu bestimmen.

Ich habe endlich etwas Zeit gefunden, mir den Artikel mal zu Gemüte zu führen. Bisher ist er, was die Fundumstände anbelangt, etwas dürftig. Nach einigem Geschwafel in feierlichem Ton, werden in einer Fußnote die Fundumstände nur sehr knapp umrissen:
Hácia la época que desgina el epígrafe de estos trabajos y al verificar ciertas escavaciones en las afueras de esta Ciudad por el sitio llamado Barranco de los Tejares, aparecieron á cinco pies de profundidad las dos referidas tablas colocadas sobre ladrillos de fecha antiquísima, como se colegía por su hechura, cubiertas al parecer en su anverso con una tela de hilo, de que aun conservaban algunos restos adheridos á la superficie...
Übersetzung:
In der Zeitstellung, die der Epigraph dieser Arbeiten (also wohl die Überschrift des Textes, ergo 1851) kennzeichnet und um einige Ausgrabungen in der Umgebung der (gekennzeichneten) Stadt (ergo Málaga) an dem Ort der Barranco de los Tejares (Schlucht der Ziegeleien) genannt wird zu verifizieren, tauchten in fünf Fuß Tiefe die zwei erwähnten Tafeln auf, platziert über ältesten Ziegeln, so wie man aufgrund ihrer Machart zusammengestellt, wie es scheint auf der Vorderseite durch ein Webtuch bedeckt, von dem noch Reste auf der Oberfläche angepappt waren.
Zusammenfassung:
- 5 Fuß Tiefe
- vergesellschaftet mit antiken Ziegeln, womöglich in einer antiken Ziegelei
- bedeckt mit einem Tuch
Für die Datierung der Niederlegung kann ich diesem Abschnitt nichts entnehmen.

Was bedeutet das nun für unsere Fragestellung?

Ich versuche mich mal in Antworten.

Für die Theorie des Recyclings wäre der Fundort der Ziegelei vielleicht nicht ganz so abwegig: In Ziegeleien findet man in der Regel große Öfen, die auch eine hohe Temperatur erzeugen können, zur Not hat man die notwendige Tonerde aber auch vor Ort, um einen entsprechenden Schmelzofen schnell zu bauen. Bleibt die Frage, warum das dann nicht geschehen ist.

Dass die Tafeln möglicherweise rituell niedergelegt wurden, kann dafür die Bedeckung oder Einwicklung in Tuch sprechen? Ich habe auch Schwierigkeiten mir vorzustellen, wie das mit den erhaltenen Tuchresten gemeint ist, tatsächlich erhaltenes Textil (so ist der Text eigentlich zu verstehen) oder die Abdrücke davon in Lehmanhaftungen?

P.S.: Der Autor selbst vermutet im Übrigen ein Entfernen der Tafeln im Zusammenhang mit der gotischen Landnahme, durch Romanen:
...pudiera tal vez congeturarse que cuando á principios del siglo V. empezaron los godos entrar en nuestro territorio por el Norte de la España los invadidos irian retirándose hácia las costas de la Bética como límite final, y abandondando sus hogares salvarían consigo las cosas de mas estima como Eneas sus Penates. [Ich hab mich hier an die Orthographie des textes gehalten.]

Es könnte vielleicht vermutet werden, dass, als die Goten Anfang des 5. Jhdts. von Norden her in Spanien einfielen, die Bewohner des Landes sich, ihre Häuser zurücklassend bis zu den Küsten als letzter Grenze zurückzogen und mit sich die Dinge mit der größten Wertschätzung retteten, so wie Aeneas seine Penaten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Trifft Acker wirklich zu?

Mich hat noch mal die Frage nach den Fundstellen der Bronzetafeln beschäftigt.

In der verlinkten Publikation von Fernandez, Caballos, Eck (1996) zu in Andalusien gefundenen Bronzetafeln die den Senatsbeschluss im Prozess gegen Piso, dem angeblichen Mörder des Germanicus, widergeben, wird bei der Darstellung eines der Fundorte dieses gleichfalls in Bronze gefassten senatus consultum die Möglichkeit erörtert, dass sowohl diese Tafeln wie auch die Lex Irnitana, die weitgehendst auf Raubgrabungen zurück gehen, nicht nur vom selben Fundplatz bei El Saucejo stammen dürften, sondern dass dort auch Siedlungsstrukturen zu finden seien. Von einer Stadt mit Akropolis ist die Rede, in nachrömischer Zeit ohne Siedlungskontinuität. (S. 1ff)

Dann wäre in diesem Fall ein abseitiges, zu welchem Zweck auch immer Deponieren evtl. gar nicht gegeben, sondern die diversen Bronzetafeln könnten vielleicht auch einfach im Zuge eines Siedlungsverfalls unter die Erde gekommen sein. Wie vielleicht ja auch beim Fundort in Malaga?

https://books.google.de/books?id=_m...nandez caballos eck bronzetafeln piso&f=false

Meine Spanisch-Kenntnisse sind nicht existent, die portugiesischen reichen allenfalls für ein wüstes Rumstolpern beim Lesen, deshalb hisse ich die weiße Fahne, wenn ich auf spanischsprachige Fach-Publikationen zu Fundorten von römischen Bronzetafeln in der ehemaligen Baetica stoße.
Deshalb meine Frage: Ist da wirklich von abgelegenen Plätzen auszugehen?
 
Hallo Lukullus,

schön, was du da herausgefunden hast. Ich muss mir mit ein wenig mehr Muße das zu El Saucejo noch mal zu Gemüte führen. Mir war das bisher so bekannt, dass es zum Irni-Gesetz keinerlei Fundkontext gäbe, dass die Lage Irnis unbekannt sei.

:winke: EQ
 
Hallo EQ,

in dieser Rezension von Thomas Gergen zu

Joseph Georg Wolf, Die Lex Irnitana. Ein römisches Stadtrecht aus Spanien. Lateinisch und deutsch, WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Darmstadt, 2011 (Texte zur Forschung Bd. 101), 159 pp.

wird in der Zusammenfassung eine präzise Lokalisierbarkeit von Irni genannt. Sogar von einem Theater wird da geschrieben, wobei sich mir nicht erschließt, ob das auf ergrabenen Erkenntnissen basiert oder dem Inhalt der Tafeln der Lex Irnitana zu entnehmen ist.
Jedenfalls hat Irni demzufolge ca. 5 km südsüdwestlich von El Saucejo und ca. 3 km nordöstlich von Algamitas auf einem Bergrücken gelegen, der steil abfallend im Süden und Westen vom Rio Corbones umflossen wird.

Ein römisches Stadtrecht aus Spanien

Gruß Lukullus
 
Demnach müsste die Stadt irgendwo in diesem Gebiet gelegen haben: https://www.google.de/maps/@37.0389914,-5.1332512,16.01z

Im spanischen Wikipedia-Artikel finde sich folgende Angabe:
El municipio irnitano era desconocido antes de la aparición de estas tablas, sin que existiera una referencia en la epigrafía o las fuentes literarias. Las excavaciones realizadas en la zona de su hallazgo revelaron un poblado ibérico romanizado, sin que pueda asegurarse que sea Irni. La casa en la que se localizaron las tablas parece que fue un taller de broncistas, a donde habrían sido trasladas para su fundición, probablemente hacia el siglo III-IV.
Demnach befanden sich die Tafeln in einer Recyclingwerkstatt von Bronzeschmieden, um eingeschmolzen zu werden. (parece - 'es scheint')
 
Sabine Panzram spricht in ihren Büchern über die römischen Städte auf der iberischen Halbinsel über zwei formative Phasen der Städte. Die erste formative Phase sei die augusteische, die zweite die flavische Zeit gewesen. In diesen Kontext sind wohl auch die vielen Gesetzestafeln einzuordnen. Was natürlich die Verbringung der Tafeln außerhalb der Städte und in einzelnen Fällen auch weit weg vom ursprünglichen Bestimmungsort - also meine eigentlich Fragestellung - nicht berührt.
 
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