Rüstung und Finanzen im Kaiserreich

silesia

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Hallo,
schon die Fragestellung ruft bei mir Unmut hervor. Was macht denn das "deutsche Übel" aus?

Schon andere Teilnehmer haben angemerkt, dass die Reichsgründung nicht automatisch zu zwei Weltkriegen und zum Nationalsozialismus führen musste.

Oben ist auch betrachtet worden, dass 1871 europäische Gravitationszentren derart verschoben wurden, dass eine militärische Konfrontation quasi unausweichlich wurde. Das wäre eine recht sachlich-trockene Beschreibung von "Übel", wenn man mal ältere politiklastige Beschreibungen der Ereignisse oder neuere sozialwissenschaftliche außer Acht läßt.

Die Reichsgründung allein wird für 1871 nicht betrachtet werden können, sondern üblicherweise wurden die tatsächlichen ökonomischen Entwicklungen - das Wirtschaftswunder der Einigung - ergänzend und implizit als Konstante gesetzt. Das halte ich für unzutreffend.

In den folgenden 40 Jahren hat sich die ökonomische Positionierung des neuen Reiches grundsätzlich verschoben. Hierfür liegen einige (wesentliche) Wurzeln als notwendige Bedingung in der Einigung, das halte ich aber nicht für hinreichend. Auch mit diesen Wurzeln war der weitere Verlauf keinesfalls in irgendwelchen "Wirkungsketten" fixiert, sondern war vielmehr auch von Veränderungen der anderen Großmächte geprägt, die die vorher bestehenden Relationen verschoben haben. Und hierbei muss man sehen, dass selbst die Würdigung von ökonomischen Krisenphasen im Deutschen Reich umstritten sind, ebenso die Würdigung diverser ausländischer Entwicklungen (Stichwort: Great Depression, die Zusammenfassung mehrerer Zyklen, die Ursachen).

Eine über diese Dekaden geringfügige Verschiebung der Wettbewerbs- und Marktposition des Deutschen Reiches hätte in der Kumulation und im Rüstungswettlauf der Dekade vor dem Ersten Weltkrieg (bzw. 1904-1913) den ökonomischen (und höchstwahrscheinlich dann gesellschaftlichen) Kollaps des Deutschen Reiches gebracht. Dabei gehe ich davon aus, dass die Rüstungsfolgen des Doppelten Militarismus in den bekannten Ereignissen finanziell bereits auf Kante genäht waren, mehr war nicht finanzierbar.
 
Die Reichsgründung allein wird für 1871 nicht betrachtet werden können, sondern üblicherweise wurden die tatsächlichen ökonomischen Entwicklungen - das Wirtschaftswunder der Einigung - ergänzend und implizit als Konstante gesetzt. Das halte ich für unzutreffend.

Vollkommen d'accord. Die Gleichsetzung deutsche Einigung 1871 und ökonomischer Aufstieg übersieht einmal:

Eine wirtschaftliche Einigung gab es ab der Gründung des Deutschen Zollvereins (1834), der letztlich die 1871 vollzogene kleindeutsche Lösung auf politischem Gebiet, wirtschaftlich vorwegnahm.

Zu anderen (ein paar wirtschaftshistorische Beispiele, die den Einfluß der politischen Einigung auf die ökonomische Entwicklung relativieren):

BGB erst 1900
HGB erst 1900, der Vorläufer war seit 1861 in Kraft
Mark 1873, o.k. relativ schnell, aber mit Goldtstandard und festen Wechselkursen hätte das auch weiterhin funktioniert.

Will sagen, die Folgen der Reichseinigung auf die Wirtschaft wird m.E. überschätzt.

"Dabei gehe ich davon aus, dass die Rüstungsfolgen des Doppelten Militarismus in den bekannten Ereignissen finanziell bereits auf Kante genäht waren, mehr war nicht finanzierbar."

Diesen Satz verstehe ich nicht, sorry, die Staatsquote war doch relativ niedrig.

M.
 
Diesen Satz verstehe ich nicht, sorry, die Staatsquote war doch relativ niedrig. M.

Sorry für die Kürze.

Das ist eigentlich ein eigenes Thema, der Hintergrund der Überlegung war Folgender:

"relativ niedrig" bedingt einen Vergleichsmaßstab. Relativ zum späteren Niveau von Staatsquoten kann es hier nicht sein.

Gehen wir also von Umverteilung - falls überhaupt möglich - aus, so wäre die Frage zu beantworten, welche Kapitalströme zu wessen Lasten 1890-1914 in den Rüstungsetat des Staates zu lenken gewesen wären, mit welchen Folgen für die übrigen Sektoren. Bei den zahllosen Indizien der Unterkapitalisierung des reichsdeutschen Wirtschaftswachstums in der Industrialisierung, und den relativ zu den anderen Staaten begrenzten Möglichkeiten der reichsdeutschen Kapitalmärkte zur anderweitigen Beschaffung wäre sofort die Frage, zu wessen Lasten hätte umverteilt werden können.

Wo sollten - mal unterstellt - die Milliarden RM für Zusatzrüstung entnommen werden?
Wo sollte umgekehrt das Kapital für die realisierte Rüstung 1890-1914 zu finden sein, wäre die deutsche Wirtschaftsentwicklung etwas krisenhafter verlaufen?
 
Sorry für die Kürze.

Das ist eigentlich ein eigenes Thema, der Hintergrund der Überlegung war Folgender:

"relativ niedrig" bedingt einen Vergleichsmaßstab. Relativ zum späteren Niveau von Staatsquoten kann es hier nicht sein.

Gehen wir also von Umverteilung - falls überhaupt möglich - aus, so wäre die Frage zu beantworten, welche Kapitalströme zu wessen Lasten 1890-1914 in den Rüstungsetat des Staates zu lenken gewesen wären, mit welchen Folgen für die übrigen Sektoren. Bei den zahllosen Indizien der Unterkapitalisierung des reichsdeutschen Wirtschaftswachstums in der Industrialisierung, und den relativ zu den anderen Staaten begrenzten Möglichkeiten der reichsdeutschen Kapitalmärkte zur anderweitigen Beschaffung wäre sofort die Frage, zu wessen Lasten hätte umverteilt werden können.

Wo sollten - mal unterstellt - die Milliarden RM für Zusatzrüstung entnommen werden?
Wo sollte umgekehrt das Kapital für die realisierte Rüstung 1890-1914 zu finden sein, wäre die deutsche Wirtschaftsentwicklung etwas krisenhafter verlaufen?

@silesia

Ersteinmal auch sorry wegen meiner sehr kurzen Antwort und das Nichteingehen auf Dein kurzes Argumentarium, gestern.

Relativ bezieht sich natürlich nicht auf das Verhältnis der Staatsquote vor 1914 und spätes 20. Jh., sondern auf das Verhältnis der Staatsquote des DR (unter Einbezug der Bundesstaaten), vergleichbarer Volkswirtschaften um Uz. Möglichst in der Reihenfolge:
UK
Frankreich
USA
Österreich-Ungarn
Russland.

Es würde die Grenzen des Mediums sprengen, wenn wir die "zusammensuchen" und dann Erhebungs- und Berechnungssystematiken vergleichen bzw. anpassen müßten. Also möglichst aus einer Quelle, um bei event. "Fehlern" diese systemisch überall gleich zu haben.

Nun zu Deiner zugespitzen Frage der Mittelherkunft. Meine Gegenthese, bis zu Ende des I. WK gab es neun recht erfolgreich gezeichnete Kriegsanleihen. O.k. es gab eine durch administrative Maßnahmen abgebremste kriegsbedinge leichte Inflation. Aber eine Mittelabschöpfung wäre schon möglich gewesen.

Wenn wir uns auf eine solche Diskussion einlassen wollen, sollten wir uns auf das Ziel: "Aufrüstung" konzentrieren, da wir ansonsten in eine allg. wirtschaftshistorische Diskussion abdriften würden (so in der Art, wird der Zoll auf Roggen um je Zentner um 0,50 Mark erhöht, steigen die Lebenshaltungskosten um 0,5%, was wiederum zur Verteuerung der Arbeitskosten um ca. 0,2% geführt hätte, das allerdings mit einem temporären Unterschied von ca. 1 a; Du weißt schon was ich meine).

M. :winke:
 
In Fortsetzung unserer kleinen OT-Diskussion (wir können bei Bedarf ausgliedern):
Relativ bezieht sich natürlich nicht auf das Verhältnis der Staatsquote vor 1914 und spätes 20. Jh., sondern auf das Verhältnis der Staatsquote des DR (unter Einbezug der Bundesstaaten), vergleichbarer Volkswirtschaften um Uz. Möglichst in der Reihenfolge:
UK
Frankreich
USA
Österreich-Ungarn
Russland.
Auch der Vergleich trägt mE nicht, ohne die spezifischen Besonderheiten der Konstitution des Reiches umzuwälzen (was mE vorrevolutionär nicht denkbar ist, aber wir könnten auch einfacher diese Rahmenbedingungen c. p. setzen und diese Frage offenlassen).

Bismarcks "System der Aushilfen" kann man außenpolitisch greifen, häufig im Dämmerlicht befindet sich sein "System der Aushilfen" bezüglich Staatsfinanzen, dass über 1890 fortgesetzt wurde. Die innenpolitische Gemengelage führte eben nicht und nie - trotz kreativer Ideen, wie die Zollpolitik beweist - zur Auflösung/Aufbrechung der Kombinatorik Rüstungspolitik-Staatsfinanzen-Schuldenpolitik des Kaiserreiches, einem Fixpunkt der 40 Jahre und bis zur Reformansätzen 1913 eben ein System der Aushilfen. Rein ökonomisch kann man natürlich Staatsquoten der Zeit untersuchen, und mit damals durchaus vorhandenen reformatorischen Ansätzen ggf. Steigerungsmöglichkeiten im Deutschen Reich unterstellen. Die Engpässe der Rüstung zeigen jedoch: man wollte, konnte aber nicht.

Nun zu Deiner zugespitzen Frage der Mittelherkunft. Meine Gegenthese, bis zu Ende des I. WK gab es neun recht erfolgreich gezeichnete Kriegsanleihen. O.k. es gab eine durch administrative Maßnahmen abgebremste kriegsbedinge leichte Inflation. Aber eine Mittelabschöpfung wäre schon möglich gewesen.
Die rigorose Kriegsfinanzierung und den zugrundeliegenden "Burgfrieden" sollten wir nicht als Variante der Rüstung im Kaiserreich bis 1913 betrachten.

Meine Überlegung hatte auch einen anderen Schwerpunkt: wäre ggf. eine gesteigerte Rüstung vor 1913 finanzierbar gewesen, muß man die möglichen Quellen definieren (und die negativen Folgewirkungen aus der Umschichtung Kanonen statt Butter).

Dazu ein Zitat, dass die Problematik des Reiches kurz beschreibt:
"Die Länder (Bundestaaten) sollten vor allem die direkten Steuern ausschöpfen. Diese zunächst historisch gewachsene Aufteilung der Einnahmen hatte die neue Reichsverfassung zwar nicht exakt formuliert, sie wurde aber in der Praxis als unumstößlich gehandelt [Anm: der innenpolitische Preis] und blieb deswegen fast unverändert bis 1914 bestehen, wenn sie auch oft in den Kämpfen des Alltags als Ursache der Finanzmisere des Reiches kritisiert wurde"
Roesler: Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg.
Damit ist die Kapitalnot bzw. Finanzmisere in einem Aspekt beschrieben, hinzu treten der Kapitalbedarf der Industrialisierung und die relative Schwäche der inländischen Kapitalmärkte [in der Beschaffung] in Konkurrenz zum Ausland.

Die Kriegsanleihen sowie das gigantische Hochtreiben der Geldmenge ab August 1914 (allein Verdoppelung des Geldumlauf um mehrere Milliarden in den ersten 30 Tagen) sind mE nicht auf Vorkriegsbedingungen übertragbar.
 
Zuletzt bearbeitet:
@silesia

Das Argument der "rigiden Kriegsfinazierung" habe ich fast schon antizipiert.

Am Ende liefe eine solche Diskussion auf die Diskussion "Tiefenrüstung" <=> "Breitenrüstung" hinaus. Richtig, das politische System des DR vor WK I. hätte eine umfassende "Breitenrüstung" nicht zugelassen, sorry, daß ich zwei Kategorien rückblickend verwende.

Ich habe auf die Schnelle eine Arbeit gefunden, die folgende Angaben zu den Rüstungsausgaben, gemessen am BSP in 1913 gibt:

"1913 waren es in Großbritannien​
immerhin 3,25%, in Österreich-Ungarn 2,0%, im Deutschen Reich 3,9%, in Frankreich 4,8%...."

Vergl.:
http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/kork1.pdf

Gemessen an seinem potentiellen Hauptgegner, Frankreich, bleibt das DR um ca. 0,9% zurück. Darüber hinaus hatte das DR im Uz eine "Doppelrüstung" zu bewältigen (Landkrieg, Seekrieg). UK konnte sich auf seine Marinerüstung konzentrieren, Frankreich auf einen Landkrieg. Offensichtlich hat das DR es nicht verstanden, alle in Friedenszeiten möglichen finanziellen Potentiale auszuschöpfen. Das kann m.E. nicht nur "kostruktiv bedingte Mängel" in der Finanzverfassung des DR haben ("das Reich als Kostgänger der Bundesstaaten"). Ein Mangel an politischer Bereitschaft der "schimmernden Wehr" Mittel zur Verfügung zu stellen, würde ich im Uz, wirkungsmächtig, auch nur bei den Sozialdemokraten erkennen.

M.

 
Das Argument der "rigiden Kriegsfinazierung" habe ich fast schon antizipiert.
Das war nicht schwer. :winke:
Wir sollten den Burgfrieden, und auch die Unterordnung der Länderfinanzen ab 1914 des mobil gemachten Reiches zunächst ausgrenzen.

Am Ende liefe eine solche Diskussion auf die Diskussion "Tiefenrüstung" <=> "Breitenrüstung" hinaus. Richtig, das politische System des DR vor WK I. hätte eine umfassende "Breitenrüstung" nicht zugelassen, sorry, daß ich zwei Kategorien rückblickend verwende.
Auch die kapazitative Fragestellung würde ich zunächst ausgrenzen, denn der Ausgangspunkt waren (nur) die Finanzen. Was man damit anstellt, Schlachtschiffe vs. Werften, Armeekorps vs. Rüstungsfertigung, kann offenbleiben.

Ausgangsfrage war: welchen Anspannugsgrad wiesen die reichsdeutschen Staatshaushalte in Aufbringung der Rüstungsausgaben auf. Gab es Reserven auf der Staatseinnahmen- oder Verschuldungsseite für diese Ausgaben?

Hier ist eine Antithese enthalten:
Ich habe auf die Schnelle eine Arbeit gefunden, die folgende Angaben zu den Rüstungsausgaben, gemessen am BSP in 1913 gibt:
"1913 waren es in Großbritannien​
immerhin 3,25%, in Österreich-Ungarn 2,0%, im Deutschen Reich 3,9%, in Frankreich 4,8%...."
Gemessen an seinem potentiellen Hauptgegner, Frankreich, bleibt das DR um ca. 0,9% zurück. Darüber hinaus hatte das DR im Uz eine "Doppelrüstung" zu bewältigen (Landkrieg, Seekrieg). UK konnte sich auf seine Marinerüstung konzentrieren, Frankreich auf einen Landkrieg. Offensichtlich hat das DR es nicht verstanden, alle in Friedenszeiten möglichen finanziellen Potentiale auszuschöpfen. Das kann m.E. nicht nur "kostruktiv bedingte Mängel" in der Finanzverfassung des DR haben ("das Reich als Kostgänger der Bundesstaaten"). Ein Mangel an politischer Bereitschaft der "schimmernden Wehr" Mittel zur Verfügung zu stellen, würde ich im Uz, wirkungsmächtig, auch nur bei den Sozialdemokraten erkennen.


Setzen wir die zitierten Fakten als Basis, also zB für Deutschland ausmultipliert rd. 1,8 - 2 Mrd. Rüstung bei ca. 50 Mrd. RM BSP, Frankreich bei rd. 4 Mrd. frcs Staatsausgaben.

0,9% Steigerungsreserve sehen dabei nach viel aus, etwa 400 Mio. RM p.a., etwa der Gegenwert von 4 Schlachtschiffen zusätzlich pro Jahr inkl. Unterhaltung und Mannschaften. Sieht man das über 10 Jahre vor 1914, ließe sich die britische Grand Fleet im August 1914 mühelos ausziffern und aus der Nordsee fegen. Rein spekulativ wäre Großbritannien - sofern keine Steigerung der dortigen Staatsausgaben denkbar - in diesen Krieg nicht eingetreten. Plus 10 Armeekorps an der Marne als Äquivalent der Mehrausgaben ergäben ein vergleichbares Resultat.

Ich möchte lieber bei der Vergleichbarkeit ansetzen und einige Bedenken vorbringen:

1. Deutsche und französische Staatsquoten (inkl. Rüstung) lagen 1910/1913 bei ca 10 %, die deutsche Quote größer als die französische. Die Ursache liegt in der Bedeutung der Haushalte der deutschen Bundesstaaten für die gesamte Staatsverschuldung. Danach verbleibt kein Steigerungspotenzial, sondern ein Umverteilungspotenzial (das trotz laufender Bemühungen in Deutschland nie realisiert werden konnte).
Schremmer, Steuern und Staatsfinanzen während der Industrialisierung Europas, dort Tabelle S. 58.
Steuern und Staatsfinanzen während ... - Google Bücher

2. Die BSP-Struktur in Deutschland, Frankreich und Großbritannien weist einen gravierenden Unterschied auf: in Frankreich und GB stammten wesentliche Teile der Staatseinnahmen aus Kolonien bzw. beinhaltet der Zähler die stellvetretenden Rüstungsausgaben für die Dominions (20% FRA, Verdoppelung des BSP im Fall Großbritannien, bei dem Dominions schließlich auch Rüstungsspenden beisteuerten)
Broadberry/Harrison: The economics of World War I, Tabelle 1.1
The economics of World War I - Google Bücher

3. Frankreich brachte die realisierten Rüstungsausgaben 1900-1914 ohne beachtliche Verwerfung im Staatshaushalt auf. Die Staatsverschuldung Frankreichs stieg von 1890 bis 1913 um rd. 1 Mrd. frcs, die deutsche Verschuldung versiebenfachte sich, unter Hinzuziehung der Bundesstaaten ergibt sich Faktor 20 (Steigerung 1913 allein 1,5 Mrd. RM). Ähnlich ist der britische Staatshaushalt vor 1913 zu werten, Zahlen:
http://www.geschichtsforum.de/471735-post1.html
Bzgl. GB ist allerdings interessant und ggf. in gewissem Sinne übertragbar, dass hier 1906-10 auf dem Höhepunkt des maritimen Wettrüstens eine Konkurrenz zu Sozialausgaben wirkte. In diese Phase fallen auch dreadnoughts, die von den Dominions finanziert worden sind (Australien, Neuseeland, Kanada). [Das aber nur am Rand vermerkt]

4. Das BSP als "dynamische" Größe ist mE kritisch für die Abbildung der tatsächlichen Finanzkraft dieser Länder im Vergleich zu sehen; ebenso für die Frage, ob Rüstungsausgaben tatsächlich an die Decke stießen. Bei Großbritannien und Frankreich ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass ihnen aus dem Finanzstock vor dem Krieg erheblich größere Reserven zur finanziellen Mobilisierung zur Verfügung standen (ganz platt: gebundenes deutsches Sachkapital vs. frz. oder britische Finanzinvestitionen)

Betrachtet man also Zähler wie Nenner, gibt es bei der häufig verwendeten "Rüstungsintensität" (Rüstungsausgaben/BSP bzw. ähnliche Größe) im Vorkriegsvergleich ganz erhebliche Probleme.

Ergänzend:
Bzgl. der Wirkungsmacht hatte ich nicht nur auf die SPD angespielt, die in den kriegsrelevanten Rüstungsvorlagen der Heeresvermehrungen und der Marinerüstung querlag. Man kann den "konstruktiven Mangel" der Reichsfinanzierung sicher beim Reichstag ansetzen, aber auch eben viel früher bei den Haushalten und der Einnahmenverteilung mit den Ländern. Eine Einnahmenverbreiterung zugunsten der länder, die zuletz etwa die vierfache Verschuldung des Reichshaushaltes aufwiesen, gelang eben nie, trotz Ansätzen seit Bismarck und damit über 40 Jahre.


Das war jetzt ausführlicher, sorry für den langen post. Ich wollte den Ansatz deutlich machen.
 
Zuletzt bearbeitet:
@silesia

Danke für Dein Posting und die verlinkten Angaben. Bitte gib mir etwas Zeit für die Antwort, da ich ab Morgen beruflich bedingt etwas net-absent sein muß.

M. :winke:
 
Regiebau

Mit der Auftragserteilung des Linienschiffes Württemberg, August 1914, wurde dieser erstmals vom RMA als Regiebau vergeben.
Der seit 1912 diskutierte Schiffbau in Regie war dadurch gekennzeichnet, daß er nicht unter Zugrundelegung eines festen Kontraktpreises zwischen Werft und Auftraggeber durchgeführt wurde, sondern auf einer Abmachung basierte, den Neubau nach Fertigstellung auf der Grundlage der Selbstkosten der Werft zuzüglich eines Aufschlages für Gewinn und Amortisation abzurechnen.
Das garantierte der Werft einen Profit und bewahrte den Auftraggeber vor Kostenschwankungen, allerdings unterleif die bilaterale Abmachung sowohl Kartellabsprachen als sie aufgrund ihrer spezifischen Ausformung auch die Marktmechanismen unterhölte. Dieses wiederum wollte das RMA nicht zulassen und lehnte den Regiebau ab.
Erst durch den Kriegsbeginn änderte sich dies, da die Werften sich durch die Problematik mit festen Verträgen vor diesen neuen Bedingungen schützen wollten und das Werftkartell ausgesetzt war.


Quelle:
Linienschiffe der Kaiserlichen Marine 1906-1918 / A. Grießmer
 
Wie viel verdiente so eine Werft eigentlich an einem Einheitslinienschiff und wie viel an einem Transatlantikliner? Oder anders gefragt: Machte eine Werft besseren Gewinn mit zivilen oder militärischen Schiffen?
 
Wie viel verdiente so eine Werft eigentlich an einem Einheitslinienschiff und wie viel an einem Transatlantikliner? Oder anders gefragt: Machte eine Werft besseren Gewinn mit zivilen oder militärischen Schiffen?


Für genau Beträge müsste ich einmal nachschlagen, aber zumindest m Deutschen Reich haben die Werften sich ganz gewiss keine goldene Nase verdient. Das Reichsmarineamt war ein knallharter Verhandlungspartner. Unter denWerften gab es immer wieder Bestrebungen ein Kartell gegenüber dem Reichsmarineamt zu bilden, um endlich zu "vernünftigen" Preisen zu gelangen.
 
So ich habe einmal den Epkenhans einmal aus dem Regal gezogen. Ich habe hier ein paar Beispiele der Germaniawerft (Krupp):

Kleiner Kreuzer Gazelle: Verlust 281.060 RM

Linienschiff Kaiser Wilhelm der Große: Verlust 549.918 Rm

Linienschiff Braunschweig: Gewinn 1.365.631 RM

Linienschiff Deutschland: Gewinn 1.637.238 RM

Kleiner Kreuzer Köln: Verlust 1.003.864 RM

Quelle: Epkenkans, Die wilhelminsche Flottenrüstung
 
Hier ein Einblick in das Buch:

Zwischen Krieg, Revolution und Inflation: die Werft Blohm & Voss 1914-1923 / Olaf Mertelsmann

Zwischen Krieg, Revolution und ... - Google Bücher

Ein wichtiger finanzieller Punkt beim damaligen Schiffbau waren die Stahl- Eisenpreise wobei die Werften mehr Umsatz bei dem Bau von Handelschiffen verzeichnen konnten, als mit Kriegsschiffen.
 
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Wobei die Werften keine Kriegsschiffe gebaut hätten, wenn es sich nicht gelohnt hätte. Die eigentliche Frage ist eher, ob es (vor 1914) überhaupt Produktionsengpässe gab, und wie in solchen Fällen verfahren wurde. Mussten die Werften irgendwann zivile Bauvorhaben vor militärischen zurückstellen, selbst wenn die zivilen eine höhere Rendite versprochen hätten?

Eine Umsatzsteigerung, die zu Gewinn führt, ist aus Sicht des Kaufmanns eigentlich immer gut, so man die entsprechenden Kapazitäten hat, die Nachfrage insgesamt zu erfüllen.
 
Wobei die Werften keine Kriegsschiffe gebaut hätten, wenn es sich nicht gelohnt hätte. Die eigentliche Frage ist eher, ob es (vor 1914) überhaupt Produktionsengpässe gab, und wie in solchen Fällen verfahren wurde. Mussten die Werften irgendwann zivile Bauvorhaben vor militärischen zurückstellen, selbst wenn die zivilen eine höhere Rendite versprochen hätten?

So ist es nun auch wieder nicht.
Überkapazitäten wechselten mit Vollauslastungen ab, wobei die Werften sich stark voneinander unterschieden und mindestens nach 1905 im harten nationalen Wettbewerb standen, zu dem der internationale bei den Schiffsbauten nachfolgte. 1900/12 stieg der britische Weltmarktanteil, obwohl schon über 60%, stärker als der deutsche.

Bei den "Dickschiffen" wurden auch Verluste eingefahren, die wechselvollen Zeiten begann mit dem Dreadnought-Sprung, während vorher bei den Linienschiffen Höchstprofite eingefahren wurden:
Blohm&Voss verlor 2,2 Mio. an den Schlachtkreuzern Seydlitz und Derfflinger
Germania 0,7 Mio. am Schlachtschiff Prinzregent Luitpold
usw.

Die Dividenden der Werften fielen zwischen 1900 (10,5% Durchschnitt) und 1913 (1,2% Durchschnitt). Da die deutschen Großbanken Insolvenzen der Werften fürchteten, und die Folgen des Preiskampfes abmildern wollten, wurde unter Führung der Deutschen Bank und des Bankhauses Warburg 1914 versucht, ein Kartell der 4 größten Werften zu errichten.

Epkenhans: Krupp and the Imperial German Navy 1898-1914 - A Reassessment
JoMH 2000, S. 342.
 
Wobei die Werften keine Kriegsschiffe gebaut hätten, wenn es sich nicht gelohnt hätte. Die eigentliche Frage ist eher, ob es (vor 1914) überhaupt Produktionsengpässe gab, und wie in solchen Fällen verfahren wurde. Mussten die Werften irgendwann zivile Bauvorhaben vor militärischen zurückstellen, selbst wenn die zivilen eine höhere Rendite versprochen hätten?

Eine Umsatzsteigerung, die zu Gewinn führt, ist aus Sicht des Kaufmanns eigentlich immer gut, so man die entsprechenden Kapazitäten hat, die Nachfrage insgesamt zu erfüllen.


Teilweise spielte auch durchaus der Patriotismus eine Rolle. Wilhelm unterhielt zu Krupp erstklassige Beziehungen und m.W. war es auch er, der Krupp zum Einstieg in dieses Geschäft veranlasste und später auch persönlich für eine Drückung der Preise sorgte.
 
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