Russland 1914: Historische Voraussetzung und der Eintritt in den WW1

Vorab: es sollte möglich sein, die Kriegsursachen 1914 nach 100 Jahren sine ira et studio zu diskutieren.

Und es ist dabei sinnvoll, Bemerkungen korrekt wiederzugeben:

Ich habe zB bzgl. Keiger lediglich davon gesprochen, dass Leonhard ihn als Standardwerk übersieht. Von Dir war überhaupt keine Rede.

Und ich habe weiter sachlich und ohne jeden Vorwurf dargelegt, dass ich das Zitat von Leonhard zu dieser Detailfrage nicht nachvollziehbar finde, da Leonhard - wie man den konzentrierten Fußnoten entnehmen kann - diese Detailfrage von Clark übernimmt, und ausweislich der sonst fehlenden Angabe zur Literaturkontroverse diese Übernahme ungeprüft vornimmt.

Das sollte in der Sache Anlass sein, in diesem Punkt über Leonhard nachzudenken, nicht über die generelle Handhabung von Fußnoten, ob man sie liest oder nicht liest.

Hinweise auf bestehende Kontroversen in der Literatur - zu der man auch abweichende Meinungen argumentativ vertreten kann - sollten hier zulässig sein, ohne gleich über Lesegewohnheiten zu diskutieren. Es steht jedem frei, in der Sache pointierte Kritik an Literatur zu hinterfragen und auf Argumente abzuklopfen, oder zu widerlegen, und das sollte mit Ruhe möglich sein, wenn einem solche Kritik auch in Bezug auf eigene Anschauungen völlig quer geht.

Von daher sollte Ziel sein, inhaltliche Reaktionen auf inhaltliche Kritik zu bringen. An allgemeinen Diskussionen darüber, wer welche Literatur zu verwenden hat, habe ich als Hobbyhistoriker kein Interesse.
 
Wie stark war Russland eigentlich? Und zwar sowohl in der Selbsteinschätzung als auch aus Sicht der anderen Großmächte?

Militärisch gab es Fortschritte gegenüber 1905, strategisch wurden zwar Bahnen gebaut aber auch Truppen anders disloziert - nicht immer vorteilhaft nach außen (dafür gegen Aufstände besser einsetzbar) und die Wirtschaft immer noch nicht in der Lage für einen Krieg zu produzieren.
Alles was einen kurzen Krieg überstieg musste zu einem Kraftakt werden.
Die Idee zur inneren Destabilisierung wird den Deutschen ja nicht erst mit Lenins Zugfahrt und der Ausrufung des Königreichs Polen gekommen sein, wie sah es da 1914 aus?
 
Es geht mir eigentlich weniger um die Stärke der Armee und vielmehr um die Stärke des Staates. Die Revolution von 1905 war ein paar Jahre her, die Zugeständnisse längst kassiert und die Unzufriedenheit immer noch hoch. Die Armee musste ihren Teil zur Unterdrückung der Bevölkerung leisten und der Gegensatz zwischen "oben" und "unten" wurde eher größer als kleiner. Zudem stand die Zentralisierungspolitik des Zaren im Gegensatz zu den nationalen Bewegungen vor allem im Westen des Reiches.
 
Es geht mir eigentlich weniger um die Stärke der Armee und vielmehr um die Stärke des Staates. Die Revolution von 1905 war ein paar Jahre her, die Zugeständnisse längst kassiert und die Unzufriedenheit immer noch hoch. Die Armee musste ihren Teil zur Unterdrückung der Bevölkerung leisten und der Gegensatz zwischen "oben" und "unten" wurde eher größer als kleiner. Zudem stand die Zentralisierungspolitik des Zaren im Gegensatz zu den nationalen Bewegungen vor allem im Westen des Reiches.

Die ersten Beiträge, vgl. auch # 3, geht auf diese Problematik ein und verweist auch auf die "Referenzliteratur", die normalerweise als relevant angesehen wird.

Die innenpolitische Situation war eine zentrale Größe für die Bereitschaft, einen Krieg zu führen, unabhängig davon, dass das Land regelmäßig von Streiks "erschüttert" wurde.
 
...
Die innenpolitische Situation war eine zentrale Größe für die Bereitschaft, einen Krieg zu führen, unabhängig davon, dass das Land regelmäßig von Streiks "erschüttert" wurde.

War diese Bereitschaft durch die innenpolitische Situation erhöht?
(so genau hast Du es ja nicht gesagt, ich nehme an es war so gemeint.)

Es ist mir das immer noch nicht ganz klar.
Denn eine innenpolitische Instabilität hätte ja ebenso diese Bereitschaft dämpfen können, im Sinne des warnenden Durnovo-Memorandums etwa.
Oder hat man Geister gerufen, die man nicht leicht mehr in die Flasche bringt, und die sich nun anschicken die „souveräne“ Hand agressiv zu führen?
 
Nur kurz und ganz grob:

Es ist nicht einfach, das russische Agieren in der Julikrise 1914 zu verstehen, denn militärisch war man noch nicht soweit, um den Deutschen Reich ernsthaft zu drohen. Dafür würde man noch 2-3 Jahre benötigen, wenn eben die gigantischen Rüstungsprogrammen abgeschlossen waren.

Die Beziehungen zu Deutschland waren seit der Liman Krise äußerst gespannt und fanden ihren sichtbaren Ausdruck in dem Pressekrieg.

Österreich-Ungarn war quasi Staatsfeind Nr.1 und die Kampagne gegen Wien erreichte schon den Siedepunkt. Man glaubte in Peterburg, das der Habsburgerstaat am Ende mit seinem Latein sei und deshalb dazu neige gegen Russland vorzugehen.

Die Beziehungen zu Großbritannien waren auch nicht mehr so, wie man es sich wünschte. Dies hat aber Petersburg sich selbst zuzuschreiben, denn durch seine aggressive Politik in Persien kam es immer wieder zu Spannungen mit dem Partner.

Mit Frankreich war man in Petersburg nicht zufrieden. So war man beispielsweise über die französische Haltung bei den Bukarester Friedensverhandlungen verärgert, da Paris zusammen mit London und Berlin Stellung zugunsten Griechenlands bezogen hat. Aber auch mit der französischen Haltung in der Liman Krise war man nicht gerade glücklich, da Frankreich eine aktive Unterstützung Russlands praktisch abgelehnt hatte. Auch das die Franzosen sich um Eisenbahnkonzessionen in nordöstlichen Anatolien bemühten, lag Petersburg quer im Magen. Die Anleiheverhandlungen für die russischen Aufrüstungsprogrammen waren auch nicht gerade von Friede, Freude, Eierkuchen geprägt.

Die Annäherung an Serbien und Montenegro wurde fortgesetzt und mit Wien wurde sich heftig um Einfluss in Sofia gestritten. Die Beziehungen zu Japan und Rumänien besserten sich immer weiter.

Im Inneren ist ein Ansteigen der revolutionären zu verzeichnen. Der Zar versuchte mit halbherzigen Maßnahmen für Ruhe zu sorgen, aber die Macht der Autokratie und der Großgrundbesitz blieben unangetastet. Das war wichtig und stellte den Zarismus wohl vor dem Problem einer aktiveren äußeren Politik, eben als Mittel zur Stabilisierung der Lage im Inneren.
 
..

Im Inneren ist ein Ansteigen der revolutionären zu verzeichnen. Der Zar versuchte mit halbherzigen Maßnahmen für Ruhe zu sorgen, aber die Macht der Autokratie und der Großgrundbesitz blieben unangetastet. Das war wichtig und stellte den Zarismus wohl vor dem Problem einer aktiveren äußeren Politik, eben als Mittel zur Stabilisierung der Lage im Inneren.
Darum ging es mir bei der Frage.
Wie ist dieses Russland am Vorabend der Katastrophe beinander (das war fränkisch)?
Und welche inneren Zwänge könnten außenpolitische Entscheidungen beeinflusst haben?
(Die Frage wäre ja nicht nur für Russland zu stellen.)

Ich will mal versuchen ein paar Gedanken dazu zu fassen:

Die gesellschaftliche Organisationsfähigkeit, bezogen auf die Massen, hinkte gegenüber den anderen Großmächten, aus verschiedenen Gründen, hinterher.
Der verspätete Eintritt in die Industrielle Revolution machte die Bewältigung der damit einhergehenden Schwierigkeiten nicht leichter. Man kann annehmen, dass gerade die Verspätung besonders geeignet war Instabilität zu fördern.
Zudem ist Russland dünn, richtig dünn, besiedelt, und die Reichweite jeder Form übergeordneter gesellschaftlicher Organisation im Vergleich gering.
Im Gegenpol dazu gibt es eine klare autokratische Autorität, die sich unverzichtbar auf ein religiöses Fundament stützt..
Auch hier bleibt Russland hinter den anderen Großmächten in der Entwicklung zurück.

Der Terrorismus steigt im 19 Jhd.,
und Anfang des 20. Jhds. ist der Posten eines russischen Innenministers mindestens lebensgefährlich.
1905 entsteht eine brisante Revolution, die sich 1. aus der Ablehnung der Bürokratie, also des organisierten Staates, und 2. der sozialen Bedingungen speist.
Es ist m.E. Bemerkenswert, dass Ersteres übergreifend für alle sozialen Gruppen gilt.
Die Wurzel der Instabilität wäre daher viel verzweigter und umfassender als man sich so vorstellt.
Nach der Revolution von 1905/06 ist Russland nicht mehr das gleiche Land.

Es zeichnen sich u. a. diese Tendenzen ab:

- Die als unzeitgemäß empfundene Autokratie Russlands öffnet sich unter dem Zwang des Zeitgeistes und der Revolution und betritt zunächst damit die besonders gefährliche Übergangsphase zur Liberalisierung.
(Ende 1905 entsteht eine Presselandschaft dadurch, dass das Zensurprinzip umgekehrt wird. Keine vorherige Vorlage der Publikation, sondern eine nacheilende Zensur.
Es wird die Duma eingesetzt.
Politische Organisationen schießen wie Pilze aus dem Boden)
- Die seitens der herrschenden Elite, als negativ empfundenen darauf folgenden Ergebnisse, verstärken eine panslawistische und chauvinistische Radikalisierung.
- Eine innenpolitische Stabilisierung wird nicht erreicht.

Es könnte deshalb meinen, es gäbe 1914 auf russischer Seite das dringende Bedürfnis jeder Belastung durch einen Krieg aus dem Wege zu gehen.
Der ehemalige Innenminister Durnovo warnt in diesem Sinn den Zaren im Feb. 1914 in seinem später berühmt gewordenen Memorandum.
In diesem führt er aus, dass im Falle eine Sieges gegen das DR es keine unüberwindlichen Hürden gäbe die 'sozialistische Bewegung' niederzuhalten.
Allerdings, so warnt er, gründe sich diese Einschätzung auf der Hoffnung, dass nicht eine, dann unvermeidliche, soziale Revolution in Deutschland auf Russland überspringt.
Falls jedoch Russland den Krieg verliert, ist 'eine soziale Revolution in ihrer extremsten Form unausweichlich'.
http://novaonline.nvcc.edu/eli/evans/his242/Documents/Durnovo.pdf

Interessant ist hier vielleicht die Person Durnovo. Im Oktober des Revolutionsjahrs 1905 wird er Innenminister. Er ist kein Pazifist, sondern weit eher ein harter Chauvinist.
 
....
In diesem Sinne ist es fast eine Ironie der Geschichte, dass sich zwei autokratische Regime, obwohl eigentlich mehr gemeinsame Interessen vorlagen, durch einen Krieg politisch erledigt haben.

Eine böse Ironie liegt wohl auch darin, dass der Kanzler des DR über die Einschätzung Durnovos noch hinausgeht. (Zumindest wird es von Mommsen so zusammengefasst, und von Otte und Jarausch so zitiert – Danke hier an Silesia für Jarausch-Link und indirekte Buchempfehlung)
Er meint, dass es auch im Falle eines eigenen Sieges in einem großen europäischen Krieg wahrscheinlich sei, dass die alte Ordnung stürze.

Die Ironie ist wohl eine Pflanze die bevorzugt auf dem Boden der Widersprüchlichkeit sprießt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es geht mir eigentlich weniger um die Stärke der Armee und vielmehr um die Stärke des Staates.

Wie ist dieses Russland am Vorabend der Katastrophe beinander? ...Und welche inneren Zwänge könnten außenpolitische Entscheidungen beeinflusst haben?

Von hatl und von Turgot sind ja bereits eine Reihe von Aspekten angesprochen bzw. beantwortet worden. Und jetzt ein weiterer Versuch zur Einschätzung.

Teil 1:
Eine sehr spannende Frage, die vor allem die – objektive - Situation in Russland betrifft, aber auch die subjektive Wahrnehmung durch die anderen Mächte, die entscheidend war vor allem für das Verhalten des DR.

Russland als objektive und subjektiv zugeschriebene Großmacht Versucht man eine „objektivierende“ Darstellung der Situation der Großmächte 1914, dann bietet sich beispielsweise der Weg an, den Wohlforth gegangen ist, der einen ungewichteten Index aus Statistiken zur Gesamtbevölkerung, Stadtbevölkerung, Energieverbrauch, Stahlproduktion, Militärausgaben und Armeestärke gebildet hat [25, S. 354/355]. Im Ergebnis erhält die USA 1913 einen Indexwert von 26, Russland und das DR von jeweils 18 und GB 14, Frankreich 9 und Ö-U lediglich 6. Vor diesem Hintergrund war Russland, gemessen an der „Papierform“ eine beachtliche Großmacht, die ein nicht unerhebliches Drohpotential entfalten konnte.

Die objektivierte Beurteilung findet sich teilweise in der subjektiven Beurteilung durch die politischen Akteure wieder. Den sozialen Veränderungen nach 1905 folgend, nahmen beispielsweise sowohl KW II wie auch Bethmann eine skeptische Einschätzung vor, ob Russland in 1914 für einen Krieg vorbereitet sei [1, S. 420] und zeichnet damit ein ähnliches Bild wie Otte [19, Pos. 2610 ff]. Der Hintergrund für diese skeptische Einschätzung lag in den Berichten begründet, die der deutsche Botschafter bis zur Juli-Krise geschickt hatte und in denen er auf die Millionen von streikenden Arbeitern und die Barrikaden in Moskau hingewiesen hatte. Die Option eines Krieges hätte – so KW II – für Nikolaus den Verlust seiner Krone bedeuten können und dieses hielt er als Option für zu gefährlich für Nikolaus [1, S. 421].

An den einzelnen Aspekten, die Wohlforth herangezogen hat, erkennt man das Problem der Beurteilung des zaristischen Russlands, seine konfliktgeladene innenpolitische Situation, die zu einer differenzierten Bewertung geradezu zwingt.

Autokratie, Regierung und Duma Die einschneidendste Veränderung für Russland bildete der verlorene Krieg 1905 gegen eine bis dahin zweitrangige Großmacht und in der Konsequenz die Erfahrung des Zarismus, die durch den Krieg ausgelöste Revolution nicht unterdrücken zu können, da das Militär in Fern-Ost gebunden war. In der Konsequenz formuliert Frankel: „The Russo-Japanese War demonstrated as never before to what extent the fate oft he tsarist regime at home was tied to ist policies of war and peace abroad.“ und resümiert, dass die Legitimation der autokratischen Herrschaft auf ihrer Fähigkeit beruhte, „…to meet the challenge of armed conflict“. [27, S, 54].

Dem anhaltenden Druck von Seiten der Opposition, „Blutsonntag“ etc. begegnete Nikolaus mit Konzessionen, die im Rahmen des Oktobermanifests ausformuliert worden sind und auf die Einführung einer konstitutionellen Monarchie hinausliefen [10]. Dabei ist zu Nikolaus zu erwähnen, dass Lieven ihn beispielsweise als ein durchaus freundlichen, moralisch aufrichtigen Aristokraten, geprägt von militärischen Werten, schildert, aber auch sagt: „ The very different ethics of political life were alien to him.“, was zu einem gewissen Teil seine problematischen Entscheidungen erklärt. [13, S. 283]

Die Parteien in der Duma waren politisch sehr unterschiedlich bzw. in ihren Zielsetzungen antagonistisch. Die Sozialsten lehnten die Duma weitgehend ab, da sie in dieser Institution ein Instrument der Herrschenden sah. Die radikalen Liberalen, organisiert bei den Kadetten, hielten die Duma für verbesserungswürdig. Die moderaten Liberalen, organisiert bei den Oktobristen, sahen in der Duma eine ausreichende Plattform für ihre politische, reformorientierte Arbeit. Die Konservativen bzw. „Reaktionäre“ sahen in der Duma lediglich eine „Verlängerung“ bestehender Staatsstrukturen, die keine Veränderung der bisherigen politischen Machtstrukturen bedeutet hatte. [11, S. 243ff]. Dabei waren die auf Modernisierung der russischen Gesellschaft ausgerichteten Gruppierungen die „Oktobristen“, die „Progressiven“ und die Kadetten.

Um das von Witte angestoßene Reformprogramm umzusetzen, benötigte Stolypin (seit Juli 1906) eine zuverlässige und kooperationsbereite Mehrheit in der Duma. Die Voraussetzung dafür schuf er sich – nicht sehr demokratisch in der Wahl der Mittel - durch die Wahlrechtsreform vom 3. Juni 1907, die einen Teil der Reformen von 1905 wieder einschränkte. Gleichzeitig gewährleistete aber das System des „3. Juni“ bis zum Aufsplitten der Oktobristen in drei Fraktionen 1910, eine verläßliche Zusammenarbeit zwischen Regierung und Duma. [11, S. 244ff]. Das sie diese Funktion erbringen konnte, entsprach den konservativen Erwartungen von Stolypin. Er war der Vefechter eines eigenständigen russischen Wegs zur Industrialisierung und lehnte es explizit ab, dass Russland dem westlichen Vorbild parlamentarischer Systeme folgen könnte. Durch seinen selbstherrlichen autoritären Führungsstil zerstörte er jedoch die Kooperation mit der Duma und entzog dem System des „3. Juni“ die Grundlage und leitete damit eine Phase der „Unregierbarkeit“ von Russland ein [23, S. 115]

Nach dem Ende der zweiten Duma am 18. Juni 1914 – also kurz vor der Juli Krise 1914 !!! - berief Nikolaus eine Konferenz ein, an der alle Minister teilnahmen und er vorschlug den Status der Duma bzw. des Staatsrats (2 Kammern-System) weiter einzuschränken und auf die Rolle von beratenden Gremien zu beschränken und begründet es damit, dass es keine Kooperation mehr gab zwischen den beiden Kammern (Duma und Staatsrat) und der Regierung [11, S. 205]. Und Hosking konstatiert, dass das neue konstitutionelle System zu keinen relevanten Reformen in dem Sinne fähig war, wie ein Stolypin es noch als Ziel formuliert hatte: „Gebt uns 20 Jahre und ihr werdet das jetzige Russland nicht wiedererkennen.“[11, 215]

Die Ebene der Konflikte berührten auch das Verhältnis von Nikolaus zu seiner Regierung und er versuchte seine Abhängigkeit von der Regierung zu reduzieren, um seine autokratischen Funktionen zu stärken [15, S. 187ff] Diese Intervention in die Arbeitsweise des „United Gorvernment“ führte einerseits zum Rücktritt von Kokovtsev und andererseits verschärfte es die Rivalität zwischen den Regierungsmitgliedern, die verstärkt sich um die Gunst des Zaren bemühen mußten. [16, S, 179]

Bei der Bewertung der Unterstützung für den Krieg im Juli 1914 durch die Duma ist es sicherlich nicht unwichtig, dass es die „Modernisierer“, die konstitutionellen Kräfte im Parteienwesen waren, die ihren Pan-Slavismus als einen Akt der Emanzipation der Völker begriffen hatten, die als Unterstützer für die Entscheidung zum Krieg in Erscheinung traten. Eine Position, die vor allem Peter Struve von den Kadetten ausformuliert hatte. Allerdings darf man den Einfluss der Dums auf die Entscheidung für den Krieg, wie oben bereits angedeutet, nicht überbewerten [11, S. 216].

Das ist insofern bemerkenswert, da normalerweise eher die Konservativen, die gegen einen Krieg mit dem DR waren, ihren Einfluss bei Nikolaus – vor allem bei innenpolitischen Themen – haben geltend machen können. [11, S. 215] . Die entsprechende Sichtweise wurde im Februar 1914 durch Durnovo in einem Memorandum ausformuliert und er wies auf die unkontrollierbaren Risiken für die russische Autokratie hin, die ein industrialisierter Krieg bringen würde. Auch inspiriert von dem Fast-Zusammenbruch des Zarismus in 1905 als Konsequenz des russisch-japanischen Kriegs.

Vor diesem Hintergrund kritisierten beispielsweise 1908 vor allem die Zeitungen der Konservativen einzelne pro westliche Mitglieder der Zarenfamilie, vor allem die Zarin und Rasputin, sowie einzelne Personen aus dem Generalstab, da sie die pan.-slawistische Argumente für unrealistische emotionale Ideologie hielten [11, S. 229]

Für die Konservativen bzw. die „Reaktionäre“ stand die Unterdrückung der Revolution in Russland auf der ersten Position der politischen Agenda und keine militärischen Abenteuer, bei denen Russland nichts zu gewinnen hatte. [11, S. 231] Und bis Ende 1913 folgte die russische Außenpolitik im wesentlichen der Leitlinie von Stolypin und Kokovtse, dass Russland aufgrund seiner problematischen inneren Situation, vor allem Frieden brauchte [15, S. 151] Wenngleich Kokovtsov wie Sazonov beide als pro-westlich von den Konservativen kritisiert worden sind [23, S. 121]. Dennoch und das ist der entscheidende Unterschied auf den Witte hinwies, „With Kokovtsev gone, the last spokesman for the connection between external conflict und internal revolution disappeared.“ [16, S. 305]

Im Juni 1914 stand die konstitutionelle Monarchie des Zarismus, aus eigenem Antrieb und eigenem Verschulden, aufgrund der starken politischen Polarisierung zwischen den Parteien vor einem schweren Legitimationsproblem und ist ein entscheidender Schritt, der letztlich den Niedergang des Zarismus mit beschleunigte. [11, S. 246] In diesem Sinne resümiert Figes: „Das Wesen des zaristischen Regimes war an sich die beste Gewähr dafür, dass es politisch nicht zu reformieren war. [3, S. 251]

Es war ein „großes“ politisches Wagnis, bei dem Nikolaus parallel zum einen, einen reaktionären Kurs verfolgte und Russland wieder in die vollständige Autokratie führen wollte und zum anderen „mußte“ er einen Krieg führen, da er der „Gefangene“ einer pan-slawistischen, nationalistischen und imperialistischen Ideologie geworden ist. Dass der Wille zur innenpolitischen Autokratie nicht unwesentlich durch Teile der pro-westlichen, teils germanophoben Presse verstärkt worden ist und in der „Liman-Affaire“ Anfang 1914 sein politisches Symbol fand, ist nur ein Aspekt der inkonsistenten innenpolitischen Situation Mitte 1914 [15, S. 205]

Und es ist schon eine gewisse Form der Ironie, dass es die „Modernisierer“ waren, die westlich orientierten national-liberalen, die Nikolaus zur Kriegsführung motivierten, die er aufgrund von innenpolitischen Argumenten objektiv nicht hätte führen dürfen und subjektiv – mindestens bis Ende 1913 - auch nicht führen wollte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Teil 2:

Wirtschaft Die ambivalente Beurteilung des politischen Systems Russlands, das sich Mitte 1914 in einer Form von Agonie befand, setzt sich im Bereich der Beurteilung seiner Industrialisierung und der Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Entwicklung fort.

Vor diesem Hintergrund kommt Lieven, in Anlehnung an die These von Fischer, zu dem Ergebnis, dass weder wirtschaftliche Interessen noch wirtschaftliche Interessengruppen eine Bedeutung für die Entscheidung zum Krieg hatten[12]

Die wirtschaftliche Entwicklung in Russland war deutlich widersprüchlicher als seine statischen Kennzahlen deutlich machen. Zum einen war Russland zu einer Industriemacht aufgestiegen und zum anderen stagnierten die pro Kopf-Kennzahlen bzw. waren im Vergleich zu den anderen Großmächten sogar rückläufig. [5] Die Anteilsverhältnisse an den großen Industrien wiesen zudem einen hohen Anteil an Fremdkapital auf, mit dem zum einen der Eisenbahnbau finanziert worden ist und zum anderen die wenigen, geographisch hauptsächlich um St. Petersburg und Moskau konzentrierten Industrien. Getragen wurde das industrielle Wachstum dabei von wenigen großen Unternehmen und nur einem relativ kleinen Anteil „Mittelständischer Unternehmen“.

Es gab eine deutliche Trennung, ja ein ausgeprägter Antagonismus zwischen dem Hochadel, inklusive Zaren,und dem Bereich der Wirtschaft andererseits. So schreibt Gatrell: „If Russia`s industrialists continued to generate profits and to build new business, they did so in an atmosphere of offical antagonism and public distate.“ [4, S. 326] Zusätzlich war die zaristische „allmächtige“ Bürokratie geprägt durch diese wirtschaftsaverse Haltung, nicht zuletzt, da die administrativen wie die politischen Eliten in einem erstaunlich engen gesellschaftlichen Umfeld aufwuchsen und ihre Ausbildung erhielten, wie Lieven zeigt. [[13]

Und diese zaristische Administration erfüllte dann während des Krieges ihre Aufgabe deutlich schlechter wie beispielsweise die sehr leistungsfähigen Administrationen in GB, dem DR oder in Frankreich. [5]

Dieses wirtschaftsfeindliche Umfeld verweist in der Konsequenz auf ein zentrales Problem der russischen Volkswirtschaft. Auf das Problem der Reinvestition von in Russland erwirtschafteten Gewinnen, die die eigentliche Dynamik bzw. der Motor für kontinuierliches Wirtschaftswachstum bildet und im zaristischen Russland im wesentlichen als Impuls – lediglich und weitgehend - von der zaristischen Bürokratie ausging.[20]

Das zaristische Regime, so die Erklärung von Gatrell, hat nie die Anforderungen und die Funktionsweise einer modernen Industrie im Rahmen einer aktiven Wirtschaftspolitik verstanden [4, S. 326]. Die institutionellen und bürokratischen Hindernisse und Verkrustungen, die sich bereits im Vorfeld des WW1 aufgebaut haben, zeigten sich während des Krieges noch deutlicher durch den geringen Mobilisierungsgrad, vor allem in den ersten beiden Jahren, im Vergleich zu den wichtigsten Konkurrenten [5]

Nicht zuletzt, um die Fiktion des kurzen Krieges mit geringen Belastungen für die Bevölkerung aufrechtzuerhalten, wird die Produktion von Konsumgütern für die Bevölkerung in den ersten beiden Kriegsjahren nicht gedrosselt [5, S.438] In diesem Sinne kommt Lieven, in Anlehnung an die These von Fischer, zu dem Ergebnis, dass wirtschaftliche Interessen bzw. auch keine wirtschaftliche Interessengruppen eine Bedeutung für die Entscheidung zum Krieg hatten[12].

Trotz intensiver Rüstung, die auch zum Ausbruch des WW1 beigetragen hatte, waren eigentlich alle Volkswirtschaften der wichtigsten Kriegsteilnehmer erstaunlich gering auf die dann eintretenden hohen Belastungen bei der Produktion von Kriegsmaterial vorbereitet.

Und das kann man auch für Russland konstatieren und darin – auch – einen Grund für das militärische Scheitern und damit auch für das Ende des Zarentums erkennen. Eine autokratische Herrschaftsstruktur war nicht mehr kompatibel mit den Bedingungen einer industriealisierten Kriegsführung.

Intelligentsia und die Opposition gegen die Autokratie Im Gegensatz zu Westeuropa, wo sich eine eigenständige „Öffentliche Meinung“, auch in der Form der bürgerlichen Presse als Strukturwandel vollzog, wie bei Habermas beschrieben, entwickelte sich im zaristischen Russland eine eigenständige „Intelligenz“, teils losgelöst von der veröffentlichen Meinung.

Sie bezog sich auf das „Allgemeinwohl des Volkes“ und band so die moralische Autorität an sich, uneigennützig die Interessen Russlands zu vertreten. [27, S. 235ff] Sie stand mit ihrer Haltung nicht nur in – teils – militanter Opposition zum Zarismus, sondern lehnte auch mehrheitlich eine „national-liberale“ Ideologie ab, was insgesamt die Fragmentierung der bürgerlichen Gesellschaft verstärkte. Ihre politischen Wurzeln bezog sie zum einen aus den ideologischen Wurzeln der Französichen Revolution und zum anderen aus einer spezifisch russischen Bodenständigkeit, wie beispielsweise Tolstoi, der ein überzeugter Pazifist war bis zu seinem Tod 1910.

In diesem Sinne resümiert Ely: „From this point of view, Russia managed to create ist own version of civil society without relying on a substantial middle class and without acquiring a definite political direction. [27, S. 240].

Vor diesem Hintergrund wird deutlich wie gering die soziale Verankerung des Zarismus in der russischen Gesellschaft war und das es dem Zarismus nicht gelungen war, beispielsweise im Gegensatz zum DR, das Bürgertum für die nationale Sache mehrheitlich zu gewinnen. [13, S. 280]

Streiks und soziale Konflikte als Klassenkampf Ausgehend von den Bemühungen der Menschewiki gelang es vor 1917 die Strukturen einer unabhängigen Arbeiterbewegung aufzubauen, die über eigene Gewerkschaften und eigene Institutionen verfügte. Im Kontext dieser institutionalisierten Arbeiterbewegung konnte sich eine eigenständige „Arbeiter-Intelligenz“ entwickeln, die zum einen die Führung des sich entwickelnden russischen „Proletariats“ übernahm und zum anderen die kommunikative Brücke zwischen der Masse der Arbeiterschaft und der bürgerlichen Intelligenz bildete. [8, S. 306] Wenngleich diese Ansätze immer wieder durch repressive Maßnahmen des Innenministeriums versucht wurden zu ersticken bzw. zu begrenzen und den Antagonismus zwischen den Industriearbeitern und dem zaristischen System zu fördern, wenngleich, so Pipes diese Strukturen des „Polizeistaates“ relativ ineffizient gewesen sind. [21]

Die zunehmende Mobilität vom Land in die Städte, vor allem St. Petersburg und Moskau, ab ca. 1910 führte zu einem Anwachsen des „Proletariats“, das durch die qualifizierten und geschulten Arbeiter politisch zusätzlich sozialisiert wurde und für Streiks etc. organisiert werden konnte. [8, S. 310]

Die Intensität der sozialen bzw. politischen Konflikte nahm mit dem Streik im April 1912 in den Lena Goldminen und dem „Blutbad“ zu und war das wohl wichtigste Einzelereignis, das zur Politisierung bzw. Mobilisierung der Arbeiter beitrug.

Mit dem Jahr 1913, so Haimson, nahm die absolute Anzahl an Streiks zwar nicht zu, aber es nahm die Heftigkeit der Auseinandersetzungen während der Streiks zu. Zudem häuften sich die Streiks im ersten Halbjahr 1914 in einer bisher – seit der Revolution von 1905 - nicht dagewesenen Weise. [8, S. 308].
……………Streiks………………………….Streikende
1911…..466………………………………105110
1912…..2332…………………………….725491
1913….2404………………………….…887096
1914….3534…………………………...1337458
Quelle: Haimson [8, S. 330]

Die Serie der kleinen und größeren Streiks ließ bis zum Generalstreik im Juli 1914, dem Zeitpunkt des Buchs von Poincare, nicht mehr nach. [11, S. 206] Ihre volle Bedeutung zeigte sich jedoch nicht in der öffentlichen Meinung der Zeitungen, da die Zuspitzung der „Juli-Krise“ zunehmend die vorderen Seiten der Zeitungen dominierte.

Der Kriegsausbruch verschaffte einen kurzfristigen Aufschub, im Zuge der allgemeinen nationalistischen Emotionen, der jedoch schnell verebbte als deutlich wurde, dass es keinen kurzen, schnellen und siegreichen Frieden geben würde. Und diese organisierten Arbeiter bildeten dann in 1917 das organisatorische Rückgrat für die Bolschewiken [9, S. 33]

Landreform und soziale Konflikte auf dem Lande Neben den bereits dargestellten gravierenden Defiziten war, so Figes: „Die entscheidende Schwäche des zaristischen Systems war die mangelnde staatliche Erfassung der lokalen Ebene.“ [3, S. 63]. Auf je 1000 Einwohner kamen um 1900 lediglich 4 Staatsbeamtete (DR: 12, F: 17), denen von den zentralen Institutionen die Aufgabe der Durchsetzung der staatlichen Ordnung oblag.

Allerdings erklärt diese geringe administrative Durchdringung auch, warum es dem Zarismus so schwer gelang, die tiefe Kluft zwischen Hof, Stadt und Land zu überbrücken. Und in der Oberschicht in den Städten keine Fachkenntnis vorhanden war in Bezug auf die ländlichen Probleme, wie die ländliche Überbevölkerung, aufgrund der erbbedingten Zersplitterung der bewirtschafteten Flächen, und die damit zusammenhängende bäuerliche Massenarmut. Erschwerend kam hinzu, dass im ländlichen Raum ein überproportionales Bevölkerungswachstum stattfand, das erst zunehmend nach 1910 für die Industriezentren als industrielle „Reservearmee“ genutzt werden konnte. [28, S. 230].

Die größte Anzahl an Revolten der Bauern ist für die Jahre 1905 bis 1907 zu verzeichnen, bei der die Anzahl der Bauernunruhen deutlich über denen in den Städten liegt. [2, S. 348]. Eine Ursache für die massive Unzufriedenheit der Bauern lag in der Strategie der Regierung, die russische Zahlungsbilanz durch Getreide auszugleichen. Das führte in der Konsequenz zu der erzwungenen Abgabe von Weizen an den Staat, obwohl keine ausreichenden Überschüsse für den Export – „Hungerexport“ - erwirtschaftet worden sind.

In den letzten Jahren vor dem Krieg zwischen 1910 bis 1914 gab es wohl massive Unzufriedenheit, die allerdings durch die Stolypinschen Reformen 1910 ein „Überdruckventil“ öffnete und zu einem aktiven Prozess der Abwanderung der jüngeren ländlichen Bevölkerung in die Städte führte.

Und so resümiert Nötzel: „…und das ungelöste Agrarproblem war eine der Ursachen der Revolution von 1917 mit der allgemeinen Aufteilung des Bodens durch revolutionierte Bauern-Soldaten. [28, S. 249]

Motivation, Staatsbürger und Repression Um diese Herausforderungen zu meistern beschritt der zaristische Staat einen ambivalenten Weg zwischen Modernisierung, auch Reformen, bzw. der Ausbildung der Massen zu nationalistisch gesinnten Staatsbürgern ] bzw. der Repression von revoltierenden sozialen Gruppen.

In Russland treffen Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts viele Probleme der gesellschaftlichen Integration zusammen, wie teilweise oben beschrieben. Daneben stand es vor dem Problem, die unterschiedlichen Volksgruppen zu integrieren. Und so resümiert Weeks: „Russian nationality policy was based …on the political imperative to keep together a sprawling, ethnically and religiously diverse empire. Democratic principles and the right for national self-determination played no part in the empire`s calculations.“ [24, S. 198].

Und verdeutlicht, dass ein ausreichendes repressives Organ zur Verfügung stehen müsse, um die zentrifugalen Kräfte in Polen, in Finnland, im Baltikum, der Ukraine oder im Kaukasus zu „befrieden“.

Die Rolle der Armee war vor diesem Hintergrund mehr als ambivalent. Zum einen ein Instrument der Außenpolitik, aber vor allem auch eines der inneren Unterdrückung von sozialistischen, bäuerlichen oder auch separatistischen Aufständen oder Revolten Vor diesem Hintergrund eines allgemein sich verschärfenden Konflikts seit 1907 ist auch die neue Mobilisierungsplanung, relevant ab 1912, zu beurteilen, die ca. 200.000 aktive Truppen von der Grenze in die Bezirke Moskau und Kazan als Mobilisierungsorte verlegte [18, Pos. 2584].

In Kombination mit dem Ausbau des strategischen Schienensystems wollte man somit die Truppen in dieser doppelten Funktion nutzen, wobei die Rolle der Armee als anti-„Bürgerkriegsarmee“ deutlich gestärkt worden ist. Und diese Rolle konnte sie nur wahrnehmen, so lange sie sich in den heimatlichen Militärbezirken befand.

Vor diesem Hintergrund gilt für den Zarismus in 1914 der kuriose Befund, dass es als politisches Regime ohne einen Krieg in seinem Fortbestand gefährdet gewesen wäre, da es seiner Rolle als slawische Großmacht nicht gerecht geworden ist. Und ähnlich war es in seinem Bestand gefährdet durch das Führen eines langen und eventuell erfolglosen Krieges, den es eigentlich nicht führen wollte.

Als Erkenntnis bleibt ein Zar übrig, der im Juli 1914 zum einen reaktionäre Ziele verfolgt hatte, die auf eine absolutistische Konter-Revolution der Herrschaftsstrukturen hinausliefen und als zentralen Wert zur weiterhin notwendigen Integration der Reichs auf einen russischen Nationalismus setzte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Teil 3:
Literatur:

1 Carter, Miranda (2010): The three emperors. Three cousins, three empires and the road to World War One. London: Fig Tree.

2 Dubrovskij, Sergej M. (1975): Die russische Bauernbewegung 1907-1914. In: Dietrich Geyer (Hg.): Wirtschaft und Gesellschaft im vorrevolutionären Russland. Köln: Kiepenheuer und Witsch, S. 347–367.

27 Ely, Christopher (2009): The Question of civil society in late imperial Russa. In: Abbott Gleason (Hg.): A companion to Russian history. Chichester, U.K., Malden, MA: Wiley-Blackwell, S. 225–242.

3 Figes, Orlando (1998): Die Tragödie eines Volkes. Die Epoche der russischen Revolution 1891 bis 1924. Berlin: Berlin-Verl.

4 Gatrell, Peter (1994): Government, industry, and rearmament in Russia, 1900-1914. The last argument of tsarism. Cambridge, New York, NY, USA: Cambridge University Press.

5 Gatrell, Peter; Mark Harrison (1993): The Russina and Soviet economies in two world wars: a comparative view. In: Economic History Review, 1993 (3), S. 425–452.

6 Geyer, Dietrich (1977): Der russische Imperialismus. Studien über den Zusammenhang von innerer und auswärtiger Politik 1860-1914. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht

7 Gregory, Paul (1975): Wirtschaftliches Wachstum und struktureller Wandel im zaristischen Russland. Ein Beispiel modernen Wirtschaftswachstums? In: Dietrich Geyer (Hg.): Wirtschaft und Gesellschaft im vorrevolutionären Russland. Köln: Kiepenheuer und Witsch,S. 210–227.

8 Haimson, Leopold (1975): Das Problem der Stabilität im städtischen Russland 1905-1917. In: Dietrich Geyer (Hg.): Wirtschaft und Gesellschaft im vorrevolutionären Russland. Köln: Kiepenheuer und Witsch, S. 304–332.

9 Haimson, Leopold H. (1989): Civil War and the problem of social identities in eartly twentieth-century Russia. In: Diane Koenker, William G. Rosenberg und Ronald Grigor Suny (Hg.): Party, state, and society in the Russian Civil War. Explorations in social history. Bloomington: Indiana University, S. 24–50.

10 Hildermeier, Manfred (1989): Die Russische Revolution 1905-1921. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp

11 Hosking, Geoffrey A. (1973): The Russian constitutional experiment: government and Duma, 1907-1914. Cambridge, Cambridge University Press

12 Lieven, D. C. B. (1983, 1984): Russia and the origins of the First World War. New York: St. Martin's Press (The Making of the 20th century).

13 Lieven, D. C. B. (1990): Russia's rulers under the old regime. New Haven: Yale University Press.

15 McDonald, David MacLaren (1992): United government and foreign policy in Russia, 1900-1914. Cambridge, Mass., London: Harvard University Press.

16 McDonald, David MacLaren (1993): A lever without a fulcrum: domestic factors and Russian foreign policy, 1905-1914. In: Hugh Ragsdale (Hg.): Imperial Russian foreign policy. Cambridge: Woodrow Wilson Center Press, S. 268–314.

18 Menning, Bruce W. (2014): War planning and initial operations in the Russian context. In: Richard F. Hamilton (Hg.): War Planning 1914. Cambridge: Cambridge University Press, S. 80–142.

28 Nötzold, Jürgen (1975): Agrarfrage und Industrialisierung am Vorabend des Ersten Weltkriegs. In: Dietrich Geyer (Hg.): Wirtschaft und Gesellschaft im vorrevolutionären Russland. Köln: Kiepenheuer und, S. 228–251.

19 Otte, Thomas G. (2012): A "formidable factor in European Politics: views of Russia in 1914. In: Holger Afflerbach und D. Stevenson (Hg.): An improbable war? The outbreak of World War I and European political culture before 1914. New York: Berghahn Books, S. 87–114.

20 Owen, Thomas C. (2009): Industrialization and Capitalism. In: Abbott Gleason (Hg.): A companion to Russian history. Chichester, U.K., Malden, MA: Wiley-Blackwell, S. 210–224.

21 Pipes, Richard (1992): Russia under the old regime. 2nd ed. New York: Macmillan Publishing.

22 Sanborn, Joshua A. (2012): Education for war, peace, an patriotism in Russia on the eve of World War I. In: Holger Afflerbach und D. Stevenson (Hg.): An improbable war? The outbreak of World War I and European political culture before 1914. New York: Berghahn Books, S. 213–232.

23 Tomaszewski, Fiona K. (2002): A great Russia. Russia and the Triple Entente, 1905-1914. Westport, Conn.: Praeger.

24 Weeks, Theodore R. (1996): Nation and state in late Imperial Russia. Nationalism and russification on the western frontier; 1863 - 1914. DeKalb, Ill.: Northern Illinois Univ. Press.

26 Wohlforth, William C. (1987): The Perception of Power: Russia in the Pre-1914 Balance. In: World Politics 39 (3), S. 353–381.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nochmals Danke Thane, für diese beeindruckende (im Wortsinne) Arbeit! (#192-#194)
Eine so gut geschriebene Zusammenfassung mit einem so umfassenden und genauen Quellenbeleg gehört sicher zum Besten was zu finden ist.

Der Hintergrund für diese skeptische Einschätzung lag in den Berichten begründet, die der deutsche Botschafter bis zur Juli-Krise geschickt hatte und in denen er auf die Millionen von streikenden Arbeitern und die Barrikaden in Moskau hingewiesen hatte. Die Option eines Krieges hätte – so KW II – für Nikolaus den Verlust seiner Krone bedeuten können und dieses hielt er als Option für zu gefährlich für Nikolaus [1, S. 421].

Interessanterweise kommt Bethmann Hollweg zu dem gleichen Schluss in Bezug auf die deutsche Krone im Falle eines europäischen Krieges. Es lägen hier also gleich beide Kronen auf dem Spieltisch.
Und der Bestand der dritten Krone, der von Ö-U, steht von vorneherein im Zentrum des gefährlichen Spiels.
Die vierte Krone, die des Sultans, befindet sich bereits im Endstadium des Daseins und ist nach außen verpfändet und zudem nach innen, weithin sichtbar, wund.

Ist es so, dass größere innenpolitische Spannung mit aggressiver Außenpolitik korrelieren?
Ist es so, dass eine Erwartung einer negativen zukünftigen Entwicklung der eigenen Lebensbasis die maßgeblichen Spieler zum Risiko reizt?
Das wäre das „Letzte Hurra“ aus einem anderen Beitrag von Dir http://www.geschichtsforum.de/746074-post16.html
Vor diesen großen Aufgaben haben sich - vor allem - die autokratischen Monarchien 1914 erfolgreich gedrückt und aufgrund der Fülle von Problemen die Flucht nach Vorne - in den Krieg - angetreten. Es war das letzte "Hurra", und die letzte Chance, die Legitimation an anachronistische Herrschaftsstrukturen zu binden und den Versuch zu wagen, den Weg in die Vergangenheit zu beschreiten.*

Bemerkenswert scheint mir, dass in jedem Falle mit dem eigenen Untergang gerechnet werden musste, und damit das Brinkmanship auch eine Wette auf den früheren Niedergang des Gegenüber beinhaltete.

An den einzelnen Aspekten, die Wohlforth herangezogen hat, erkennt man das Problem der Beurteilung des zaristischen Russlands, seine konfliktgeladene innenpolitische Situation, die zu einer differenzierten Bewertung geradezu zwingt.
Wenn ich Wohlforth richtig verstanden habe, kommt er zu dem Schluss, dass die damals gegenwärtige Einschätzung der Stärke Russlands in GB die höchste ist, und im DR die niedrigste, wenn man davon absieht, dass die Selbsteinschätzung der Regierenden Russlands noch darunter liegt.
'konfliktgeladene innenpolitische Situationen' erzwingen zwar 'differenzierte Bewertungen' in der Rückschau, behindern aber im Moment des Auftretens Erstere massiv und in mehrerlei Hinsicht.

Der Pflicht der Differenzierung kann blöderweise in der Krise selbst nur ungenügend wahrgenommen werden.
Das hat, wie halt Krisen so sind, auch eine unkontrolliert steigende Eigendynamik.


Grüße hatl

P.S. Danke nochmal, Dein dreiteiliger Beitrag hat Referenzcharakter.
 
Zuletzt bearbeitet:
Interessanterweise kommt Bethmann Hollweg zu dem gleichen Schluss in Bezug auf die deutsche Krone im Falle eines europäischen Krieges. Es lägen hier also gleich beide Kronen auf dem Spieltisch.
Und der Bestand der dritten Krone, der von Ö-U, steht von vorneherein im Zentrum des gefährlichen Spiels.Die vierte Krone, die des Sultans, befindet sich bereits im Endstadium des Daseins und ist nach außen verpfändet und zudem nach innen, weithin sichtbar, wund.

Ist es so, dass größere innenpolitische Spannung mit aggressiver Außenpolitik korrelieren?

Diese ähnliche Einschätzung ist m.E. auch gar nicht so verwunderlich. Vor allem die strukturellen Veränderungen durch die Industrialisierung hat alle Monarchien noch stärker getroffen wie die Demokratien, da sie evolutionärer die Veränderungen politisch auffangen konnten.

Von Jeffreys-Jones (in: Die Vereinigten Staaten von Amerika, Fischer, S. 235ff) in Anlehnung an Applemann Williams und dem Bezug auf die Sozialimperialismus-These von Wehler, sieht er in den USA im Vorfeld des WW1 die Außenpolitik auch in einer Ventilfunktion. Durch einen "neuen Imperialimus" wird die soziale Spannung durch die "Progressiven" (Roosevelt und Wilson) außenpolitisch umgeleitet.

Die externe Bedrohung als innenpolitische Entlastung ist somit ein relativ "neutrales" Instrument für Regierungen.


Ist es so, dass eine Erwartung einer negativen zukünftigen Entwicklung der eigenen Lebensbasis die maßgeblichen Spieler zum Risiko reizt?

Bemerkenswert scheint mir, dass in jedem Falle mit dem eigenen Untergang gerechnet werden musste, und damit das Brinkmanship auch eine Wette auf den früheren Niedergang des Gegenüber beinhaltete.

Die Entscheidung für den Krieg ist sicherlich - auch - definiert durch die Gewinne. Aber es ist mehrfach festgehalten worden, dass der Ausbruch des WW1 nicht durch klassiche "Gewinnabsichten" definiert war.

Viel wichtiger war, dass die zu erwartenden Verluste - und Bethman und Falkenahyn stellten bereits ca. Ende 1914 fest, dass der Krieg militärisch nicht mehr zu gewinnen sei - deutlich höher waren, als politisch zu ertragen war. Und die Angst vor dem kollektiven Machtverlust die Eliten im DR an die Fortführung des Krieges band (vgl. Goemanns)


https://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=8sQOlYk032oC&oi=fnd&pg=PP2&dq=war+and+punishment&ots=TFP4NpmjO1&sig=-rafdPDlox1yPPFW8hF3L-MPVKM#v=onepage&q=war%20and%20punishment&f=false

Wenn ich Wohlforth richtig verstanden habe, kommt er zu dem Schluss, dass die damals gegenwärtige Einschätzung der Stärke Russlands in GB die höchste ist, und im DR die niedrigste, wenn man davon absieht, dass die Selbsteinschätzung der Regierenden Russlands noch darunter liegt.

Er macht ja zwei Schritte, ein Ranking aufgrund von statistischen Kennzahlen und fragt im zweiten Schritt, wie sich diese - objektive - Bewertung in den damaligen Urteilen niederschlägt.

An den Beispiel von Wilson wird dann auch deutlich, wie stark Bewertungen beeinflusst werden. Freund und Feind muss entsprechend der erhofften eigenen militärischen Bedeutung der BEF eingeschätzt werden

Ansonsten wird in den Bewertungen die hohe Dynamik deutlich in Bezug auf die Zunahme der Kampfkraft der Russen von 1908, über 1912 und projiziert auf 1917.

Aber es wird m.E. in den Stellungnahmen auch deutlich, dass 1914 die Leistungsfähigkeit der Armee des DR noch sehr hoch eingeschätzt wird. Unnd man ist sich mehr als bewußt, dass nur die koordinierte Aktion der drei allierten Armeen eine Chance auf Erfolg gegen das DR und Ö-U bietet.

* Und es freut mich, wenn der "Fortsetzungsroman" ein wenig zur inhaltlichen Klärung beigetragen hat. Und ich muss sagen, dass ich ehrlich selber ein wenig über das inhaltliche Ergebnis überrascht war, das die innere Verfassung als problematisch sieht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Von D. Lieven liegt ein neues Buch vor, in dem er sich - einmal mehr - mit den Krieg in Russland und seinen Voruassetzungen beschäftigt.

Seine zentrale These geht davon aus, dass - im Gegensatz zur allgemeinen Wahrnehmung - nicht die Westfront der politisch relevante Schauplatz war, sondern die Ostfront.

Es waren die Ergebnisse in diesem Bereich, die nach dem Ende des WW1 die politische Landkarte verändert haben.

Die Ursachen für diese "Fehlwahrnehmung" der Bedeutung der Ostfront resultieren dann auch aus der "ungewöhnlichen" Zusammensetzung der Konferenz in Versailles, die die Sowjets faktisch ausgegrenzt hatte. Und die Geschichte des WW1 primäar aus der "westlichen" Sicht geschrieben worden ist.

Ein weiteres relevantes Buch von ihm zu diesem Themenkomplex.

https://books.google.de/books?id=zKUfBQAAQBAJ&printsec=frontcover&dq=Towards+the+Flame:+Empire,+War+and+the+End+of+Tsarist+Russia&hl=de&sa=X&ei=AjWhVZvUAeX8ywOcoo7YAg&ved=0CCQQ6AEwAA#v=onepage&q=Towards%20the%20Flame%3A%20Empire%2C%20War%20and%20the%20End%20of%20Tsarist%20Russia&f=false
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben