Russlandfeldzug 1812

Clypeus

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Frage zum Russlandfeldzug

Wieso lässt Napoleon im Oktober 1812 den Rückzug aus Moskau antreten? Liegt es daran, dass er fürchtet, den Anschluss an Europa zu verlieren, wenn er zu lange in Russland bleibt, während der Zar nicht auf seine Friedensangebote eingeht?
 
Den Thread hast du dir schon durchgelesen?

http://www.geschichtsforum.de/f16/der-russlandfeldzug-napoleons-4932/

Ansonsten möchte ich nur zwei Denkanstöße liefern:

Mit wieviel Mann hat Napoleon den Feldzug begonnen und wieviele hatt er vor Moskau noch zur Verfügung?

Woher sollten die Mittel kommen, mit denen die Grande Armee versorgt werden musste? Nachschub aus Frankreich? Versorgung aus dem Umland? Was war realistisch gesehen möglich?

Viele Grüße

Bernd
 
"Mit wieviel Mann hat Napoleon den Feldzug begonnen und wieviele hatt er vor Moskau noch zur Verfügung?"

Genügend um die Stellung, zumindest in Moskau, zu halten. Aber es stimmt offenbar schon, dass die wahre Truppenstärke eher gering war, da nur ein Drittel der Streitmacht französisch war und die anderen aus den gezwungenen Bündnisstaaten waren.

"Woher sollten die Mittel kommen, mit denen die Grande Armee versorgt werden musste? Nachschub aus Frankreich? Versorgung aus dem Umland? Was war realistisch gesehen möglich?"
Die Stadt hatte noch Vorräte, mit denen die Armee ein halbes Jahr lang versorgt werden könnte.

Aber naja, vielleichts liegts auch daran, dass es in seiner langen Abwesenheit in Europa zu Erhebungen kommen könnte, vor allem da der einsetzende Winter Napoleon abschneiden würde und es im Westen sicher zu Spekulationen und ungünstigen Gerüchten kommen könnte.

PS: Der Thread hat immerhin 6 Seiten und die Ausgangsfrage hatte mit meiner Fragestellung kaum etwas gemeinsam, deswegen habe ich kaum weitergelesen...
 
Zuletzt bearbeitet:
"Mit wieviel Mann hat Napoleon den Feldzug begonnen und wieviele hatt er vor Moskau noch zur Verfügung?"

Genügend um die Stellung, zumindest in Moskau, zu halten. Aber es stimmt offenbar schon, dass die wahre Truppenstärke eher gering war, da nur ein Drittel der Streitmacht französisch war und die anderen aus den gezwungenen Bündnisstaaten waren

"Woher sollten die Mittel kommen, mit denen die Grande Armee versorgt werden musste? Nachschub aus Frankreich? Versorgung aus dem Umland? Was war realistisch gesehen möglich?"
Die Stadt hatte noch Vorräte, mit denen die Armee ein halbes Jahr lang versorgt werden könnte.

Nehmen wir mal an, das ist so zutreffend. Napoleon hätte also die Möglichkeit gehabt, noch sechs Monate in Moskau durchzuhalten. Und dann? Bzw. was hätte er dadurch gewonnen?

Aber naja, vielleichts liegts auch daran, dass es in seiner langen Abwesenheit in Europa zu Erhebungen kommen könnte, vor allem da der einsetzende Winter Napoleon abschneiden würde und es im Westen sicher zu Spekulationen und ungünstigen Gerüchten kommen könnte.

Gut möglich

PS: Der Thread hat immerhin 6 Seiten und die Ausgangsfrage hatte mit meiner Fragestellung kaum etwas gemeinsam, deswegen habe ich kaum weitergelesen...

Naja, nicht immer bekommt man die gewünschten Informationen auf dem Silbertablett serviert. Meistens muss man sich die paar Rosinen, die man vielleicht bekommen kann, mühsam herauspicken. Geht aber halt oft nicht anders.
 
Nehmen wir mal an, das ist so zutreffend. Napoleon hätte also die Möglichkeit gehabt, noch sechs Monate in Moskau durchzuhalten.

Es ist nicht zutreffend.

Zwar werden je nach Autor unterschiedliche Angaben ueber die Versorgungslage gemacht*, aber in jedem Fall war nicht genuegend Pferdefutter vorhanden.
Das hætte das Ende der ohnehin schon arg gebeutelten Kavallerie, aber auch der Versorgung und Kommunikation bedeutet.

2. Ein Teil der Armee musste ausserhalb Moskaus biwakieren, die wæren in jedem Fall verloren gewesen.
Murat schrieb z.B., dass er tæglich 200 Mann verliert, die zur Nahrungssuche ausgeschickt werden.

Ueberlegt worden ist es natuerlich:

Und dann? Bzw. was hätte er dadurch gewonnen?

Militærisch:
Die russischen Truppen hætten unter dem Winter mehr gelitten, wenn sie Moskau eingeschlossen hætten, da um Moskau herum nicht genuegend Quartiere vorhanden waren.
Oder man hætte sich ebenfalls zum sicheren Ueberwintern weiter zurueckziehen und/oder aufteilen muessen.

Politisch:
Es wære fuer den Zaren sicherlich schwierig geworden, sich bei einem Festsetzen der Franzosen in Moskau Verhandlungen zu entziehen.

Im Fruehjahr wære das Ergebnis wieder vøllig offen gewesen.

Die bessere Alternative wære aber ein rechtzeitiger geordneter Rueckzug nach Smolensk und dann nach Minsk/Vilnius - dort waren Depots gebildet worden und die Versorgung gewæhrleistet.

Die Kommunikation mit Paris mittels tæglicher Stafette funktionierte grossteils auch von Moskau aus, mit einer Zeitverzøgerung von 14 Tagen.

* = z.B.
lt. Dumas (III/446) genuegend fuer einen kurzen Aufenthalt, aber nicht fuer den ganzen Winter
lt. Davout (Boqueville, III/176-8) gab es Vorræte fuer 3 Monate
lt. Daru (Ségur, V/92) und Villemain (I/230) ausreichende Versorgung
lt. Bellot de Kergorre (65-6) "nur" Mangel an Pferdefutter

Gruss, muheijo
 
Die bessere Alternative wære aber ein rechtzeitiger geordneter Rueckzug nach Smolensk und dann nach Minsk/Vilnius - dort waren Depots gebildet worden und die Versorgung gewæhrleistet.

Da stimme ich dir zu. Denn, ich halte es für schwer vorstellbar, dass N. sich einige Monate - mehr oder minder - beschäftigungslos und recht ohnmächtig ob der Nachrichten, die ihn ereilen in Moskau aufhält. Ich denke da zum Beispiel an die Affäre Malet. Genauso schwierig vorstellbar ist ein Verlassen der Armee. Wer hätte die Truppe mitten in Rußland ohne den Kaiser zusammenhalten, führen und motivieren sollen/können? König Murat, Vicekönig Eugène oder doch besser Marschall Davout?

Grüße
excideuil
 
Ich möchte daran erinnern das die Russen sowohl Moskau als auch Somlensk nieder gebrannt haben, das der russische Winter sehr streng war und das die russische Bevölkerung extreme Antipathien gegenüber den Invasoren hegten In dem Tagebuch von Boris Üxkull wird erwähnt das Kriegsgefangene Franzosen für 20 Rubel an die Bauern verkauft wurden und diese die Kriegsgefangenen bei lebendigen Leib rösteten.
 
Ich möchte daran erinnern das die Russen sowohl Moskau als auch Somlensk nieder gebrannt haben, das der russische Winter sehr streng war und das die russische Bevölkerung extreme Antipathien gegenüber den Invasoren hegten In dem Tagebuch von Boris Üxkull wird erwähnt das Kriegsgefangene Franzosen für 20 Rubel an die Bauern verkauft wurden und diese die Kriegsgefangenen bei lebendigen Leib rösteten.

Ohne jetzt den damaligen Gegenwert von 20 Rubeln (Gold, Silber oder Kupfer) in Waren zu kennen, würde ich diese "Story" trotzdem ins Reich der Märchen verlegen.
Woher hatten die russische Bauern (Leibeigene) soviel Geld und von wem sollten sie damit Kriegsgefangene erwerben? Von der russichem Armee?
Wozu sollte man einen Haufen Geld ausgeben, ums das Erworbene dann gleich zu vernichten? Oder wird hier indirekt Kanibalismus unterstellt. (Möglich da die Bauern nach Durchzug der französischem Armee wahrscheinlich eh nichts zu beißen hatten.)
Aber warum dann Geld ausgeben? Die ausgehungerten, erschöpften oder schon erfrorenen Soldaten mußten doch bloß am Wegrand aufgesammelt werden.


Ich halte das Ermorden, Totquälen usw. von Kriegsgefangenen, von Seiten einer zuvor von einem Feind drangsalierten Zivilbevölkerung durchaus für glaubhaft. Nur kann ich mir schlecht vorstellen, das dafür auch noch vorher bezahlt wurde.
 
In dem Tagebuch von Boris Üxkull wird erwähnt das Kriegsgefangene Franzosen für 20 Rubel an die Bauern verkauft wurden und diese die Kriegsgefangenen bei lebendigen Leib rösteten.

Was die russische Währung angeht, entsprach 1 Silberrubel 4,53 Franc. Allerdings galt 1 Silberrubel zu der Zeit etwa 25 Papierrubel. [1] Da wären wir dann bei 3,65 Franc ... Keine wirklich große Summe.

Ich könnte mir vorstellen, dass Üxkull einem - bewußt gestreuten? - Gerücht aufgesessen ist.

Aber etwas anderes:

In den Memoiren der Gräfin Kielmannsegge findet sich folgende Eintragung für den 16. Feb. 1812:

"Aus des Kaisers Mund erfuhr ich folgendes: Auf drei Jahre hinaus werden Anstalten zum Krieg gemacht. Der Zweck ist: Die Gründung eines neuen russischen Reiches, dessen Beherrscherin die Königin von Neapel wird. Sie wünschte den kaiserlichen Titel, wird aber nur "Reine de Russie" heißen. Dieses Reich soll ganz Polen, das europäische Rußland von Odessa bis an die Ostsee einbegreifen. Die Linie der gegeneinanderstehenden Heere nimmt eine Länge von 700 Meilen ein. Die kaiserliche Garde, die Rheinbundtruppen, 96000 Österreicher, 26000 Preußen bilden die Reservearmee. 600 Postillione sind auf drei Jahre, zu vier Franken des Tages angenommen, um den Briefwechsel zu bevördern.
Soweit des Kaisers Äußerungen, als er mich in die Fensternische gezogen hatte. Mir kam alles so riesenhaft, so unübersichtlich vor, dass ich in mir selbst zusammenschrk. Der Kaiser war ganz erfüllt von seinem Gegenstand. Zletzt wandte er sich mit dem Gesicht ans Fenster, spielte mit den Fingern auf den Scheiben, murmelte, teils singend, teils sprechend die Melodie des Liedes: "Marlborough s'en va en guerre" und sprach die Worte: "ne sait quand reviendra" zweimal aus. Dann trat er vom Fenster an den Spieltisch der Kaiserin." [2]

Inbestritten dürfte sein, dass die Gräfin Kielmannsegge am Hofe N. keine Unbekannte war, besser sie alle wesentlichen Größen des Empire persönlich kannte, bekannt ist, dass sie sehr pro Napoleon eingestellt war, sie von N. wohl auch als Spitzelin eingesetzt wurde.

Aber diese Aussage ist frappant. Da schimmert ein um Polen und Teile des Baltikums vergrößerter europäischer russischer Staat unter der Herrschaft eines Napoleoniden hervor.
Ist eine solche Absicht noch in anderen Quellen sichtbar?

Grüße
excideuil

[1] Erbe, Michael: Revolutionäre Erschütterung und erneuertes Gleichgewicht – Internationale Beziehungen 1785 – 1830, Ferdinand Schöningh, Paderborn – München – Wien – Zürich, 2004, Seite 93
[2] Aretz, Gertrude (Hrsg.): „Memoiren der Gräfin Kielmannsegge über Napoleon I.“, Paul Aretz Verlag, Dresden, 1927, Seite 104
 
@sascha66: Ich habe das Buch leider gerade nicht zur Hand, allerdings bezweifel ich das Üxkull sich was aus Gedacht hat und wenn ich mich recht erinnere will Üxkull den Handel mit eigenen Augen gesehen haben, also warum sollte man sein Tagebuch anlügen, es wurde erst vor ein paar Jahrzehnten, nach dem zweiten Weltkrieg, von einem Nachfahren Üxkulls veröffentlicht, war also in keiner weise publizistisch denke ich.
 
@Der Adel: Ich glaub schon das es im Buch steht, möglicherweise hat er es auch selbst so geschrieben, möglicherweise wurde es auch nach seiner "Wiederentdeckung" im Familienarchiv etwas "ausgeschmückt". Möglicherweise meinte er auch keinen Bauern im wörtlichen Sinne, sondern dessen Herrn, der sich in den Augen des Beobachters wie ein solcher (Bauer) benahm. Der hatte vieleicht das Geld dafür und wollte seine Leibeigenen möglicherweise mit dieser zweifelhaften "Bespaßung" ruhigstellen.
 
Ich würde den russischen Adel zu der Zeit für kultivierter als seine Leibeigenen halten, die ja einen Hass gegen die Soldaten der Grand Armee hegten, da diese ihren Zaren bedrohten. Aber ich glaube das ist unwesentlich da wir beide unsere Meinungen kennen und sie wahrscheinlich nicht so schnell ändern werden.
 
Ich würde den russischen Adel zu der Zeit für kultivierter als seine Leibeigenen halten, die ja einen Hass gegen die Soldaten der Grand Armee hegten, da diese ihren Zaren bedrohten. Aber ich glaube das ist unwesentlich da wir beide unsere Meinungen kennen und sie wahrscheinlich nicht so schnell ändern werden.

Die Leibeigenen werden eher einen Hass gegen Soldaten gehegt haben, die sie selbst geplündert und geschindet haben als wegen einer vermeintlichen Bedrohung gegen einen fernen Zaren.
 
Ist eine solche Absicht noch in anderen Quellen sichtbar?

Hochinteressant, man muesste herausfinden, warum Frau Græfin so etwas erzæhlt. Denn: So unbestimmt und unentschlossen die Kriegsziele Napoleons bezuegl. Russland auch waren, das erscheint doch etwas abstrus.
Ehrlich gesagt kann ich mir das alles nicht vorstellen. N. uebergibt seiner Schwester - also einer Frau (!) - eine solche Verantwortung? Und was soll mit Murat geschehen?
Wahrscheinlicher ist eine Planung, in der Alexander weiterhin eine Rolle spielen sollte. Vor allem sollte er zurueck in die Kontinentalsperre gezwungen werden. Art und Umfang der Gebietsverluste waren sicher vom Kriegsverlauf und -dauer abhængig. Ich habe da aber noch nichts eindeutiges, verbindliches gelesen.
Nicht einmal die Polen haben irgendwelche verbindlichen Zusagen bekommen - Polen war Verhandlungsmasse, jedenfalls der russische Teil. :D

Hier sind wir dann beim næchsten, heute angesprochenen Thema:
Misshandlungen durch die Bevølkerung gab es sicher, man kann es aber nicht pauschalisieren. Die Bevølkerung der ehemaligen poln. Gebiete war grundsætzlich nicht feindlich eingestellt, im Gegenteil.
Widerstand und Misshandlungen gab es in den eigentlich russischen Gebieten.
Ich reiche ein paar Textauszuege zum Thema noch nach.

Gruss, muheijo
 
Hochinteressant, man muesste herausfinden, warum Frau Græfin so etwas erzæhlt. Denn: So unbestimmt und unentschlossen die Kriegsziele Napoleons bezuegl. Russland auch waren, das erscheint doch etwas abstrus.
Ehrlich gesagt kann ich mir das alles nicht vorstellen. N. uebergibt seiner Schwester - also einer Frau (!) - eine solche Verantwortung? Und was soll mit Murat geschehen?
Wahrscheinlicher ist eine Planung, in der Alexander weiterhin eine Rolle spielen sollte. Vor allem sollte er zurueck in die Kontinentalsperre gezwungen werden. Art und Umfang der Gebietsverluste waren sicher vom Kriegsverlauf und -dauer abhængig. Ich habe da aber noch nichts eindeutiges, verbindliches gelesen.
Nicht einmal die Polen haben irgendwelche verbindlichen Zusagen bekommen - Polen war Verhandlungsmasse, jedenfalls der russische Teil. :D

Warum die Gräfin Kielmannsegge diesen Part in Ihre Memoiren aufgenommen hat kann ich nur vermuten, sicherlich, weil es ihr wichtig erschien.

So abstrus finde ich die Idee - mehr ist es ja nicht - gar nicht.
Der Plan, Rußland in die Kontinentalsperre zurückzubringen, greift m.E. zu kurz, denn genau wegen dieser und den damit verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten hatte es ja das Ausscheren des Zaren aus der Sperre und damit den Krieg gegeben - mal davon abgesehen, dass der Zar seinerseits versuchte, Rußland territorial zu vergrößern. Was hätte ein Sieg N. daran geändert? Im Grunde nichts. Ein Friedensvertrag hätte an der wirtschaftlichen Situation Rußlands nichts geändert. Und die Abtretung Polens hätte nur eine weitere Ausdehnung Rußlands bedeutet. Was hätte N. also davon?

Ein Friedensschluß hätte eine entscheidende Schwächung Rußlands bedeuten müssen, damit aus dem Osten keine Gefahr mehr drohen konnte.
Wenn die Kontinentalsperre wirken sollte, dann musste sie (militärisch) durchgesetzt werden. Das geht am besten, wenn ich das zu blockierende Territorium in die eigene Hand bekomme. Und ein europäisches Rußland unter Murat - wenn N. von Caroline spricht, dann ist auch Murat gemeint - wie oben beschrieben, erfüllt genau diesen Zweck. Und es erklärt auch, warum die Polen eben keine Zusage erhalten haben.

Vllt. erklärt dies auch die seltsame Unentschlossenheit, die N. nach Aussagen Beteiligter befiel. Vllt. merkte er, dass seine Idee nicht durchführbar war.

Sicher alles ein wenig spekulativ, aber die Idee passt genau in die Logik einer (wachsenden) Hegemonialmacht.

Grüße
excideuil
 
Die Gräfin Kielmannsegge ist nicht die Einzige, die von dieser Idee berichtet.
Sicherlich muss man bei Caulaincourt genau lesen - wenn man weiß, wonach man sucht, ist das wohl einfacher - doch dann fügen sich die Steine zu einem Mosaik:

Der Botschafter Caulaincourt wurde 1811 durch den General Lauriston in St. Petersburg ersetzt. Nach seiner Rückkehr nach Paris gab es am 5. Juni 1811 ein denkwürdiges Gespräch mit Napoleon:

Caulaincourt versucht Napoleon zum Frieden zu bewegen:
"N.: "Welchen Weg würden Sie wählen?"
C.: "Die Erhaltung der Allianz, Sire! Es ist der Weg der Vernunft und des Friedens!"
N.: "Sie sprechen immer von Frieden! Der Friede bedeutet nur etwas, wenn er von Dauer und ehrenvoll ist! Ich will keinen Frieden, der meinen Handel ruiniert, wie der von Amiens es getan hat. Damit der Frieden annehmbar und von Dauer ist, muss England überzeugt sein, dass es keine Verbündeten auf dem Kontinent mehr findet. Der russische Koloß und seine Horden dürfen den Süden nicht mehr mit ihren Einfällen bedrohen können." [1/ Seite 25]

Mal davon abgesehen, dass England mit dem Vertrag von Amiens ein Handelsvertrag verwehrt wurde, sieht N. nur in England den Hauptfeind, den "russischen Koloß" nur als Bedrohung im Kampf gegen "Albion". Nichts war übrig von der noch in Erfurt so beschworenen Freundschaft zum Zaren ...

Die folgende Diskussion mit Napoleon brachte kein Ergebnis, so dass C. resümierte:

"So endete diese Unterredung, die über 5 Stunden gedauert. Sie ließ mir keinerlei Hoffnung für die Erhaltung des Friedens in Europa ..." [1/ Seite 34]

Deutlich werden N. Absichten Wochen später:

"Um jene Zeit, glaube ich, war es, dass der Kaiser eines Morgens einen seiner Minister (Lacurée- Ressort Militärverwaltung) nach Saint Cloud befahl. Nachdem er ein paar Minuten mit ihm über die Politik im allgemeinen gesprochen hatte, sagte er: "Wir wollen spazieren gehen!" Auf der Terrasse, an einer Stelle, wo man jedermann kommen sah und von niemand gehört werden konnte, sagte er dann:
"Ich brauche Sie in einer Sache, über die ich noch zu keinem meiner Minister gesprochen habe, die Sie auch nichts angeht. Ich bin entschlossen zu einer großen Unternehmung. Ich brauche Fahrzeuge und beträchtliche Transportmittel. Mannschaften werde ich ohne Mühe bekommen; aber das Schwierige ist die Vorbereitung der Transporte. Ich benötige sie in gewaltigem Umfang; denn mein Ausgangspunkt wird der Njemen sein, und ich werde auf große Entfernungen und nach verschiedenen Richtungen hin zu operieren haben. Deswegen brauche ich Sie; es muss aber ganz geheim bleiben." Der Minister warf ein, das würde große Ausgaben erfordern; er werde mit größter Sorgfalt und Verschwiegenheit vorgehen, aber er könne nicht verhindern, dass über die Aufstellung der Munitionswagenparks usw. gesprochen werde.
Der Kaiser ging lebhaft auf die erste Bemerkung ein: " Kommen Sie bei der ersten Gelegenheit in die Tuilerien! Ich werde Ihnen 400 Millionen in Gold zeigen. Lassen Sie sich also durch die Kosten nicht beirren. Wir sind allen notwendigen Ausgaben gewachsen."
Der Kaiser fuhr dann fort zu erzählen. Er entwickelte ihm seine politischen Absichten, sprach von der Notwendigkeit, England in der einzigen Großmacht zu treffen, die auf dem Kontinent noch übrig sei und bedrohlich werden könnte, wenn sie sich mit ihm verbünde. Man müsse die Russen von Europa abdrängen und in der Mitte des Erdteils einen Staat als Schutzwall gegen die Einfälle aus dem Norden schaffen. Der Augenblick sei günstig, es könne bald zu spät sein; man müsse diesen letzten Schlag führen, um den allgemeinen Frieden und für uns und unsere Kinder Jahre die Ruhe und des Wohlstandes zu gewinnen, nach so viel Jahren voll Leiden, voll Mühen, freilich auch voll Ruhm ..." [1/ Seiten 36-37]

Was Mitte 1811 bei Caulaincourt noch eine als wage Idee daherkommt, gewinnt in den Memoiren der Gräfin Kielmannsegge 1812 Konturen.

Grüße
excideuil

[1] Caulaincourt: „Unter vier Augen mit Napoleon – Denkwürdigkeiten des General Caulaincourt, Herzogs von Vicenza, Großstallmeister des Kaisers“, von Dr. Friedrich Matthaesius, Verlag von Velhagen & Klasing, 1937
 
In dem Tagebuch von Boris Üxkull wird erwähnt das Kriegsgefangene Franzosen für 20 Rubel an die Bauern verkauft wurden und diese die Kriegsgefangenen bei lebendigen Leib rösteten.
Das Tagebuch von Uexküll steht mir nicht zur Verfügung, aber eine Quelle, die darauf Bezug nimmt:

"Die Bauern begannen, den fouragierenden franz. Abteilungen aufzulauern oder sie in trügerischer Sicherheit zu wiegen, um sie dann zu überwältigen. Sie beschafften sich Waffen und waren imstande, es mit kleinen Einheiten aufzunehmen. Ihren Zorn ließen sie in Akten schier unvorstellbarer Grausamkeit an ihren Gefangenen aus, sie verstümmelten sie, begruben sie bei lebendigem Leib oder rösteten sie über dem Feuer. "Als ich in ein Dorf einritt, um Lebensmittel zu requirieren", schrieb Leutnant Uexküll, "habe ich beobachtet, wie ein franz. Gefangener für 20 Rubel an die Bauern verkauft wurde; diese tauften ihn mit siedendem Pech und spießten ihn lebend auf ein zugespitzes Eisenstück." Die Franzosen und ihre Verbündeten zahlten mit gleicher Münze heim und trugen dazu bei, dass sich die wechselseitigen Greuel immer weiter aufschaukelten. "Die Leute waren schlimmer als wilde Tiere und brachten sich gegenseitig mit einer unglaublichen Brutalität um", verzeichnete A,N. Murawjow." [1]

Neben diesen Entsetzlichkeiten des Krieges berichtet der Autor aber auch über Ausnahmen gelebter Nächstenliebe.

Grüße
excideuil

[1] Zamoyski, Adam: 1812, Napoleons Feldzug in Russland, C.H. Beck, München, 2012 (2004), Seite 370
 
Hallo, könnt ihr mir bei folgender Frage weiterhelfen? Mich würde interessieren, bei welchen Schlachten des Russlandfeldzuges 1812 sich deutsche Soldaten besonders ausgezeichnet haben. Gibt es da neben der Schlacht bei Borodino, wo sich die sächsische Kavalleriebrigade sehr ausgezeichnet hat noch andere Schlachten? Oder vielleicht Angaben zu Verlustzahlen der deutschen Soldaten bei einzelnen Schlachten? Ihr würdet mir sehr weiterhelfen!
 
Hallo,

im diesem Artikel der Welt 1812 : Die vergessenen Deutschen in Napoleons Armee - Nachrichten Kultur - Geschichte - DIE WELT steht, dass "viele Soldaten aus den Kleinstaaten in dem Russlandfeldzug Napoleons keinen Sinn sahen und desertieren während andere, wie die Sachsen und die Rheinländer aus Kleve-Berg, mit einem Eifer kämpften, der einer besseren Sache wert wäre".

Könnt ihr mir erklären wieso es einen solchen Unterschied in der Identifikation mit dem Feldzug zwischen den deutschen Teilnehmern aus den Kleinstaaten und bspw. den Sachsen gab?

LG
 
Guten Abend,
vorab ist es interessant zu schauen, wer in welcher Verbindung zu wem stand:

- Königreich Westphalen:
Unter Jerome (dem Bruder Napoleons) aus den ehemaligen links-rheinigen Kleinstaaten zusammengefasst

- Königreich Württemberg / Königreich Bayern / Großherzogtum Baden / Königreich Sachsen:
Diese wurden durch Napoleon erst in diesen Status erhoben

- Königreich Neapel:
Unter Murat (dem Schwager Napoleons), nach dem Italien-Feldzug als Herrscher installiert, ebenfalls ein Vasall Napoleons

- Königreich Preußen:
Nach dem Tilsiter Frieden schwer gedemütigt.
Man hat hier massiv durch die Intervention Alexanders II. von Russland profitiert, sonst hätte man Preußen evtl. gänzlich aufgelöst.
Sehr bekannt ist auch das Treffen zwischen Luise von Preußen (Gemahlin von Friedrich Wilhelm III.) und Napoleon, um Napoleon zum Umdenken in seinen Plänen gegenüber Preußen zu bewegen (mit mäßigem Erfolg, trotz Napoleons Sympathien für diese Frau).
Das preußische Truppenkontingent und Generalfeldmarschall von Yorck ist ja ohne nennenswerte Gefechtsteilnahmen im Dezember 1812 in der Konvention von Tauroggen vollständig zur anti-französischen Koalition übergetreten.

- Kaiserreich Österreich:
Nach den Kriegen gegen Napoleon ebenfalls gedemütigt, geschwächt und in seinem Mitspracherecht als Großmacht herabgestuft.

- Kaiserreich Russland:
Unter Alexander II. zwar noch recht rückständig (die großen Reformen des Alexanders III. sind noch in weiter Ferne), aber trotzdem vor dem großen Russland-Feldzug in einem sehr guten Verhältnis zu Napoleon (die beiden verstanden sich vorher prächtig).

Sachsen gehörte mit Preußen zu den großen Verlierern von Jena und Auerstedt. Anschließend wurde Sachsen durch Napoleon besetzt, 1806 in die 'Confederation Du Rhin' (den 'Rheinbund') eingegliedert und zusammen mit Württemberg und Bayern zum Königreich erhoben.

Zu den Desertions-Motivationen der Soldaten kann man spekulieren:
aufgrund der Tatsache, dass Soldaten bspw. aus den Königreichen Westphalen und Neapel von Franzosen regiert wurden, ist die Motivation, für einen "fremdem" Herrscher sein Leben zu lassen, eher gering. Durch die nötigen Truppenaufgebote für den Russland-Feldzug, die Sitte, an hohen Höfen französisch zu sprechen (sogar in Moskau) und die Tatsache, in seinem nationalen Bestreben durch eine andere Macht eingeengt zu sein, gerät Frankreich in ein massiv negatives Licht.

Unter diesem Umständen ist die Rate der Desertierenden immer massiv erhöht.
Hinzu kommt die desaströse Niederlage aller kleindeutscher Kriegsteilnehmer während des Russland-Feldzuges. Die Sachsen haben hier tatsächlich einen gewissen Sonderstatus.
Friedrich August I. von Sachsen war später (nach Jena und Auerstedt) ein überzeugter und loyaler Anhänger Napoleons.

Selbst vor der Leipziger Vielvölkerschlacht 1813 schlägt er ein Angebot der anti-napoleonischen Koalition aus, sich auf ihre Seite und damit gegen Napoleon zu stellen.

Durch Napoleon war Friedrich August I. immerhin auch Herzog von Warschau.
Vor dem Hintergrund, dass Russland niemals weitehrin ein sächsisches Protektorat an seinen Landesgrenzen toleriert hätte, kann man sein Bestreben, fest an Napoleon zu glauben, ein wenig nachvollziehen.

Zudem war Napoleon trotz allem ein hervorragender Feldherr.

Sachsen hat durch seine Gebietsverluste auch schwer für seine Loyalität gebüßt (es hörte danach auf als bedeutende europäische Macht zu existieren).

Auch Friedrich August I. hat mit einer langen Haft für seine Haltung im Krieg bezahlt, auch wenn ihm das sehr viele Sympathien in seinem eigenen Volk eingebracht hat.

Unabhängig von alledem waren natürlich trotzdem Truppenteile, auch der anderen kleindeutschen Staaten, an den großen Schlachten beteiligt. Das westphälische Kontingent hörte bspw. de facto "erst" nach der Schlacht von Borodino auf zu existieren
(obwohl es bis dahin immerhin noch mehrere 10.000 Mann stark gewesen war).

Allgemein zu diesem Thema kann ich das Buch "1812: Napoleons Feldzug in Russland" von Adam Zamoyski empfehlen. Ein wirklich klasse Buch was auch den fesselnden Character eines Krimis hat.

Grüße
Kai
 
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