Säkularisierung und Puritanismus?

lissylissy

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Hey,

wie ließen sich diese beiden Ansätze im Bezug auf die Amerikanische Unabhängigkeit/Verfassung vereinen? Ist die Säkularisierung nicht ein Widerspruch zum Vorhaben der Puritaner, aus Amerika einen biblischen Staat zu errichten?

Vielen lieben Dank! :)
 
Die Entwicklung zur amerikanischen Unabhängigkeit war durch viele Faktoren gekennzeichnet.

Die Stellung von Nordamerika als Kolonie war ein bedeutsamer Faktor. Zudem gab es eine abweichende Sozialstruktur zu Europa und wirtschaftliches Handeln, durch Wirtschaften erfolgreich sein, stand deutlich im Vordergrund der Werte in den Kolonien (vgl. Acemoglu: Warum Nationen scheitern). Durch den Zuzug aus unterschiedlichen Ländern Europas, vor allem jedoch aus GB, mußte ein neuer Konsens in Nordamerika gefunden werden über die weltlichen und religiösen Normen des Zusammenlebens. Und das bedeutete teilweise Kompromisse zu schließen oder bestehende Wertvorstellungen zu amalgamieren.

Parallel dazu entwickelte sich in der Neuzeit eine neue Identität, die das Individuum und seine persönlichen Rechte und Pflichten in den Vordergrund rückte (vgl. Menke&Raimondi: Die Revolution der Menschenrechte). Und ein Teilaspekt dieser Entwicklung hinterfragte in diesem Kontext auch die Legitimation von Herrschaftsformen, die sich auf die gottgewollte Begründung gestützt haben (vgl. Taylor: Die Quellen des Selbst)

In diesem Sinne veränderte sich in der Neuzeit sowohl die staatliche "Moral" wie auch die private "Moral". In den Kolonien, die über keine historisch gewachsenen Herrschaftsstrukturen verfügt haben, verschärfte sich dieser Prozess.

Dennoch: Die klassische Naration sieht eine relativ scharfe Trennung durch die Säkularisation zwischen religiösen Werten und deren Begründung und den Werten der Aufklärung.

Diese Sichtweise wird - teilweise - einer Revision unterzogen (vgl. z.B. die Darstellung bei Joas: Sozialtheorie. Zwanzig einführende Vorlesungen und andere Texte von ihm), die die implizite Berücksichtigung von religiösen Werten in den Werten der Aufklärung sehen.

Somit gab es eine klare Trennung zwischen dem weltlichen Diesseits und dem religiösen Jenseits. Wobei natürlich religiöse Wertvorstellungen das tägliche Zusammenleben weiterhin beeinflusst haben.

Der historische Kontext ist hier dargestellt:

https://de.wikipedia.org/wiki/Amerikanische_Revolution

Bedeutung des Relioösen und die Trennung zwischen Staat und Kirche
https://de.wikipedia.org/wiki/Unabh%C3%A4ngigkeitserkl%C3%A4rung_der_Vereinigten_Staaten

Entwicklung zur Säkularisierung
https://en.wikipedia.org/wiki/First_Great_Awakening
 
Zuletzt bearbeitet:
Guter Beitrag! Zum religiösen Leben auf dem Gebiet der 13 Kolonien, die sich 1776 zu den USA zusammenschlossen ist noch zu sagen, dass man sich die Kolonien nicht als einen religiösen monolythischen Block vorstellen darf und Puritaner im engeren Sinne eigentlich nur in Massachusetts besonders stark vertreten waren. Die Kolonien waren in religiöser Hinsicht recht tolerant, und das war ja auch der Grund, weshalb die Pilgerväter 1620 mit der Mayflower nach Amerika segelten. Stark waren in Massachusetts und Pennsylvania auch die Quäker stark vertreten. Neben Einwanderern von den britischen Inseln wanderten im Zuge der Erweckungsbewegung auch viele Deutsche und Salzburger in die späteren USA ein. Es handelte sich um die größte nicht angelsächsische Einwanderungsbewegung, die stark vom Pietismus geprägt waren. Die Protestanten ließen sich in Anglikaner, Reformierte, Lutheraner, Hutterer, Mennoniten und Presbyterianer differenzieren. William Penn korrespondierte eifrig mit namhaften deutschen Theologen wie Spener, Samuel Urlsperger und anderen. In Pennsylvania gibt es heute noch Countys, in denen Deutsch gesprochen wird, und es gab zahlreiche pietistische Periodika. Die Herrenhuter Brüder wendeten sich als Missionare auch an Indianer, und New Jersey und Pennsylvania konnten sich rühmen, niemals einen Vertrag gebrochen zu haben.
 
Verschiedenste protestantische Splittergruppen haben Europa verlassen, weil es dort keine Relgionsfreiheit gab und Religonskriege die Tagesordnung bestimmten. In den Herkunfstländern gab es autoritäre Amtskirchen. Das war bei den meisten der Hauptgrund für die Auswanderung. Gerade die Splittergruppen der Täuferbewegung hatte zuvor schon eine kleine Odyssee durch Europa hinter sich gebracht.

Auf der anderen Seite hatte gerade der Puritanismus durchaus eigene Erfahrung als staatstragende Ideologie in England zur Zeitder Herrschaft Oliver Cromwells.
Nordamerika nahm dann jeweils die politischer Großwetterlage anfallenden Flüchtlinge aus Europa auf: Erst die oppositionellen Puritaner, nach der Glourios Revolution die Royalisten, die Katholiken, die vor Cromwell flohen oder von ihm verschleppt wurden, nach Wiedereinführung die Monarchie flohen natürlich die Anhänger Cromwells nach Amerika ...
 
@ Scorpio & Maglor: Vielen Dank für das Fortführen der Bedeutung des religiösen Lebens in den damaligen Kolonien in Nordamerika. Und dazu noch ein paar weiterführende Überlegungen.

Die hohe Bedeutung der protestantischen konfessionellen Orientierung für das Verständnis der "Tiefenstruktur" der amerikanischen Innen- und Außenpolitik darf man sicherlich nicht unterschätzen.

Vor allem der Calvinismus weist eine Sichtweise auf, die den Erfolgreichen von dem nicht Erfolgreichen unterscheidet und ist somit ein Kriterium für die Inklusion bzw. auch Exklusion. Ein Aspekt,der sicherlich auch wichtig war für die Ausbildung von Ressentiments auch Rassismus, gegenüber anderen Gruppen oder auch Völkern.

Wichtiger jedoch war im 18.Jahrhundert die Bedeutung der Relgion als mobilisierende Kraft, die Gruppen das Gefühl der Zusammengehörigkeit gab und somit das "Nationbuilding" und auch das "Statebuildung" ermöglichte. Dieses vor allem vor dem Hintergrund einer amorphen ethnischen Zusammensetzung der Kolonisten.

Diese wichtige Funktion der Religion als gemeinsamer Wertehorizont wurde politisch transformiert und im Sinne einer "politischen Religion", wie R. Bellah es nannte, zum zentralen Konzept der Integration der US-amerikanischen Gesellschaft. Ähnlich formuliert C. Geertz das Konzept im Rahmen einer "civil Religion", die den zentrifugalen Kräfte von Gesellschaften
entgegenwirkt und den - mehrheitlichen - "Common Sense" einer Gesellschaft ermöglicht.

Vor diesem Hintergrund versuchen einzelne Erklärungsansätze zum US-Imperialismus, vor allem vor 1914, explizit auf diese religiöse Haltung, als treibende Motivation, eingehen. Und kontrastieren diese Ansätze wirtschaftsorentierten Erklärungsansätzen.
 
Vor allem der Calvinismus weist eine Sichtweise auf, die den Erfolgreichen von dem nicht Erfolgreichen unterscheidet und ist somit ein Kriterium für die Inklusion bzw. auch Exklusion. Ein Aspekt,der sicherlich auch wichtig war für die Ausbildung von Ressentiments auch Rassismus, gegenüber anderen Gruppen oder auch Völkern.
Das reicht als Erklärungsmuster nicht aus. Der Calvinismus ist die dominierenden Konfession in den Niederlanden, Schottland und der Schweiz und diese Länder nahmen eine ganz andere Entwicklung. Anzumerken ist auch, dass die abolotioniste Bewegung in den USA ihre Wurzeln klar bei Quäkern, Methodisten und Baptisten hat, während die Südstaaten als ursprünglich französische und spanische Kolonien anfangs bedeutende katholische Bevölkerungsanteile hatte.


Zur Sache mit der Verfassung:
Mehrere Väter der amerikanischen Verfassung waren Anhänger des Deismus, insbesondere Thomas Jefferson, der sich am stärksten für die Religionsfreiheit einsetzte. Die Freidenker teilten die Ansicht, dass die Unterschiede zwischen den Konfessionen nicht so wichtig seien und die ethische Botschaft des Evangeliums und nicht der Glaube im Vordergrund stehe.
Der deistische Vernunftglauben ist das genaue Gegenteil der meist stark gefühlsbetonen amerikanischen Kirchen.
 
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