Man verzeihe mir, wenn ich hier jetzt etwas abschweife, aber da die letzten Diskussionen sämtlich auf die praktischen Versuche verwiesen:
Die Grenzen der Auswertung sind noch wesentlich härter. Alles beginnt mit der Konditionierung. Versuche, welche die militärische Ausrüstung und Verwendung angehen müssen sich erstmal an der Konditionierung der Träger und Betroffenen messen lassen, soll heißen: es gibt heute keine Menschen mehr, welcher wie Ritter von Kindesbeinen an zu Kämpfern in und an diesen Waffen erzogen wurde oder mehrere Monate in Ausbildungslagern der Legion zugebracht habt.
Soll ein Experiment in diesem Bereich laufen sind Monate der ausschließlichen Arbeit daraufhin notwendig, und dies ist dem normalen Reenacter schon aus beruflichen Gründen verwehrt.
Auch ist unser Schmerzempfinden vermutlich um einiges höher, denn wir leben in einer medizinisch hoch entwickelten Welt und können gewissen Dingen (wie dem Wäschewaschen) dank technischer Errungenschaften gut aus dem Wege gehen. Ein Beispiel dafür sind unsere Füße.
Selbst wenn wir dies außer acht lassen, entsteht das Problem der Ausrüstung. Oftmals ist nicht jeder Teil der Ausrüstung bekannt, was mitunter Notlösungen hervorruft, die das Ergebnis dann natürlich stark verändern können.
Der Umgang mit diesen Dingen ist ebenfalls selten zufriedenstellend gelöst. Die erste vernünftige Quelle zum Umgang mit Waffen sind Handbücher aus dem 30jährigen Krieg, die dem Landsknecht den Einsatz seiner Waffen in einer Art Comic vormachen.
Davor siehts Mau aus, zwar gibt es den ein oder anderen Hinweis (die Mittelalterszene zieht gerne den Talhoffer ran), allerdings sind dies zumeist spezielle Situationen oder Bereiche oder die Quellen sind lückenhaft bis unzuverlässig.
Das meiste muß man sich aus "zusammen suchen", etwa aus Darstellungen auf Grabsteinen oder aus Verletzungsspuren an Skeletten.
Und hat man dann all diese Hindernisse mit viel Mühe und Arbeit, welche sich die weitaus meisten Reenacter gar nicht machen, überwunden, steht das Problem der eingeschränkten Vollziehbarkeit.
Wie rita sagte, heute wird niemand sein Pferd verletzen / lassen / dürfen, und nur wenige sind bereit ihre Knochen für alle möglichen Experimente hin zu halten.
Das alles führt zu teilweise abstrusen Ergebnissen. Ein Beispiel: die meisten Römer des 1. Jh.n.Chr. stoßen und schlagen auch mit ihren Schilden und deren Rändern. Eine recht unsinnige Handlung an sich, zu viele Argumente die dagegen sprechen, allen voran: er gefährdet seine Kameraden in der Formation indem er ihnen einen Teil der Deckung nimmt.
Aber es wird als ausgearbeitete Methode vorgeführt und beibehalten.
Wenn also jemand mit der Rüstung eines Ritters des 13. Jh. nicht aufstehen kann wenn er am Boden liegt, oder aber ein Rand schlägt beweist dies kaum etwas, da es sich nicht auf die Konditionierung der jeweiligen Zeit ummünzen läßt.
Andersrum stand man damals vor den gleichen Problemen wie wir heute. Ein Topfhelm der verrutscht kann dir die Sicht nehmen, aus geschlossenen Helmen ist dein Sichtfeld eingeschränkt, schnallt man etwas zu eng um den Oberkörper fällt die Atmung zu flach aus und du kippst irgendwann um, ein Pfeil in deinem Herzen bedeutet für dich vorzeitiges Ausscheiden... Dies sind Erkentnisse, die Reenacter beisteuern können und bislang auch fleißig taten.
Um genau zu sein, ist das Reenactment auch mehr der "gelebte" Teil, darum auch kein Vorwurf, wenn wissenschaftliche Arbeit hier nicht im Mittelpunkt steht, sondern man sich sein Wissen aus Sekundärliteratur zusammen sucht.
Die experimentelle Archäologie ist es, die forscht und mit wesentlich höherem Aufwand Ergebnisse versucht zu erzwingen, die über das o.g. hinaus gehen.
Dazu ein interessanter Artikel:
http://www.archäologie-online.de/magazin/thema/2001/07/a_1.php
Ein Mißbrauch der Begriffe ist übrigens nicht selten, viele, die sich Birkenstockstandalen anziehen und eine karierte Hose nennen sich Kelten, oder mancher "Römer" wirft sich eine Polyestertoga über.