Schlieffen-Plan und Marneschlacht

Sicherlich wurde der logistische Aufwand bei der Planung nicht ausreichend berücksichtigt, aber es gab ja Vorstellungen wie es zu laufen hätte. Gibt es da irgendwelche Betrachtungen Soll-Ist über den Vormarsch in Belgien aus logistischer Sicht?

Die deutschen Eisenbahnlinien wurden planmäßig auf Kriegsbetrieb umgestellt und dieser dann im Verlauf des Krieges noch ausgeweitet. Aber der Durchmarsch durch ein anderes Land bedingt ja ganz andere Annahmen über die Leistungsfähigkeit in den ersten Tagen und Wochen nach der Eroberung.

Solwac
 
Sicherlich wurde der logistische Aufwand bei der Planung nicht ausreichend berücksichtigt, aber es gab ja Vorstellungen wie es zu laufen hätte. Gibt es da irgendwelche Betrachtungen Soll-Ist über den Vormarsch in Belgien aus logistischer Sicht?

Die deutsche Armee verfügte z.B. zu Anfang des Krieges über ca. 4000 Lastwagen. Von denen waren bereits vor der Marneschlacht 60 Prozent ausgefallen.
(Helmuth von Moltke and the Origins of the First World War, A. Mombauer)

Klucks 84000 Pferde benötigten pro Tag allein 1000 Tonnen Futter am Tag. Diese Menge bekam man auch nicht durch Requirierungen in der jeweiligen Region heran, so dass die Straßen regelrecht mit verendeten Pferden übersäht waren. Die Artillerie blieb dadurch zurück und der Nachschub blieb stecken.
(Logistics from Wallenstein to Patton, M. van Creveld)

Zudem war das belgische Schienennetz sabotiert. Es waren alle Maasbrücken und die meisten Tunnel zerstört.

Das sieht alles so aus, als habe man sich über logistische Probleme am wenigsten den Kopf zerbrochen.
 
Zur Marneschlacht habe ich noch etwas Zeitgenössisches. Einen Zeitungsartikel aus der "Corriere della Sera" vom 12. September 1914:

Am rechten Ufer der Marne, auf den sanften Höhen, die sich wellenförmig dahinziehen, hatte der Widerstand der Deutschen furchtbare Formen angenommen. Sie hatten am Rand des Flusstals eine lange Reihe von Schützengräben ausgehoben und zahlreiche Artillerie in guter Deckung in Wäldern versteckt aufgestellt. Vor ihren Stellungen befand sich ein vollkommen offenes Gelände.
Wir verlassen die die Niederung und gelangen an den Rand der Hochebene, die durch die deutschen Schützengräben versperrt war.
Ein furchtbares Bild, grauenerregend und erhebend zugleich, bietet sich uns dar. Die weite Ebene ist mit Leichen übersät. Es sind Franzosen. Hunderte und aber Hunderte menschlicher Körper liegen da, soweit der Blick reicht. Weithin, nach rechts und links, in dunstiger Ferne, auf den gelben Stoppeln der geschnittenen Felder, dehnt sich die niedergemähte, menschliche Ernte aus. Wo die Hochebene beiderseits endet, erscheinen die Toten nur noch wie kurze, unregelmäßige Striche; sie bilden eine lange, gewundene Linie, die fern verblasst, schmaler wird und verschwimmt. Sie liegen alle in einer Richtung gelagert, wie niedergemähtes Gras.
Wenn man diesen Geländeabschnitt durchschritten hat, stößt man wieder auf Gefallene; diesmal sind es Deutsche. Am Rande einer breiten Straße erzählen uns die Leichen von einem harten Handgemenge, Mann gegen Mann.
Eine Gruppe deutscher Krieger, die auf verlassenem Posten allein zurückgeblieben war, hatte den Straßendamm als Brustwehr benutzt und blieb da, andauernd feuernd, zwischen den beiden Straßengräben. Sie hatte sich nicht mehr zurückziehen können. Sie hat so lange, wie sie konnte, Widerstand geleistet: Der letzte französische Gefallene liegt drei Meter von ihr entfernt. Dann ist der Sturm über sie hinweggefegt und hat sie vernichtet. Von Bajonetten durchbohrt, ist die kleine Schar gefallen.
Manch verbogenes Bajonett, das auf dem Platze liegenblieb, manch zerbrochener Gewehrschaft zeugt von dem kurzen, wilden und verzweifelten Ringen. Der erste in der Reihe ist der Unteroffizier, der die Schar kommandierte. Es scheint, als kommandiere er noch im Tode.


Man könnte schon fast meinen, das sei Propaganda, obwohl Italien ...
 
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Man könnte schon fast meinen, das sei Propaganda, obwohl Italien ...
...zu dem Zeitpunkt noch neutral war. Dieser militärische Pathos war damals üblich und beliebt. Man findet ihn auch in den Printmedien anderer neutraler Länder bis sehr viel später. Ich kenne das aus südamerikanischen und spanischen Zeitungen noch aus dem zweiten Weltkrieg.
 
Die deutsche Armee verfügte z.B. zu Anfang des Krieges über ca. 4000 Lastwagen. Von denen waren bereits vor der Marneschlacht 60 Prozent ausgefallen.
(Helmuth von Moltke and the Origins of the First World War, A. Mombauer)

Klucks 84000 Pferde benötigten pro Tag allein 1000 Tonnen Futter am Tag. Diese Menge bekam man auch nicht durch Requirierungen in der jeweiligen Region heran, so dass die Straßen regelrecht mit verendeten Pferden übersäht waren. Die Artillerie blieb dadurch zurück und der Nachschub blieb stecken.
(Logistics from Wallenstein to Patton, M. van Creveld)

Zudem war das belgische Schienennetz sabotiert. Es waren alle Maasbrücken und die meisten Tunnel zerstört.

Das sieht alles so aus, als habe man sich über logistische Probleme am wenigsten den Kopf zerbrochen.
Danke für die Zahlen der Ist-Situation. Interessant wäre jetzt der Vergleich mit Planungen. Denn man konnte ja nicht annehmen, dass die belgische Infrastruktur im Friedensumfang in die Hände fiel.

Und wenn der Schlieffenplan die Nutzung der Eisenbahn für die schnelle Verlegung von West nach Ost relativ genau voraus plante, warum sollten solche Dinge für den Vormarsch im Westen vernachlässigt werden?

Das die praktische Umsetzung dann anders ausfiel ist plausibel, eine Planlosigkeit (oder nur wage Pläne) für mich nicht. Es hätte weder zur Mentalität gepasst noch den Anforderungen der Zeit entsprochen.

Solwac
 
Denn man konnte ja nicht annehmen, dass die belgische Infrastruktur im Friedensumfang in die Hände fiel.

Und wenn der Schlieffenplan die Nutzung der Eisenbahn für die schnelle Verlegung von West nach Ost relativ genau voraus plante, warum sollten solche Dinge für den Vormarsch im Westen vernachlässigt werden?

Das die praktische Umsetzung dann anders ausfiel ist plausibel, eine Planlosigkeit (oder nur wage Pläne) für mich nicht. Es hätte weder zur Mentalität gepasst noch den Anforderungen der Zeit entsprochen.

Am 2. August telegrafierte das Auswärtige Amt an den deutschen Gesandten in Brüssel, Klaus von Below-Saleske, folgendes:
"1. Deutschland beabsichtigt keinerlei Feindseligkeiten gegen Belgien.
Ist Belgien gewillt, in dem bevorstehenden Krieg Deutschland gegenüber eine wohlwollende Neutralität einzunehmen, so verpflichtet sich die deutsche Regierung beim Friedensschluss, Besitzstand und Unabhängigkeit des Königreiches im vollen Umfang zu garantieren.
2. Deutschland verpflichtet sich unter obiger Vorraussetzung, das Gebiet des Königreiches wieder zu räumen, sobald der Frieden geschlossen ist.
3. Bei einer freundschaftlichen Haltung Belgiens ist Deutschland bereit, im Einvernehmen mit den königlich belgischen Behörden alle Bedürfnisse seiner Truppen gegen Barzahlung anzukaufen und jeden Schaden zu ersetzen, der etwa durch deutsche Truppen verursacht werden könnte.
Sollte Belgien den deutschen Truppen feindlich entgegentreten, wird deutschland zu seinem Bedauern gezwungen sein, das Königreich als Feind zu betrachten."
Dies wurde der belgischen Regierung dann um 20 Uhr übergeben.

An Luxemburg übersendet man am Morgen des 2. August folgende Entschuldigung:
"Unsere militärischen Maßnahmen bedeuten keine feindselige Handlung, sie dienen lediglich der Sicherung der in unserem Betriebe befindlichen dortigen Eisenbahnen gegen den Überfall der Franzosen. Übrigens, Luxemburg entstehen gar keine Nachteile, für eventuelle Schäden erhält das Fürstentum volle Entschädigung."

Ich habe diese Texte gebracht, da sie die Hoffnung oder den Wunsch Deutschlands zeigen, ungehindert durch Belgien marschieren zu können. Wie weit das alles in die Planung mit einbezogen war, würde mich genauso interessieren. Zumindest musste man ja zwei Fälle annehmen; Belgien hält still oder es wehrt sich. Da bräuchte es dann, denke ich, auch zwei "Eventualitätspläne".

Am eklatantesten finde ich, dass so viele Pferde an Futtermangel verendet sind. Das sieht zumindest nach Fehlplanung aus. Vielleicht hat man diese oder ähnliche Verlustzahlen aber auch eingeplant (?). Schießlich ist man ja bis kurz vor Paris gekommen. Der Zeitplan stimmte ja auch so ungefähr.
Das die Verluste bei einem derartigen Marschtempo hoch sind, hat man sicherlich erwartet.
 
Interessant wäre jetzt der Vergleich mit Planungen. Denn man konnte ja nicht annehmen, dass die belgische Infrastruktur im Friedensumfang in die Hände fiel.

Bedauerlicherweise hat man scheinbar genau dies angenommen: Schon vor 1914 hat Wilhelm II. bei einem Besuch König Alberts von Belgien in Berlin diesem den General Kluck mit den Worten vorgestellt "... er (Kluck) werde seinen rechten Flügel gegen die Franzosen kommandieren...". Inhalt und Gestik dieses kaiserlichen Wortes ließen den Belgier aufhorchen und führte, zurück in der Heimat, zu Gesprächen zwischen dem belgischen Generalstab und dem König. Hier erkannte man jetzt die Gefahr, dass dieser "rechte Flügel" im Kriegsfall belgisches Terrain betreten und damit die Souveränität Belgiens verletzen werde - auch wenn man die tatsächliche massive Verletzung der belgischen Neutralität nicht wahrhaben wollte. Das man die verbleibende Zeit bis August 1914 nicht nutzte um bestehende Verteidigungspläne zu ändern, liegt in der belgischen Neutralität begründet, man wollte nicht in den Verdacht geraten nur gegen den östlichen Nachbarn zu disponieren. Leicht hätte man dadurch der Parteilichkeit bezichtigt werden können (B. Tuchmann, August 1914).

Da Wilhelm II. vermutlich nicht daran gelegen sein konnte den militärischen Plan, an den Deutschland sein Schicksal knüpfte, zu "verraten" kann die Intention des obigen Gesprächs zwischen ihm und König Alberts m.E. nur gewesen sein, diesen - sozusagen - "weichzuklopfen" um im Ernstfall eben doch einen friedlichen Durchzug zu erreichen. Der stärkere Nachbar bedrohte "zwischen den Zeilen" seinen schwachen Nachbarn damit sich dieser frühzeitig in sein Schicksal ergibt; kam es dann zum Ernstfall lief bekanntlich die Zeit gegen Deutschland und je früher Belgien nachgab um so besser!

Die Härte und Grausamkeit des deutschen Heeres gegen belgische Zivilisten und belgisches Hab und Gut im Weltkrieg mag sich teilweise durch kriegsbedingte Aktion und Reaktion ergeben, mehr jedoch dadurch, dass man von deutscher Seite nicht verstehen wollte, warum die Belgier nicht einfach Platz machten sondern sich zur Wehr setzten!
 
Frankreich hat die belgische Neutralität nur aus einen einzigen Grunde respecktiert: Großbritannien!

Es war für Frankreich eben außeordentlich wichtig, ist auch sehr verständlich, dass das Deutsche Reich als Aggressor darsteht und die belgische Neutralität verletzt. Wenn Frankreich dies tun würde, war ein Eingreifen Großbritanniens auf französischer Seite sehr unwahrscheinlich. Das leuchtete am Ende auch den französischen Militärs ein.
 
Wenn Belgiens Infrastruktur laut Plan zur Verfügung stehen sollte, dann müsste in der Realität das Transportvolumen durch Frankreich ja größer als angenommen gewesen sein oder aber der rechte Flügel hätte (im Gegensatz zum linken) weniger Nachschub bekommen müssen. Letzteres würde die Verluste bei den Pferden erklären. Gibt es dazu Zahlen?

Sollte die Rolle Belgiens nur so einseitig in die Planungen einbezogen worden sein, so wäre es nach dem Verwerfen der Option eines Angriffs im Osten bei gleichzeitiger Defensive im Westen ein weiteres Armutszeugnis für die militärischen Planungen im Vorfeld.

Solwac
 
Frankreich hat die belgische Neutralität nur aus einen einzigen Grunde respecktiert: Großbritannien!

Fakt ist: Frankreich hat die Neutralität Belgiens akzeptiert, Deutschland nicht! Deutschland hat einen völkerrechtlich bindenden Vertrag zum "Fetzen Papier" erklärt, da nutzte es auch nicht, dass man Belgien versicherte, für Schäden aufzukommen und Belgien nach Kriegsende wieder zu räumen! Dazu fehlte den Belgiern -berechtigterweise - der Glauben.

Der ursprüngliche Fehler liegt darin, dass die militärischen Planer um Schlieffen nie die politische Brisanz erkannten, oder, falls doch, sich mit der Politik abstimmten. So konnte auch Kanzler Bethmann, vor vollendete Tatsachen gestellt, nicht anders als offen von einem Unrecht zu sprechen und als Entschuldigungsgrund angeben: "Not kennt kein Gebot"
 
Fakt ist: Frankreich hat die Neutralität Belgiens akzeptiert, Deutschland nicht! Deutschland hat einen völkerrechtlich bindenden Vertrag zum "Fetzen Papier" erklärt, da nutzte es auch nicht, dass man Belgien versicherte, für Schäden aufzukommen und Belgien nach Kriegsende wieder zu räumen! Dazu fehlte den Belgiern -berechtigterweise - der Glauben.

Ähem, wo habe ich das in Frage gestellt. Nur neige ich dazu die französische Respektierung der belgischen Neutralität nicht überzubewerten. Diese diente nämlich ganz klar ausßschließlich französischen Interessen! Frankreich wußte, das die Aussichten in einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Deutschen Reich ohne Großbritannien deutlich geringer zu veranschlagen waren als mit. Entsprechend dieser Ausgangslage hat die zivile politische Leitung Frankreich entschieden. Das Militär hatte dies zu akzeptieren.
 
Ähem, wo habe ich das in Frage gestellt. Nur neige ich dazu die französische Respektierung der belgischen Neutralität nicht überzubewerten.

Hallo Turgot, ich möchte hier eigentlich keine Petitessen austauschen bezüglich der Akzeptanz der belgischen Neutralität durch Frankreich und Deutschland. Stimmst du mir denn zu, dass `Akzeptanz´ nicht graduell gemessen werden kann sondern sich entweder durch "ja" oder "nein" ergibt? Richtig ist, dass Frankreich durch Beachtung der belgischen Neutralität nur gewinnen konnte, nämlich den Kriegseintritt Englands, der noch nicht in "sicheren Tüchern" war, während andererseits Deutschland durch Nicht-Beachtung der belgischen Neutralität nur verlieren konnte. Richtig ist aber auch die Tatsache, dass derjenige, der den Krieg mehr will, als erster die belgische Neutralität missachten wird.
Die Frage, ob Frankreich eventuell im weiteren Verlauf eines hypothetischen Krieges ohne deutschen Überfall auf Belgien als erster die belgische Neutralität verletzt hätte, um beispielsweise daraus einen militärischen Vorteil zu ziehen, ist spekulativ.
 
Petitessen nennst du das. Na ja, das sehe ich doch etwas anders.

Joffre hatte seine Regierung bereits am 11.Oktober 1911 erläutert, das Frankreich unter militärischen Gesichtspunkten le plus grand intérêt habe in Luxemburg und Belgien einzumarschieren habe.(1) Das die französische Regierung dies ablehnte, hat nichts mit irgendwelchen Skrupeln zu tun, sondern mit den von mir weiter oben genannten Überlegungen. Übrigens hat die zivile Staatsleitung den Militär aber das luxemburgische Territorium zur Disposition gestellt. (2)

Ich bin durchaus der Meinung, das dies Erwähnung verdient, da es zeigt, das es ganz gewiss keine moralischen Aspekte gewesen waren, die Frankreich veranlaßten die belgische Neutralität zu respecktieren.

Die Frage, ob Frankreich eventuell im weiteren Verlauf eines hypothetischen Krieges ohne deutschen Überfall auf Belgien als erster die belgische Neutralität verletzt hätte, um beispielsweise daraus einen militärischen Vorteil zu ziehen, ist spekulativ.

Darüber habe ich gar nicht spekuliert. Ich habe hier die französischen Überlegungen vorgestellt und die sind nicht spekulativ, sondern sehr real.



(1) Proces-verbal. CSDN, 11.10.1911, in SHA 2N1,V/29
(2) Schmidt, Frankreichs Außenpolitik
 
Zuletzt bearbeitet:
Man kann wohl feststellen, dass den militärischen Planer die politische Sichtweise weder in Frankreich noch im Deutschen Reich nahe lag. Sie gingen insofern ihrer Arbeit nach - wie Schlieffen, und Moltke - als es um eine planerische Lösung der auf der Landkarte gestellten militärische Aufgabe ging.

So blieben die Niederlande, wie hier vor kurzem im Forum kurz diskutiert, ausschließlich aus kapazitativen Gründen (man wollte einfach keine weitere Kräftebindung am rechten Flügel, an der nicht entscheidenden Stelle) und aus Gründen des Blockadeventils (man musste schon mit 12-18 Monaten Krieg rechnen) als Nachschubweg aus dem militärischen Kalkül ausgeschlossen.

Auch die französische Planung machte ihren Job, der evt. durch die Verletzung belgischer Grenzen leichter geworden wäre. Die Politik durchkreuzte dieses. Das führte schließlich zu Joffres Plan XVII, der eigentlich eine gemischt offensiv-defensive Aufstellung für alle Eventualitäten darstellte, bis die deutsche Vorgehensweise klar war. Belgien spielte dort erst eine Rolle, wenn die deutsche Armee die Grenze verletzt haben würde.

Moralische Kriterien würde ich da nicht anlegen. Wofür sonst waren die Garantieerklärungen für Belgien da, wenn nicht als Sperrriegel für militärische Abenteuer jeder Richtung. Letzten Endes hat Deutschland die Neutralität verletzt, nicht Frankreich, bei dem die Politik das Militär noch in die Schranken weisen konnte. Die Verletzung stellte ene conditio sine qua non für eine beispiellose Angriffskampagne in einem Weltkrieg dar (Schlieffen und Moltke kamen ohne diese Neutralitätsverletzung in der Planung nicht aus!), den Versuch eines Super-Cannaes (frei nach Groener), der dann 4 Jahre in Belgien und Nordfrankreich ausgetragen wurde.
 
Großbritannien war wohl die einzige der fünf Garantiemächte, die ihre Verpflichtungen wirklich ernstgenommen hat.

Natürlich hat Joffre wie Moltke nur seinen Job gemacht, aber ihm war, verständlicherweise, Frankreich wichtiger als irgendwelche Verpflichtungen aus dem vorherigen Jahrhundert oder gar moralische Empfindungen gegenüber Belgien. Mir ging es hier darum, das die französische Entscheidung zur Respecktierung der belgischen Neutralitität nicht hehren Gründen zu Grunde lag, sondern aus rein orputunistischen Erwägungen erfolgte. Und das ist eine Erwähnung wert. Mehr nicht.
 
Man kann an dem Punkt trefflich streiten, zumal im Spannungsfeld von Militär und Politik.

Wenn Du mit Opportunismus die (hier sehr rationale und nicht fehlerbehaftete) politische Anpassung an die gegebene Lage meinst, ist das sicher richtig. Es war eine politische Entscheidung in Frankreich, um mit größter Wahrscheinlichkeit Bündnisbeziehungen zu erhalten. Da liegt vielleicht auch ein Unterschied zum Deutschen Reich, in dem ein Primat der Politik in dieser militärisch-politischen Frage nicht festzustellen war.

Es war insofern aber auch eine "defensive" Entscheidung, denn ein "Siegplan" über das Deutsche Reich existierte auch mit Plan XVII nicht (anders der Schlieffen-Moltke-Plan). Eigentlich sollte die Russische Armee im Fall des Falles den Sieg garantieren, denn eine französische Kampagne in die Tiefe Deutschlands (zB über Belgien, inkl. Ruhrgebiet) wurde nicht geplant und wäre auch realitätsfern gewesen. Plan XVII hatte lediglich Fesselungsgedanken, war insofern "defensiv", schon aufgrund der Rheingrenze.
 
silesia schrieb:
Wenn Du mit Opportunismus die (hier sehr rationale und nicht fehlerbehaftete) politische Anpassung an die gegebene Lage meinst, ist das sicher richtig. Es war eine politische Entscheidung in Frankreich, um mit größter Wahrscheinlichkeit Bündnisbeziehungen zu erhalten. Da liegt vielleicht auch ein Unterschied zum Deutschen Reich, in dem ein Primat der Politik in dieser militärisch-politischen Frage nicht festzustellen war.

Genauso sehe ich das.


silesia schrieb:
Es war insofern aber auch eine "defensive" Entscheidung, denn ein "Siegplan" über das Deutsche Reich existierte auch mit Plan XVII nicht (anders der Schlieffen-Moltke-Plan).

Ja, da stimme ich dir vollkommen zu.
 
Die deutsche Armee verfügte z.B. zu Anfang des Krieges über ca. 4000 Lastwagen. Von denen waren bereits vor der Marneschlacht 60 Prozent ausgefallen.
(Helmuth von Moltke and the Origins of the First World War, A. Mombauer)

Klucks 84000 Pferde benötigten pro Tag allein 1000 Tonnen Futter am Tag. Diese Menge bekam man auch nicht durch Requirierungen in der jeweiligen Region heran, so dass die Straßen regelrecht mit verendeten Pferden übersäht waren. Die Artillerie blieb dadurch zurück und der Nachschub blieb stecken.
(Logistics from Wallenstein to Patton, M. van Creveld)

Zudem war das belgische Schienennetz sabotiert. Es waren alle Maasbrücken und die meisten Tunnel zerstört.

Das sieht alles so aus, als habe man sich über logistische Probleme am wenigsten den Kopf zerbrochen.

Es traten ja beim deutschen Vormarsch so einige Probleme auf. So waren beispielsweise Anfang September 1914 gerade erst einmal a. 450-600 Kilometer des knapp 4.000 Kilometer langen belgischen Eisenbahnnetzes benutzbar.

Die 1.Armee war ca. 130 Kilometer vom nächsten Ausladebahnhof entfernt. Bei der 2.Armee waren es schon 160 Kilometer.

Als die ersten Eisenbahnverbindungen wieder nutzbar waren, wurde primär Munition transportiert. Nahrung und vor allem Hafer für die Pferde kamen zu kurz. Das gleiche gilt für Wasser und das bei der glühenden Augusthitze. Angesichts der starken Beanspruchung der Pferde und der unzureichenden Ernährung, gab es viel zu wenige Vetrinäre.

Kommunikation war ein nicht zu verachtendes Problem. Um nicht unnütz Zeit zu vergeuden, haben die deutschen Armeen häufig unverschlüsselt gefunkt. So konnte es den Alliierten gelingen über 50 Funksprüche aufzufangen, die Auskunft beispielsweise hinsichtlich der Absichten des Wettlaufs zum Meer“ gaben. Außerdem bekamen die Alliierten so nebenbei die Schwäche des deutschen Kommandosystems lebhaft vor Augen geführt.

Die Trains bestanden zu einem erheblichen Teil aus bespannten Kolonnen. So bestand die Proviantkolonne eines Armeekorps aus vierspännig gefahren Proviantkolonnen. Sie umfasste je 4 Offizieren und Beamte, 99 Unteroffizieren und Mannschaften, 141 Pferde, 27 Wagen für je 1t Nutzlast, 2 Gerätewagen oder 4 Offiziere und Beamte, 125 Unteroffiziere und Mannschaften, 183 Pferden, 36 Wagen für je 0,75 t Nutzlast und 2 gerätewagen.

Bei den Fuhrparkkolonnen und Feldbäckerei-Kolonnen sah hinsichtich der Motorisierung ähnlich bescheiden aus.


Schwer zu verstehen ist, das dies offenbar nicht entsprechend bei den Planungen berücksichtigt worden war. Man konnte doch nicht davon ausgehen, das man das belgische Eisenbahnnetz weitesgehend unzerstört in die Hände bekam. Und das Pferde bei der zugedachten Schwerstarbeit entsprechend versorgt werden müssen, ist ja wohl auch klar.

Stevenson, Erster Weltkrieg,

Deutsche Militärgeschichte Band V,VI
 
Wenn man die Zerstörungen der belgischen und französischen Eisenbahnen näher betrachtet, waren vor allem die Sprengungen der betriebsnotwendigen Bauten umfassend, betriebshemmend und länger wirksam.

Gesprengt wurden sämtlich wesentliche Tunnelbauten (wegen der Abraumarbeiten sehr lästig) und zB sämtliche 14 großen Eisenbahnbrücken über die Maas zwischen Namur und Sedan. Die umfassende Zerstörung der Bauten zwischen Dämmre und Maase umfasste aber auch Stellwerkseinrichtungen, Nachrichtenleitungen, Schienen, und auch Wasserstationen (Dampfloks!).

"Alle diese Zerstörungen waren unter erheblichem Aufwände an Sprengstoff sowie mit großer Gründlichkeit durchgeführt".

Man muss sich vor Augen halten, dass man sich angesichts dieser (erwartbaren) Probleme in einem 6-Wochen-Feldzug bewegte! Die deutschen Truppen führten deswegen allein rd. 18.000 Mann an Eisenbahnpionieren mit, um wenigsten 2 zweigleisige Strecken mit Instandsetzungen wieder vorzutreiben. Dabei stieß man auf unwirkliche Probleme, wie zB im Tunnel von Nasproué, in den man 17 Lokomotiven entgleisen und kollidieren ließ.

Reichsarchiv, Feldeisenbahnwesen, enthält darüber hinaus Einzelangaben zu den am 24.9. bestehenden Etappenverbindungen je Armee, und Listen über die Verschiebungen über die Eisenbahn.
 
thanepower schrieb:
2. Die nicht optimale Nutzung der Eisenbahn durch die Deutschen, im Gegensatz zu der sehr effektiven Nutzung der Eisenbahn im Rahmen der inneren Linie durch die Franzosen. Das Verlegen von Eoinheiten vom französichen rechten Flügel und der Mitte an den linken Flügel.

Inwiefern haben die Deutschen das zur Verfügung stehende Eisenbahnnetz nicht optimal genutzt gehabt? Immerhin war das belgische Eisenbahnnetz weitestgehend zerstört worden und gerade einmal so ca. 10% standen zum Zeitpunkt der Schlachten an der Marne wieder zur Verfügung.
Die Franzosen hatten im Hinterland mit dem großen Knotenpunkt Paris hingegen ein sehr leistungsfähiges Eisenbahnnetz zur Verfügung. Das Truppenverlegungen dort also sehr viel effektiver und somit auch schneller möglich waren, ist nicht wirklich überraschend.
 
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