Schottisches Nationalgefühl vor 1974

YoungArkas

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1974 zog die Scottish National Party (SNP) mit 6 Abgeordneten in das britische Unterhaus ein, ein klares Zeichen für die schottische Unabhängigkeitsbewegung und das schottische Nationalgefühl. Doch wo war diese Bewegung vor den 70er Jahren? Irgendwie gibt es da seit dem 18 Jahrhundert eine große Lücke, die bisher nur mit Splitter- und kleinen Interessengruppen gefüllt wird. Gab es bis zu den 70er Jahren keine ernst zu nehmende schottische Unabhängigskeits- oder Autonomiebewegung oder war man im politischen System Großbritanniens auf andere Art verankert? Und zu guter letzt, gibt es ein Werk, dass die politischen Bestrebungen zur schottischen Unabhängigkeit wissenschaftlich zusammen fasst?
 
Ich finde dieses Thema auch sehr interessant. Hier bietet sich ein Vergleich der Schotten mit den Walisern an: in beiden Fällen war nach blutigen Auseinandersetzungen im Mittelalter Ruhe, weil beide Völker die Reformation mitgemacht hatten und somit ihre Integration ins Empire erleichtert wurde - zumal bei den Schotten hinzukommt, dass sie ja auch gemeinsame Könige stellten und begannen, das Commonwealth nach der Einigung 1707 als eine Art Sprungbrett in die Welt wahrzunehmen. Für die Engländer stand lange Zeit die Katholikenabwehr im Vordergrund (auch ein Grund des ewigen Irlandkonflikts), auch generell nahm man es mit der Ethnie in diesem Kontext dann nicht mehr so genau.

Viele Schotten waren privilegiert und stellten hohe Regierungsbeamte, Wohlstand und Fortschritt stiegen Schritt für Schritt mit der industriellen Revolution - so gesehen gab es jahrhundertelang keinen Nährboden für extremistische Ansätze.
 
Doch wo war diese Bewegung vor den 70er Jahren? Irgendwie gibt es da seit dem 18 Jahrhundert eine große Lücke, die bisher nur mit Splitter- und kleinen Interessengruppen gefüllt wird. Gab es bis zu den 70er Jahren keine ernst zu nehmende schottische Unabhängigskeits- oder Autonomiebewegung ... ?

Ich denke das liegt nicht daran, dass die Schotten des 18. Jh. und zuvor weniger nationalbewusst waren, sondern daran, dass sie sich in jener Zeit nicht artikulieren konnten (oder durften). Die Partizipation nationaler Minderheiten in einem Staat ist eher ein Kind des 20. Jahrhunderts und der Ruf nach Minderheitsrechten wird eigentlich erst ab dem Ersten und besonders dem Zweiten Weltkrieg auch institutionell z.B. durch den Europarat, die UNO und andere Organisationen gestützt.

Erst in diesem Zusammenhang gab es für ethnische oder nationale Minderheiten in Europa eine gesetzlich abgesicherte Basis in den Ländern, die es betrifft.
 
Das Argument würde ich eher verwerfen, da die Iren quasi durchgängig gegen die britische Herrschaft aufbegehrten, zumindest seit dem späten 18. Jhd. Demnach war der Nationalismus einer Minderheit durchaus auch in Teilen des Vereinigten Königreichs vor dem 20. Jahrhundert verbreitet und grade durch Home Rule in Irland hätte man eigentlich ein Aufbegehren der Schotten erwarten können, wenn Sie denn nur eine Inspiration gesucht hätten. Die Iren haben sich 1798, 1867 und 1916, also mehr oder minder einmal pro Generation erhoben, die Schotten hingegen bis auf Arbeiterunruhen mit dem Ziel sozioökonomischer Reformen 1820 und 1919 nie in größerer Zahl und selbst zu den beiden Zeitpunkten immer nur punktuell und kurzzeitig.
 
Das britische Mehrheitswahlsystem und die Polarisierung Konservative vs Liberale bzw. später Labour machte es den Nationalisten relativ schwer zu einer parlamentarischen Vertretung zu kommen. Es gab die Separatisten aber durchaus. Dass sie weniger militant und öffentlichkeits- und publikumswirksam waren als die Iren, lag wesentlich daran, dass die (katholischen) Iren als massiv unterdrückt gelten konnten, was man von den Schotten nicht sagen kann.
Vielleicht kennst du das noch nicht:
Scottish independence - Wikipedia, the free encyclopedia
 
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Ich habe mich grade etwas eingelesen und tatschlich gab es 1949 bereits die Forderung (2 Mio. Unterschriften) nach einem schottischen Parlament. Kellas beschreibt eine nationalistische Welle in den 40er Jahren, die aber vor allem außerparlamentarisch stattfand, während die SNP davon nicht profitieren konnte. Dies änderte sich erst in den 50er und 60er Jahren, mit den zunehmenden wirtschaftlichen Problemen. Von meinen Fragen war also am ehesten die Verankerung im politischen System außerhalb der Parlamente relevant.

Kellas, James G. (1973): The scottish political System, Cambridge University Press: Cambridge. S. 128 ff.
 
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