Schreibrichtung

tela

Aktives Mitglied
Gestern hab ich mich mit ein paar sehr interessierten Leuten unterhalten und es kam die Frage auf, warum wir eigentlich von links nach rechts schreiben. Oder andere Schriften von rechts nach links gehen.

Dabei meinte eine Person, dass - falls die meisten Menschen rechtshändler wären - eine Schreibrichtung von links nach rechts irgendwie logischer wäre.

Gibts irgendwelche Untersuchungen, warum sich Schrift von der Schreibrichtung her so entwickelt hat, wie es ist. Oder Erklärungen dafür, warum die einen in eine Richtung und die anderen in eine andere schreiben?
 
Zumindest hat das griechische Alphabet, welches die Wurzel unseres lateinischen Alphabetscist, seine Wurzel wiederum im punische Alphabet, welches seinerseits auf dem ugaritischen Alphabet basiert, welches das auf die Phone reduzierte vereinfachte Keilschrift-Alphabet ist (gegenüber früheren silben- bzw morphembasierten Keilschriften). auf dem punischen Alphabet basieren auch die übrigen semitischen Alphabete, die ja von rechts nach links schreiben. Allerdings gibt es frühlateinische Textzeugnisse, in denen die Scheift am Ende der Zeile wendet, wie die Ochsen mit dem Pflug.
 
Das mit dem Schreibwechselrichtung pro Zeile gibts in frühgriechischen Inschriften ebenfalls.

Wäre es denkbar, dass sich irgendwann herausgestellt hat, dass es einfacher ist die Schrift von links nach rechts zu schreiben als andersherum und sich das dann durchgesetzt hat? Zumindest in manchen Schriften?
 
Der Artikel ist so interessant, wie schräg. Meines Erachtens liegen ihm zwei Fehler zugrunde:
- gerade religiöse Texte werden vokalisiert, ein nichtvokalisierter Qur'ân ist gewissermaßen undenkbar, seit der Antike wird auch die Torah vokalisiert (Masoreten), teilweise offensichtlich falsche Vokalisierungen zwar aus Respekt vor der Unabänderlichkeit des religiösen Textes erhalten aber in diesen Fällen glossiert. Die Vokalisierung des Tetragraphen JHWH wird bewusst manipuliert, weil die Aussprache des Gottesnamens verboten ist.
- es gab und gibt semitische bzw. von rechts nach links laufende Schriften in Zusammenhang durchaus auch mit idolatrischen und nichtmonotheistischen Religionen, rund um die Israeliten lebten andere Semiten, die eben nicht monotheistisch und nicht bilderfeindlich waren. Die Israeliten, selbst, davon berichtet auch die Bibel, führten harte Kämpfe, auch untereinander, um Monotheismus und Bilderlosigkeit durchzusetzen. Und auch im Islam ist die Bilderfeindlichkeit vor allem im religiösen Bereich und auch dort nicht immer in aller Konsequenz zu finden. Man denke an die Fresken im jordanischen Qusayr 'Amra oder an das Deckengemälde im Saal der Botschafter in der Alhambra.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Chinesen schrieben früher von oben nach unten und von links nach rechts.

Die drei Schriftzeichen am Eingang zum Shaolin-Kloster sind von links nach rechts zu lesen:
 

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Der Artikel ist so interessant, wie schräg. Meines Erachtens liegen ihm zwei Fehler zugrunde:
- gerade religiöse Texte werden vokalisiert, ein nichtvokalisierter Qur'ân ist gewissermaßen undenkbar, seit der Antike wird auch die Torah vokalisiert (Masoreten), teilweise offensichtlich falsche Vokalisierungen zwar aus Respekt vor der Unabänderlichkeit des religiösen Textes erhalten aber in diesen Fällen glossiert. Die Vokalisierung des Tetragraphen JHWH wird bewusst manipuliert, weil die Aussprache des Gottesnamens verboten ist.
- es gab und gibt semitische bzw. von rechts nach links laufende Schriften in Zusammenhang durchaus auch mit idolatrischen und nichtmonotheistischen Religionen, rund um die Israeliten lebten andere Semiten, die eben nicht monotheistisch und nicht bilderfeindlich waren. Die Israeliten, selbst, davon berichtet auch die Bibel, führten harte Kämpfe, auch untereinander, um Monotheismus und Bilderlosigkeit durchzusetzen. Und auch im Islam ist die Bilderfeindlichkeit vor allem im religiösen Bereich und auch dort nicht immer in aller Konsequenz zu finden. Man denke an die Fresken im jordanischen Qusayr 'Amra oder an das Deckengemälde im Saal der Botschafter in der Alhambra.

Und, um das noch hinzuzufügen: Der Artikel tut so, als seien Judentum und Islam unabhängig voneinander entstanden und hätten ihre Bilderfeindlichkeit unabhängig voneinander entwickelt. Ohne Judentum und Christentum wäre aber der Islam, dessen Geschichten auf der Bibel basieren, viele Qur'ân-Verse setzen eigentlich Bibelkenntnis voraus, um sie richtig zu verstehen, nicht denkbar.
 
Und, um das noch hinzuzufügen: Der Artikel tut so, als seien Judentum und Islam unabhängig voneinander entstanden und hätten ihre Bilderfeindlichkeit unabhängig voneinander entwickelt. ....
Tut er das?

...Ohne Judentum und Christentum wäre aber der Islam, dessen Geschichten auf der Bibel basieren, viele Qur'ân-Verse setzen eigentlich Bibelkenntnis voraus, um sie richtig zu verstehen, nicht denkbar
Das scheint mir eine Selbstverständlichkeit zu sein und ich kann mir nicht vorstellen, dass das Blume nicht bewusst wäre.
 
Ich fand den Link auf Michale Blume, Gehirn und Alphabete – Die Linkesche These - interessant genug, um überhaupt auf kognitionspsychologische Mechanismen, die beim Lesen eine Rolle spielen können; er war leider auch überhaupt der einzige, der eine historische Perspektive überhaupt nur versucht, und insofern für eine Diskussion nicht unerheblich. Ich will nicht verschweigen, daß mein erster Gedanken zu Telas Anfrage überhaupt die Lateralisierungsfrage war, die überhaupt mit der Lese-/Schreibrichtung - die kulturell bestimmt wird - aus psychologischer Sicht mitsamt den problematischen Abweichungen relevant wird. Dies wird mehr oder weniger vorausgesetzt, und das macht denn den Artikel schon als Ausgangspunkt "schräg".
El Qujotes Einwände sind durchaus wichtig, um einen subtileren Ansatz für die historische Fragestellung zu entwickeln. Eine Frage wäre bspw., ob Linkes Theorie vom genannten Ausgangsproblem trotzdem wertvoll sein kann, dann allerdings vielleicht nicht mehr unbedingt aufs Thema bezogen (weshalb ich ihn auch ohne Kommentar verlinkte).
 
Und, um das noch hinzuzufügen: Der Artikel tut so, als seien Judentum und Islam unabhängig voneinander entstanden und hätten ihre Bilderfeindlichkeit unabhängig voneinander entwickelt. ...

Tut er das?

Wie würdest du solche Äußerungen verstehen?

Eine Besonderheit aber bilden laut Linke vokalarme Alphabete, wie zum Beispiel Hebräisch (Anm. oder Arabisch).
Zur Lesung der Konsonanten habe hier eine intensive, bildhafte Assoziierung der Vokale zu erfolgen, die vor allem auf der rechten Gehirnhälfte erfolge. Entsprechend tendiere das linke Auge zur Führungsrolle, die Schriftrichtung weise von rechts nach links.
Vor allem aber werde jetzt eine zusätzliche Konfrontation mit Bildern als rechtshemisphärische Überlastung empfunden - der Leser eines Konsonantenalphabetes werde Bilder (oder auch Musik) daher tendenziell zu meiden lernen.

Die weitere Verbreitung eines nichtvokalisierten Alphabetes sollte daher mit einer zunehmenden Bilderfeindlichkeit einhergehen - einer Verringerung der Götterzahl zum Monotheismus und Darstellung bis schließlich zur Bildlosigkeit des Eingottes. Erst der Verzicht auf jede Bildlichkeit führe zur wieder gleichmäßigen Beanspruchung des gesamten Gehirns („Tanz“, „Wohlbefinden“), deren Herleitung und Umschreibung bei Linke an das psychologischen „Flow“-Konzept (formuliert von Csikszentmihalyi, religionswissenschaftlich aufgegriffen z.B. von Eliade) erinnern.

[...]

Klar ist: Linkes These passt tatsächlich wunderbar zur frühen Geschichte des Juden- und Christentums. Was mich jedoch verblüffte war der Umstand, dass sie auch zu unzähligen anderen Fällen passte: So zur arabischen Antwort auf die Evangelien, den Koran, der vokalarm und von rechts nach links gelesen wird, nur in Arabisch gültig rezitiert werden kann und im Bezug auf Gott und Jesus wieder strikt Gottesinkarnation, Passionserzählung und jede Bilddarstellung ablehnt.​

Bilderfeindlichkeit und Monotheismus wird hier doch aus dem Umstand nichtvokalisierter und von rechts nach links führender Alphabete erklärt, nicht aus der Abhängigkeit des Islams vom Judentum. Dabei stimmen aber die Prämissen schon nicht.
1.) Religiöse Texte werden sehr wohl vokalisiert.
2.) Zumindest der Islam ist nur bedingt bilderfeindlich, es gibt auch Beispiele ausgemalter Synagogen.
3.) es gab auch ikonoklastische Strömungen sowohl in der orthodoxen Kirche (griechische Schrift, von links nach rechts laufend, vokalisiert) als auch bei radikalen Reformatoren (lateinische Schrift, von links nach rechts laufend, vokalisiert).
4.) vor-monotheistische Religionen und auch das nahöstliche Christentum finden in der Darstellung keine Berücksichtigung. Dabei läuft auch die aramäische Schrift als Aufzeichnungsform der Kultsprache der nahöstlichen Christen von rechts nach links.


...Ohne Judentum und Christentum wäre aber der Islam, dessen Geschichten auf der Bibel basieren, viele Qur'ân-Verse setzen eigentlich Bibelkenntnis voraus, um sie richtig zu verstehen, nicht denkbar.
Das scheint mir eine Selbstverständlichkeit zu sein und ich kann mir nicht vorstellen, dass das Blume nicht bewusst wäre.

Davon gehe ich auch mal aus. Umso mehr muss man annehmen, dass hier ein Denkfehler zugrundliegt, der eben die Schrägheit des Textes ausmacht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bilderfeindlichkeit und Monotheismus wird hier doch aus dem Umstand nichtvokalisierter und von rechts nach links führender Alphabete erklärt, nicht aus der Abhängigkeit des Islams vom Judentum. Dabei stimmen aber die Prämissen schon nicht.
1.) Religiöse Texte werden sehr wohl vokalisiert.

Ich finde Deinen Einwand sehr wichtig, der sich eindeutig gegen Michael Blume richtet. So wie ich das verstehe, ist das bereits seine Interpretation (Kennzeichnung als Anm.) der These von Detlef B. Linke (1999=Das Gehirn. München: Beck-Verlag), die ich so verstehe, daß sie sich auf eine frühe Zeit bezieht und damit auf die ältere Schriftüberlieferung des Tenach (inwieweit auch andere Schrifttraditionen wie Talmuds oder Midrasch miteinbezogen sind, müßte ggf. geklärt werden).
Innerhalb einer institutionell sozialisierten Lese- und Schreibtradition ließe sich vielleicht die Arbeitshypothese zur Bilderfeindlichkeit, die zunächst als psychologischer Mechanismus wirksam war, argumentativ stützen.
 
...der sich eindeutig gegen Michael Blume richtet.

Auch wenn du das sicher so meinst, ich will noch mal klarstellen, dass ich mich nicht gegen Blume richte, sondern gegen die aufgrund falscher Hypothesen gezogene Schlussfolgerung Blumes. Wobei ich die Wurzel hiervon schon auch bei Linke sehe.
Normalerweise ist die Bevölkerungsmehrheit ja rechtshändisch, wobei es erstaunlich viele Menschen zu geben scheint, die eigentlich linkshändisch seiend rechtshändisch erzogen wurden. Mir bereitet es, nach einiger Übung, kein Problem Arabisch oder Hebräisch zu schreiben, wobei ich, was Diakritika und Vokalisierung angeht, dann schon häufig von links nach rechts (also gewissermaßen rückwärts) arbeite. Aber ich bin ja nun mal auch von Kindesbeinen an gewohnt, von links nach rechts zu lesen. Und nicht von rechts nach links. Mich würde mal interessieren, ob unter den Israelis und Arabern das Verhältnis von Links- und Rechtshändigkeit ein anderes ist, als das bei den Europäern der Fall ist. Wenn es da nämlich keine signifikanten Unterschiede gibt, dann kann man m.E. auch keine neurologischen Gründe für die Bevorzugung einer Schreibrichtung heranziehen. Werden beim Lesen von links nach rechts andere Hirnarreale aktiviert als beim Lesen von rechts nach links? Wie sieht das bei Menschen aus, die erst eine europäische/semitische und dann eine semitische/europäische Schrift zu lesen und schreiben gelernt haben aus? Verwenden die unterschiedliche Hirnarreale beim Lesen der verschiedenen Schriften?
 
Dabei meinte eine Person, dass - falls die meisten Menschen rechtshändler wären - eine Schreibrichtung von links nach rechts irgendwie logischer wäre.

Das wird (ganz praktisch) auch mit der Schreibtechnik zu tun haben. Beim Schreiben mit Tinte und Feder (-halter) auf Papier kann es (bei Linkshändern, die von links nach rechts schreiben) zum Problem werden, dass die Schreibhand über den schon geschriebenen Text fährt und die noch feuchte Tinte verwischt. Damit hatten zumindest die Linkshänder zu kämpfen, mit denen ich zur Schule ging; selber bin ich Rechtshänder.

Wer mit einem Griffel Keile in Ton drückt hat dieses technische Problem nicht, dafür vermutlich andere, die evtl auch mit der Schreibhand und -richtung zusammenhängen; ebenso, wenn man mit Stiften auf Papier schreibt, bei denen die Farbe schneller trocknet als beim Herkömmlichen Füllfederhalter.
 
nun, schreiben mit dem Griffel /Stichel oder gar dem Meißel geht von rechts nach links um einiges leichter, da muß man ja "schieben", genauso wie beim gravieren. Schreiben mit der Feder ist ja so eine Art ziehen.
Also ganz praktisch, schiebt man eine Feder, kleckert man alles voll, "stichelt" man den Buchstaben irgendwo raus, entsteht die Schrift "unter der Hand" bzw man kloppt sich das Schreibwerkzeug in die selbe. Schreibt man mit einem Pinsel o.ä. unter der eigentlichen Linie, ist die Richtung egal.
Weswegen Steininschriften auf Altlatein, Etruskisch und in Runen von rechts nach links geschrieben sind, Inschriften aus Runen mit Federn geschrieben oft aber von links nach rechts.
 
Da es ua um Techniken geht, bin ich nicht so ganz OT:

Das wird (ganz praktisch) auch mit der Schreibtechnik zu tun haben. Beim Schreiben mit Tinte und Feder (-halter) auf Papier kann es (bei Linkshändern, die von links nach rechts schreiben) zum Problem werden, dass die Schreibhand über den schon geschriebenen Text fährt und die noch feuchte Tinte verwischt. Damit hatten zumindest die Linkshänder zu kämpfen, mit denen ich zur Schule ging; selber bin ich Rechtshänder.

Wenn bei Linkshändern dieses Problem eintritt, liegt es nicht an der Linkshändigkeit, sondern daran, daß ihnen keine korrekte Schreibhaltung vermittelt wurde. Bei richtiger Haltung des Schreibwerkzeugs verwischt kein Linkshänder etwas, auch nicht beim Schreiben von Links nach Rechts, da die Schreibhand eben nicht über das Geschriebene wischt, sondern knapp darunter bleibt.

(Zum Hintergrund: ich bin Linkshänderin, mußte in der Schule zwangsweise mit rechts schreiben und habe mir das Schreiben mit Links einige Jahre später selbst beigebracht, als die Schreibhaltung "rechts" bereits verfestigt war, diese also spiegelverkehrt angewendet - Bingo.)
 
ich bin nativer linkshänder, und ich hatte definitiv das problem das die Tinte verwischte.

hätten 2 linkshänder an einem Tisch gesessen, hätte man auch vernünftig schreiben können und die hand so halten das man nicht drüberwischt.

dann hätte man aber mit dem rechten Arm den verdammten Rechtshänder rechts von sich gestört, denn der lag ja mit seiner linken körperhälfte da rum wo die eigene Rechte hingehört hätte damit man die hand gerade hätte halten können.

somit blieb mir, und z.b. meinem Bruder nur übrig sich so zu verwinden das man quasi von links und nicht von unten an das Blatt heranging, mit ebenso krummer hand. alles andere führte bei mehr als einer halben Seite zu starken Handgelenkschmerzen.
 
Dichotomanische Geschichtsdeutung*

Auch wenn du das sicher so meinst, ich will noch mal klarstellen, dass ich mich nicht gegen Blume richte, sondern gegen die aufgrund falscher Hypothesen gezogene Schlussfolgerung Blumes. Wobei ich die Wurzel hiervon schon auch bei Linke sehe.

Das ist tatsächlich schwierig abzuschätzen, und freilich begrüße ich deine Klarstellung und deine Fragen:

Werden beim Lesen von links nach rechts andere Hirnarreale aktiviert als beim Lesen von rechts nach links? Wie sieht das bei Menschen aus, die erst eine europäische/semitische und dann eine semitische/europäische Schrift zu lesen und schreiben gelernt haben aus? Verwenden die unterschiedliche Hirnarreale beim Lesen der verschiedenen Schriften?

Zur Händigkeit, Lese- bzw. Schreibrichtung und zum Lateralisierungproblem: Die Händigkeitsfrage steckt mit in der Ausgangsfrage wird - wie ich jetzt erst bemerke, wird sie auch direkt im Artikel angesprochen:
"B[ei] Rechtshändern [wird Lesen] überwiegend in der linken Hemisphäre bearbeitet, die zuerst vom rechten Auge über Kreuz bedient wird."
Vielleicht habe ich das nicht registriert, weil ich einem Neurowissenschaftler nicht die Verwechslung mit dem Lateralisierungsproblem der Gehirnhälften zutraue. Was meine ich damit eigentlich?

Sally P. Springer, die sich seit den den 1980er Jahren mit den wissenschaftlichen Fragen zur Lateralisierung beschäftigt, bemerkt hinsichtlich des Zusammenhangs von Händigkeit und der Lokalisation der Sprachzentren in der linken Gehirnhälfte:

"Für den Zusammenhang zwischen linkshemisphärischer Schädigung und Aphasie bei Rechtshändern paßte die [Brocasche] Regel gut. Doch bei Linkshändern schien es zweit Typen zu geben - solche, bei denen die Sprache in der Hemisphäre gegenüber der bevorzugten Hand lokalisiert war (also in der von Broca hervorgesagten rechten Hemisphäre), und solche mit der Sprache in der linken Hemisphäre." (S.35)

Aus dem Vorkommen dieses zweiten Typus von Linkshändern mit linkslateralisiertem Sprachzentrum im Gehirn (vgl. bereits B. Bramwell, On Crossed Aphasia. Lancet 8/ 1899, pp.1473-1479) schließt die Forscherin anscheinend, daß "[d]ie Beziehung der Händigkeit zur funktionellen Hemisphärenasymetrie" noch fast hundert Jahre nach der ersten Kritik als eine offene Frage gelten müsse. Das wirft zwei Fragen auf:

1. Was hat sich in einem Jahrhundert Forschung getan, um den Zusammenhang zu erhellen?
2. Fällt damit die Linkesche Ausgangsbehauptung der kreuzmodalen Initialverarbeitung beim Lesen?

In Anbetracht dessen, daß Sprachfunktionen über beide Gehirnhälften verteilt sein können, unabhängig davon, ob es sich um Links- oder Rechtshänder handelte, ist die erste Frage überhaupt eine ziemlich müßige. Es kommt letztendlich auf untersuchte Populationen, und ein einzubeziehender Faktor wäre vielleicht auch das Alter - zumindest heißt es bei Gerhard Roth: "Bei älteren Leuten findet man hingegen, dass sie für beide Funktionen [verbales Arbeitsgedächtnis & räumliches Gedächtsnis], also auch für die Sprache, eher beide Hemisphären benutzen." (S.175)

Es scheint mitnichten einfach, valide Forschungsergebnisse historisch haltbar aufzugreifen: So heißt es etwa, daß sich bei den weitaus meisten Rechtshändern die Hauptzentren der Sprachverarbeitung und -produktion in der linken Gehirnhemisphäre befinden sollten, dann aber nur ein geringerer Prozentsatz (wenn auch noch über die Hälfte) von Linkshändern diese Lateralisierung ebenfalls aufwiesen. Kurz: Rechtshemisphäriker, die auch Linkshänder, kommen statistisch seltenener vor. Aus der schwierigen Tatsache, daß es ein breiteres Spektrum der Variation im Bereich der Händigkeit als in der Lateralisierung gibt, würde ich am ehesten den Schluß ziehen, daß ein Zusammenhang nicht angenommen werden kann; dort, wo solche angenommen werden, haben sie massiv pathologisierenden Charakter, der zweifelhaft ist.
Das Buch, das ich zum Thema konsultiere, enthält übrigens auch historische Informationen zur wohl evolutionär entwickelten Rechtshändigkeit, die ich mir an dieser Stelle spare, auch wenn sie interessant sind, aber für die wissenschaftliche Aufklärung der Linkeschen These sind sie irrelevant.

Tatsächlich steht ein Corpus an Forschungsergebnissen im Hintergrund, der für die These wichtiger ist: Es handelt sich um den beobachteten "Vorteil der rechten Gesichtsfeldhälfte", die eine "Spezialisierung der linken Gehirnhälfte auf Sprachfunktionen wieder[gibt]" (Springer & Deutsch, S.84)

Mortimer Mishkin & Donald Forgays stellten Anfang der 1950 Jahre zunächst fest, daß Probanden in der Regel engl. Wörter besser erkannten, "wenn diese rechts vom Fixationspunkt dargeboten wurden" - allerdings nicht "Versuchspersonen, die Jiddisch lesen konnten" und denen "jiddische Wörter präsentiert wurden": Hier "trat ein leichter Vorteil zugunsten der linken Gesichtshälfte auf" (S.82), wobei zu bemerken sei, daß das hebräische Alphabet benutzt wird, das "man von rechts nach links liest"; dieses Experiment dürfte auch für Linkes Thesenbildung eine Rolle gespielt haben, sowie weitere Beobachtungen an Split-Brain-Patienten, die einen Lateralisierungseffekt nahelegten. Jedenfalls entwickelte man zur Erklärung eine "Zwei-Faktoren-Interpretation", demnach zwei ggf. "parallel wirksame Mechanismen" angenommen werden müssen:

"a) die Bevorzugung einer Gesichtshälfte aufgrund der Lesegwohnheit in einer bestimmten Sprache und davon überlagert - b) der Vorteil für die rechte Gesichtsfeldhälfte, der aus den Unterschieden zwischen linkem und rechtem Gehirn erwächst." (S.82)

Das entscheidende Experiment dazu entwickelten nach Angabe M. I. Barton, H. Goodglass & A. Shai, "in dem man die englischen und jiddischen Wörter senkrecht darbot, um den möglichen Einfluß des gerichteten visuellen Abtastens auszuschließen", wodurch der "Vorteil[seffekt] der rechten Gesichtshälfte sowohl für englische als auch für jiddische Wörter" (S.83) nachgewiesen wurde.

Wenn auch nicht alle Unklarheiten hinsichtlich der fraglichen "neurologischen Gründe für die Bevorzugung einer Schreibrichtung" (El Quijote) beseitigt sind, scheint die Behauptung einer kreuzmodalen Initialverarbeitung zugunsten des rechten Gesichtsfeldes und der direkten Weiterverarbeitung in der linken Gehirnhemisphäre empirisch abgestützt zu sein. Freilich ist dabei nicht die Reihenfolge des Schreib- oder Leseerwerbs garantiert.

Eine offene Frage für mich bleibt die These Linkesche Zusatzhypothese bezüglich "vokalarmer Alphabete": "Zur Lesung der Konsonanten habe hier eine intensive, bildhafte Assoziierung der Vokale zu erfolgen, die vor allem auf der rechten Gehirnhälfte erfolge. Entsprechend tendiere das*linke Auge zur Führungsrolle, die Schriftrichtung weise von rechts nach links."

Wahrscheinlich ist sie zu schematisch, als daß sie sich halten ließe, aber das wäre zu prüfen.

* "Andererseits gibt es die negative Tendenz, jede Dichotomie des Verhaltens - etw rational gegen intuitiv oder deduktiv gegen imaginativ - als Ausdruck der Zweiteilung des Gehirns zu interpretieren. Diese fachspezifische Gefahr wurde von einigen als eine Art Berufskrankheit, als 'Dichotomanie' bezeichnet." (Springer & Deutsch, Rechts Linkes Rechtes Gehirn. Spektrum Akademischer Verlag, 1995/ 3. Aufl.)

Mortimer Mishkin & Donald Forgays, Word Recognition as a Function of Retinal Locus. Journal of Experimental Psychology 43 (1952), pp.43-48
M. I. Barton, H. Goodglass & A. Shai, Differencial Recognition of Tachistoscopilly Presented English & Hebrew Words in Right and Left Visual Fields. Perceptual & Motor Skills 21 (1965) pp.431-437
 
Zur Händigkeit, Lese- bzw. Schreibrichtung und zum Lateralisierungproblem: Die Händigkeitsfrage steckt mit in der Ausgangsfrage wird - [...]
@Muspilli
klasse referiert! Danke!

Allerdings frage ich mich, ob neurowissenschaftliche Überlegungen zur Tätigkeit der Hirnhälften bei der Frage nach den Schriftrichtungen überhaupt zielführend sein können. Der Schrift geht ja eine ganz andere, immense Abstraktionsleistung voraus: die gesprochene Sprache und den erlebten zeitlichen Ablauf von Ereignissen in ein verständliches und praktikables Zeichensystem zu übersetzen. Hierbei ist die Ekenntnis der quasi linearen zeitlichen Abfolge sowohl der Handlungen/Ereignisse als auch der aufeinanderfolgenden Worte sowie innerhalb dieser der Laute der Worte zunächst völlig unabhängig von rechts-links-Fragen. Gezeigt hat sich, dass die Abfolge der Zeichen (seien es Wort- oder Lautzeichen) in linearer Reihe am praktikabelsten ist.
Das schreiben, also das notieren, ist da eine sekundäre Folgeerscheinung. Und in jenen längst vergangenen Zeiten, da man verschiedene Zeichensysteme entwickelte, wußte man nichts von Neurologie und Hemisphären. Die einfachste bzw. wahrscheinlichste Erklärung unterschiedlicher Schreib- und Leserichtungen dürfte kultureller und nicht neurologischer Natur sein, und wenn ich es richtig überschaue, sind die meisten Zeichensysteme linear (egal in welche Richtung)
 
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