Schweinefleisch

Marvin Harris* erklärt den Rückgang der Nutzung und die anschließende Tabuisierung des Schweinefleischs im Nahen Osten mit dem höheren Aufwand der Haltung in einem trockenen, heißen Klima nach der Entwaldung des Gebietes. Zudem hatten Schweine nur ihr Fleisch zu bieten, während Rinder als Zugtiere dienen konnten und Fleisch, Milch, Leder und Dünger boten. Im Gegensatz zum Rind sind Schweine auch Nahrungskonkurrenten des Menschen. Man denke nur an von Wildschweinen verwüstete Felder. Die Unreinheit und das Übertragen von Krankheiten hält er für spätere Begründungen des Verzichts.

* Wohlgeschmack und Widerwillen: Die Rätsel der Nahrungstabus, 2005, S. 66-88.
 
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.... z. B. eine Ausgrenzung oder sogar aktive irdische Bestrafung durch seine Mitmenschen, wenn er Schweinefleisch isst.

Es hat sogar was potentiell emanzipatorisches, gibt es doch dem ärmsten Schlucker noch Gelegenheit, Qualitäten zu zeigen. Frömmigkeit als eigenes Merkmal für Sozialstatus, welches unabhängig von Besitz Autorität verleihen kann. Vielleicht kann man sich das vorstellen wie bei einem dieser Computer-Rollenspiele, wo man Geld-, Waffen- und Zauberpunkte sammeln kann um sich aufzuwerten.
 
Marvin Harris erklärt den Rückgang der Nutzung und die anschließende Tabuisierung des Schweinefleischs im Nahen Osten mit dem höheren Aufwand der Haltung in einem trockenen, heißen Klima nach der Entwaldung des Gebietes.
Diese These hat der Autor auch in früheren Schriften vertreten. Unter anderem wies er darauf hin, dass das Schwein "thermodynamisch schlecht angepasst ist an das heiße, trockene Klima des Negev, des Jordantals und der anderen Länder der Bibel und des Koran" [1], und die problematische Kosten-Nutzen-Relation bei der Aufzucht habe in Mesopotamien schon zu Hammurabis Zeiten zum Verschwinden des Schweins vom Speisezettel geführt [2].

Mary Douglas zufolge entstand Moses' Schweinefleisch-Verbot dadurch, dass er bewußt die wohlschmeckensten Fleischsorten auswählte, nämlich jene, die "für den sklavischsten der Sinne, den Geschmack, eine Gefahr darstellen und zur Völlerei anregen, ... ein Übel, das sowohl für den Leib wie auch für die Seele gefährlich ist, da Völlerei eine schlechte Verdauung zur Folge hat, die die Ursache aller Krankheiten und Charakterschwächen ist."


[1] Cows, pigs, wars and witches: the riddles of culture (1974, ebook pos. 67,3)
[2] Kannibalen und Könige: die Wachstumsgrenzen der Hochkulturen (1977, dt. 1995, S. 235 ff.)
[3] Reinheit und Gefährdung - eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu (1985, S. 63 unter Bezug auf Philo)
 
Was einen zu der Frage führt, warum folgen Menschen Verboten oder Geboten, wenn sie nicht einmal wissen warum solche bestehen?
Weil der Mensch ein Herdentier ist und meist brav das macht, was das Alphatier verkündet und innerhalb seiner Herde B.zW. Horde nicht unangenehm auffallen möchte. Der einzige Grund warum Katholiken, Katholiken sind, ist selten die eigene Erkenntnis, dass dieses die einzig wahre, glückselig machende Religion ist, sondern dass sie in einer katholischen Region und in einer katholischen Familie geboren und aufgewachsen sind. Mit allen anderen Religionen verhält es sich nicht anders. Jeder Einzelne ist aber fest der Meinung, dass er aus eigener Überzeugung gläubig ist und ganz selbstverständlich die Regeln befolgt.
Es gibt zwar auch einige, die sich freiwillig einer Religion anschließen aber auf die große Mehrheit trifft das nicht zu.
 
Diese These hat der Autor auch in früheren Schriften vertreten. Unter anderem wies er darauf hin, dass das Schwein "thermodynamisch schlecht angepasst ist an das heiße, trockene Klima des Negev, des Jordantals und der anderen Länder der Bibel und des Koran" [1], und die problematische Kosten-Nutzen-Relation bei der Aufzucht habe in Mesopotamien schon zu Hammurabis Zeiten zum Verschwinden des Schweins vom Speisezettel geführt [2].

Mary Douglas zufolge entstand Moses' Schweinefleisch-Verbot dadurch, dass er bewußt die wohlschmeckensten Fleischsorten auswählte, nämlich jene, die "für den sklavischsten der Sinne, den Geschmack, eine Gefahr darstellen und zur Völlerei anregen, ... ein Übel, das sowohl für den Leib wie auch für die Seele gefährlich ist, da Völlerei eine schlechte Verdauung zur Folge hat, die die Ursache aller Krankheiten und Charakterschwächen ist."


[1] Cows, pigs, wars and witches: the riddles of culture (1974, ebook pos. 67,3)
[2] Kannibalen und Könige: die Wachstumsgrenzen der Hochkulturen (1977, dt. 1995, S. 235 ff.)
[3] Reinheit und Gefährdung - eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu (1985, S. 63 unter Bezug auf Philo)

Mich können beide Thesen nicht überzeugen. Etwas das kein Problem darstellt, wird normalerweise auch nicht verhaltensnormiert. Wenn es kein Schwein gibt, dann benötigt man auch kein Verbot des Schweinefleischs.
Und Geschmack ist nun mal individuell. Dementsprechend mutet auch das Geschmacksargument, weil Moshe kein Schwein gemocht habe, irgendwie seltsam an.
 
Bin gerade beim Lesen zufällig darauf gestoßen, ob es hilft?

Die Heiden aber trinken keinen Wein und essen kein Schweinefleisch. Der Grund dafür ist, dass Mohammed es ihnen in seinen Büchern verboten hat.Diese Bücher nennen sie Koran, andere nenne sie Altozan Mesalioff, wieder andere Barme*....
Die Heiden essen auch kein Schweinefleisch. Diejenigen, die in Palästina und Ägypten leben, essen sogar weder Schwein noch Kalb noch Rind. Sie halten aber diese Tiere, um mit ihnen die Äcker zu bestellen.
*eigentlich "Alcoranum Meshaf seu Harme", so in Wilhelm von Tripolis Tractatus de statu Sarracenorum. "Mashaf" heißt Buch, "haram" heilig. (Verlagsedit.).

"Aus Reisen des Ritters John Mandeville vom Heiligen Land ins ferne Asien" von Ende des 14.Jahrhundert (Bestseller des Mittelalter, allerdings ist dieser Roman mehr ein Schelmenroman, vergleichbar mit Baudolino von Umberto Eco, Reales mischt sich mit Fiktivem)

Zitiertes Buch gefunden:
PETER ENGELS: Wilhelm von Tripolis, Notitia de Machometo. De statu Sarracenorum (Corpus Islamo-Christianum. Series Latina 4), Würzburg/Altenberge 1992, 195–261 (moderne deutsche Übersetzung).Buch ist aus dem 13.Jahrhundert.
 
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Nur eine Hypothese:
Wenn nun die europäischen Schweine in der Eisenzeit über die Erzfeinde der Israeliten, die Philister, Einzug in das gelobte Land gefunden heben, dann ist es doch logisch, dass die erzfeindlichen Tiere unrein sind.
 
Nur eine Hypothese:
Wenn nun die europäischen Schweine in der Eisenzeit über die Erzfeinde der Israeliten, die Philister, Einzug in das gelobte Land gefunden heben, dann ist es doch logisch, dass die erzfeindlichen Tiere unrein sind.
Dann hätte es nur die importierten europäischen Wildschweine betroffen. Es gab aber bereits vor den Pillistern Wildschweine (die asiatische Art) in Palästina, die nur allmählich von den europäischen Artgenossen verdrängt wurden.
 
Gegen Genanalysen kann ich - schon rein fachlich nicht - nichts Substantielles einwenden. Ich wundere mich nur darüber und frage mich, ob sie korrekt abgenommen bzw. richtig interpretiert wurden. Wie gesagt, vom biologischen Standpunkt her kann ich dem substantiell nichts entgegensetzen. Mir erscheint es nur sehr unwahrscheinlich, dass eine in der Region vorhandene Tiergattung - und dann auch noch per Schiff - importiert wurde. Dabei stelle ich nicht generell den Handel der ausgehende Bronze- und beginnenden Eisenzeit in Frage. Der Handel im Mittelmeer ist archäologisch bis in die Steinzeit zurückzuverfolgen (Obisidanklingen von den liparischen Inseln in der Ägäis). Und lebende Tiere zu verhandeln ist auch sicher, was die "Frische" des Produktes angeht, von Vorteil. Aber wir reden hier über Wildschweine. Klar, natürlich kann man auch die erwachsenen Tiere einer Rotte töten und die Frischlinge einfangen und hochpäppeln. Insofern handelt es sich um keine Unmöglichkeit. Aber es stellt sich doch die Frage nach dem Cui bono?
 
@E.Q. das sind alles berechtigte Einwände, die ich ebenfalls teile. Es ist aber durchaus möglich, dass es sich um ,bereits domestizierte Schweine handelte, die aber noch alle körperlichen Merkmale des Wildschweins aufwiesen. Schaut man sich Dürers Hausschweine aus dem 15. Jh. an, so sahen die selbst nach Jahrtausenden Schweinehaltung immer noch sehr nach Wildsau aus. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/33/Dürer_-_Der_verlorene_Sohn.jpg
 
Gegen Genanalysen kann ich - schon rein fachlich nicht - nichts Substantielles einwenden. Ich wundere mich nur darüber und frage mich, ob sie korrekt abgenommen bzw. richtig interpretiert wurden. Wie gesagt, vom biologischen Standpunkt her kann ich dem substantiell nichts entgegensetzen. Mir erscheint es nur sehr unwahrscheinlich, dass eine in der Region vorhandene Tiergattung - und dann auch noch per Schiff - importiert wurde.
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Aber wir reden hier über Wildschweine. Klar, natürlich kann man auch die erwachsenen Tiere einer Rotte töten und die Frischlinge einfangen und hochpäppeln. Insofern handelt es sich um keine Unmöglichkeit. Aber es stellt sich doch die Frage nach dem Cui bono?
Es gibt dort mehrere Schwierigkeiten. Ich erwähnte bereits die unscharfe Unterscheidung von Wild- und Hausschweinen in den deutschsprachigen Artikeln. Ich vermute dort Übersetzungsfehler. Auf Englisch ist nie vom Import von wild boar die Rede, sondern immer nur von importierten pigs. Ich gehe also davon aus, dass ursprünglich niemand behauptete, die Philister hätten Wildschweine über den Seeweg nach Israel/Palästina eingeschifft.

Die Unterscheidung von Wild- und Hausschweinen ist nicht einfach. Frühe Schweinerassen waren Wildschweinen äußerlich zum verwechseln ähnlich.
Im konkreten Fall wurden tatsächlich uralte Schweineknochen von archäologischen Ausgrabungen untersucht. Ob man jetzt vorher bestimmt hat oder bestimmen konnte, welcher Knochen vom Borstenvieh und welcher vom Schwarzwild stammte, ist mir unbekannt.

Europäische Hausschweine stammen ursprünglich von den Schweinen der ersten Bauern Vorderasiens ab, die das dortige asiatische Wildschwein domestizierten. In Europa wurde jedoch diese ursprünglich asiatischen Schweine immer wieder (wahrscheinlich sogar unabsichtlich) mit europäischen Wildschweinen gekreuzt, bis die genetischen Merkmale der europäischen Wildschweine die asiatischen in der europäischen Hausschweinpopulation nahezu vollständig verdrängt hatten.
Folglich hätten aus Europa eingeführte Hausschweine genetische Merkmale europäischer Wildschweine.

Nature World schrieb:
Israel's Wild Boar have Different Genetic Origins than Region's Other Boar
"The results showed that pigs from the Bronze Age and the beginning of the Iron Age display the local Near Eastern genetic signature, while a European genetic signature appears early in the Iron Age, around 900 BCE, and has been dominant ever since," TAU reported, adding that the European pig breeds were most likely introduced by seafaring people, including the Philistines, who arrived on the coast and eventually settled in places like Gaza and Ashdod. European pigs could have also been brought over during the Roman-Byzantine period during the Crusades, the researchers said.
Es gibt also durchaus Unsicherheiten in der Datierung des Schweineimports!
Da es sich um eine Insel europäisch-stämmiger Wildschweine umzingelt von asiatischen Vettern handelt, wird der Landweg ausgeschlossen. Im Artikel werden neben den Philistern auch Römer, Byzantiner und Kreuzfahrer verdächtigt, die europäischen Schweine übers Meer nach Israel gebracht zu haben.

Als mögliche Erklärung sehe ich eine mutmaßliche Massenfreilassung europäisch-stämmiger Hausschweine und zwar von so vielen Schweinen, dass sie die verwilderten Hausschweine die autochtone Wildschweinpopulation überlagern könnte.
So etwas ähnliches kann man in Europa bei den Nerzen beobachten. Unter anderem aufgrund von Massenfreilassungen von amerikanischen Nerzen (Mink) aus Pelztierfarmen, breiten sich die amerikanischen Nerzen in Europa aus und verdrängen den europäischen Nerz.
Religiös motivierte Massenfreilassungen von importierten Schweine kann ich mir bei den religiösen Unruhen in Antike und danach durchaus vorstellen. Man ließ die armen Schweine der verhassten Besatzer einfach frei. (Meine Theorie entspricht in weiten Teilen übrigens dem Spielfilm "Das Schwein von Gaza".)

Nur eine Hypothese:
Wenn nun die europäischen Schweine in der Eisenzeit über die Erzfeinde der Israeliten, die Philister, Einzug in das gelobte Land gefunden heben, dann ist es doch logisch, dass die erzfeindlichen Tiere unrein sind.
Israel Finkelstein vertrat die selbe These, noch bevor die Genetik der nahöstlichen Wildschweine erforscht wurde. Die proisraele Bevölkerung habe versucht sich von den Philistern abzugrenzen. Zuerst entwickelten sie einen Schweinefleischverbot, da die Philister sehr fleißige Schweinezüchter gewesen wären. Erst danach entwickelten sie den Monotheismus - und zwar aus den gleichen Gründen, nämlich zur Identitätsstiftung.
 
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Hier gibt es Bilder vom Düppeler Weideschwein, bzw. einer Rückzüchtung. Und auch Schweinedarstellungen aus dem Mittelalter.

Schweine | Campus Galli

Haus- und Wildschwein waren im Mittelalter noch sehr sehr ähnlich. Da Schweine in Herden in den Walde getrieben wurden ist das auch nicht verwunderlich.

Und hier vom East Balkan Pig, einer noch existierenden bulgarischen Hausschweinrasse
 
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Wenn ich mir antike, römische Abbildungen von Hausschweinen ansehe, so besitzen diese, besonders auf dem Relief eine große Ähnlichkeit mit gegenwärtigen Schweinen, sogar mit Schlappohren, die Dürers Schweine nicht aufweisen. Auch die Körpergröße, im Verhältnis zu Mensch, Schaf und Rind scheint nicht wesentlich kleiner als bei rezenten Haussschweinen zu sein. Wenn auch bei antiken Darstellungen die Proportionen nicht immer stimmig sind, scheinen sie mir bei dem Relief ziemlich realistisch dargestellt zu sein.
https://c1.staticflickr.com/9/8528/8571125703_0dc31506e2_z.jpg
https://crappykitchen.files.wordpress.com/2012/02/dsc_0041.jpg
Das Schwein, mit Pilzen garniert, auf dem Mosaik weist dagegen wildschweinartige, kleine Ohren auf. Offenbar gab es auch in der Antike verschiedene Schweinerassen.
 
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Wenn ich mir antike, römische Abbildungen von Hausschweinen ansehe, so besitzen diese, besonders auf dem Relief eine große Ähnlichkeit mit gegenwärtigen Schweinen, sogar mit Schlappohren, die Dürers Schweine nicht aufweisen. Auch die Körpergröße, im Verhältnis zu Mensch, Schaf und Rind scheint nicht wesentlich kleiner als bei rezenten Haussschweinen zu sein. Wenn auch bei antiken Darstellungen die Proportionen nicht immer stimmig sind, scheinen sie mir bei dem Relief ziemlich realistisch dargestellt zu sein.
https://c1.staticflickr.com/9/8528/8571125703_0dc31506e2_z.jpg
https://crappykitchen.files.wordpress.com/2012/02/dsc_0041.jpg
Das Schwein, mit Pilzen garniert, auf dem Mosaik weist dagegen wildschweinartige, kleine Ohren auf. Offenbar gab es auch in der Antike verschiedene Schweinerassen.

Stimmt und interessant. Wo kommen eigentlich die Schlappohren bei Hausschweinen (oder überhaupt bei Haustieren?) her?

Das "keltische Schwein" aus Galizien https://de.wikipedia.org/wiki/Keltisches_Schwein soll auch schon sehr alt sein und hat mit einem Wildschwein trotzdem nichts mehr zu tun.
 
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