Seit wann und warum gibt es "Du" und "Sie"?

Legion MD

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Hallo,
weiß hier jemand, warum und vor allem wann die Einteilung in "Duzen" und "Siezen" eingeführt wurde in der deutschen Sprache? Die Frage nach dem warum kann ich mir ja z.T. selbst beantworten, Freunde duze und Fremde sieze ich. Das Wichtigste wäre wie gesagt, wann das eingeführt worden ist.
 
Die Anredeform du/euer ist auf jeden Fall die Ältere, vgl. englisch thou/you(r), wobei thou quasi ausgestorben ist, oder, wenn man von der germanischen Sprachebene auf die indoeuropäische Sprachebene zurückgeht, lat. tu, slaw. ty. Wie die Anrede Sie im einzelnen entstanden ist, weiß ich nicht. Aber davor steht erst mal als Pluralis majestatis das Euer. Notwendig wurden solche Formen immer dann, wenn sich die Stände in der sprachliche Variablitität nicht mehr widerspiegelten. Im Spanischen z.B. ist das Usted, was dem deutschen Sie entspricht, aus einer Inflation der Anrede Vuestra Merced ('Euer Gnaden') entstanden.
 
Ok, so weit klar, aber folgende Passagen verstehe ich nicht ganz:

"Wie die Anrede Sie im einzelnen entstanden ist, weiß ich nicht. Aber davor steht erst mal als Pluralis majestatis das Euer"

Vor dem Sie steht das Euer? Wie meinst du das? "Euer Sie" wohl kaum. Oder meinst du dass das Euer vor dem Sie vorhanden war - geschichtlich?

"Im Spanischen z.B. ist das Usted, was dem deutschen Sie entspricht, aus einer Inflation der Anrede Vuestra Merced ('Euer Gnaden') entstanden."

Inflation der Anrede höre ich in dieser Variante zum ersten Mal, ich schätze mal, dass damit gemeint ist, dass "Euer Gnaden" massenhaft verwendet wurde und daraufhin das "Sie" entstand?
 
Ok, so weit klar, aber folgende Passagen verstehe ich nicht ganz:

"Wie die Anrede Sie im einzelnen entstanden ist, weiß ich nicht. Aber davor steht erst mal als Pluralis majestatis das Euer"

Vor dem Sie steht das Euer? Wie meinst du das? "Euer Sie" wohl kaum. Oder meinst du, dass das Euer vor dem Sie vorhanden war - geschichtlich?

Genauso meine ich das, chronologisch aufeinanderfolgend.

"Im Spanischen z.B. ist das Usted, was dem deutschen Sie entspricht, aus einer Inflation der Anrede Vuestra Merced ('Euer Gnaden') entstanden."

Inflation der Anrede höre ich in dieser Variante zum ersten Mal, ich schätze mal, dass damit gemeint ist, dass "Euer Gnaden" massenhaft verwendet wurde und daraufhin das "Sie" entstand?

Euer Gnaden ist eine Bezeichnung, die man als Anrede für einen Grafen verwendet hätte. Durch eine inflationäre Verwendung dieser Anrede, nicht nur über den Rang des Grafen (oder Marquis) sondern auch über den Adelsstand hinaus, führt dazu, dass die Anrede ihre Exklusivität verliert. Wenn darüber hinaus, wie bei vuestra merced, eine gewisse sprachliche Nachlässigkeit dazu führt, dass die Wortgruppe kontrahiert wird, dann wird aus dem vuestra merced über einige Zwischenschritte irgendwann usted als einer für alle Stände gültigen Anrede.
 
Ich denke, daß das moderne Siezen eine Folge der bürgerlichen Gesellschaft so um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ist.
Auch dann wurde noch geduzt, wenn man mit seinem Personal sprach, aber nicht herablassend, das war einfach so.
Friedrich II. sein Gegenüber bekanntlich mit "Er" oder "Sie" (an weibliche Personen gerichtet) angesprochen.
Irgendwo ist es schon grotesk, daß wir ausgerechnet in der Massengesellschaft jede Witzfigur siezen sollen, während ich schon oft erlebt habe, daß ausgesprochen prekariatsnahe Figuren bürgerliche Menschen unverhohlen duzen.
Wir gehen interessanten Zeiten entgegen.
 
Eine ähnliche Banalisierung hat sich bei der Anrede "Herr" und "Frau" entwickelt, die ursprünglich nur für hochgestellte, adlige Personen verwendet wurde, heute aber für jedermann/-frau.

Interessant ist übrigens, dass die Bezeichnung für einen männlichen / weiblichen Menschen eigentlich "Mann" und "Weib" war. Der Mann ist Mann geblieben, aber das Weib hat sich die edlere Bezeichnung "Frau" als Gattungsbegriff unter den Nagel gerissen.

[Ich erwähne das, weil mir mal ein frauenbewegtes Weib (...äh...liches Wesen) erzählen wollte, dass die Bezeichnung "Frau Meier" diskriminierend sei, solange sich "Herr Meier" nicht auch als "Mann Meier" anreden ließe. Dies ist nicht so, Mylady !]
 
Eine ähnliche Banalisierung hat sich bei der Anrede "Herr" und "Frau" entwickelt, die ursprünglich nur für hochgestellte, adlige Personen verwendet wurde, heute aber für jedermann/-frau.

Interessant ist übrigens, dass die Bezeichnung für einen männlichen / weiblichen Menschen eigentlich "Mann" und "Weib" war. Der Mann ist Mann geblieben, aber das Weib hat sich die edlere Bezeichnung "Frau" als Gattungsbegriff unter den Nagel gerissen.

[Ich erwähne das, weil mir mal ein frauenbewegtes Weib (...äh...liches Wesen) erzählen wollte, dass die Bezeichnung "Frau Meier" diskriminierend sei, solange sich "Herr Meier" nicht auch als "Mann Meier" anreden ließe. Dies ist nicht so, Mylady !]
Es gab da mal eine "Dame" in Bad Harzburg, die die Bezeichnung Dame durchsetzen wollte.
Nun, Fraulich wollten viele Frauen sein, aber dämlich?
Ist echt kein Scherz!
 
Ich hoffe nur, das diese antiqierte Marotte des Siezen bald aus unserer Sprache verschwunden ist. Ich finde es einfach nur albern.
 
Der Mann ist Mann geblieben, aber das Weib hat sich die edlere Bezeichnung "Frau" als Gattungsbegriff unter den Nagel gerissen.

Es ist wohl eher so, dass der Begriff "Weib" zahlreiche negative bzw abwertende konnotationen enthält, die durchaus in der patriarchalischen Geschichte unserer Gesellschaft zu suchen sind; wäre die übliche Bezeichnung für männliche Wesen "Kerl" gewesen wäre das wohl auch durch eine weniger beleidigende Wortschöpfung ersetzt worden; wars aber nicht...

[Ich erwähne das, weil mir mal ein frauenbewegtes Weib (...äh...liches Wesen) erzählen wollte, dass die Bezeichnung "Frau Meier" diskriminierend sei, solange sich "Herr Meier" nicht auch als "Mann Meier" anreden ließe. Dies ist nicht so, Mylady !]

Es ist ein Fakt, dass heute sowohl die "normale" Bezeichnung für einen menschen weiblichen Geschlechts als auch die Höflichkeitsanrede "Frau" lautet, während für männliche Menschen eine eigene Anredeform existiert, die besondere Höflichkeit zum Ausdruck bringen soll. Hier eine Ungleichbehandlung festzustellen finde ich jetzt nicht mal falsch, auch wenn ich nicht allzu viel von sprachlichen Regelungen zu Behebung gesellschaftlicher Misstände halte.
 
Hm, kannst Du mal die genaue Passage zitieren? Ich habe da hauptsächlich was von wegen 68er gelesen.
Hm, es kömmt drauf an, was Du/Er/Sie/Ihr genau wissen willst/will/wollen/wollt...:winke:

Der historische Rückblick - natürlich mit den googlebookbedingten Auslassungen - beginnt auf S. 90 (vgl. auch den Schluß S. 145 ff.).

Das Thema wird in der älteren Literatur recht häufig behandelt und fand z.B. Aufnahme in den Pierer ("Du" in Bd. 5, S. 366 f. usw.)
 
Hm, es kömmt drauf an, was Du/Er/Sie/Ihr genau wissen willst/will/wollen/wollt...

Der historische Rückblick - natürlich mit den googlebookbedingten Auslassungen - beginnt auf S. 90 (vgl. auch den Schluß S. 145 ff.).

Das Thema wird in der älteren Literatur recht häufig behandelt und fand z.B. Aufnahme in den Pierer ("Du" in Bd. 5, S. 366 f. usw.)
Das Zitat nach Adelung S.95 enthält schon für mich das Wesentlichste. :)

Merci.

Also auf dem Land war das Ihrzen im 18.Jh. noch möglich, ansonsten eher als Anrede von "sehr geringe Personen"(Adelung).
 
Das Phänomen scheint sich recht flächendeckend weltweit wieder zu finden. Insofern mag man erforschen wollen, wann die konkrete Abstufung DU / SIE eintraf. Das sollte man aber nicht mit der Frage verwechseln, seit wann es überhaupt unterschiedliche Anredeformen gibt, um Hierarchien zu kennzeichnen.

Die Einführung des "Sie" als höfliche Anrede im Deutschen war die Verflachung dieser Anredenhierarchien. Bis dahin war "Sie" im Adel ehere eine vertraulich-familiäre Ansprache.

Übrigens ist im Englischen die Entwicklung andersherum, als ich das sonst vermuten würde: Die höfliche Anrede "you" (Ihr) hat das einfacherer "thou" (du) völlig verdrängt.

Von der grammatikalischen Bedeutung her läßt sich das Phänomen auch so erklären (ausgehend davon, dass eine einzelne Person angesprochen wird):
Das "du" ist die natürliche Anredeform
Das "Ihr" gibt vor, die Einzelperson als Teil einer Gruppe anzusprechen und distanziert so von der direkteren persönlichen Anrede.
Das "sie"/"er" (3. Person Singular) gibt vor, eine andere Person anzusprechen.
Das "Sie" (3. Person Plural) gibt vor eine Gruppe anderer Personen anzusprechen.

Die Höflichkeit liegt also darin, die Direktheit der Anrede zu vermeiden und damit dem Gemeinten die Gelegenheit zu geben, das Gesagte nicht auf sich zu beziehen.

Das ist im Grunde ähnlich, wie wenn man sagt "ich möchte" anstatt "ich will", was ja eigentlich gemeint ist. "Möchte" ist der Konjunktiv II von mögen (mögen - ich mag - ich mochte - ich möchte). Diese Form drückt ja eigentlich Dinge aus, die ausdrücklich nicht sind (wenn ich an deiner Stelle wäre ...).
 
Folgende Verbformen werden in anderen Sprachen als Höflichkeitsform verwandt :

3. Pers. Sing.: Spanisch, Niederländisch
2. Pers. Plur.: Französisch, Russisch, Schwedisch (früher mal)
3. Pers. Plur.: Deutsch
 
Ich hoffe nur, das diese antiqierte Marotte des Siezen bald aus unserer Sprache verschwunden ist. Ich finde es einfach nur albern.

Ich bin da etwas zweigeteilt. Hier in Norwegen duzt man ja bekanntermassen alle ausser dem Kønig, aber das ist manchmal schon etwas komisch, wenn man zu allen Anlæssen und von jedermann geduzt wird und duzt.
Gelegentlich vermisse ich dieses deutsche "Abstand wahren" per Siezen.

Frueher muss es hier in Norwegen auch anders gewesen sein, die "Sie"-Form taucht auch gelegentlich noch in Briefen auf.

Wahrscheinlich wird hier aber nur dem vorgegriffen, was in Deutschland irgendwann auch die Regel sein wird.

Vielleicht kann man Parallelen herausfinden, warum eine Gesellschaft vom Sie zum Du uebergeht. Es ist jedenfalls in Deutschland schon deutlich gebræuchlicher als vielleicht noch vor 10 oder 20 Jahren, oder tæusche ich mich da?

Gruss, muheijo
 
Zumindest in Schweden gab es die sog. "du-reformen", als Vorgriff würde ich das im Falle Schwedens allerdings nicht bezeichnen, da die jüngeren Generationen bereits wieder anfangen zu Siezen. Der Artikel im deutschsprachigen Wiki fällt leider etwas knapp aus, sagt im wesentlichen aber das Gleiche wie der schwedische Artikel:
Du-Reform ? Wikipedia
 
Interessanterweise kommt es im schwäbischen Sprachraum noch immer, wenngleich auch immer seltener, vor, daß ältere Personen mit der 2. Person Plural angesprochen werden. Dies wird vor allem dort angewandt, wo man ausgesucht höflich bzw. respektvoll dem Gesprächspartner gegenüber sein möchte.
Und genauso kommt es - in natürlich gleichweg immer seltener werdenden Fällen - vor, daß man in der 3. Person Singular angesprochen wird; hier kommt es mir - subjektiv - allerdings immer so vor, als suche man einen Mittelweg zwischen dem allzu höflich erscheinden SIE und dem allzu vertraut erscheinenden DU.
In anderen Sprachräumen ist das mir so bislang noch nicht aufgefallen; das mag aber u.U. auch einfach daran liegen, daß ich nun mal im Schwäbischen aufgewachsen bin.
Woher das nun aber genau kommt? Vielleicht hat da jemand ja mehr Information als ich; mir steht hier nur das persönliche Erleben zur Verfügung

Grüßle aus dem Schwabenländle
 
Witzigerweise ist es im Englischen genau umgekehrt:

Da "Siezen" sich alle und keiner sagt mehr "du" -

Die Form "thou" (=du) wurde gestrichen, stattdessen trat die bereits vorhandene 2. Person Plural (you) als Anrede an diese Stelle.

Ich wusste es doch, die Engländer haben die Höflichkeit erfunden :D :lol:
 
Witzigerweise ist es im Englischen genau umgekehrt:

Da "Siezen" sich alle und keiner sagt mehr "du" -

Die Form "thou" (=du) wurde gestrichen, stattdessen trat die bereits vorhandene 2. Person Plural (you) als Anrede an diese Stelle.

Ich wusste es doch, die Engländer haben die Höflichkeit erfunden :D :lol:

Der nächste Brite der mir begegnet kriegt von mir das "du" angeboten. :D
 
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