Stadtregierung durch zwei Bürgermeister

R.A.

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Hallo zusammen,

mein erster Beitrag im neuen Jahr, Euch allen also erst einmal die besten Wünsche!

Ich habe da eine ganz drollige Frage.
Bei uns in Darmstadt will eine Wählergemeinschaft mit zwei Kandidaten für die anstehende Bürgermeisterwahl antreten, die das Amt gemeinsam ausüben wollen. Das ist natürlich juristisch nicht möglich und eher als Provinzposse einzustufen.

Aber sie berufen sich dabei darauf, daß es so etwas schon einmal (1479 - 1567) gegeben hätte.

Solche Doppelspitzen gab es ja in der Antike (mit den beiden römischen Konsuln als Paradebeispiel), für Deutschland war mir das neu.

Weiß jemand hier, wie so etwas genau gelaufen ist? Wie haben sich die beiden Bürgermeister die Kompetenzen aufgeteilt, wie in Streitfällen geeinigt, durfte einer alleine rechtsverbindlich tätig sein?
 
Aber sie berufen sich dabei darauf, daß es so etwas schon einmal (1479 - 1567) gegeben hätte.

Solche Doppelspitzen gab es ja in der Antike (mit den beiden römischen Konsuln als Paradebeispiel), für Deutschland war mir das neu.

Weiß jemand hier, wie so etwas genau gelaufen ist? Wie haben sich die beiden Bürgermeister die Kompetenzen aufgeteilt, wie in Streitfällen geeinigt, durfte einer alleine rechtsverbindlich tätig sein?
Also in Schwäbisch Hall (damals zumeist einfach Hall genannt) regierten auch Stättmeister und Stellvertreter, welcher der Stättmeister aus dem Vorjahr war, jeweils zusammen. Ich glaube aber, dass das damals weniger ein Problem war, weil die Stättmeister einfach dem Ratskolegium vorstanden, welches gemeinsam die Entscheidungen fällte, was durch die Floskeln in Verordnungen wie "ein hochlöblicher Magistrat" zum Ausdruck kam.
 
Also in Schwäbisch Hall (damals zumeist einfach Hall genannt) regierten auch Stättmeister und Stellvertreter, welcher der Stättmeister aus dem Vorjahr war, jeweils zusammen.
Danke für das Beispiel.
Wobei "Stellvertreter" schon impliziert, daß der aktuelle Stättmeister im Zweifelsfall das Sagen hatte.
 
In München gab es bis 1818 immer mehrere Bürgermeister gleichzeitig, zwei führten miteinander dabei die Amtsgeschäfte. Mit dem Gemeindeedikt von 1818 wurde diese Praxis mehr oder weniger abgeschafft, weil die Bürgermeister fortan nummeriert wurden, der erste Bürgermeister war das formelle Stadtoberhaupt, zusammen mit dem zweiten Bürgermeister führte er den Magistrat.
 
Danke für das Beispiel.
Wobei "Stellvertreter" schon impliziert, daß der aktuelle Stättmeister im Zweifelsfall das Sagen hatte.
Da bin ich mir nicht so sicher. In der Regel entschied das jeweilige Konsistorium, d.h. ein Gremium von Ratsherren, wobei hinsichtlich der Gerichtsbarkeit dem Gremium die beiden Stättmeister vorstehen, über Fachangelegenheiten.
Auf den Dörfern gab es zumindest auf dem Hällischen Territorium auch bisweilen zwei Dorfmeister, also eine Doppelspitze.
 
Da bin ich mir nicht so sicher. In der Regel entschied das jeweilige Konsistorium, d.h. ein Gremium von Ratsherren, wobei hinsichtlich der Gerichtsbarkeit dem Gremium die beiden Stättmeister vorstehen, über Fachangelegenheiten.
Auf den Dörfern gab es zumindest auf dem Hällischen Territorium auch bisweilen zwei Dorfmeister, also eine Doppelspitze.


Hm.
Also bei uns in Württemberg ist der Titel "Bürgermeister" noch nicht so lange vergeben. Bis ins 20. Jahrhundert gab es den Schultheiß (Schultes auf schwäbisch)
Wobei der ab dem 19. Jahrhundert Vertreter der Gemeinde und der Staatsgewalt war.
Zuvor waren diese Ämter getrennt.
aus der Hand könnte ich aber nur unscharfes beitragen.

Bei Bedarf schlage ich nach.
 
Aber doch wohl nicht in den Städten?

Doch, da gab es den Stadtschultheißen. So wurde er auch in den Unterlagen geführt. Der Stadtschultheiß unterstand dem Vogt und der wiederum dem Obervogt. Der Obervogt hatte direkt dem Herzog Bericht zu erstatten.

Ich hab da noch folgendes gefunden:
Überall im Land stand an der Spitze des Amtes ein Vogt. Der Vogt, der sowohl Bezirksbeamter als auch Vorsteher der Amtsstadt war, nahm innerhalb des Amtes eine beherrschende Stellung ein. Allerdings war bis zum 15. Jahrhundert die Stellung des Vogts und des Schultheißen, vor allem in den Städten nicht eindeutig geregelt. Vogt und Schultheiß waren teilweise ein und dieselbe Person, konnten aber auch zwei Funktionsträger sein. Häufig wechselten auch die Bezeichnungen für die Ämter je nach Zeit und Ort: Pflege, Vogtei, Obervogteiamt, Gericht, Amt, Stabsamt oder Oberamt. Entsprechend hießen die Beamten Pfleger, Vogt, Landrichter oder Amtmann. Erst seit 1759 wurden sie in Württemberg Oberamtleute genannt.
 
Doch, da gab es den Stadtschultheißen. So wurde er auch in den Unterlagen geführt. Der Stadtschultheiß unterstand dem Vogt und der wiederum dem Obervogt. Der Obervogt hatte direkt dem Herzog Bericht zu erstatten.

Danke. Bleibt die Frage, ob es auch in den reichsunmittelbaren Städten ebenso war. Bei denen war der Herzog doch außen vor.
 
Danke. Bleibt die Frage, ob es auch in den reichsunmittelbaren Städten ebenso war. Bei denen war der Herzog doch außen vor.
Soweit ich weiß, war es da anders. Die freien Reichsstädte unterstanden weder dem Herzog, noch hatten sie einen Vogt. Sie hatten einen Bürgermeister (sicherlich auch eine Zeitlang Schultheiß genannt) und einen Bürgerrat, bzw. Stadtrat, aus deren Reihen der Bürgermeister gewählt wurde. Die Reichsstäde (zumindest in BaWü) waren in aller Regel durch die Stände regiert.

Genauer kann man da bei Otto Borst "Die Geschichte Baden-Württembergs" oder "Alte Städte in Württemberg" nachlesen. Otto Borst ? Wikipedia
 
Danke. Bleibt die Frage, ob es auch in den reichsunmittelbaren Städten ebenso war. Bei denen war der Herzog doch außen vor.

Das ist natürlich eine andere Kiste. Und wird von Stadt zu Stadt unterschiedlich gewesen sein.

noch aus Wiki:
Als Schulze wurde er im 17. bis zum 19. Jh. weitgehend der Dorfvorsteher im Sinne eines Bürgermeisters. Der damalige „Bürgermeister“ hatte die Funktion des heutigen Gemeindepflegers. So wurden in Württemberg die Amtsbezeichnungen Schultheiß bzw. Stadtschultheiß für den Ortsvorsteher erst am 1. Dezember 1930 durch Bürgermeister und Oberbürgermeister ersetzt

Nur als Beispiel zu den unterschiedlichsten Gemengelagen die das alte Reich da zu bieten hatte:
Das "Nest in dem ich lebe":friends:war württembergische Amtsstadt, das Amt bestand aber lediglich aus der Stadt selbst, und 2 Dörfern die die Stadt im ausgehenden Mittelalter von irgendwelchen Rittern erworben hatte.
War der Amtmann ja der Vertreter des Herzogs, wenn sich eines der Dörfer jedoch an den Amtmann gab es Zoff, das war Sache der Stadt! Sollten Soldaten ausgehoben werden, zofften die Dörfer, das ging sie nichts an! sie waren städtisch, nicht württembergisch.
Na ja, interessiert natürlich nur den lokalen
 
Soweit ich weiß, war es da anders. Die freien Reichsstädte unterstanden weder dem Herzog, noch hatten sie einen Vogt. Sie hatten einen Bürgermeister (sicherlich auch eine Zeitlang Schultheiß genannt) und einen Bürgerrat, bzw. Stadtrat, aus deren Reihen der Bürgermeister gewählt wurde. Die Reichsstäde (zumindest in BaWü) waren in aller Regel durch die Stände regiert.
Zumindest in Hall gab es einen Stättmeister (bzw. zwei) und daneben einen Schultheiß. Früher war der Reichsschultheiß wichtiger, später trat er hinter dem Stättmeister zurück und wurde auf eine Art Polizeichef reduziert. Schultheiß und Bürgermeister sind also zwei völlig unterschiedlich Dinge gewesen und das war auf dem Lande genauso. Ab 1803, also nachdem Hall zu Württemberg gekommen war, gab es ein Gerichts- und ein Ratskollegium, welches auf Lebenszeit von den Bürgern gewählt wurde. Ersterem standen 2 Bürgermeister vor.*

* Beate Iländer: "Verfassung und Verwaltung der Reichsstadt Schwäbisch Hall vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zum Ende der Reichsstadtzeit (1648-1806)" Veröffentlichung des Stadtarchives, Schwäbisch Hall, 2001 S.298
 
Die Verhältnisse in Reutlingen

Bürgermeister in Reutlingen

Ab der Stadtgründung, die im Jahre 1236 bis 1240 zuzuordnen ist, bestimmte der Schultheiß (scultetus) alleinig die Geschicke der Stadt. Er war königlicher Beamte und wurde vom Achalmvogt in Vertretung des Königs ernannt. Die Bewohner hatten bei seiner Ernennung nicht mitzusprechen. Sein Aufgabe in der Verwaltung bestand hauptsächlich in der Einziehung der Einkünfte, welche der König von der Stadt bezog.
Ab dem Jahr 1292 wird das Bürgermeisteramt eingeführt und die Stellung des Schultheiß reduziert sich auf einen achalmischen Amtmann und städtischen Gerichtsbeamten herab.

aus Wiki
 
Für Rottweil habe ich bei Tante Wiki gefunden:

Die Verwaltung Rottweils lag bis 1378 in den Händen verschiedener Geschlechter. Denen gegenüber standen die Zünfte. Beide einigten sich 1379 dahingehend, dass aus jeder Zunft zwei Zunftmeister als Vertreter in den Rat gewählt wurden. Der Rat bestand aus einem Großen Rat und einem Kleinen Rat. Der Große Rat hatte 80, ab 1480 nur noch 52 Mitglieder. Der Kleine Rat hatte 30 Mitglieder. Die obersten Beamten der Stadt waren Schultheiß, Bürgermeister, Obervogt, Pürschvogt, Kastenherr, Bruderschafts- und Spital-Oberpfleger, Oberbaumeister und 18 Zunftmeister, die ihre Ämter mit Ausnahme des Schultheißen und des Bürgermeisters, auf Lebenszeit innehatten. Schultheiß und Bürgermeister wechselten jährlich.
Nach dem Übergang an Württemberg 1803 leitete der Stadtoberamtmann mit dem Magistrat die Stadt. 1808 hatte die Stadt einen Bürgermeister, ab 1822 einen Stadtschultheißen und ab 1930 erneut einen Bürgermeister an der Spitze. Daneben gab es den Gemeinderat.
Nachdem die Einwohnerzahl Rottweils 1969 die 20.000-Marke überschritt, wurde die Stadt deshalb auf ihren Antrag zum 1. Juni 1970 zur Großen Kreisstadt erhoben. Seither trägt das Stadtoberhaupt von Rottweil die Amtsbezeichnung „Oberbürgermeister“. Dieser wird heute von den Wahlberechtigten für eine Amtszeit von acht Jahren direkt gewählt. Er ist Vorsitzender des Gemeinderats. Sein allgemeiner Stellvertreter ist der 1. Beigeordnete mit der Amtsbezeichnung „Bürgermeister“.
Das ähnelt sehr den Verhältnissen in Schwäbisch Hall, die Brissotin ausgeführt hat!

Ich hab noch was zum Begriff "Schultheiß" selbst gefunden:

"Das Wort Schultheiß hat sich aus dem althochdeutschen "der die Schuld heischt" entwickelt. In alter Zeit hatte der Schultheiß die Mitglieder einer Gemeinde zur Einhaltung ihrer Pflichten gegenüber dem Landesherrn anzuhalten. Später war er der Vorsteher einer Gemeinde und hatte die niedere, manchmal auch die höhere Gerichtsbarkeit wahrzunehmen. Er hieß Schultes, Bürgermeister, Burgermeister, im Mitelalter latinisiert "scultetus" und in der Gesetzgebung bis in die jüngste Vergangenheit 'Ortsvorsteher'. [...] Der Schultheiß repräsentierte die Gemeinde gegenüber der Herrschaft und war gleichzeitig der Vertreter der herrschaftlichen Interessen in der Gemeinde. Er fungierte als Leiter der Gemeindeversammlung und war oberster Verwaltungsbeamter der Gemeinde. [...] In den württembergischen Landstädten hat der Vogt das Geschehen in der Stadt weitgehend mitbestimmt. So führte im Gericht den stimmberechtigten Vorsitz der Vertrauensmann der Herrschaft, in ältester Zeit der Schultheiß, bis 1460 der Amtmann, dann der Vogt und seit 1760 der Oberamtmann. Daneben gab es einen adligen Obervogt, der zugleich für die benachbarten Bezirke zuständig war...."

Quelle. Wehling, Hans-Georg: Zur Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung im deutschen Südwesten, Landeszentrale für pol. Bildung Baden Baden, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1985/2000
 
Ich hab noch was zum Begriff "Schultheiß" selbst gefunden:

"Das Wort Schultheiß hat sich aus dem althochdeutschen "der die Schuld heischt" entwickelt. In alter Zeit hatte der Schultheiß die Mitglieder einer Gemeinde zur Einhaltung ihrer Pflichten gegenüber dem Landesherrn anzuhalten. Später war er der Vorsteher einer Gemeinde und hatte die niedere, manchmal auch die höhere Gerichtsbarkeit wahrzunehmen. Er hieß Schultes, Bürgermeister, Burgermeister, im Mitelalter latinisiert "scultetus" und in der Gesetzgebung bis in die jüngste Vergangenheit 'Ortsvorsteher'. [...]
Eben solche Ausführungen, wo Bürgermeister und Schultheiß gleichgesetzt werden, machen das Ganze etwas undurchsichtig, weil das eben beim besten Willen nicht überall zutrifft.
In manchen Gegenden gab es zwei Dorfmeister neben dem Schultheiß, wobei die Schultheiße früher auch regional Hauptleute hießen, in anderen Gegenden gab es nur den Schultheiß, weshalb dieser als Oberhaupt des Dorfes von der Bedeutung dem Bürgermeister gleichzusetzen ist. Als viel wichtiger als diese Funktionsträger schätze ich aber sowieso die Gemeinsmänner und ihre Gemeindeversammlung ein. Auch das ist freilich in den Gegenden, selbst innerhalb Schwabens, völlig unterschiedlich in Ausformung und politischer Bedeutung gewesen.
 
Eben solche Ausführungen, wo Bürgermeister und Schultheiß gleichgesetzt werden, machen das Ganze etwas undurchsichtig, weil das eben beim besten Willen nicht überall zutrifft.
Das dürfte mit ein Grund sein, warum es speziell zu diesem Thema reihenweise Dissertationen und Publikationen gibt ;) Aber herzlichen Dank für deine Ausführungen!

"Das Kaff in dem ich lebe" (Gruß Repo :friends:) war ebenfalls Amtstadt. Hier gab es, wie ich oben ausführte, keinen Bürgermeister. Der Schultheiß unterstand dem Vogt, der vermutlich ähnliche Aufgaben hatte, wie ein Bürgermeister anderswo.
 
Um die Wirrnis noch etwas zu vermehren:
In manchen Gegenden Süddeutschlands trugen die Leute, die anderswo Bürgermeister hießen, lange Zeit die Bezeichnung "Heimburgen" und es waren in der Regel zwei Amtsinhaber gleichzeitig. Heimbürger ? Wikipedia
Im Großherzogtum Baden hießen die Gemeindeoberhäupter zunächst Vögte und erst ab 1831, nach einer grundlegenden Änderung des Kommunalrechts, Bürgermeister. Beispielhaft lässt sich das da nachlesen:
Daxlanden: Die Ortsgeschichte - Google Bücher
Und weil manche Leute Bedenken hatten, wenn es mehr als einen "Chef" gibt: in Städten mit Magistratsverfassung gab es zwar nur einen (Ober-)Bürgermeister. Der war letztlich aber nur "primus inter pares", und hatte den anderen Magistratsmitgliedern nichts in deren Dezernat dreinzureden.
 
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