Standrecht: Desertation und Defätismus

louisa

Gesperrt
Hallo an alle Geschichtler:winke:,

mich interessiert etwas, und zwar stimmt es wirklich, dass man in der NS-Zeit Ärger bekam bzw. eine Strafe wenn man defätstische Bemerkungen in Bezug zur Wehrmacht etc. gibt? Und sogar die Todesstrafe?

Danke schon mal!

LG

Louisa:confused:
 
Das Vergehen nannte sich "Wehrkaftzersetzung" und gab es von 1939-1945 und führte während des zweiten Weltkriegs zu zahlreichen Todesurteilen. Die vorgesehene Strafe war auch die Todesstrafe. Ende 1939 und 1943 wurde der Straftatbestand ausgedeht, nach 1943 war defacto jeder Ungehorsam gegenüber dem NS-Staat Wehrkraftzersetzung. Es gab bis '44 ca. 60.000 Urteile wegen Wehrkraftzersetzung, davon der großteil von militärischen Gerichten ausgesprochen. In der Folge sind die Zahlen nicht mehr so genau ermittelbar, auch aufgrund der zahlreichen Standgerichte in dieser Phase des Krieges.
 
Ja, es war vereinfacht, die Wehrkraftzersetzung hat sich auch zwischen '39 und '45 als Delikt entwickelt. War es früh vor allem ein Mittel zur verstärkten Bestrafung von Ungehorsam im Militär und Versuchen dem Wehrdienst zu entgehen aber auch Propaganda gegen den Krieg oder die Wehrmacht, so wurde es später zum Sammeltatbestand für alle Vergehen, die gegen den NS-Staat gerichtet waren.
 
Danke für eure Antworten.
Was war denn eigentlich das häufigste Motiv bei Deserteuren?
Eher Politisch oder aus feigheit etc.??

LG

Louisa
 
Hallo an alle Geschichtler:winke:,

mich interessiert etwas, und zwar stimmt es wirklich, dass man in der NS-Zeit Ärger bekam bzw. eine Strafe wenn man defätstische Bemerkungen in Bezug zur Wehrmacht etc. gibt? Und sogar die Todesstrafe?

Danke schon mal!

LG

Louisa:confused:

Es war sogar so, dass auch das ZurKenntnisNehmen "defätistischer" Inhalte die Todesstrafe zur Folge haben konnte: Lebensgefahr am Radio (Archiv)

Man konnte aber auch einfach nur so, aus blauem Himmel heraus, lebensgefährlichen "Ärger" bekommen.
So funktioniert halt ein Terror-Regime und es 'auch einfach nur so'.

hatl
 
Danke für die Antworten! :)

Zu Galetto :) danke, natürlich weiß ich, dass dahinter viel Mut steckt, insbesondere in solch einer schweren Zeit...
Aber habe ein bisschen gegoogelt und des Öfteren taucht vor, dass Feigheit ein Motiv ist, als weil man Angst hat z.B. an der OStfront zu kämpfen, man eher desertiert..

Hierzu wäre die Frage, zu welchem Motiv die meisten Soldaten in der NS.Zeit desertierten?

Und was genau ist eigentlich der Unterschied zwischen Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht?

LG

LOuisa
 
Ein Kriegsdienstverweigerer weigert sich Soldat zu werden und nimmt die Strafe dafür in Kauf. Ein Fahnenflüchtiger ist ein Soldat der von seiner Truppe flieht und aus verschiedensten Gründen nicht mehr kämpfen will.
 
Ein Kriegsdienstverweigerer weigert sich Soldat zu werden und nimmt die Strafe dafür in Kauf. Ein Fahnenflüchtiger ist ein Soldat der von seiner Truppe flieht und aus verschiedensten Gründen nicht mehr kämpfen will.

Strafen für "Kriegsdienstverweigerer":
Spatendienst und jede Aufstiegschance verkackt (DDR).
Todesstrafe oder Lagerhaft mit schwacher Überlebensaussicht (3. Reich).

BRD, ..garnet net schlecht.. im Vergleich.
 
Strafen für "Kriegsdienstverweigerer":
Spatendienst und jede Aufstiegschance verkackt (DDR)..
Diejenigen, die zur Spatentruppe gingen waren keine Kriegsdienstverweigerer. Sie lehnten lediglich aus ,meist religiösen Gründen den Dienst mit der Waffe ab. Als Spatensoldaten wären sie aber im Krieg eingesetzt worden und zählten als militärische Einheit. Kriegsdienstverweigerer gingen in der DDR für min. 2 Jahre ins Gefängnis und waren damit vorbestraft. Meist gingen Zeugen Jehovas ins Gefängnis da sie jede Form von Kriegsdienst ablehnten. Für dieses konsequente Handeln habe ich sie immer etwas bewundert.
Hier ist der Gelöbnistext für Bausoldaten:
"Ich gelobe: Der Deutschen Demokratischen Republik, meinem Vaterland, allzeit treu zu dienen und meine Kraft für die Erhöhung ihrer Verteidigungsbereitschaft einzusetzen.
Ich gelobe: Als Angehöriger der Baueinheiten durch gute Arbeitsleistungen aktiv dazu beizutragen, daß die Nationale Volksarmee an der Seite der Sowjetarmee und der Armeen der mit uns verbündeten sozialistischen Länder den sozialistischen Staat gegen alle Feinde verteidigen und den Sieg erringen kann.
Ich gelobe: Ehrlich, tapfer, diszipliniert und wachsam zu sein, den Vorgesetzten unbedingten Gehorsam zu leisten, ihre Befehle mit aller Entschlossenheit zu erfüllen und die militärischen und staatlichen Geheimnisse immer streng zu wahren.
Ich gelobe: Gewissenhaft die zur Erfüllung meiner Aufgaben erforderlichen Kenntnisse zu erwerben, die gesetzlichen und militärischen Bestimmungen zu erfüllen und überall die Ehre unserer Republik und meiner Einheit zu wahren."
 
Zuletzt bearbeitet:
Das hat schon was, dass die Sowjetunion namentlich in diesem Gelöbnistext erwähnt ist. Es war schon ein erstaunliches staatliches Selbstverständnis, dass nicht einmal so tat, als ob es aus freier und widerruflicher Entscheidung mit anderen Staaten kooperierte.
 
Wobei, de jure, ein großer Unterschied besteht zwischen einem Wehrdienstverweigerer und einem Deserteur. Der Wehrdienstverweigerer hat keinen Eid geleistet. Als Soldat hat man heute einen Eid auf den Staat und die Verfassung zu leisten, im 3. Reich auf den Führer. Davor wurde der Eid ebenfalls auf das Staatsoberhaupt geleistet. Das geschieht während des Gelöbnisses.
Das macht es auch schwerer zu desertieren, da man damit einen feierlichen Eid bricht. Stichwort Psychologie.

Apvar
 
Diejenigen, die zur Spatentruppe gingen waren keine Kriegsdienstverweigerer. Sie lehnten lediglich aus ,meist religiösen Gründen den Dienst mit der Waffe ab. Als Spatensoldaten wären sie aber im Krieg eingesetzt worden und zählten als militärische Einheit. Kriegsdienstverweigerer gingen in der DDR für min. 2 Jahre ins Gefängnis und waren damit vorbestraft. Meist gingen Zeugen Jehovas ins Gefängnis da sie jede Form von Kriegsdienst ablehnten. Für dieses konsequente Handeln habe ich sie immer etwas bewundert.

Zeugen Jehovas, damals noch landläufig als Bibelforscher bekannt waren auch im Nationalsozialismus unter den ersten, die wegen Kriegsdienstverweigerung hingerichtet wurden. Der erste Fall war August Dickmann, der 2 Wochen nach Beginn des Überfalls auf Polen im KZ Sachsenhausen öffentlich erschossen wurde, während andere Zeugen Jehovas (u.a. seine beiden Brüder) in der ersten Reihe stehen mussten. Es folgten noch etwa 260 Hinrichtungen aus diesem Grund im Lauf des Krieges.
 
Zur Gefangennahme von Alfred Andersch ist ein interessanter Artikel in FAZ erschienen:

War Alfred Andersch doch kein Deserteur?

Die Umstände seiner Gefangennahme liegen in zwei autobiographischen Werken vor: im früheren Werk gibt er an, eher zufällig gefangen genommen worden zu sein. Im späteren beschreibt er die Gefangennahme als bewußten Akt der Desertion.

Angesichts der Umstände der Verfassung der beiden Werke gibt es gute Gründe für beide - sich gegenseitig ausschließende - Varianten (oder liegt "die" Wahrheit irgendwo zwischen beiden Versionen?).

Interessant sind aber auch die Motivlagen und die Restriktionen der möglichen Deserteure damals, aber auch ihre Bewertung in der Nachkriegszeit in verschiedenen Kontexten (Gefangenlager und Stigmatisierung in der Nachkriegsgesellschaft).
 
Mein Vater ist im April 1945 abgehauen. Von 1941-45 war er Soldat an der Ostfront (Schütze schweres Schwenk-MG) und wurde 3x verwundet. Nachdem er über die Ostsee rauskam, wollte man ihn nach seiner Genesung wieder an die Front schicken - und damit wahrscheinlich in den sicheren Tod.

Viele sind damals abgehauen, als alles zusammenbrach und jeder Widerstand sinnlos geworden war - und das kann man niemanden als Feigheit vorwerfen.
 
Niemandem kann man "Feigheit" vorwerfen, der vor dem sicheren und sinnlosen Tod desertiert. Natürlich tun das Armeen trotzdem. Man will ja nicht, dass der einzelne Soldat beginnt zu erwägen, was er von Befehlen hält. Aber zumindest im Nachhinein lässt sich dieser Unterschied ja mitunter ganz gut feststellen.

Eine andere Frage ist es, ob es gerade solange es noch einen Unterschied für das mögliche Kriegsergebnis machte, moralischer gehandelt hat, wenn man desertierte. Das ist eine Frage des Standpunkts, sowohl was politische Ausrichtungen betrifft, also auch die grundsätzliche Einstellung zu einer Armee mit Befehl und Gehorsam. Ich würde das niemandem nachträglich abverlangen wollen, auch wenn nach meiner Überzeugung das damalige Regime objektiv dringend abschaffungsbedürftig war. Wie gesagt, diese Frage stellt sich nicht, wenn wir von einer in Auflösung begriffenen längst besiegten Armee sprechen mit einer Führung die Gehorsam bis in den sicheren und sinnlosen Tod verlangt, um sich dann auch noch selbst zu erschießen.
 
Eine Armee, die Auflösungserscheinungen toleriert, kann nicht bestehen. Daher muss eine Armee, das liegt in der Logik solcher Systeme, Strafen bereit halten, die schlimmstmöglich sind, so dass der Schrecken der Strafe mit den Schrecken des Krieges wenigstens annähernd konkurrieren kann.
 
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