Studienzeiten im 16. bis frühen 19.Jh.

Brissotin

Aktives Mitglied
Gibt es irgendwo im Netz Statistiken ab wann man durchschnittlich studiert hatte und mit welchem Alter man damals das Studium abschloss?

Mir sind schon mehrfach Akademiker vorgekommen, die mit 18 ihr Studium aufnahmen und dann mit 19 oder 20 bereits Magister waren. Je nachdem promovierten sie später auch noch.
Casanova wurde bereits mit 17 Doktor beider Rechte.
August Friedrich Ferdinand Kotzebue begann auch schon recht früh, nämlich mit 16, mit seinem Studium und schloss es mit etwa 19 ab.

Wie ist das einzuordnen? Waren das Überflieger, die schon mit 17 oder 18 ausstudiert hatten oder war das eher die Regel?
Doktorarbeiten von damals sind ja heute teilweise auf den Homepages der Universitäten, wo die teilweise berühmt gewordenen ehemaligen Studenten gelernt hatten, heute bisweilen schon digitalisiert. :yes: Man muss sich dann eben i.d.R. durch lateinische Texte quälen, wenn man die Leistungen einschätzen möchte.
 
Das Studium war früher wesentlich freier als heute (wobei ich nicht einmal die bachelorisierten Studiengänge meine), es studierten aber auch viel weniger Leute, weshalb das Studium viel weniger formalisiert war. Die Promotion mit 23 war nichts außergewöhnliches (das ist heute faktisch fast unmöglich, es sei denn, man hätte mehrere Schuljahre übersprungen). Ich habe noch keine so alte Promotionsarbeit gelesen, jedoch meinte ein befreundeter Archivar erst vor kurzem zu mir, dass die Promotionsarbeiten des 19. Jahrhunderts vom Umfang eher unseren Proseminarsarbeiten glichen. Auf der anderen Seite muss man aber auch festhalten, dass die Bildungsbürger früher altsprachlich viel mehr drauf hatten, als wir, was bei den meisten Wissenschaften eigentlich egal ist, aber in den historischen Wissenschaften ein echtes Manko.
Den Universalgelehrten kann es heute allerdings nicht mehr geben, unser Wissen ist viel zu umfangreich.
 
Promotionsakten der Jahre 1850-1920 habe ich mal erschlossen, und zwar aus medizinischen und philosophischen Fakultäten (wobei in letzterer damals sämtliche Promotionen der Geistes- und Naturwissenschaften zu finden waren).
Erfahrung von dieser Universität:
Zuerst mal kann man tatsächlich sagen, das eine Promotion wesentlich schneller beendet war. Grundsätzlich bestanden sie damals schon aus Dissertation und Disputation. Die Dissertation war viel dünner als heute; schmale Bändchen von 15-20 Seiten waren häufig. Auch die naturwissenschaftlichen Dissertationen waren bis Ende des 19. Jahrhunderts eher deskriptiv, die heutige Art der empirisch-logischen Beweisführung setzte sich erst langsam durch. Eine hohe Hürde war aber sicherlich, dass Promotionen etwa bis 1900 durchgehend auf Latein abzufassen waren. Etwa ein Jahr nach Vorlage der Dissertation meldete sich der Promovent zur Disputation. Anders als heute, hielt er sich kaum zur Promotion an seiner Heimatuniversität auf. Die Professoren bewerteten streng. Es fielen zwar wenige durch, doch gab es kaum einmal die Bestnote.
 
Ich hingegen habe mich noch nicht mit dem 19.Jh. beschäftigt. Mit frühem 19. Jh. meine ich die Zeit bis etwa 1820.

Wenn ich mir die kurze Studienzeit von damals anschaue, dann müssen die Studenten oftmals vor dem Studium schon umfangreiche Kenntnisse, vor allem in Latein, besessen haben.

Ich bin bis jetzt vor allem auf die Karrieren von Juristen gestoßen, manchmal auch Theologen.

J.W. Goethe reichte 1771 seine Dissertation "De legislatoribus" ein. Da war er 22. Bereits 1765 hatte er, also mit 16, sein Jurastudium in Leipzig aufgenommen.
Ich habe nicht den Eindruck, dass er ein eben junger "Erstsemester" war. Vielmehr scheint er mir durch seine Erkrankung, erst verzögert seine Dissertation eingereicht zu haben.
Ich weiß nicht, ob er nochmal an der selben Universität mit einer Doktorarbeit hätte antreten können, jedenfalls verzichtete er auf den "Dr." sondern begnügte sich mit einem Lizenziat. (Wie in einem anderen Thread betont, wurde er auch ohne Berechtigung dennoch "Doktor Goethe" genannt.) Es mag sein, dass er sich des andauernden Studierens entledigen wollte und daher das evtl. leichtere Lizenziat vorzog; möglicherweise wünschten auch seine Eltern, dass er endlich wieder nach Frankfurt zurückkam und seine Juristenlaufbahn begann.

Johann Caspar Goethe, Vater von Johann Wolfgang Goethe, wurde erst recht spät Doktor mit 29.

Johann Balthasar Beyschlag (später Kirchenliederdichter) schrieb sich mit 16 an der Universität Wittenberg ein und wurde mit 18 1689 Magister.

Einer der jüngsten Studenten, die mir bis jetzt vorgekommen sind, war Carl Gerd von Ketelhodt, der schon mit 15 sein Studium in Jena aufnahm. Mit 20 war er Doktor. Später brachte er es zum leitenden Minister und Kanzler in Rudolstadt (Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt).


Zu den Kenntnissen:
Zumindest in den Reichsstädten vermittelten nicht selten die Gymnasien oder Lateinschulen offenbar umfangreiche Kenntnisse in Latein. In der letzten Klasse des Gymnasiums in Schwäbisch Hall wurde im 18.Jh. bereits der universitäre Diskurs geschult.
Vielleicht wurden ja doch die Studenten vorab recht gut auch auf das Studium vorbereitet.

Notwendigkeit des frühen Studienabschlusses?
Hm, ich hatte schonmal an die Lebenserwartung von damals gedacht.

Wenn ich mir die Biographien vieler Beamten anschaue, so gingen sie mit Anfang 20 in Staatsdienste, spätestens mit Mitte 20. Anders war es möglicherweise auch kaum möglich, dann genügend aufzusteigen, um dann später den Vater im Amt als Ratsherr z.B. zu "beerben".
Mit um die 27 wie Goethe bereits im Consilium eines Herzogs zu sitzen, war dennoch sicherlich keine alltägliche Karriere und z.T. bestimmt seiner Beziehung zum Herzog zu verdanken.

Wie kann man sich die Studenten vorstellen?
Eigentlich erklärt das jugendliche Alter der damaligen Studenten auch die gefürchtete Rauflust. Man muss sich mal vorstellen, dass hier 16-jährige Degen trugen! Kein Wunder, dass es schon im 18.Jh. an verschiedenen Universitäten untersagt wurde. Wenn ich mir vorstelle, dass man heutigen 16-jährigen bei der Schulhofkeilerei einen Degen noch an die Seite hängen würde... :nono:
 
Hallo :)

die Studenten waren bis ins frühe 19 Jahrhundert generell jünger als heute. 15 oder 16 war ein normales Alter um sein Studium zu beginnen.

Der Grund? Ganz einfach: Zulassungsvoraussetzungen waren ja nur ausreichende Lateinkenntnisse und eine ausreichend gefüllte Brieftasche.

Die Fähigkeit Lateinisch nicht nur zu verstehen, sondern auch zu reden, erwarb ein durchschnittlich begabter junger Mann nach 6 oder 7 Jahren Unterricht an einer Lateinschule oder durch einen Hauslehrer.

Das manche Studenten dann doch wieder erheblich älter waren lag an Zulassungsvoraussetzung Nr. 2. Wer kein Geld hatte, mußte sich sein Studium verdienen und das Ansparen oder nebenbei arbeiten (etwa als Hauslehrer, Nachhilfelehrer oder pädagogischer Begleiter eines reicheren Studenten) kostete Zeit.

(Und dann gab es natürlich noch die, die von Haus soviel Geld hatten, dass sie es sich leisten konnten gaaaanz gemütlich vor sich hin zu studieren. So wie Goethe Senior.)
 
Hallo :)

die Studenten waren bis ins frühe 19 Jahrhundert generell jünger als heute. 15 oder 16 war ein normales Alter um sein Studium zu beginnen.

Der Grund? Ganz einfach: Zulassungsvoraussetzungen waren ja nur ausreichende Lateinkenntnisse und eine ausreichend gefüllte Brieftasche.

Die Fähigkeit Lateinisch nicht nur zu verstehen, sondern auch zu reden, erwarb ein durchschnittlich begabter junger Mann nach 6 oder 7 Jahren Unterricht an einer Lateinschule oder durch einen Hauslehrer.

Das manche Studenten dann doch wieder erheblich älter waren lag an Zulassungsvoraussetzung Nr. 2. Wer kein Geld hatte, mußte sich sein Studium verdienen und das Ansparen oder nebenbei arbeiten (etwa als Hauslehrer, Nachhilfelehrer oder pädagogischer Begleiter eines reicheren Studenten) kostete Zeit.

(Und dann gab es natürlich noch die, die von Haus soviel Geld hatten, dass sie es sich leisten konnten gaaaanz gemütlich vor sich hin zu studieren. So wie Goethe Senior.)

Und Stipendien, meist vergeben durch die Landesherren, wären auch noch anzuführen. So wurden zum Beispiel im 16. Jahrhundert einige nordhessische Städte verpflichtet, Pfründe für Stipendiaten der Universität Marburg und durften im Gegenzug Kandidaten in Vorschlag bringen. Die meisten Plätze waren für Studenten der Theologie vorgesehen, so dass damit wohl auch der Pfarrernachwuchs in Hessen-Kassel gesichert werden sollte.
Diese Einrichtung lebt bis heute fort:
Geschichte Stipendiatenanstalt - Philipps-Universität Marburg - Collegium Philippinum

Zu den berühmtesten neuzeitlichen Stipendiaten gehörten freilich die seit 1817 vom Herzogtum Nassau unterstützten "Nassauer" in Göttingen,
Nassauer ? Wikipedia
Allerdings freilich eher in der Form, dass der Begriff sich zum Synonym für Schnorrer entwickelte.
 
Der Grund? Ganz einfach: Zulassungsvoraussetzungen waren ja nur ausreichende Lateinkenntnisse und eine ausreichend gefüllte Brieftasche.

Die Fähigkeit Lateinisch nicht nur zu verstehen, sondern auch zu reden, erwarb ein durchschnittlich begabter junger Mann nach 6 oder 7 Jahren Unterricht an einer Lateinschule oder durch einen Hauslehrer.
Es geht wohl auch darum, was man damals mit einem Studium erreichen wollte. Was sollte man mit unnötigen Zugangsvorraussetzungen, mit Kenntnissen in Themengebieten wie Chemie oder Geographie oder auch Sprachen, die damals nicht im realen Leben benötigt wurden (die Fachliteratur für Juristen und Philosophen etc. war sowieso auf Latein oder Griechisch bzw. dann im 18.Jh. auch schon auf Deutsch, wobei Kenntnisse der wichtigen lebenden Sprachen wie Französisch oder Italienisch auch erwartet wurden (keine Übersetzungen dazu))? Ich habe den Eindruck, dass die Vorraussetzungen also zum einen auf die Anforderungen im Universitätsbetrieb und zum anderen auf diejenigen der späteren Laufbahn ausgerichtet waren. Kann man deswegen davon sprechen, dass eher Fachidioten erzeugt wurden?

Leider kenne ich nur die Anforderungen an Hofmeister (Hauslehrer), wie sie im Krünitz stehen. Daraus geht aber nicht hervor, ob neben der Vermittlung der Grundkenntnisse (in Mathematik, Sprachen, Geschichte usw.) auch schon gezielt eine Fähigkeit zum Diskurs gefördert wurde. Wenn der Hofmeister nur einen Zögling hatte, dürfte sich das aber doch wahrscheinlich schon von vornherein eingestellt haben. Außerdem waren die Hofmeister wahrscheinlich an den Diskurs gewöhnt, bzw. er war ihnen noch geläufig, da ja ihre eigene Studienzeit nicht weit zurück lag.

War damals das Studium eher "verschult" oder eher auf Anregung zum eigenen Denken ausgerichtet? :grübel:
Frontalunterricht kann man ja auch mit jüngeren Schülern machen, während eine wirkungsvolle Diskussion eher mit "erwachsenen", gereifteren möglich ist - meine Erfahrung.
 
Zu den Kenntnissen:
Zumindest in den Reichsstädten vermittelten nicht selten die Gymnasien oder Lateinschulen offenbar umfangreiche Kenntnisse in Latein. In der letzten Klasse des Gymnasiums in Schwäbisch Hall wurde im 18.Jh. bereits der universitäre Diskurs geschult.
Vielleicht wurden ja doch die Studenten vorab recht gut auch auf das Studium vorbereitet.
Ich bin jetzt mal zufälligerweise mit ein paar weiteren Biographien in Berührung gekommen und was mir da aufgefallen war, ist, dass die Gymnasien zwar insbesondere in der Prima durchaus auf das Studium vorbereiteten, aber andererseits auch dazu führten, dass später mit dem Studium begonnen wurde. Ich habe jetzt schon einige Biographien gelesen, wo die Gymnasiasten dann eben "erst" mit 19-21 auf die Universität kamen (also praktisch wie heute). Studenten, die also von Hofmeistern erzogen wurden und vorab nicht auf das Gymnasium kamen, konnten also weitaus früher an der Universität eingeschrieben werden.
Nun wäre natürlich interessant wie der Wert eines solchen Privatunterrichts einzustufen ist.
Die Hofmeister waren nach meiner Erfahrung in der Regel frisch gebackene Akademiker oder aber Studienabbrecher. Welche pädagogischen Fähigkeiten sind da wohl zu erwarten? Vielleicht spielte das auch keine so große Rolle, weil auf die Befähigung zum Lehren m.E. bis auf die Kompetenz im eigenen Bereich ohnehin nicht so sehr Wert gelegt wurde.
 
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