Südtiroloffensive 1916

Xeda

Neues Mitglied
Hallo,

also es geht um folgendes :

Warum beharrte von Hötzendorff auf dieser Offensive? Sie schien ja nicht...notwendig gewesen zu sein, Zitat Wiki :
Anstatt diesen Frontabschnitt zu verstärken und die Italiener unter sehr hohen Verlusten weiter dagegen anrennen zu lassen, glaubte man, diese Gefahr durch einen Gegenangriff bannen zu müssen.
Ich mein Hötzendorff war doch kein Vollidiot, und konnte die strategische Lage richtig beurteilen. (Oder irre ich mich da?Jedenfalls war er Generalstabschef, und solch eine Position würde ich keinem ohne Kenntnisse der Materie anvertrauen)
Vorallem da Deutschland ja keine Unterstützung geben wollte (konnte?), und Ö-U schon seit der Winterschlacht in den Karpathen nicht mehr zu großen eigenständigen Tätigkeiten fähig war, scheint mir diese "Selbstmord"offensive einfach nur unglaublich.

Ein Erfolg dieser Operation hätte Italien, das zu diesem Zeitpunkt nicht mit alliierter Hilfe in nennenswertem Umfang rechnen konnte und das allein nicht in der Lage gewesen wäre, diese Verluste auszugleichen, neutralisiert
Also nach der 12. Isonzoschlacht (etwas später, ja...) konnte die Entente Italien recht schnell unterstützen, woher kam diese Einschätzung im ö-u Generalstab?

Hoffe ihr könnt da ein wenig Licht in die Sache bringen, für mich ist diese Offensive bisher einfach sinnlos und ohne Erfolgsaussichten.
 
Conrad von Hötzendorf baute diese Offensive auf Vorkriegsplanungen auf. Die "Idee" des Angriffs aus Südtirol stammt mindestens aus 1908/09, und der Druck für eine solche Aktion erhöhte sich bereits im Sommer 1915.

Die Planungen sahen vor, dass deutsche Truppen den Angriff verstärkten. Dieses Vorhaben war zur Jahreswende 1915/16 quasi erledigt. Gleichwohl hielt man an der Überzeugung fest, dieses sei die operativ wirksamste Richtung (Flankenempfindlichkeit). Auch wurde an einen zweiarmigen Stoß gedacht, also mit gleichzeitig mächtigem Druck an der Isonzofront.

Zugleich wurden die italienischen Verstärkungen für 1916 befürchtet, denen man zuvorkommen wollte. Das Scheitern wird auch den hintereinander folgenden Marschstaffeln der beiden Armeen zugeschrieben, also quasi Fehler im Aufmarsch. Dann verzögerte sich der Angriff, der urspünglich für den 10.4.1916 angesetzt war, und die italienischen Bereitstellungen verbesserten sich. Der Abbruch schließlich hat auch mit den Entwicklungen an der Ostfront zu tun.

Der Befehl zum Durchziehen der Operation scheint tatsächlich eine persönliche Angelegenheit von Conrad von Hötzendorf zu sein.

Vgl. Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914-1918, Band 4, dort S. 162 ff und 349 ff.

Das deutsche Reichsarchiv, Bd. 10, S. 573 ff. bestätigt die Differenzen über due Durchführung der Offensive (Diskussionen und Schriftwechsel) seit Dez1915). Ö-U sah sich außerstande, Kräfte an andere Schauplätze zu entsenden, solange Italien sich am Krieg beteiligte. Von daher kann man wohl einen strategischen "Zwang" unterstellen, der ergänzt wurde um die Vorkriegsplanungen, nach denen ein Vorstoß aus Südtirol in den Rücken große Erfolgsaussichten haben könne, um die italienische Isonzofront zum Rückzug zu zwingen bzw. durch Stoß in den Rücken zum Einsturz zu bringen.

Als Gründe für den Fehlschlag werden ua angegeben:
- italienische Vorbereitungen aufgrund der großen Verzögerungen (Verstärkungen, Artillerie)
- zu geringe Angriffsbreite, da nur wenige Täler im Angriffsstreifen zur Verfügung der 11. Armee (bzw. der in Tiefe gestaffelten Verbände) standen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aus Conrads Perspektive war es logisch, das nach dem Sieg gegen Serbien und Montenegro der nächste Gegner, hier das abgrundtief gehasste Italien, bezwungen werden musste/solte. Man versuchte auch den deutschen Partner hierfür zu gewinnen, aber Falkenhayn hing ja schon seinen grauenhaften Planungen von "der Blutpumpe" Verdun nach. Deshalb wurde das Anliegen Conrads kurzerhand abgeschmettert. Die Deutschen betrachteten den Krieg Österreich-Ungarns gegen Italien als Privatkrieg, ja sie betrieben sogar noch Handel mit Italien. Das ist schon einigermaßen unglaublich.

Die Ressentiments in der Donaumonarchie gegenüber den deutschen Verbündeten wurden durch das deutsch Nein noch weiter befördert.

Die Österreicher waren aber dann entschlossen, dann die Offensive eben auch ohne das Deutsche Reich durchzuführen und dafür wurde alles zusammengekratzt und sträflicherweise, da man die Russen nicht mehr für offensivfähig hielt, auch die Ostfront entblößt.

Am 15.Mai 1916 brach die Offensive los. der Thronfolger Karl hat, die möglicherweise fatalerweise Weisung erlassen, das die eigenen Verluste strikt zu begrenzen sein und das er bei Nichbeachtung zu entsprechenden Maßnahmen greifen würde. Die Offensive verlief zunächst sehr gut und die Italiener wurden zurückgedrängt und verloren diverse Täler und Höhenzüge. Sie waren nicht in der Lage, trotz eiigst herbeigeführter Reserven, eine neue Linie zu bilden, da es nicht gelang sich festzusetzten. Auf der Seite der k.u.k. Streitkräfte stockte der Angriff hier und dort, einmal wegen des Befehls des Thronfolgers und zum anderen, es dauerte eben die schweren Geschütze nachzuziehen. Auch der Nachschub an Muntion für die Geschütze stockte. Es wäre das Gebot der Stunde gewesen, überall wo sich die Chance bot, die zurückweichenden Italiener zu verfolgen, doch es wurde nur zögerlich nachgeückt. So ging einiges an wertvoller Zeit verloren. So gelang es den Italiern mit Hilfe ihres dichten Eisenbahnnetzes Truppe in erheblichen Umfang an die Front zu werfen.

Als dann am 04.juni 1916 die Brussiliow Offensive begann, war das Thema der Strafexpedtion gegen Italien erledigt.

Wenn es den k.u.k. Armeen gelungen wäre, die 250.000 Italiener einzuschließen, hätte das durchaus Rückwirkungen auf die Ententemächte haben können. Conrads sein Ansatz war m.E. nach vielversprechender, als der Wahnsinn den Falkenhayn in Gang brachte.
 
Als subjektives Zeitdokument habe ich einen Zeitungsartikel der "Corriere della Sera" vom 20.05.1916 gefunden, den ich mal abtippe:

"Es war in der Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag, vom 13. auf den 14. Mai, als unsere Vorposten im Terragnolotal drei Schatten unter den Drahthindernissen vorsichtig hindurchkriechen und unsere Gräben sich nähern sahen. Gespannt standen die Vorposten im Anschlag. Aber die Schatten kamen nicht näher, bis plötzlich sechs Arme mit der charakteristischen Gebärde der Übergabe sich erhoben. Es waren drei österreichische Überläufer slawischer Nationalität, die es müde waren, zu kämpfen und zu leiden, und die von uns aufgenommen werden wollten.
Man unterzog sie einem Verhör, und sie erzählten, der Angriff gegen die Italiener sei auf den folgenden Tag angesetzt. Zuerst werde es eine Beschießung geben, und zwar von Tagesanbruch bis um 6 Uhr abends. Dann werde die Infanterie zum Angriff übergehen.
Dieser Bericht war genau. In der Nacht vom 14. zum 15. Mai fing die k.u.k Artillerie von Rovereto bis Borgo im Suganer Tal zu donnern an. Ein überaus heftiges und unausgesetztes Bombardement war es. Die Österreicher hatten alle Gipfel und Täler mit Kanonen gespickt.
Seit zwei Monaten waren ununterbrochen Truppen und Material durch die Eisenbahn nach dem unteren Trentino bis nach Station Calliano oberhalb Rovereto herangeschafft worden. Diese Vorbereitungen zeigten jetzt ihre Früchte. Die Beschießung setzte auf einen Schlag mit größter Heftigkeit ein. Österreichische Flugzeuge kreisten hoch über unseren Stellungen und mit den radiographischen Apparaten, die sie an Bord hatten, gaben sie das Ergebnis der Schüsse weiter.

In der Nacht zum Montag, dem 15. Mai, war die Beschießung am heftigsten im Lagarinatal, in der Gegend des Col Santo und auf der Hochebene von Vielgereuth. Ein Hagel von Geschossen jedlichen Kalibers. Unsere vorgeschobenen Gräben wurden wie unter Hammerschlägen zerschmettert. Aber, o Wunder, die Soldaten hielten stand. Obwohl ihre Stellungen keine Gräben mehr waren, verließen sie ihre Posten doch nicht. Unsere Linie glich einer Hölle.
In den ersten Nachmittagsstunden, nach dieser ungeheuren artilleristischen Vorbereitung, schreitet die österreichische Infanterie zum Angriff. Dicht gedrängt geht sie in Massen vor. Die Angreifer entwickeln sich gleichzeitig von der Etsch bis zum Suganer Tal, ihnen voraus eine einzige Feuersäule; die Beschießung hat ihren höchsten Grad erreicht. Am Ausläufer der Zugna Torta, der oberhalb Rovetero nahe der Etsch endet, rücken gewaltige Heeressäulen der Österreicher vor, um unsere Linien aufzurollen. Die Besatzungen an den Abhängen und längs des kurzen Bachlaufes ist nur schwach. Aber sie hält bis zum Einbruch der Nacht tapfer stand. Drei-, viermal greifen die Österreicher an, werden ebenso oft zurückgeschlagen. Die Maschinengewehre mähen die Massen nieder und in den Drahtverhauen bleiben die Leichen hängen.
Inzwischen hat das unausgesetzte Bombardement die Gräben unserer ersten Linie erschüttert. Und nun stürzen sich die Österreicher auf unsere schwachen Fronten im Terragnolotal, auf die zerstörten Gräben der Alpini, die sich an den schroffen Abhängen der Berge gleichsam angeklammert hatten, während die oberen Grate und Spitzen von den Österreichern besetzt sind.
Auf dem Schnee entwickelt sich die Schlacht. Kein Graben mehr, aber die Alpini, obgleich von dem zwölfstündigen Feuerregen betäubt, verteidigen sich noch immer, verteidigen sich erbittert. Es sind die Vorposten gegen das Terragnolotal, es sind Alpini, und die wollen nicht nachgeben. Sie stürmen gegen die Angreifer an, werfen sie in schrecklichen Gegenangriffen mit dem Bajonett dreimal zurück, zerfleischen die österreichischen Linien.
Aber die Österreicher sind zahlreich. In immer neuen Schwärmen kommen sie heran und umzingeln die kleine Besatzung, die diesem Angriff nicht gewachsen ist. Von den weiter hinten liegenden Linien kann keine Hilfe kommen, da die ganze Front angegriffen wird. Ein letzter Stoß wird versucht, um sich zu befreien. Vorwärts, Alpini, mit äußerster Anstrengung! Nur wenige sind von den Alpini übriggeblieben. Aber diese wenigen stürzen sich mit dem Bajonett auf die Soldaten des Kaisers, drängen sie noch einmal den Hang hinunter, und diesen Augenblick benutzen unsere Leute, um sich von der Alp Nulegna nach Soglio d'Aspio zurückzuziehen.
Auf dem ganzen Vorsprung bei Nulegna und Soglio d'Aspio, auf erobertem Boden, in einer Höhe von 1900 Metern, herrscht eine einzige Phalanx von Feuer. Die gegnerischen Gräben sind nicht mehr als einen halben Kilometer voneinander entfernt. Seit zehn Stunden überschüttet die österreichische Artillerie unsere Stellung mit Explosivgeschossen. Dann, während die Österreicher erneut den Befehl zum Angriff erhalten, feuert ihre eigene Artillerie unausgesetzt auf den ganzen Raum, und so werden ihre Truppen gleichzeitig von vorn und von rückwärts erfaßt und grausam zugerichtet.
Doch die Österreicher quellen an allen Orten hervor, die Berge, die Täler sind voll von ihnen. Sie stauen sich vor der Bergkette an der alten Grenze, die die Straße in das hohe Astachtal sperrt. Jeder Übergang wird hartnäckig verteidigt, aber die Österreicher opfern ganze Bataillone, um sich den Durchbruch zu erzwingen. In Knäuln geballt, rollen die Leichen ins Tal hinab. Aber die Reserven rücken vor, werden unausgesetzt verstärkt und ständig vorgetrieben. Über dem Lärm des Kampfes schrillen befehlend die Trillerpfeifen der Offiziere. Endlich senkt sich friedlos die Nacht auf die zerschmetterte Alpenwelt nieder"
 
Ein herzliches Dankeschön für diesen Hinweis.

Gern geschehen :winke:

@rurik: Danke für den Hinweis auf die propagandistische Darstellung der Schlacht. Gemessen an den Ereignissen sind diese Heroisierungen, wie sie neben Italien auch im DR und ÖU etc. abliefen, kaum erträglich.
 
@rurik: Danke für den Hinweis auf die propagandistische Darstellung der Schlacht. Gemessen an den Ereignissen sind diese Heroisierungen, wie sie neben Italien auch im DR und ÖU etc. abliefen, kaum erträglich.

Das stimmt, besonders, wenn man sich vor Augen hælt, dass es fuer jedermann zugænglich in der Zeitung stand.
Gab es æhnliches auch bei den Entente-Mæchten?

Gab es eigentlich etwas æhnliches wie die "Wochenschauen" im WW2, bei denen die Bevølkerung -propagandistisch oder nicht- regelmæssig auf dem Laufenden gehalten wurde? Kinos gab's wohl noch nicht in dem Umfang? Oder nur per Zeitung? Von wem wurden dann diese Berichte verfasst? OHL, Kriegsberichterstatter, oder wie?
Wie wurde die Heimat informiert?

Gruss, muheijo
 
Ist zwar OT, aber: gab es so etwas zur Marneschlacht nebst Rückzug?

MW wurde das in den Zeitungen totgeschwiegen.
 
Conrad sagte geradezu prophetisch voraus, " Im Sinne des gemeinsamen Bündniskrieges wäre es für das Kriegsjahr 1916 gegebener gewesen, die Entscheidung gegenüber dem schwächsten Gegner in Italien, anstatt gegen den stärksten in Frankreich zu suchen." (1)

Das Deutsche Reich verfügte eigentlich über die von Conrad erbetenen Reserven. Aber Falkenhayn hatte die wahnwitzige Idee von der Blutmühe Verdun. Falkenhayn hat ja gegenüber Conrad auch durchaus eingeräumt, das die Offensive, durchaus berechtigt, gute Erfolgsaussichten hätte. Trotzdem lehnte Falkenhayn ab.

Ich weiß, das ist jetzt spekulativ, aber wenn also die 9 erbetenen deutsche Divisionen teilgenommen hätten, dann wäre wohl wahrscheinlich ein Durchbruch gelungen und die Alliierten hätten einiges ihrer Reserven aufbieten müssen um die Italiener zu halten bzw. eine neue Widerstandslinie zu errichten.

Und so hätten die Franzosen eine zweite Front und dann wäre ganz vielleicht der Weg für Friedensgespräche frei gewesen.....





(1) Kriegsarchiv: AOK Op.Ktn.520, AOK Op.Nr.18 181/1
 
Conrad sagte geradezu prophetisch voraus, " Im Sinne des gemeinsamen Bündniskrieges wäre es für das Kriegsjahr 1916 gegebener gewesen, die Entscheidung gegenüber dem schwächsten Gegner in Italien, anstatt gegen den stärksten in Frankreich zu suchen." (1)

Das Deutsche Reich verfügte eigentlich über die von Conrad erbetenen Reserven. Aber Falkenhayn hatte die wahnwitzige Idee von der Blutmühe Verdun. Falkenhayn hat ja gegenüber Conrad auch durchaus eingeräumt, das die Offensive, durchaus berechtigt, gute Erfolgsaussichten hätte. Trotzdem lehnte Falkenhayn ab.

Ich weiß, das ist jetzt spekulativ, aber wenn also die 9 erbetenen deutsche Divisionen teilgenommen hätten, dann wäre wohl wahrscheinlich ein Durchbruch gelungen und die Alliierten hätten einiges ihrer Reserven aufbieten müssen um die Italiener zu halten bzw. eine neue Widerstandslinie zu errichten.

Und so hätten die Franzosen eine zweite Front und dann wäre ganz vielleicht der Weg für Friedensgespräche frei gewesen.....





(1) Kriegsarchiv: AOK Op.Ktn.520, AOK Op.Nr.18 181/1

Italien war der schwächste Gegner, und Italien schien zumindest auch ein Feindbild zu sein, das auch von den slawischen Völkern der Monarchie akzeptiert wurde. Bei Brussilows Offensive stießen die Russen vor Luczk bei einigen Einheiten kaum auf Widerstand, Soldaten liefen über oder verschwanden in den Wäldern. Brussilows Erfolg war weder bei den Österreichern, noch den Russen erwartet worden, zeitweise schien es, als ob die Ostfront zusammenbricht. Die Front musste im Süden bis auf die Karpatenpässe zurückgenommen werden,

Die gemeinsame Offensive 1917 bei Caporetto/ Karfreit führte zu einem Durchbruch, beim Angriff war in großem Stil Giftgas angewendet worden, eine Kombination aus Phosgengas (Grünkreuz) und dem Maskenbrecher Clark (Blaukreuz). Dem hatten die Italiener kaum etwas entgegenzusetzen. Erst am Piave, konnten sich die Italiener wieder fangen und eine zusammenhängende Front bilden.
 
Ja! Wenn 1916 die Deutschen die Offensive massiv personell und materiell unterstützt hätten, dann wäre da wahrscheinlich einiges anders gelaufen. Da war wohl auch möglicherweise ein Stück Arroganz gegenüber dem Bündnispartner im Spiel, das man den Partner mit der weitaus besseren Idee nicht unterstützen wollte.
Vielleicht hätte man Italien so aus dem Krieg nehmen können. Aber Falkenhayn wollte lieber seine extrem menschenverachtende "Blutmühle" von Verdun anwerfen. Falkenhayn zu Verdun wörtlich: „Der Entschluß die Festung Verdun in beschleunigten Verfahren fortzufahren, beruht auf der erprobten Wirkung der schwersten Artillerie […] Wer im Besitz der Cotes auf dem Ostufer der Maas ist, indem er die auf ihnen gelegenen Befestigungen erobert hat, ist im Besitz der Festung.“
Und hier liegt auch schon sein katastrophaler Fehler. Es hätten beiden Seiten, das Ost- und Westufer der Maas angegriffen und erobert werden müssen.
 
Zuletzt bearbeitet:
^^
War bei Falkenhayn nicht ein Hauptproblem, dass man stets von viel zu hohen französischen Verlusten ausgegangen war?
 
Falkenhayn ging von zu geringen französischen Reserven aus und meinte es bedürfe nur einer letzten großen Kraftanstrengung. Für Frankreich sollten die Verluste gemäß Falkenhayn so hoch sein, das die Schmerzgrenze überschritten würde.
Bei der Chefbesprechung am 11.02.1916 stießen Falkenhayns Ausführungen überwiegend auf eine kritische Aufnahme. Hauptkritikpunkt war, vollkommen zu Recht, das eben nur an einem Maasufer und dann auch noch mit beschränkten Kräften angegriffen werden sollte. Auch Falkenhayns Hoffnung auf einen überhasteten Gegenangriff der Engländer hielt man für spekulativ. Fazit: Falkenhayn wisse gar nicht so genau was er wolle und mach mit geringen Kräften nur halbe Sachen.
 
Pardon vorab. ich kann nichts dafür, dass ich gleich mal wieder einen Faden mit unangebrachtem Festungskrempel zumülle, das ist ein Reflex, kann ich nichts dagegen tun, und der Reflex wird hier durch dieses Stichwort
in beschleunigten Verfahren
ausgelöst.
Das beschleunigte Verfahren, auch "beschleunigter Angriff" genannt, ist quasi ein alter Hut, schon vor der Brisanzkrise tauchte es auf und sorgte mancherorts für respektzollende Gegenmaßnahmen: z.B. 1886 wurde in Warschau der innere Festungsring (sic! prominente Exempel sind Fort Mokotow und Fort Bema inklusive verbindendem Grabensystem) gebaut, als Gegenmaßnahme falls ein beschleunigter Angriff eine Lücke im paar Jahre älteren äußeren Festungsring bewirken sollte.

Um das nachvollziehbar zu machen ein im ersten Moment kurios-skurriler Blick in die Deutschtümelei von Felix Dahn, den historischen Roman "Kampf um Rom" aus dem Jahr 1876 (an dieser Stelle kann man den Festungsfreak nun für endgültig verrückt halten, denn Dahns Gotenschmöker kann nichts mit der Militärhistorie des Ersten Weltkriegs zu tun haben) Das Jahr 1876 befindet sich noch gegen Ende in einer rasanten Militärkontroverse*) : einerseits hatte das "Festungssterben" infolge der Artillerie, welche die veralteten französischen Festungen 1870/71 zerniert hatte, begonnen, andererseits orientierte sich der Festungsbau neu (weniger, dafür umso größere und stärkere Festungen)
Klassisch sozusagen war, eine Festung bei einer Belagerung komplett zu umschließen, sich ihr dann peu a peu zu nähern und den Hauptwall zu breschieren: genau das versuchen die Witichis Goten mit der riesigen Festung Rom. Da deren Umfang aber gewaltig war, musste sich der Hauptangriff auf einzelne Abschnitte zentrieren und Scheinangriffe sollten davon ablenken - der Verteidiger Cethegus in der Stadt hat den Vorteil des besseren Überblicks (Beobachtungsposten) und der ausgebauten und kürzeren Kommunikationslinien (klar: innerhalb des Festungsgürtels sind die Wege kürzer als außerhalb und gar außen ganz drumherum) und dank Spionage/Verrat weiß er immer, wo was geplant ist, sodass er seine Truppen optimal gegen den jeweiligen Angriff zusammenscharen kann - - - die unterstrichenen Wörter markieren das, was in Dahns Erzählen militärisch zeitgenössisch ist! Der beschleunigte Angriff verbirgt sich im Hauptangriff, Truppen- & Artilleriebewegungen in der immens umfangreichen Festung, Beobachtung, Spionagekatastrophen (vgl. Koblenz) - das Arsenal der Festungskriegüberlegungen vor 1885 (Brisanzkrise)
An anderer Stelle rät General Narses seinem Kaiser (Justinian), bevor er die Goten angreift, möge er im Südosten gegen die Perser "einen siebenfachen Gürtel von Festungen" bauen - die sieben ist übertrieben, aber ein Gürtel von Festungen ist inspiriert a) von den Fortgürteln und Fortlinien der 70er Jahre und b) die beginnenden Planungen des "eisernen Riegels" Barrière de fer
Held Belisar wie auch Götterliebling Totila sind immer für eine stramme Hurra-Attacke zu haben, als wären sie die Personifizierung des beschleunigten Angriffs - Cethegus und Narses sind weniger heldenhaft, perfektionieren Truppenverlagerungen, Strategien und defensive Konzepte (und weil sie keine Lichtgestalten sind, präferieren sie diplomatische Ränke, Verrat und Spionage), als wären sie die Personifizierung des Geniecorps (Festungsbauer)
Zuletzt sei zu Dahns Militärvokabular noch erwähnt, dass allerorts von Schanzen und Forts anstelle von Castellen etc die Rede ist - der Roman ist voll von um 1875 aktuellem Militärvokabular!

Kurzum: der beschleunigte Angriff als Konzept ist dem immens gewachsenen Umfang großer zentraler (bzw Kommunikationsknoten sperrender) Festungen geschuldet**), entspricht psychologisch der Haudrauf-Mentalität schneidiger Offiziere, wie es sie nicht nur bei den Preussen gab (schon bei Kleist kann man über diesen Typus lesen), und überschätzt typisch für ab 1871 die Durchschlagskraft von Artillerie mit nachfolgendem Infanterieangriff auf feste Plätze.

Ab 1885 erhielt diese Anschauung zunächst erneut Auftrieb: die Brisanzmunition/Brisanzgranaten inklusive weiter gesteigerter Reichweite der Artillerie! Erneut setzte Festungssterben ein, diesmal gravierender. Gegen die neuartige Sprengmunition erwies sich jedes bisherige Mauerwerk (Ziegel- oder Steingewölbe unter Erdschicht) als zu schwach, d.h. jede noch so große/umfangreiche Festung aus Erddeckung und Mauerwerk konnte in Kürze zerstört werden bzw. sturmreif geschossen werden - der beschleunigte Angriff mit Brisanzmunition hatte die Oberhand, scheinbar. Die Militäringenieure verwendeten als neuen Baustoff Stahlbeton, die Festungsartillerie wurde beschussfest Genacht (Panzerung - Panzerforts, Panzerbatterien) und die Festungen/Festungsbereiche wurden noch größer/umfangreicher und tiefer gestaffelt; Artillerie und Infanterie wurden getrennt und zugleich beweglicher gemacht (die nicht stationäre (Panzertürme) Festungsartillerie wurde je nach Lage schnell disloziert, konnte via Straßen- oder Bahnnetz umgruppiert werden (Festungsbahnen vgl. Köln, Metz, Mainz) - - hier folgt nach 1890 eine sonderbare Widersprüchlichkeit: einerseits hielt man Festungen für unzeitgemäß und nutzlos, andererseits baute man einige extrem teure, starke, moderne (s.o.) und setzte viel auf diese, z.B. Metz, Mainz, Kiel in D, Verdun, Toul in F, Modlin, Brest, Wladiwostok in R, Przemysl, Pola in Ö usw usw

Der Schlieffenplan setzte auf die monströse Festung Metz als Angelpunkt und auf Mainz als Rückversicherung, auch einem Falkenhayn war klar, dass eine monströse Anlage wie Metz nicht per "Handstreich" (beschleunigtem Angriff) geknackt werden konnte***) - hinzu kommt die Erfahrung von Port Arthur: dort ging nicht mit beschleunigten Angriffen!! Die Festungsbaustelle musste 1905 monatelang unter immensen Verlusten belagert werden, die neuartige Konzeption mit MG-Nestern, gesplitteten Befestigungsanlagen erwies sich als sehr aufhaltsam. Das Militär nach 1905 wusste sehr wohl, dass riesige Befestigunsgruppen (a la Metz) mit beweglicher Artillerie, Vorfeld- & Zwischenraumverteidigung, kilometertief gestaffelten Stellungssystemen, bombensicherer gepanzerter weitreichender Artillerie etc etc (was so alles zu Festungen gehörte) sich nicht auf die Schnelle platt machen ließen. Verdun war nur teilweise so modern und stark ausgebaut wie Metz, aber da Verdun als Teil der Front nicht umschlossen werden konnte und permanent aus dem Hinterlang versorgt war, erfolgte der irrwitzige Plan, dort per beschleunigtem Angriff mittels massivem Artillerieeinsatz die feste Stellung zu knacken, wider besseres Wissen!

(ein beschleunigter Angriff kann nur Erfolg haben, wenn:
a) die stärksten Artilleriestellungen (Panzerforts, Panzerbatterien) und Hindernisse (Grabensysteme, Traditoren etc) des angegriffenen Abschnitts zerniert werden können, wozu man
b) wissen muss, wo sich diese befinden (entweder durch Verrat/Spionage oder durch Beobachtung ("Luftaufklärung" etc)
c) die Belagerungsartillerie selber eine feste und nicht rasch auszuspähende Position einnimmt
zu a) und b) sei erwähnt, dass ein zu durchbrechender Abschnitt mehrere Kilometer tief (!) und nicht nur breit gestaffelt ist, über viel bewegliche aber auch getarnte Artillerie verfügt und a priori so günstig wie möglich an das Gelände angepasst ist, also ohnehin Vorteile gegenüber dem Angriff hat.
Es war schon nicht einfach, im "Grabenkrieg" eine Front zu durchbrechen - die tief gestaffelten, eingegrabenen Stellungen im Grabenkrieg waren ziemlich haltbar: im mehrere Kilometer tief gestaffelten Festungsbereich muss man sich optimal ins Gelände eingebrachte, betonverstärkte, getarnte Stellungen a la Schützengrabensysteme vorstellen, also ungleich haltbarer und umfangreicher als bei den Grabenkriegfronten, dazu massive Stahlbetonstellungen (Batterien, Forts, Zwischenwerke/Ouvrages usw)

es war militärisch Irrsinn vor Verdun, Irrsinn aus Überheblichkeit.
_________
*) die Bundesfestungen (Polygonalsystem nach Montalembert) wie Köln, Ulm, Mainz, Koblenz, Ingolstadt usw konnten sich nach den Erfahrungen von 70/71 nicht mehr auf ihre Polygonalenciente mit nah gelegenen einzelnen Forts verlassen, die Reichweite und Durchschlagkraft der Artillerie machte es nötig, durch weiter vorgeschobene Forts und Zwischenwerke die Artillerie des Angreifers vom Stadt- oder Festungskern fern zu halten - die Ära der Gürtelfestungen mit polygonaler Enceinte und älterem innerem Fortgürtel und weit ausgelagerten Biehler Forts als äußerem Gürtel hatte begonnen.
**) nur noch an solchen wurden gigantische Festungsanlagen modernisiert - da aber eine Umfassung/Abschnürung nur unter immensem Aufwand machbar war (das liegt am riesigen Umfang: z.B. der jüngste Festungsring um Mainz befindet sich heute noch außerhalb der Großstadt) stellte das Konzept "konzentrierte Brisanzartillerie als Einleitung des beschleunigten Angriffs" quasi die Angriffsideologie dar, im Vertrauen auf die artilleristische Ausrüstung und Logistik...
***) nicht einmal eine kleine moderne Anlage in günstigem Gelände wie Osowiecz konnte erobert werden
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Deutsche Reich verfügte eigentlich über die von Conrad erbetenen Reserven. Aber Falkenhayn hatte die wahnwitzige Idee von der Blutmühe Verdun
Warum der Begriff "Blutmühle" ?

Schlacht um Verdun – Wikipedia
Im Gegensatz zu nachträglichen Darstellungen des Generalstabschefs des deutschen Heeres, Erich von Falkenhayn,[3] war die ursprüngliche Absicht des Angriffs nicht, ohne räumliche Ziele die französische Armee „ausbluten“ zu lassen.
...
Ein groß angelegter Angriff auf beiden Seiten des Flusses wurde von Falkenhayn ausgeschlossen. Dieser augenscheinlich widersinnige Entschluss, der die überlegene Stellung der Deutschen auf beiden Seiten des Flusses nicht berücksichtigte, wurde sowohl von Kronprinz Wilhelm als auch von Konstantin Schmidt von Knobelsdorf, Chef des Stabes der 5. Armee und eigentlicher Entscheidungsträger, scharf kritisiert. Trotzdem wurden keine Modifikationen an „Chi 45“ vorgenommen.

Falkenhayn ging von zu geringen französischen Reserven aus und meinte es bedürfe nur einer letzten großen Kraftanstrengung. Für Frankreich sollten die Verluste gemäß Falkenhayn so hoch sein, das die Schmerzgrenze überschritten würde.
Bei der Chefbesprechung am 11.02.1916 stießen Falkenhayns Ausführungen überwiegend auf eine kritische Aufnahme. Hauptkritikpunkt war, vollkommen zu Recht, das eben nur an einem Maasufer und dann auch noch mit beschränkten Kräften angegriffen werden sollte
Gibt es eine Quelle ?
Da würde ja wieder für die Absicht des Ausblutens sprechen. Warum sonst , gegen Lehrbuchweisheit, Angriff nur von einer Seite ? Leider müsste man unbeweisbar spekulieren: So etwas Ungeheuerlieches wollte er nicht aussprechen.
 
es war militärisch Irrsinn vor Verdun, Irrsinn aus Überheblichkeit
Die Somme-Offensive war für die Angreifer noch verheerender .
Hätte Frankreich ohne die "Heilige Straße" Verdun auch erfolgreich verteidigen können ?
Wären sie auf die Eisenbahn angewiesen gewesen dann hätte Artilleriebeschuss den Nachschub effektiver behindern können als bei einer Straße.
 
Zurück
Oben