Tacitus verstehen: die „Christus“-Stelle

Doch. Ich glaube an das Gute (und Interessierte im Menschen), an die Neugier und den Wissensdurst. Zu überprüfen, was einem irgendwein Heinz erzählt (zumal, wenn der so komisch und etwas nach Hotel-Mama aussieht wie der Detering).

Weltanschauungen und ideologische Überzeugungen spielen keine Rolle, man (oder Frau) will WISSEN und liest nach. Möglichst vielfältig.

Meinst Du, ich sehe das zu naiv? Sei ehrlich!:devil:


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Aber, btw: vielleicht hat er mit dem Tacitus recht.
Der scheint tatsächlich noch mehr gefälscht zu haben:

Das Tacitus-Komplott.
 
Im Gegensatz zu Voltaire, dessen historische Werke über das Zeitalter Ludwig XIV. und den Großen Nordischen Krieg auch heute noch überaus lesenswert sind, ist Detering nicht einmal ansatzweise wissenschaftlich zitierfähig. Bemerkenswert ist eigentlich nur wie tiefgläubig und voller Hingabe manche seiner Leser an seinen Lippen hängen.
 
Die Nichtexistenzthese wird damit begründet, dass einige zeitgenössische Autoren (*Philon von Alexandria, *Justus von Tiberias und andere) Jesus nicht erwähnten und alle antiken Jesusnotizen gefälscht, später eingefügt oder von Christen übernommen worden seien.

Und das ist - aus den Augen eines Geschichtswissenschaftlers, der weiß, was man in den Quellen erwarten kann - schon ziemlich naiv. Wir wissen über viele viele Personen, die aus zeitgenössisch-antiker Sicht weitaus wichtiger waren, als der Anführer einer sektiererischen jüdischen Gruppierung, die durch Galiläa und angrenzende Regionen zog, ähnlich wenig, wie über Jesus. Nur käme da niemand auf die Idee, ihre Historizität anzuzweifeln, da ihre Existenz ja nicht ihren kleingläubigen Atheismus bedroht (wohlbemerkt: ich bezeichne nicht den Atheismus als kleingläubig, sondern diejenigen Atheisten, die offenbar einer historischen Nichtexistenz Christi, Muhammads o.a. benötigen, um ihren Atheismus zu rechtfertigen).

Dass die meisten nichtchristlichen Autoren des 1. und frühen 2. Jahrhunderts Jesus nicht, einige nur beiläufig erwähnten, belegt für die Vertreter dieser These Jesu Nichtexistenz.
Warum hätten sie ihn denn überhaupt erwähnen sollen?
Beispiel: Was wissen wir über Pontius Pilatus? So gut wie nichts. Dabei war er ein politisches Schwergwicht. Aber wir verfügen lediglich über zwie Inschriften zu ihm und dem biblischen Bericht. Was wissen wir über Varus? So gut wie nichts! Was wissen wir über Boudicca? So gut wie nichts! Außer bei Tacitus wird sie nirgends erwähnt.
Im Prinzip drehen sich die historiographischen Quellen alle mehr oder weniger um die römischen Kaiser und ihre engere Entourage. Darüber hinaus erfahren wir kaum etwas.

Kommen wir zu den einzelnen erwähnten Historiographen:
Philon von Alexandria: schrieb über die Situation der Juden in Ägypten, hauptsächlich in Alexandria.
Justus von Tiberias: Seine Werke sind nicht erhalten, über ihren Inhalt wenig bekannt. Sein Sujet scheint jedenfalls der jüdische Aufstand 66 ff. gewesen zu sein.


Vertreter der Jesus-Mythos-These bestreiten jegliches Wissen des Paulus vom historischen Jesus. Seine Briefe hätten mehr von Jesu Leben darstellen müssen, wenn er existiert hätte.
Warum hätten sie das? Seine Briefe richteten sich an Leute, die bereits Christen waren. Es handelte sich in erster Linie um
- Vermittlung in Streitfällen
- Tadel in Fällen unchristlichen Verhaltens
- Ratschläge
etc.
Im Übrigen finden sich darin sehr wohl Bezüge auf Jesus.


Jesusworte darin stammten nicht aus historischer Erinnerung oder seien nicht auf historische Vorgänge bezogen. Die synoptische Jesustradition sei insgesamt erst Jahrzehnte danach entstanden.
Das ist unstrittig. Die echten paulinischen Briefe müssen etwa um 40 ff. entstanden sein, die synoptischen Evangelien entstanden erst, als klar wurde, dass das Ende der Welt wohl doch nicht so nah war, wie einige der frühen Christen noch geglaubt haben mögen und die Generation derer, die Jesus kannten, langsam ausstarb. Da sie Anspielungen auf die Zerstörung Jerusalems durch die Römer beinhalten, könnnen wir die synoptische Tradition etwa auf 70 datieren.

Vertreter der Jesus-Mythos-These deuten das urchristliche „Heilsdrama“ von Menschwerdung, Kreuzigung und Auferstehung Jesu als angeblich verbreitetes Muster älterer paganer Mythen, das Urchristen aus hellenistischen Mysterienkulten übernommen hätten.
Ja, das ist superpraktisch, denn über die Mysterienkulte wissen wir ziemlich wenig (eben weil es Mysterienkulte waren!). Über den prominentesten, den Mithraskult, wissen wir, das Mithras ein Lichtgott war, der aus einem Stein geboren wurde und das Mithras den Stier tötete. Und wir wissen, dass der Mithraskult unter Soldaten recht prominent war. In der Archäologie werden Mithräen u.a. dadurch identifiziert, dass es sich meist um in die Erde eingtiefte Kultbauten handelt, in denen man bestimmte Knochen vom Stier findet, aber auch sehr viele Hühnerknochen. Offenbar wurde bei Gelagen nach der Opferung des Stieres hauptsächlich Hühnchen verzehrt. Warum, ist unbekannt.

Jeder kann von mir aus das glauben, was er will. Was mir als Historiker gegen den Strich geht, ist dass die Geschichte und pseudohistorische Argumentationen herangezogen werden, um die eigene Weltanschauung zu be- oder widerlegen.
 
@ silesia: Vielleicht bin ich heute nur zu negativ.

Aber die Christenstelle bei Tacitus als Fälschung ist schon absurd.
 
Aber die Christenstelle bei Tacitus als Fälschung ist schon absurd.

Wieso aber? Sicher ist das absurd.

Ebenso wird das in der Geschichtswissenschaft gesehen, was man mit 3 Klicks googeln kann.

Die spannende Frage war, ob Laci - anscheinend äußerst engagiert in dieser Frage - irgend etwas geprüft/überprüft und quergelesen hat.
 
Photius wirft - aus der Sicht des christlichen Patriarchen des 9. Jhdts. vielleicht sinnvoll, aus Historikersicht schon eher ziemlich anachronistisch - Justus vor, dass er in seiner Geschichte der Könige der Juden Jesus nicht erwähnt hat. (Ὡς δὲ τὰ Ἰουδαίων νοσῶν, Ἰουδαῖος καὶ αὐτὸς ὑπάρχων γένος, τῆς Χριστοῦ παρουσίας καὶ τῶν περὶ αὐτὸν τελεσθέντων καὶ τῶν ὑπ' αὐτοῦ τερατουργηθέντων οὐδὲν ὅλως μνήμην ἐποιήσατο.)
 
Doch zu Tacitus, hier ging es wohl darum der Peinlichkeit abzuhelfen, einer Person welche angeblich solchen Aufruhr im Palästina dieser Zeit verursacht haben soll, aber keine wie immer geartete Erwähnung in der Geschichtsschreibung dieser Zeit gefunden hat, zu einer pseudo historischen Existenz zu verhelfen
Wir können gar nicht wissen, ob Jesus keine Erwähnung in der Geschichtsschreibung seiner Zeit gefunden hat, da fast alle in seiner Zeit entstandenen Geschichtswerke, die Zeitgeschichte behandelten, verloren sind. Teilweise erhalten ist lediglich die Kurzdarstellung der römischen Geschichte von Velleius Paterculus, deren zeitgeschichtlicher Teil sich aber im Wesentlichen auf die Verherrlichung von Tiberius und die Schilderung von selbst Miterlebtem konzentrierte.
Ich gehe aber durchaus auch davon aus, dass Jesus in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung keine Erwähnung gefunden haben wird, was allerdings daran liegt, dass sich die römischen Historiker üblicherweise kaum für Vorgänge in der Provinz interessierten, sofern es sich nicht um bewaffnete Aufstände oder äußere Invasionen handelte. Jesu Leben und Tod fällt aber eher unter das, was in heutigen Zeitungen als "Chronik" firmiert, und da beschränkten sich die römischen Historiker primär auf aufsehenerregende Ereignisse und Skandale in der Stadt Rom und der römischen Oberschicht. Jesus und seine Bewegung in der fernen Provinz waren schlicht zu friedfertig, um für römische Leser (und für sie schrieben römische Historiker, nicht für Historiker und Jesus-Bezweifler späterer Jahrtausende) interessant zu sein. Interessant wurden sie erst, als sie in der Stadt Rom selbst eine Rolle zu spielen begannen.
 
Doch zu Tacitus, hier ging es wohl darum der Peinlichkeit abzuhelfen, einer Person welche angeblich solchen Aufruhr im Palästina dieser Zeit verursacht haben soll, aber keine wie immer geartete Erwähnung in der Geschichtsschreibung dieser Zeit gefunden hat, zu einer pseudo historischen Existenz zu verhelfen

Das ist aber nur eine Beobachtung von dir. Jesus war ein Sektenführer von denen es sicher hunderte in Palästina und anderswo im Reich gab. Warum soll er auf einmal so wichtig sein. Um das Jahr 30 konnte kein Mensch ahnen, dass das Christentum die Religion des Römischen Reichs wird. Hätte das jemand geahnt wären alle Historiker nach Palästina gepilgert.
 
Eben: es gab die Judäische Volksfront, die Volksfront von Judäa, die populäre Front und noch ein paar Dutzend andere ; da fiel so ein leicht kurioser Wanderprediger nicht allzusehr aus dem Rahmen.
 
Matze wahrscheinlich ja. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass das Besondere an Jesus nicht seine Botschaft, noch sein wirken ist, sondern der Fakt das seine Gruppe seinen eigenen Tod überlebt hat.
 
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