Überfall auf Polen 1939

Und hier der Vollständigkeit halber der Ablauf vom 29.8.-31.8.1939

29.8.1939
Henderson (brit. Botschafter) wurde um 19.15 von Hitler zum Gespräch empfangen. Hitler übergab ihm die Antwort auf eine Note der britischen Regierung und legte eine unnachgiebigere Haltung als am Vortag vor. Forderungen: Rückkehr von Danzig und dem Korridor in Revision des Versailler Vertrages, Sicherung der deutschen Volksgruppen in Polen. Die deutsche Regierung stimme skeptisch den vorgeschlagenen Gesprächen zu, könne sich aber im Fall der Neugestaltung der territorialen Verhältnisse in Polen nicht ohne Konsultation der SU an Garantien beteiligen. Man habe nicht die Absicht, lebenswichtige Interessen Polens anzugreifen oder einen unabhängigen polnischen Staat in Frage zu stellen. Ein bevollmächtigter polnischer Unterhändler müsse am 30.8. in Berlin eintreffen. Für Deutschland akzeptable Vorschläge sollen ausgearbeitet und noch dem Eintreffen der britischen Regierung zur Verfügung gestellt werden.
Henderson kritisiert die Note als Ultimatum. Hitler begründet dieses mit der Gefährlichkeit der Situation und gibt die deutsche Mobilmachung zu. Beim Weggang passiert Henderson das mit hohen Offizieren gefüllte Vorzimmer (das sollte wohl die Gefährlichkeit der Lage herausstellen). Umgehend kontaktiert Henderson die Botschafter Coulondre (frz.) und Lipski (poln.) und unterstreicht die Dringlichkeit.

Am späten Abend trifft der Sondergesandte Dahlerus, informiert über das Treffen Hitler-Henderson, auf Göring. Göring kam gerade von Hitler und hatte bereits den Text der deutschen Note bei sich. Göring beschimpft die polnische Seite und erklärt sie als wahnsinnig, ohne jede militärische Chance. Schließlich erläutert er das Angebot Hitlers mit den Hauptpunkten: Abtretung Danzigs, Volksabstimmung für den Korridor und ein Wegerecht für den in der Abstimmung Unterlegenen. Die von der Volksabstimmung betroffenen Gebiete zeichnet er frei in eine Karte ein, Linie bis Danzig und Lodz, rd. 80 km ostwärts Posen. Dahlerus bricht nach London auf.

30.8.1939
Um 1.00 richtet der frz. Außenminister Bonnet ein Rundschreiben an seine Botschafter und schlägt die Zurückziehung der deutschen und polnischen Truppen zwecks Entspannung von der Grenze vor. GB bestätigt die deutsche Antwort und stellt eine britische Antwort für den Nachmittag in Aussicht.

Bereits frühmorgens fliegt Dahlerus nach London, und trifft dort um 10.30 mit der Führung zusammen. Die britische Regierung lehnt die direkten dt.-poln. Verhandlungen nach Hitlers Forderung in Berlin ab. Dahlerus telefoniert in Gegenwart der Führungsspitze mit Göring aus dem Foreign Office, dieser lehnt das Gespräch ab, welches sich nur an einem Ort ergeben könne, wo sich der Reichskanzler Hitler aufhalte.

Mittags erhält Bonnet die deutschen Vorschläge von GB übermittelt.
Abends fliegt Dahlerus wieder nach Berlin. Ebenfalls abends hatte Henderson neue Instruktionen aus London erhalten. London lehnt das vorgeschlagene Verfahren mit einem polnischen Unterhändler (z. B. Beck) in Berlin ab und schlägt vor, dass Berlin den polnischen Botschafter im normalen diplomatischen Vorgehen einberuft, der die deutschen Vorschläge auf dem normalen diplomatischen Weg nach Warschau übermitteln soll.
Das Gespräch Henderson-Ribbentrop wird für 23.30 anberaumt und von der deutschen Seite auf Mitternacht verschoben.

31.8.1939
In geladener Athmospähre trifft Henderson auf Ribbentrop, das Gespräch führt fast zu Handgreiflichkeiten. Schon während des Vortrags der britischen Antwortnote unterbricht Ribbentrop durch wütende und herausfordernde Zwischenrufe. GB schlägt für die abzugebenden deutsche Garantie eine deutsche Abstimmung mit der SU vor. Die Art der Fühlungnahme müsse zwischen Dt. und Polen selbst vereinbart werden, während der Verhandlungen sollen keine aggressiven Handlungen stattfinden, Danzig solle einen Zwischenstatus erhalten.
Danach zieht Ribbentrop die schriftliche Antwortnote Hitlers aus der Tasche und liest es Henderson vor. Es handele sich um das großzügige Angebot an Polen, eine Aushändigung des Schriftstückes wird verweigert. Danach wirft er es mit der Bemerkung auf den Tisch, die Frist sei abgelaufen, ohne dass sich ein polnischer Unterhändler gemeldet habe. Hernderson wirft ein, dass es sich demnach vorgestern doch um ein Ultimatum Hitlers gehandelt habe. Ribbentrop laut ADAP: „…, dass 1. die britische Vermittlung bisher nur ein klares Ergebnis gezeigt hätte, nämlich die polnische Generalmobilmachung. 2. Man habe deutscherseits mit dem Erscheinen eines polnischen Vertreters am heutigen Tage gerechnet. Es sei dies nicht, …, ein Ultimatum gewesen, sondern, wie der Führer bereits am Vortag auseinandergesetzt habe, es sei ein von den Zeitumständen diktierter praktischer Vorschlag gewesen. Bis Mitternacht habe man von deutscher Seite nichts von den Polen gehört. Die Frage eines eventuellen Vorschlags sei daher nicht länger aktuell. Um aber zu zeigen, was Detuschland vorzuschlagen beabsichtigt hatte, wenn der ponische Vertreter gekommen wäre, verlas der RAM die in der Anlage beigefügten deutschen Vorschläge. … Zum Schluß schlug Henderson vor, der RAM möge den polnischen Botschafter herbeirufen und ihm die Vorschläge übergeben. Der RAM lehnte dieses Verfahren für seine Person ab und beendete die Unterredung, indem er dem Führer sämtliche Entscheidungen vorbehielt.“

Aufgrund des Vorlesens erfasst Henderson 6-7 der 16 Punkte Hitlers. Nach der Rückkehr in die Botschaft schickt er ein Telegramm nach London, und berichtet von der katastrophal verlaufenen Besprechung. Die 16 Punkte Hitlers werden darin nicht genannt.
Um 2.00 informiert Henderson Lipski und erwähnt die Hauptpunkte der Forderungen Hitlers mit der Bemerkung, diese seien im Ganzen nicht allzu unbillig.

Kurz nach Mitternacht 0.30 trifft Dahlerus erneut in einem Zug mit Göring zusammen. Göring liest ihm nunmehr die ausgearbeiteten Vorschläge Hitlers vor. Diese stimmten mit dem Vortag überein, allerdings ist nunmehr das Gebiet der Volksabstimmung kleiner (Graudens, Kulm, Bromberg, Schönlanke). Mit Görings Erlaubnis telefoniert Dahlerus die Note nach London, so dass London die 16 Punkte Hitlers nunmehr am frühen Morgen übermittelt bekommen hat. London informiert erneut Henderson, dieser informiert Lipski. Bonnet setzt in Warschau Beck unter Druck, der die offizielle polnische Antwort für den 31.8. mittags verspricht.

Um 10.00 trifft Dahlerus in der britischen Botschaft in Berlin ein und überbringt die 16 Punkte. Dort wird beschlossen, dass Dahlerus nunmehr mit Lipski sprechen solle. Dieses geschieht gegen Mittag. Um 12.40 schickt Beck eine Depesche an Lipski ab, die polnische Regierung prüfe die britischen Vorschläge, die Antwort darauf werden in wenigen Stunden eintreffen. Obwohl ohne Verhandlungsvollmacht, sucht Lipski sofort ein Gespräch bei Ribbentrop nach. Lispki wird erst um 18.30 von Ribbentrop empfangen. Ribbentrop fragt ihn, ob die polnische Regierung über die deutschen Vorschläge unterrichtet sei. Lipski antwortet, er habe nur indirekte Nachrichten erhalten. Er verliest die Note seiner Regierung, wonach diese eine direkte deutsch-polnische Aussprache, wie sie von England angeregt worden sei, in Erwägung ziehe. Auf Ribbentrops Nachfrage erklärt Lipski, dass er zu Verhandlungen nicht bevollmächtigt sei.Ribbentrop entgegnet, da Lipski keine Vollmachten habe, mache eine weitere Unterhaltung keinen Sinn. Die wenige Minuten dauernde Unterhaltung war damit beendet.

Inzwischen hatten sich Göring, Henderson und Dahlerus gegen 17.00 getroffen. Die zweistündige Unterhaltung wurde ziellos geführt. Göring gab an, dass der Text der deutschen Vorschläge abends im Rundfunk gesandt werden würden, damit wolle die deutsche Regierung ihre Redlichkeit unter Beweis stellen. Henderson interpretiert dieses dahin, dass keine Hoffnung mehr besteht. Um 21.15 sucht er Staatssekretär Weizsäcker auf, ähnliche Mitteilung ergeht an den frz. und US-Botschafter. Weizsäcker händigt die soeben über den Rundfunk verbreiteten 16-Punkte Hitlers an Hernderson aus. Dieser fragt, warum er sie noch bekomme. Gleiches widerfährt Coulondre.

1.9.1939

Dem polnischen Botschafter werden die Vorschläge abends übergeben.

Zu dem entscheidenden nächtlichen Gespräch Henderson-Ribbentrop notieren:
Halder, Tagebuch vom 29.8.1939, Fahrplan: 30.8. Polen in Berlin, 31.8. Zerplatzen, 1.9. Gewaltanwendung.
Halder, Tagebuch vom 30.8.1939, Befehle Brauchitisch: „Vorbereitungen so treffen, dass am 1.9. um 4.30 angegriffen werden kann. Falls Verhandlungen in London Verschiebung (!) nötig machen, dann Verschiebung auf den 2.9. Dann morgens Mitteilung an uns … Führer: entweder 1. oder 2., nach 2. nicht mehr.“
Meißner, Hassel, Bodenschatz sprechen von dem politischen Manöver am 30.8./31.8.1939
Dolmetscher Schmidt erkennt in der Unterredung Ribbentrop-Henderson „plötzlich das Spiel, das hier von Hitler und Ribbentrop getrieben wurde.“ Es geht ihm auf, dass „dieser großzügige Vorschlag nur zum Schein erfolgt war und in Wirklichkeit gar nicht zur Ausführung gelangen sollte. Hitler gibt ihm gegenüber später zu, dass er sich mit dem Angebot ein Alibi schaffen wollte. Nach Meissner äußert Hitler am 31.8. abends, er sei „heilfroh, dass die Polen sein Angebot nicht angenommen haben.“.

Quellen: ADAP, Hofer (Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges), VfZ-Sonderheft (Sommer 1939 – Die Großmächte und der europäische Krieg), Lamb (Der verfehlte Frieden), Halder (Kriegstagebuch)



EDIT:
Information Hendersons an das Foreign Office, Eingang 31.8.1939 um 9.30 in London bei Halifax:
"Herr von Ribbentrop's reply was to produce a lengthy document which he read out in German aloud at top speed. Imagining that he would eventually hand it to me I did not attempt to follow too closely the sixteen or more articles which it contained. Though I cannot therefore guarantee accuracy the main points were: restoration of Danzig to Germany; southern boundary of Corridor to be line Marienwerder, Graudenz, Bromberg, Schönlanke; plebiscite to be held in the Corridor on basis of population on 1st January, 1919, absolute majority to decide; international commission of British, French, Italian and Russian members to police the Corridor and guarantee reciprocal communications with Danzig and Gdynia pending result of the plebiscite; Gydnia to be reserved to Poland; Danzig to be purely commercial city and demilitarised."

Die britischen diplomatischen Vorgänge laut Blaubuch:
http://www.yale.edu/lawweb/avalon/wwii/bluebook/blbkmenu.htm
 
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Noch etwas Material: Tagebuchaufzeichnungen Wagner, Generalquartiermeister im OKH:

22.8.39: Heute die entscheidende Besprechung auf dem Obersalzberg, daher noch nichts zu sagen. ... Russenpakt beeindruckt alles stark. Völlige Umkehrung der außenpolitischen Lage möglich.
23.8.39: Natürlich bin ich zu früh dran, hätte heute genau so gut fahren können, da sich durch den russischen Abschluß alles etwas verschoben hat. Dass es gestartet wird, ist wohl außer Zweifel ... Der russische Vertrag ist natürlich eine ganz große Sache, wie sich die engländer und Franzosen stellen, bleibt abzuwarten, kurz und gut, es ist nach wie vor ein sehr hohes Spiel. Unterdessen rollen die Würfel weiter, sie sind, wie ich eben von Warlimont (Wehrmachtsführungsstab) erfahren habe, bereits gefallen.
24.8.39. Gegen Mittag höre ich von Warlimont, daß die Entscheidung gefallen ist: y - 26. August. ... Der Tanz wird früh genug beginnen. 9 Uhr spricht Halder sämtliche Generalstabsoffiziere. Vom Ernst getragen, Möglichkeit des Zweifrontenkrieges, Führer glaubt nicht daran. Polnische Frage wird mit der Waffe gelöst werden, Ziel die Vernichtung Polens.
25.8.39: Die gestrigen Abendmeldungen (England) lassen kaum mehr einen Zweifel daran, dass die Westmächte mitmachen. Dies ist wohl auch Ansicht von General Halder. ... 15.25 Uhr: von 1. Abteilung Stichwort Fall Weiß. y-Tag 26.August 4.30 Uhr. ... 19.30 Uhr Jodl gibt durch: Freimachung sofort einstellen, infolge veränderter politischer Lage. ... Man kann vorerst nur von einem Entschluß- und Befehlschaos sprechen, solange man Einzelheiten nicht übersieht. Halder tobt!
26.8.39: Völlige Umkehrung der Lage. England hat Polenvertrag ratifiziert. Mussolini hat abgelehnt, bei einem Westfall mitzuwirken. Völliger Umfall! Frage wird nicht mehr mit Waffengewalt gelöst.
27.8.39: 9.00 Uhr bei Halder. Generaloberst von Brauchitsch gesprochen. Es ist noch alles offen. Die Verhandlungen mit England laufen, es besteht etwas Aussicht, daß doch noch angegriffen werden kann. Früherster Tag: ... nächster Donnerstag. ... Unsere Propaganda ist ja zur Zeit wieder unübertrefflich schlecht, keine Aufklärung des Volkes in richtiger Form ... Bloß diese blödsinnige Tanzmusik, keine oder nur ungenügende politische Nachrichten. Dabei ist die allgemeine Mobilmachung in vollem Gang, Millionen werden einberufen.
28.8.39: Vor allem glaube ich nicht an ein Einlenken Englands. Chamberlain ist gehärtet worden, er gibt nicht nach wie bei der tschechischen Frage und hat die Franzosen im Schlepptau. ... Es ist immer schwer, fast aussichtslos, unter den Augen aufmarschierender Heere verhandeln zu wollen. ... Heute ist die Lage ähnlich: 3 mal hat unser politisches und militärisches Angriffsverfahren gesiegt (Österreich, Sudetenland, Tschechei), heute hat der Feind die Parade gefunden. Die demokratischen Völker werden autoritär regiert, man scheut sich nicht mehr vor Mobilmachungsmaßnahmen und hat sich bessere Nerven angeschafft. ... 17.00 Uhr bei Genrqal Halder: Nach eben eingegangener Meldung ist der 7. X-Tag (1. September 1939) zum Antreten vorgesehen.
 
15.8.1939 Seekriegsleitung Kriegstagebuch Teil I, S. 4 zu den gesamten durchzuführenden Maßnahmen für Fall Weiß. Danach sollen am 19.8.1939 insgesamt 14 U-Boote in den Atlantik auslaufen, daneben zwei Panzerschiffe am 21.8 und 25.8.1939.

Kleine Ergänzung zur Kriegsvorbereitung:
Nach Kriegstagebuch Führer der U-Boote (Dönitz) gingen am 18.8.1939 um 11.30 und 14.30 die Befehle für die 2., 6. und 7. U-Flottille, in den Atlantik auszulaufen.
Es liefen tatsächlich aus am 19.8.1939 um 0.00 Uhr:
U 45,46,47,48,52 (7. U-Flot.)
U 37,38,39,40,41 (6. U-Flot.)
U 28,29,33,34 (2. U-Flot.)
 
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Polen 1939: Feldzug versus Überfall

In Wikipedia tobt ein niemals endender Kleinkrieg zur Frage, ob man den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges mit "Polenfeldzug" oder "Überfall auf Polen" oder vielleicht anders benennen soll.

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