Übergewicht im Mittelalter

Wenn Abels "Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Deutschland" schon "zu alt" sein soll, dann nenne ich mal ein weiteres Werk, "Europa und seine Menschen: eine Bevölkerungsgeschichte" von Massimo Livi Bacci, allerdings habe ich Letzteres (noch) nicht gelesen, Bacci wird jedoch im "Fleisch"-Artikel der Wikipedia zitiert, wonach er Abels Ausführungen bestätigt: Dass der Fleischverzehr im Spätmittelalter bei mehr als 100 Kilogramm pro Kopf und pro Jahr lag, sich dann aber insgesamt stark reduzierte um im 19. Jahrhundert auf einen Tiefpunkt von nur 14 Kilogramm pro Kopf zu fallen.
Bacci zitiert nur die älteren Überlegungen von Abel, der wiederum stützt seine "Fleischkonsum-"Betrachtungen auf die Studie von Schmoller:
JSTOR: An Error Occurred Setting Your User Cookie
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Bd. 27, H. 2. (1871), S. 284-362

Das ist von 1871. Deshalb die wohl naheliegende Frage, ob das überhaupt einer Überprüfung standhalten kann. Schlussfolgerungen aus punktuellen Betrachtungen von "Tafelfreuden" haben jedenfalls keine makroökonomische Basis.
Ein weiteres Buch wird diesbezüglich im Artikel "Esskultur des Mittelalters" ebenfalls in den Fußnoten erwähnt und dieses Buch heißt "Nahrungsgewohnheiten in der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts" von Hans Jürgen Teuteberg und Günter Wiegelmann.
Auch hier nichts Neues, sondern das ist Gegenstand der "Fleischkontroverse".
Das 19. Jahrhundert ist dagegen recht gut erforscht, was "Warenkörbe" angeht, gibt aber nichts her für die Diskussion zum Mittelalter.

Darüber hinaus gibt es auch andere Bücher, welche die Kaufkraftreduktion im 16. Jahrhundert (und darüber hinaus) in weiten Teilen Europas dokumentieren. Eines davon wäre:
Was lässt das für Rückschlüsse auf den gesamten Konsum von Nahrungsmitteln und deren Zusammensetzung zu?


Wenn man die aus Löhnen und Preisen resultierenden Warenkörbe aus verschiedenen Zeiten und Regionen heranzieht, dann ergibt sich eine große empirsche Datenbreite.
Solche "Warenkörbe" sind selbst für das 19. Jahrhundert nicht unproblematisch. Vor 1850 gibt es keine empirische Datenbreite, mangels Daten.


...stellt Abel fest, dass bereits um 1540 das Jahreseinkommen für gewöhnlich nicht mehr ausreichte, um das physische Existenzminimum einer fünfköpfigen Familie zu decken...
Er geht also durchaus auf eventuelle Ungenauigkeiten ein. Wir sprechen im Moment allerdings von Ungenauigkeiten eines hypothetischen Warenkorbs, welcher (angeblich) zum Überleben notwendig wäre. Es handelt sich hier auch eher um ein Beispiel zur Veranschaulichung. Bei den Berechnungen der Löhne und Preise ansich (um die es hier ja eigentlich geht) gibt es entsprechend weniger Raum für Hypothesen.
Da fragt man sich, wie bei Unterschreiten des Existenzminimums die Existenz fortgeführt wurde.

Wie wird der Warenkorb für das 16. Jahrhundert ermittelt? Über Preise und Löhne gibt es diverse (ausreichende) Quellen. Interessant sind doch hier die Wechselwirkungen, so die relativen Preisentwicklungen. Was sagt uns das, wenn Nahrungsmittelpreise sich verdoppeln, Löhne geringfügiger steigen, und Preise von Textilien sich verdreifachen, und Kohle/Holz sinken?

So stellt Abel zur groben Übersicht für Deutschland den Zeitraum 1401 bis 1451 jenem von 1801 bis 1850 gegenüber. Im Letzteren sind die Roggenpreise um das 3,78fache höher gewesen und Eisen kostete in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das 1,73fache aber die Löhne sind nur auf das 1,49fache gestiegen.
Welche Bedeutung hat denn der Eisen/Lohnpreisvergleich in dem Zusammenhang?
Wäre es nicht zielführend, Getreidepreise mit den übrigen Komponenten des "hypothetischen" Warenkorbes zu vergleichen, also Miete, Textilien, Genussmittel, Brennstoffe etc. Welche Umschichtungen fanden hier statt? Welche Bedeutung haben die Marktpreisentwicklung in Bezug auf Bereiche der Selbstversorgung, welche Bedeutung die Verteilung von städtischen und ländlichen Gebietsstrukturen?
 
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Schlussfolgerungen aus punktuellen Betrachtungen von "Tafelfreuden" haben jedenfalls keine makroökonomische Basis.

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Welche Bedeutung hat denn der Eisen/Lohnpreisvergleich in dem Zusammenhang?
Wäre es nicht zielführend, Getreidepreise mit den übrigen Komponenten des "hypothetischen" Warenkorbes zu vergleichen, also Miete, Textilien, Genussmittel, Brennstoffe etc. Welche Umschichtungen fanden hier statt? Welche Bedeutung haben die Marktpreisentwicklung in Bezug auf Bereiche der Selbstversorgung, welche Bedeutung die Verteilung von städtischen und ländlichen Gebietsstrukturen?
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Das sehe ich auch so.
Ne andere Baustelle, aber vielleicht nicht so arg hinkend als Vergleich: Ich höre immer wieder, dass eine große Körperfülle im 18.Jh. als erstrebenswert gegolten habe. In keiner Quelle aus der Zeit ist davon die Rede. Als Beleg wird immer wieder der Körperumfang (nicht nur damals oft gewogen, sondern auch anhand von erhaltenen Kleidern nachweisbar) von August dem Starken herangezogen. Dieser Beleg ist natürlich nicht nur singulär, sondern nichtmal als solcher belastbar, weil ich nirgendwo finden kann, dass sein Gewicht irgendwie als besonders reizvoller Aspekt seiner Erscheinung empfunden worden wäre.

Man kennt heute recht gut die Speisefolgen von damals. Aber was belegt uns das? Wissen wir deshalb, dass alles das auch von jedem Anwesenden verzehrt wurde?
Aus der FNZ sind dahingehend die Quellen etwas brauchbarer, ob Beschreibungen von den Herrschern, Porträts (die häufig korpulenten Landesfürsten wurden ja bereits angeführt) oder ähnliches.

2.
In irgendeinem Aufsatz, ich glaube über Preise im frühneuzeitlichen Linz, wurde auch ein Handwerkerlohn im Vergleich zur Menge des dafür erwerbbaren Rinderfleisches dargestellt. Warum da so sehr auf dem Rinderfleisch rumgeritten wurde, war mir auch nicht begreiflich.

Unterhaltsamer, wenn auch nicht unbedingt zielführender, wären für mich Biographien von Personen, die nachweislich übergewichtig waren und bei denen sich dies auch auf die Gesundheit ausgewirkt hat. Ich erinnere mich an irgendeinen Edelmann, der sich wegen seiner Fettleibigkeit einer brutalen Behandlung unterzogen haben soll, um sich einem Feldzug seines Lehnsherrn anzuschließen. Muss nochmal schauen, wer das war. :)
 
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