Übersetzung Mittelhochdeutsch

rafael55

Neues Mitglied
Hallo,

Ich bin neu hier und habe eine Frage (Überraschung ;)):
Ist es möglich, dass jemand diesen kurzen Satz aus dem Althochdeutschen (Text aus 1397) ins Deutsche übersetzt oder kurz erklärt was er bedeutet?: "Ze wald ob sant er mur ligent"

Vielen Dank im Voraus und Grüsse
 
Moin, ich kann es nicht komplett übersetzen, aber "ligent" müsste die dritte Person Plural Indikativ Präsens Aktiv von "ligen" sein. Kann es sein, dass das er und das mur zusammengehören, also zusammen mit dem sant eine Orstangabe sein könnte ( Sankt Ermur)? Dann könnte der Satz lauten: "Zum (Im) Wald oberhalb von Sankt Ermur liegen sie"
Allerdings wäre es gut, den Kontext des Satzes zu kennen. Und meine Mittelhochdeutschkenntnisse beschränken sich auf den Besuch eines Basisseminars, also alle Angaben ohne Gewähr ;)
 
Vielen Dank für die Antwort! Den ganzen Zusammenhang kenne ich leider nicht (daher bin ich auch so ratlos, was dieser Satz bedeuten soll), ich habe ihn bei einer Flurnamen-Recherche gefunden und soll der älteste Beleg für diesen Namen sein. Er ist offenbar aus einer grösseren Schrift, auf die ich jedoch keinen Zugriff habe. Etwas kann ich jedoch noch zu diesem Satz sagen: mit „er“ ist wohl eine männliche Person gemeint. Beim „sant“ dachte ich zuerst an sowas wie „er sandte“. Im Satz Kontext würde jedoch „sehen“ auch noch Sinn machen. Also so was wie „er sah mur (Mauern???) liegen“. Aber dies ist nur geraten, denn ich habe keine Kenntnisse in Althochdeutsch. :D

Grüsse
 
Es handelt sich um Mittelhochdeutsch, wenn deine Datierung stimmt.

Die Nuss kann aber nur ein Experte knacken. Herausgefunden habe ich lediglich folgendes. (1) "ze" = zu, hin, bei, neben (2) "wald" ist kein mittelhochdeutsches, sondern ein althochdeutsches Wort. Mhd ist nhd. Wald "walt". "Wald" gibt´s auch in keiner anderen mhd. Bedeutung. Vielleicht ein Druckfehler statt korrekt mhd. walt, oder du hast dich vertippt. (3) "ob" = oberhalb, auf, darauf, (4) "sant" = zusammen, miteinander / heilig / sandig /Boden / (er, sie) sendet, (5) "er" = nhd. er / Eisen, Erz / vorher, bevor, eher / aus, heraus, (5) "mur" = Mauer, Wand, (6) ´ligent" = liegen.

Insofern bezweifle ich die Deutungsversuche von Pausanias und Rafael. Es geht sicher um keinen Heiligennamen und wohl auch nicht um eine männliche Person ("sant er"), weil das folgende "mur" keinen dafür passenden Artikel hat, abgesehen davon, dass Mauern oder Wände nur umständlich ver- oder gesendet werden können. Mit "sehen" hat "sant" auch nichts zu tun.

Aus den aufgelisteten Möglichkeiten eine sinnvolle Aussage zusammenzusetzen, ist mir leider nicht gelungen.
 
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Danke für die Übersetzungen der Wörter! Das mit „Wald“ wird wohl mein Fehler sein, da es Handschrift ist und ich es wahrscheinlich falsch abgelesen habe. Ich werde versuchen den Kontext des Satzes noch irgendwie herauszufinden. Übrigens: woher hast Du die Übersetzungen her? Gibt es eine Art Online Wörterbuch wo man solche Wörter nachschlagen kann? :)
 
Mhd ist nhd. Wald "walt".

Jein. Heute denkt man beim Schreiben die Auslautverhärtung mit. Unser Wald ist immer noch [walt], wir schreiben ihn Wald, weil wir in der Mehrzahl eben von Wäldern und nicht von *Wältern sprechen. Man findet in mhd-Texten auch undt, unt und unde nebeneinander. Bevor es eine einheitliche Regelung gab, was "richtig/rechtgeschrieben" ist, hat man halt die Buchstaben benutzt, die dem gesprochenen Buchstaben am nächsten kamen. Ob das nun in deutsch mit der Auslautverhärtung war (der walt aber des waldes) oder in Latein mit Gleitlaut (columbna statt columna*). An der Graphie ist also nicht abschließend zu entscheiden, welches Wort gemeint ist, auch ein Schreiber des Mittelhochdeutschen oder Frühneuhochdeutschen, der Wald meinte, konnte wald statt walt schreiben und hätte es vielleicht auch getan, wenn er über Sprache reflektiert hätte. Und wer wollte das einem mittelalterlichen Menschen absprechen, dass er über Sprache reflektierte?

Ich fand die Erklärung von Pausanias mit all ihren rhetorischen Fragezeichen eigentlich ganz charmant, vgl. auch Xanten im Nibelungenlied: Ze Zanten (Bei den Heiligen[gräbern]). Nur ein Ermur ist mir noch nirgends begegnet.

Vielleicht kannst du, Rafael, ja noch mal die bibliographischen Angaben nachliefern, die dein Gewährsleut gibt? Was für eine Ortsnamenrecherche war das? Welche Quelle nennt dein Gewährsleut für die Stelle.

*Wobei man bei colum-b-na richtiggehend den Schreibprozess mitverfolgen kann. Normalerweise würde bei columna niemand ein -b- sprechen. Wenn man das Wort aber langsam vor sich hersagt, weil man es schreiben möchte, bekommt man schon ein -b- (eben den bilabialen Plsoiv) bei der Öffnung des bilabialen Frikativs -m- zum alveodentalen -n-.
 
Moin, ich kann es nicht komplett übersetzen, aber "ligent" müsste die dritte Person Plural Indikativ Präsens Aktiv von "ligen" sein. Kann es sein, dass das er und das mur zusammengehören, also zusammen mit dem sant eine Orstangabe sein könnte ( Sankt Ermur)? Dann könnte der Satz lauten: "Zum (Im) Wald oberhalb von Sankt Ermur liegen sie"
Allerdings wäre es gut, den Kontext des Satzes zu kennen. Und meine Mittelhochdeutschkenntnisse beschränken sich auf den Besuch eines Basisseminars, also alle Angaben ohne Gewähr ;)

"Mur" muss nicht unbedingt eine Mauer sein - es könnte sich auch um einen Flussnamen handeln.
 
Ich fand die Erklärung von Pausanias mit all ihren rhetorischen Fragezeichen eigentlich ganz charmant, vgl. auch Xanten im Nibelungenlied: Ze Zanten (Bei den Heiligen[gräbern]). Nur ein Ermur ist mir noch nirgends begegnet.

Eine Deutung des "sant" als "Sankt" wäre plausibel, wenn der Rest dazu passen würde. Leider macht das "er" als Name eines Heiligen keinen Sinn (außer "sant er" = "heiliger Mann, Fürst, Herrscher", was aber wohl auszuschließen ist). Unproblematisch ist das "mur", weil es ein Zusatz zum Heiligennamen sein kann, den Ortsnamen also ergänzt. Problematisch erscheint mir aber das "ligent" ohne Ergänzung durch eine Längenangabe in den Einheiten "Jucharte" oder "Schuopose" oder durch eine Ortsangabe zusätzlich zur einleitenden Ortsangabe (im fraglichen Beispiel "ze walt ob sant er (?)". An Rafael wär also anzufragen, ob er den Satz wirklich vollständig wiedergegeben hat.
 
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Der Vorschlag von Pausanias ist ja auch nicht er, sondern er und mur zu *Ermur zu verbinden. Das ist charmant. Mit der Schwäche, dass ein *Ermur ansonsten unbekannt ist.
 
Der Vorschlag von Pausanias ist ja auch nicht er, sondern er und mur zu *Ermur zu verbinden. Das ist charmant. Mit der Schwäche, dass ein *Ermur ansonsten unbekannt ist.

Pausanias´ Gedanke ist mir schon klar, er liegt aber vermutlich falsch, da, wie ich schrieb, "mur" sehr wohl eine separate Ergänzung zum Heiligennamen sein kann (siehe unten). Zudem hat Rafael die getrennte Schreibweise nicht korrigiert, es dürfte sich also um keinen Tippfehler handeln. Da ohnehin kein "Ermur" existiert (zumindest im Net), ist diese Deutung, wie charmant sie auch sein mag, wohl vergebens.

Meiner gestrigen Argumentation betr. "mur" liegt u.a. folgender Fund zugrunde ("hentschken" = alter Ortsname, heute "Ängsten", "iij" = Zahlenangabe, "jucharte" = Längenmaß)

ortsnamen.ch - Ängsten (BL)

ze hentschken ob sant Jorgen mur ligent iij jucharten (von 1397)

dry Juchartten Acher zu Endtschgen, ob Sanct Jergen mur
(von 1560)

Eine Email-Anfrage an den Websiten-Betreiber brachte heute Morgen folgende Antwort:

Leider können wir mit so wenig Kontextinformation auch nichts mit diesem Beleg anfangen. Könnten Sie uns evtl. sagen, was rundherum noch steht bzw. zu lesen ist, woher der Beleg stammt, wie alt er ist, welcher Quellengattung er angehört usw.? Das wäre allenfalls hilfreich, um etwas Genaueres darüber sagen zu können.
 
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Ich muss noch meinen Lottotipp abgeben.

Es handelt sich bei Aussagen wie

ze hentschken ob sant Jorgen mur ligent iij jucharten

wahrscheinlich um so etwas wie Grundbucheinträge. Gemeint ist mit diesem Satz vermutlich, wobei mir der Zahlenwert von "iij" im Moment unbekannt ist:

Bei Hentschken oberhalb von Sankt Jorgen liegen (soundsoviel) Jucharten Ackerland.

Das Schema ist also

Bei X oberhalb von Y liegen Z Jucharten (oder Schuoposen) Ackerland.

(Jucharte = ca. 30 Aren / 1 Ar = 100 qm)

Ansatzweise findet sich das Schema auch bei Rafaels Satzfragment: "Ze walt ob sant er mur ligent" = "Ze X ob Y ligent" = "Bei X oberhalb von Y liegen" = "Beim Wald oberhalb von Sankt Er (?) liegen...". Das "mur" ist, wie bei "sant Jorgen mur", als Teil von Y anzusehen, aber getrennt vom Heiligennamen.

Was bei Rafaels Satzfragment fehlt, ist offensichtlich eine Angabe dessen, was dort liegt, also eine bestimmte Quantität Ackerland zum Beispiel. Rafaels Satz ist somit unvollständig.

Das eigentliche Rätsel ist natürlich das "er" in "ze walt ob sant er mur ligent". Vermutlich ist auch mein Ansprechpartner bei der Ortsnamen-Seite darüber gestolpert, zusätzlich fehlte ihm vielleicht eine Objektangabe nach "ligent". Es wäre hilfreich, wenn Rafael einen Scan des Textes hier präsentieren würde.

Meine gestrige Annahme, es könnte sich theoretisch bei "sant er" um "Heiliger Mann/Fürst/Herrscher" handeln, beruht darauf, dass "er" auch eine Abkürzung von "herre" sein kann, welches u.a. für Mann/Fürst/Herrscher steht. Ich halte diese Annahme aber für äußerst unwahrscheinlich.
 
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wobei mir der Zahlenwert von "iij" im Moment unbekannt ist
Das ist eine römische Drei (III) in damals üblicher Schreibweise.

Das "sant" ist ziemlich sicher als "Sankt" zu interpretieren.

Bei "sant er mur" tippe ich auf einen Abschreibfehler. Kann gut sein, dass da etwas unvollständig ist.
 
Hallo,
Hier ist ja viel passiert. ;) Den Satz habe ich wie schon gesagt handgeschrieben gefunden. Nach neueren online Recherchen bin ich auf den selben Satz gestossen, wie Chan geschrieben hat. Also der mit Hendschken statt „Wald“. Es handelt sich also tatsächlich um diesen Ort, welcher heute Ängsten heisst. Wieso jedoch beim ersten Satz einige Wörter verändert wurden ist mir ein rätsel... jedoch schien mir auch die Quelle etwas merkwürdig.
Mit euren Beiträgen habe ich die Infos, die ich haben wollte :) Also bedanke ich mich sehr für die aktiven Beiträge und sehe dieses Thema aus meiner Sicht beantwortet.
Viele Grüsse
 
Den Satz habe ich wie schon gesagt handgeschrieben gefunden.
Das war so nicht klar. Kannst du uns einen Scan zur Verfügung stellen?

Nach neueren online Recherchen bin ich auf den selben Satz gestossen, wie Chan geschrieben hat.
Klar, wenn ihr dasselbe in die Suchmaschinen eingebt, findet ihr natürlich auch dasselbe. Aber was hat das semantische Vergleichsbeispiel von chan nun mit deiner Ortsnamenrecherche zu tun?
 
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