Ein wenig erinnerte die westdeutsche Gesellschaft (im Fernsehen) an einen aufgeregt gackernder Hühnerhof.
Nicht nur ein wenig.
Wobei natürlich der Umgang der DDR-Medien wiederum zu wenig war. Vorhandene Erkenntnisse wurden kaum vermittelt, Aufklärung gab es kaum und anstelle von teilweiser Panikmache im Westen kam Angst durch Unterinformation.
Jodtabletten oder Ähnliches wurden weder empfohlen noch verteilt. Aber auch in den Kaufhallen und Gemüseläden sah man ein völlig neues Bild. Salat gab es plötzlich en Masse. Normalerweise bekam man den Ende April nie zu kaufen. Aber woher kam der. Wir hatten da etwas den Verdacht, dass der eine noble Spende von unseren westdeutschen Brüdern und Schwestern war. Die meisten DDR-Bürger waren dem Zeug gegenüber misstrauisch und kauften den Salat doch lieber nicht.
Jodtabletten wären auch großer Quatsch gewesen.
Der Salat hätte ohne weiteres verzehrt werden können, die Grenzwerte wurden nicht überschritten. Wobei bei den Grenzwerten natürlich Unterschiede zwischen Ost und West bestanden haben, genau wie die Grenzwerte der Bundesrepublik von denen anderer EU-Länder abwichen und mehrfach geändert wurden (sowie neuere Erkenntnisse vorlagen). Man kann sehr schön sehen, wie die Grenzwerte im Mai 1986 waren und dass so Salat aus dem Westen den Weg in die DDR finden konnte. Ab dem 1.6. ging das dann kaum noch.
Interessant ist das Vorgehen der Behörden der DDR: So wurde Ende April (eine offizielle Benachrichtigung gab es nicht, schon gar nicht von der UdSSR – es gab inoffizielle Kontakte zur IAEO) damit begonnen, die Auswirkungen auf das Gebiet der DDR zu untersuchen. Schnell wurde festegestellt, dass die DDR nur in geringem Umfang betroffen war, so wurde das ganze Land in einem Raster von 10*10 km² vermessen.
Insgesamt hat das SAAS (Staatliches Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz) innerhalb kurzer Zeit Maßnahmen zur Überwachung eingeleitet, eine fachlich fundierte Beurteilung der Lage vorgenommen und geeignete Gegenmaßnahmen empfohlen. Dabei wurde natürlich von der zentralistischen Struktur der DDR profitiert.
Allerdings wurden auch Probleme deutlich. So wäre eine erstere Lage wahrscheinlich nicht mehr so beherrschbar gewesen. So musste erst ein Überwachungssystem installiert werden, was bei größerer Kontamination schnelle Gegenmaßnahmen verhindert hätte. Zum anderen stieß das SAAS an die Grenzen der Datenverarbeitung. Auch wurde der Einfluss des Verhaltens der Bürger deutlich, sowohl zu wenig wie auch zu viel Informationen sind schädlich und führen zu Gleichgültigkeit oder Panik. Ebenfalls wurde der Mangel an grenzüberschreitendem Informationsaustausch deutlich. Die IAEO war zeitweise die einzige Quelle, allerdings nicht ausreichend.
Als Fazit kann man sagen, dass ähnlich wie im Westen Lehren gezogen werden mussten, diese waren aufgrund der unterschiedlichen Ausgangsposition natürlich unterschiedlich. Verglichen mit dem Verhalten der Behörden in anderen Umweltfragen wie saurer Regen, Wismut, Rekultivierung der Braunkohleereviere, Smog usw. würde ich aber ein befriedigend verteilen.
Viele Informationen dazu enthält der Jahresbericht des BfS 2005.
Solwac