und plötzlich gab es Salat im Osten

Die unteren territorialen Verwaltungsebenen (Rat des Kreises, Bezirks, zB tangiert bei Deponien, Wasserverschmutzungen etc.) waren wohl gut über die Zustände informiert, ebenso Bergämter etc. und natürlich die VEBs/Kombinate selbst.

Dabei konnte man häufig sehen, dass Maßnahmen vorgeschlagen wurden, aber es eben an der Zuweisung finanzieller Mittel mangelte. Dafür war schlicht kein Geld da bzw. wurde nicht freigegeben, und die Verschlechterungen der Finanzlage verschärfte die Situation im letzten Jahrzehnt der DDR immer weiter.
 
Dabei konnte man häufig sehen, dass Maßnahmen vorgeschlagen wurden, aber es eben an der Zuweisung finanzieller Mittel mangelte. Dafür war schlicht kein Geld da bzw. wurde nicht freigegeben, und die Verschlechterungen der Finanzlage verschärfte die Situation im letzten Jahrzehnt der DDR immer weiter.

@silesia

Die Zuweisung finanzieller Mittel wäre nicht das Problem gewesen, sondern die Zuweisung der materiellen Mittel (Einheit "Plan-Bilanz*-Vertrag"), daran bestand der Mangel. Da der Umweltschutz nachrangiges Ziel war, erhielten Umweltschutzmaßnahmen keine Bilanzierungszuweisungen.

M. :winke:

* Hier ist nicht die Bilanz im handelsrechtlichen Sinne subsumiert, sondern in der DDR bedeudete "Bilanzierung" im o.g. Sinne die Zuweisung der materiellen Ressourcen, ähnlich der "Kriegswirtschaft".
 
Ein wenig erinnerte die westdeutsche Gesellschaft (im Fernsehen) an einen aufgeregt gackernder Hühnerhof.
Nicht nur ein wenig. ;)
Wobei natürlich der Umgang der DDR-Medien wiederum zu wenig war. Vorhandene Erkenntnisse wurden kaum vermittelt, Aufklärung gab es kaum und anstelle von teilweiser Panikmache im Westen kam Angst durch Unterinformation.

Jodtabletten oder Ähnliches wurden weder empfohlen noch verteilt. Aber auch in den Kaufhallen und Gemüseläden sah man ein völlig neues Bild. Salat gab es plötzlich en Masse. Normalerweise bekam man den Ende April nie zu kaufen. Aber woher kam der. Wir hatten da etwas den Verdacht, dass der eine noble Spende von unseren westdeutschen Brüdern und Schwestern war. Die meisten DDR-Bürger waren dem Zeug gegenüber misstrauisch und kauften den Salat doch lieber nicht.
Jodtabletten wären auch großer Quatsch gewesen.

Der Salat hätte ohne weiteres verzehrt werden können, die Grenzwerte wurden nicht überschritten. Wobei bei den Grenzwerten natürlich Unterschiede zwischen Ost und West bestanden haben, genau wie die Grenzwerte der Bundesrepublik von denen anderer EU-Länder abwichen und mehrfach geändert wurden (sowie neuere Erkenntnisse vorlagen). Man kann sehr schön sehen, wie die Grenzwerte im Mai 1986 waren und dass so Salat aus dem Westen den Weg in die DDR finden konnte. Ab dem 1.6. ging das dann kaum noch.
Interessant ist das Vorgehen der Behörden der DDR: So wurde Ende April (eine offizielle Benachrichtigung gab es nicht, schon gar nicht von der UdSSR – es gab inoffizielle Kontakte zur IAEO) damit begonnen, die Auswirkungen auf das Gebiet der DDR zu untersuchen. Schnell wurde festegestellt, dass die DDR nur in geringem Umfang betroffen war, so wurde das ganze Land in einem Raster von 10*10 km² vermessen.
Insgesamt hat das SAAS (Staatliches Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz) innerhalb kurzer Zeit Maßnahmen zur Überwachung eingeleitet, eine fachlich fundierte Beurteilung der Lage vorgenommen und geeignete Gegenmaßnahmen empfohlen. Dabei wurde natürlich von der zentralistischen Struktur der DDR profitiert.
Allerdings wurden auch Probleme deutlich. So wäre eine erstere Lage wahrscheinlich nicht mehr so beherrschbar gewesen. So musste erst ein Überwachungssystem installiert werden, was bei größerer Kontamination schnelle Gegenmaßnahmen verhindert hätte. Zum anderen stieß das SAAS an die Grenzen der Datenverarbeitung. Auch wurde der Einfluss des Verhaltens der Bürger deutlich, sowohl zu wenig wie auch zu viel Informationen sind schädlich und führen zu Gleichgültigkeit oder Panik. Ebenfalls wurde der Mangel an grenzüberschreitendem Informationsaustausch deutlich. Die IAEO war zeitweise die einzige Quelle, allerdings nicht ausreichend.
Als Fazit kann man sagen, dass ähnlich wie im Westen Lehren gezogen werden mussten, diese waren aufgrund der unterschiedlichen Ausgangsposition natürlich unterschiedlich. Verglichen mit dem Verhalten der Behörden in anderen Umweltfragen wie saurer Regen, Wismut, Rekultivierung der Braunkohleereviere, Smog usw. würde ich aber ein befriedigend verteilen.

Viele Informationen dazu enthält der Jahresbericht des BfS 2005.

Solwac
 
26. 4. 2011: 25. Jahrestag der Nuklear-Katastrophe von Tschernobyl

Wir haben auch Pilze gesammelt - mit Begeisterung.
Westverwandte von uns konnten das kaum glauben und fragten: "Waaaas? Die esst ihr? Die sind doch verseucht durch Tschernobyl"

Wir haben uns nicht weiter drum gekümmert.
:pfeif:


Eine kleine Anmerkung und mein Kommentar zur Nuklearkatastrophe in Tschernobyl, die sich heute zum 25. Mal jährt:

Ich war damals Lehrling im Stahlwerk Hennigsdorf, bei Berlin. Wichtig zu wissen ist dabei, daß in der DDR sowohl über die (staatseigenen) Medien als auch in der Berufsschule kaum Informationen zu dem Unglück gegeben wurden. Ich weiß heute gar nicht mehr, ob wir überhaupt Infos bekamen, aber wenn, dann sehr spät. Informiert waren wir trotzdem, allerdings über die Westmedien. Sie waren sowieso unsere wichtigste Anlaufstation, wenn wir ungeschminkte Infos wollten. Das war sehr hilfreich, auch wenn wir uns in der Schule/Berufsschule nicht auf die dort gegebenen Informationen berufen konnten. Das mußten wir sehr sorgfältig auseinander halten.
So bekamen wir also, anders als in Westdeutschland, keine Informationen darüber, wie ernst die Situation in der DDR nun wirklich war und dem zur Folge auch keine Empfehlungen, wie wir uns verhalten sollten. Wir Jugendlichen gingen damit dann auch eher locker um und machten unsere Scherze darüber, wie z. B.: "Hey, du strahlst ja so! Warst wohl in Tschernobyl?"
Die Desinformation unserer Regierung und das Ausbleibenden konkreter staatlicher Maßnahmen bewirkte bei der Bevölkerung eine völlige Unterbewertung der tatsächlichen Schwere der Katastrophe und daraus resultierend eine gewisse Gleichgültigkeit. Beispiel: Wir gingen im Herbst ´86 wie jedes Jahr in den Wald, Pilze suchen, während unsere West-Verwandten die Hände über dem Kopf zusammenschlugen, als sie davon hörten. Wir in der DDR empfanden die aus unserer Sicht panische Angst der Bundesbürger vor der Strahlung als völlig übertrieben - und das, obwohl wir über die Westmedien ja durchaus gut informiert waren. An dieses Phänomen erinnere ich mich noch gut.

Quelle Bild: http://www.greenaction.de/files/imagecache/fullimage/files/mitmachphotos/Tschernobyl4.jpg
 

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So bekamen wir also, anders als in Westdeutschland, keine Informationen darüber, wie ernst die Situation in der DDR nun wirklich war und dem zur Folge auch keine Empfehlungen, wie wir uns verhalten sollten.
Ein Problem, welches im Nachhinein von der DDR als ziemlich groß angesehen wurde. Bei einer ähnlich großen Umweltkatastrophe hätte (den Plänen nach) in den Folgejahren eine deutlich verbesserte Aufklärung der Bevölkerung folgen sollen. Ob die dann natürlich wirklich gekommen wäre, da fehlt uns zum Glück die Erfahrung.

Die Desinformation unserer Regierung und das Ausbleibenden konkreter staatlicher Maßnahmen bewirkte bei der Bevölkerung eine völlige Unterbewertung der tatsächlichen Schwere der Katastrophe und daraus resultierend eine gewisse Gleichgültigkeit. Beispiel: Wir gingen im Herbst ´86 wie jedes Jahr in den Wald, Pilze suchen, während unsere West-Verwandten die Hände über dem Kopf zusammenschlugen, als sie davon hörten. Wir in der DDR empfanden die aus unserer Sicht panische Angst der Bundesbürger vor der Strahlung als völlig übertrieben - und das, obwohl wir über die Westmedien ja durchaus gut informiert waren. An dieses Phänomen erinnere ich mich noch gut.
Die Wahrheit liegt ja auch in der Mitte. Im Westen teilweise Panik ohne Verständnis der Bedeutung der Grenzwerte und welche Konsequenzen z.B. der Verzehr von einer Portion Rehfleisch mit der und der Belastung gehabt hätte. Und im Osten Sorglosigkeit und dadurch unnötige Risiken.

Solwac
 
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