Untergang Pompeji

Eben. Die Behauptung, dass Kohlezeichnungen sich nicht lange hielten, fand ich doch überraschend.

Hier kann man mal Experimentalarchäologie ohne großen Aufwand betreiben. Wir können ja alle mal die Probe aufs Exempel machen, kokeln ein wenig Holz an und bringen einen unauffälligen Strich unter einem Dach an und an zwei Mauern, einmal auf einer Mauer auf der regenzugewandten und einmal auf einer Mauer auf der regenabgewandten Seite und in anderthalb Jahren sprechen wir uns wieder!

Ich glaube, da ist ein Archäologe der Versuchung erlegen, eine Sensation zu produzieren.
 
Oder sagen wir mal der aktuellen Regierung in Rom. Aber das warum ist eine tagespolitische Frage. :(
 
Freund Konjunktivus wird jedoch stets um die (un)verputzten Ecken grinsen so lange jenem Oktobertag nicht (Suffekt-)Konsuln zugeordnet werden können.

Dem scheint offensichtlich so, in welchem Zug da renoviert wurde wissen wir jedoch nicht.

~ Und den Konjunktiv, den pranger ich an ;)

Ich halte die angebliche Haltbarkeit von Kohle als Indiz für die Interpretation auch für problematisch. Und dennoch, dass sich die domus in Renovierung befand (wahrscheinlich als Konsequenz des Erdbebens von 62 n. Chr.) – und zwar in einem weit fortgeschrittenen Zustand, alle Räume bis auf das Atrium mit dem Graffito waren laut offizieller Verlautbarung bereits fertiggestellt – spricht auf den ersten Blick schon dafür, die Datierung des Graffito nahe an die Katastrophe heranzurücken. Möglich ist dann aber immer noch, dass man aus verschiedenen Gründen, etwa Geldmangel, die Bauarbeiten Ende 78 n. Chr. hat ruhen lassen.
 
Kohlezeichnungen halten sich lange an geschützten Orte. Meine kindlichen Kritzeleien haben möglicherweise Lascaux-Potential, sollten die Innenwände der Garage meines Onkels Zeitalter überdauern.
Die Garage Deines Onkels hat aber sicher keinen Vulkanausbruch überstanden . Die Gebäude in Pompeji waren zum größten Teil mit Asche und Lapilli aufgefüllt. Dass da ein Kohlegekritzel überlebt hat ist schon schwer vorstellbar. Selbst wenn es echt ist, sagt das doch gar nichts über das Jahr, in dem sie geschrieben wurde aus. Titus ließ durch eine Komission Grabungen in den zerstörten Städten durchführen. Das Graffito kann auch aus dieser Zeit stammen. Es wäre doch sehr eigenartig, wenn Plinius in seinen offenen Briefen ausgerechnet den Todestag seines Onkels falsch angibt.
 
Es wäre doch sehr eigenartig, wenn Plinius in seinen offenen Briefen ausgerechnet den Todestag seines Onkels falsch angibt.

Es kann sich auch um einen Abschreibfehler handeln:

Der Abschreibfehler, von dem Alberto Angela in dem von Carolus verlinkten TV-Bericht spricht - er zeigt den Codex Oratorianus von von "kl. Nouēbris" die Rede ist - ist durchaus möglich.

Zur Erinnerung die wohl häufigst überlieferte Version:

"Nonum kal. septembres hora fere septima mater mea indicat ei apparere nubem inusitata et magnitudine et specie."

Das kennen wir doch alle, dass wir mit den Gedanken schon weiter sind und deshalb ein falsches Wort an einer Stelle einbauen, oder dass wir beim lesen in der Zeile verrutschen. Letzteres passiert insbesondere geübten Lesern (ungeübte Leser lesen Buchstabe für Buchstabe, geübte Leser fliegen mit den Augen über den Text und lesen statt Buchstaben graphische Bilder von Worten).


Zudem ist dieses neu entdeckte Graffito nicht das einzige Indiz, das auf einen Vulkanausbruch zu einem späteren Zeitpunkt als bisher angenommen hindeutet:

  • gefundene Agrarerzeugnisse
  • Bekleidung
  • eine Münze, die erst ab September 79 im Umlauf gekommen sein kann
  • die alternative Handschrift
 
Ich bin krank und mag das auf den Fotos nicht richtig erkennen.

Aber sie haben mit den Händen geschickt die Stelle verdeckt, an der man erkennt, dass es sich nicht um eine, sondern um mehrere Inschriften handelt, die sogar mit verschiedenem Schreibstoff ausgeführt wurden. Auf Spiegel-Online ist es klar zu sehen. Zudem handelt es sich deutlich um 2 unterschiedliche Hände, selbst wenn man berücksichtigt, dass ein Schreiber damals plötzlich anders schreiben konnte, wenn er etwa auf anderem Medium von der Kursive in die Wachstafelschrift verfiel. So etwas lässt dann schon skeptisch werden.

Gibt es schon eine Lesung? Nicht das da steht, dass es im Oktober mit der Renovierung weiter geht. Will sagen: Viele geschriebenen Daten befinden sich zur Zeit ihrer Schreibung in der Zukunft.

Die Behauptung, dass eine Kohle-Schrift nicht mehr als 365 Tage überstehen kann, entspricht zudem nicht den Tatsachen. Damit ist die Schrift für die Datierung der Katastrophe ohne jeglichen Wert.

(Kohle, Ruß und Kreide haben meines Wissens eine ähnliche Haltbarkeit. Die Kreideinschriften der Sternsinger sind in katholischen Gegenden jahrelang an den Häusern zu sehen. Wenn es nicht die Wetterseite ist, können da an frommen Häusern, deren Besitzer es nicht jedes Jahr oder wie früher jedes 3. Jahr wegwischen, schon 10 bis 15 Jahre zusammenkommen. Heute ist das selten zu sehen. Als ich in den 80ern selbst Sternsinger war, mussten wir mitunter suchen, um eine freie Stelle zu finden.)

Solche Meldungen bringen die Wissenschaft nur in Verruf. Und zusammen mit den unzuverlässigen Argumenten kann dann, trotzdem wie hier ältere und bessere Hinweise vorliegen, die ganze Theorie, die sie belegen sollen, diskreditiert werden. (Seht es mir bitte nach, wenn ich ob meines Zustandes zu grummelig bin.)
 
Gibt es schon eine Lesung? Nicht das da steht, dass es im Oktober mit der Renovierung weiter geht.

In einem der vorgenannten Links war eine Lesung mit Übersetzung ins Italienische und dann ins Englische enthalten. Der Text war sinngemäß, dass jemand am 18. Oktober übermäßig gegessen hat.
 
Die Garage Deines Onkels hat aber sicher keinen Vulkanausbruch überstanden .
Vielleicht kommt dort ja noch einer à la Vesuv. Was unter künstlerischen Gesichtspunkten allerdings nicht schlimm wäre, denn von den Fertigkeiten der Lascaux-Leute war ich Knirps mindestens 79 Leugen weit entfernt.

Die Gebäude in Pompeji waren zum größten Teil mit Asche und Lapilli aufgefüllt. Dass da ein Kohlegekritzel überlebt hat ist schon schwer vorstellbar.
Es hat beeindruckend viel künstlerisch Gestaltetes auf Außen- wie Innenwänden in Pompeji die Auswürfe des Vesuv überdauert, warum nicht auch ein paar Kohlestriche. Bei einer pyroklastischen Walze wie in Herculaneum würde ich den Fund skeptischer sehen.

Selbst wenn es echt ist, sagt das doch gar nichts über das Jahr, in dem sie geschrieben wurde aus. Titus ließ durch eine Komission Grabungen in den zerstörten Städten durchführen. Das Graffito kann auch aus dieser Zeit stammen.
Solltest Du Dich hiermit auf meinen Post beziehen, fühle ich mich missverstanden, denn ich erachte eine Jahreszuordnung 79 schlicht für zu spekulativ.

Es wäre doch sehr eigenartig, wenn Plinius in seinen offenen Briefen ausgerechnet den Todestag seines Onkels falsch angibt.

Ich sehe bislang spannende Überlegungen die das Ausbruchsdatum in Frage stellen könnten, doch bislang überzeugt mich nichts davon stichhaltig um Plinius oder einen mittelalterlichen Kopisten der Fahrigkeit überführt zu sehen.
 
Wir wissen, dass sich die Bewohnerstruktur in Pompeji durch das Erdbeben von 62 uZ sich gewandelt hat. Es gab wohl einige Eigentümer, die ihr Eigentum nicht mehr aufbauten. Ebenso gab es wohl Spekulanten, welche mehrere Häuser aufkauften und die alten Grundstücksgrenzen neu gestalteten.
Es gab wohl nicht so viel Geld in der Bevölkerung, dass man die Stadt schnell wieder auf Vordermann bringen konnte. 17 Jahre nach dem Erdbeben waren dessen Spuren noch sichtbar.
(der deutsche Wiki-Artikel zu Pompeji verneint jedoch diese in der Literatur verbreiteten These. Die Bevölkerung wäre durch das 62er Erdbeben doch nicht verarmt ???)
Um die Datierung des Graffiti besser einschätzen zu können, müsste man mehr über den Stand der Renovierung wissen. Wäre zum Beispiel ein Teil der Wände mit einem neuen Putz versehen, die Wand mit dem Graffiti dagegen noch nicht, wäre das schon ein starker Beweis. Es wird wohl damals nicht jemand mit zwei oder drei verputzten Wänden gewohnt haben und eine blieb ohne Wandputz. Das wäre dann schon ein starker Beweis für die Datierung 79 uZ.
Schwieriger wird es, wenn auf der Baustelle nur ausgebessert wurde. Dann zeugt das eher von knappen Geldmittel und Flickschusterei, was sich über Jahre hingezogen haben könnte.
 
Wir sind im modernen Dtld. Bauruinen ja nicht gewohnt, es gibt sie, aber sie sind eher die Ausnahme als die Regel. Wir müssen aber nur in andere Länder fahren, wo andere Sitten (oder Gesetzgebungen) herrschen, wo es normal ist, im Rohbau zu leben, zB weil man für das unfertige Haus keine Steuer abführen muss.
 
Um die Datierung des Graffiti besser einschätzen zu können, müsste man mehr über den Stand der Renovierung wissen. Wäre zum Beispiel ein Teil der Wände mit einem neuen Putz versehen, die Wand mit dem Graffiti dagegen noch nicht, wäre das schon ein starker Beweis. Es wird wohl damals nicht jemand mit zwei oder drei verputzten Wänden gewohnt haben und eine blieb ohne Wandputz. Das wäre dann schon ein starker Beweis für die Datierung 79 uZ.
Schwieriger wird es, wenn auf der Baustelle nur ausgebessert wurde. Dann zeugt das eher von knappen Geldmittel und Flickschusterei, was sich über Jahre hingezogen haben könnte.

Selbst wenn ein Teil der Wände verputzt wäre, sehe ich da keinen Beleg für 79 n. Chr. Wieso wäre deiner Meinung nach 77 bzw 78 nicht möglich? Zeitliche Verzögerungen sind immer möglich.
 
Das Problem was sich ergibt ist, dass der Codex Oratorianus spätmittelalterlich ist (um 1450). Es wäre ein Handschriftenstemma anzulegen, um zu überprüfen, ob es sich um eine unabhängige üBerliefeurng handelt; das ist aber möglicherweise schon passiert: Johnson, Dora. The manuscripts of Pliny's letters. In Classical Philology 1912, S. 66 ff.

Ich habe den Aufsatz von Johnson ausfindig gemacht:

https://www.journals.uchicago.edu/doi/pdfplus/10.1086/359609

Danach gehen die bekannten Handschriften auf drei Handschriften zurück.

Zum einen die im Artikel sog. "hundred-letter tradition", die auf eine mittlerweile verlorene Handschrift Parisinus zurückgeht, dann die "nine-book tradition" und letztendlich die "eight-book tradition".

Der Codex Oratorianus wird in dem Aufsatz auf S. 75 erwähnt, er gehört zur dritten Gruppe, der "eight-book tradtion". Diese geht auf einen mittlerweile leider auch verlorenen Codex aus Verona zurück.

Also wir haben bei der Textstelle des Plinius-Brief, 6, 16 (4) zwei Varianten:

Zum einen die Variante mit November und dann die mit September. Bei ersterer kämen wir auf den 24. August als Ausbruchstag und bei der zweiten auf den 24. Oktober. Der Codex Oratorianus ist wohl ein Codex, der den November enthält, während die anderen den September enthalten.

Dann gibt es doch folgende Möglichkeiten:

  1. im verlorenen Codex aus Verona (eight-book tradition) stand November und der Codex Oratorianus überliefert diese Variante.
  2. im verloren Codex aus Verona stand September und der Kopist des Codex Oratorianus hat einen Abschreibfehler gemacht.
In dem Aufsatz von Johnson wird auf S. 67 auf eine Handschrift aus Dresden verwiesen, die laut einem Aufsatz von Keil von 1909 (s. FN 2 auf S. 67) auch auf den verlorenen Codex aus Verona zurückgeht. Die anderen Handschriften, die auf diesen Codex zurückgehen, sind durch die Handschrift Codex Florentinus (F), der zur "hundred-letters tradition" gehört, beeinflußt.

Ich habe abgesehen von meinem Schullatein keine altphilologische Ausbildung, aber findet man in den Plinius-Ausgaben denn auch alternative Lesarten mit Nennung, in welcher Handschrift sich welche Variante findet?
 
Die Bedeutung der Inschrift wird mir auch nach mehrmaligem Lesen nicht ganz klar. Sie soll von einem Arbeiter stammen - das ist doch nur eine Mutmaßung, oder? "Indulsit pro masumis esuritioni" - wie ist das zu verstehen?
 
Die Bedeutung der Inschrift wird mir auch nach mehrmaligem Lesen nicht ganz klar. Sie soll von einem Arbeiter stammen - das ist doch nur eine Mutmaßung, oder? "Indulsit pro masumis esuritioni" - wie ist das zu verstehen?

In dem Sid. Callidus verlinkten Artikel im Spektrum der Wissenschaft steht die ÜS:

Das Kohle-Graffito allein ist auch aus meiner Sicht eher ein Nicht-Indiz, da es keinen direkten Zusammenhang zum Ausbruch erkennen lässt. Laut diesem Artikel auf Spektrum der Wissenschaft deuten aber noch andere Indizien auf einen Ausbruch im späteren Herbst hin:
Untergang von Pompeji: Verdauungsstörung datiert Vesuvausbruch




Eine der Inschriften, die mit einem Kohlestück an die Wand gekritzelt wurden, lautet nun »XVI (ante) K(alendas) Nov(embres) in[d]ulsit pro masumis esurit[ioni]« – übersetzt: »[am] 17. Oktober hat er mit der Speise übertrieben.«

aus dem vorgenannten Artikel des Spektrums der Wissenschaft

Schauen wir uns die einzelnen Wörter an:

indulsit - 3. Pers. Sg. Perfekt Aktiv von indulgere

indulgere : Deutsch » Latein | PONS

hier paßt wohl die Bedeutung "nachgeben"

esuritioni - Dat. Sg. von esuritio
esuritio : Deutsch » Latein | PONS

das Hungern

Das pro masumis ist ein wenig problematischer. Das Wort masumis taucht zumindest bei Pons nicht auf. Die davorstehende Präposition pro erfordert den Ablativ, so dass es ein Grundwort im Nominativ Sg. wie masum-us (-a oder um) oder im Plural masum-i (-ae oder -a) geben müßte. Ich vermute aber einen Orthographiefehler, so dass maxumus gemeint sein dürfte. Im Pons taucht diese Form als altlateinische Form zu maximus auf (maximus : Deutsch » Latein | PONS ).

Ich denke die Abweichungen kommen daher, dass derjenige keine allzu hohe Bildung hatte, desweiteren mag auch das Latein von Pompeji noch eine lokale Färbung durch das Oskische (Oskische Sprache – Wikipedia ) gehabt haben.

Ich wage die Übersetzung: am 16. Tag vor den Kalenden des November gab er im höchsten Maße dem Hunger nach.

Wer den Spruch an die Wand geschrieben hat, ist unbekannt. Dass es ein Bauarbeiter war, ist eine Vermutung. Wer sonst hätte so ohne weiteres Zugang zu den Räumlichkeiten gehabt?
 
(...)
Ich wage die Übersetzung: am 16. Tag vor den Kalenden des November gab er im höchsten Maße dem Hunger nach.

Wer den Spruch an die Wand geschrieben hat, ist unbekannt. Dass es ein Bauarbeiter war, ist eine Vermutung. Wer sonst hätte so ohne weiteres Zugang zu den Räumlichkeiten gehabt?

Der Hausherr und seine Familie nebst Sklaven, wohl auch Verwandte, vermutlich Freunde und Bekannte die zu üppiger cena reinschauten, oder ein Lieberhaber - nicht nur wessen sondern auch welche Art von Hunger da übermäßig gestillt wurde steht ja leider nicht dabei... ;)
 
In wissenschaftlichen Editionen sollte das enthalten sein.

Kann da einer mal einen Tipp geben? Oder hat sogar zufällig dieses Werke im heimischen Bücherschrank stehen?
in der Wikipedia steht etwas von der Ausgabe von 1963 von Robert Mynor. Ich vermute, da könnte man vielleicht alternative Überlieferungen finden.

Der Hausherr und seine Familie nebst Sklaven, wohl auch Verwandte, vermutlich Freunde und Bekannte die zu üppiger cena reinschauten, oder ein Lieberhaber - nicht nur wessen sondern auch welche Art von Hunger da übermäßig gestillt wurde steht ja leider nicht dabei... ;)

Auch dies ist alles möglich.
 
In der Welt kam heute mal wieder ein Beitrag über die Graffitis in Pompeji. Interessant mal wieder die Bemerkung über die hohe Alphabetisierungsquote, genau wie die über den Preisvergleich zwischen Einkommen der Prostituierten, dem Brotpreis und dem Einkommen eines Familienvaters (der ja immerhin geheirat hatte, das bedeutete letztlich ja auch eine Verpflichtung).
 
Wenn man da liest, dass ein Graffiti aus römischer Zeit in der Lage war, Historiker zu korrigieren, dann sollten wir vielleicht weniger empfindlich auf heutige Graffitis reagieren – zumindest auf solche mit Datumsangabe. :D
 
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