Urchristliche Gemeinden

Ich sage, dass diese Strömungen auf der stoisch beeinflussten Philosophie des Jesus von Nazareth beruhen, wie sie im Thomasevangelium greifbar ist.
In meinen Augen ist das ein "ich weiß nicht" gegen ein Modell, das wenigstens plausibel ist und deshalb widerlegt werden muss, bevor man es verwerfen kann. Schließlich ist es unmöglich ein "ich weiß nicht" zu widerlegen. Das ist keine unzulässige Umkehr der Beweislast.
Du sollst auch nicht ein "ich weiß nicht" widerlegen, sondern Dein Modell belegen.

Letztlich basiert es auf Annahmen, die auf Annahmen basieren, die auf Annahmen basieren ... ein ganzes Gebäude von Annahmen, von denen keine belegt ist.
Einige dieser spekulativen Annahmen sind:
- Das Thomasevangelium ist der älteste christliche Text und war allen frühen christlichen Autoren bekannt, weshalb sie häufig aus ihm zitieren und sich auf es beziehen. => Das sind gleich drei Annahmen, die allesamt hochspekulativ und höchst unbelegt sind. Nehmen wir z. B. die angeblichen Zitate: Wenn im neuen Testament mehr oder weniger getreu oder frei aus dem AT zitiert wird, heißt es oft "Es steht geschrieben" oder "In der Schrift steht". Warum findet sich bei den angeblichen Zitaten aus dem Thomasevangelium nie ein vergleichbarer Hinweis?
- Das Thomasevangelium ist ein durch und durch gnostischer Text, quasi das Evangelium der Gnostiker.
- Das Thomasevangelium, die Gnosis und mehr oder weniger auch Paulus basieren auf der Stoa.
- Paulus und die anderen Autoren der kanonischen Briefe meinen immer, wenn sie vor Irrlehrern warnen, die Gnostiker. (Warum drücken sie sich eigentlich nicht klarer aus, statt so allgemein zu bleiben?)
 
Also ich fand beim Lesen die Behauptung, Jesus sei Stoiker gewesen, ziemlich gewagt und entsprechend die Einwände und Aufforderung zur Präzisierung der These sehr einleuchtend.
Bei schneller Recherche liest man im Internet:
"Obwohl Stoiker und aufkommendes Christentum von Beginn an verfeindet waren (bis zur gegenseitigen physischen Vernichtung) kann die Bedeutung des Stoizismus für das Christentum gar nicht überschätzt werden. Der Stoizismus hat dem Christentum den Boden bereitet. [Die Übereinstimmungen in der Ethik sind ja auch nicht zu übersehen.]" (Peter Möller = Peter Mller – Philolex – Stoizismus und Epikureismus)
Das läßt sich fast lesen als Bestätigung der These, aber berechtigt bleibt das Belegen - denn meiner Ansicht nach läßt diese kurze Fassung des Problems die Möglichkeit zu, daß bei der Rede vom Christentum überhaupt kein frühes Christentum (noch weniger eine Jesus-Bewegung) gemeint sein muß. An eine solche starke These denkst aber du:
Judas Phatre schrieb:
Die Stoa ist eine Philosophie, deren ethischen Kern man einem 10-Jährigen in 10 Minuten erklären kann. Diese Stoa meine ich, nicht die spekulative Stoa, die sowieso veränderlich und uneinheitlich war. Jesus lebte in der Nähe griechisch dominierter Städte und Kyniker gab es überall. Die Stoa war DIE Philosophie des Römischen Reichs.
Gegen den Kynismus wurden im Thread schon Einwände erhoben; auch Peter Möller, den ich Eingangs zit., würde dir da nicht mehr zustimmen. Wie dem auch sei, wenn du selbst den philosophischen Begriff Stoa aufweichst, kannst du natürlich auch einfach ein Trope wie Opferbereitschaft einführen und eine Analogie liefern wie z. B. http://www.geschichtsforum.de/735871-post102.html - aber wie stellst du sicher, daß du mit einer solchen Konstruktion nicht auf eine spätere Entwicklung in der christlichen Philosophie oder Praxis anspielst?
 
Bernhard Lang hat 2010 Jesu Lehren mit jenen der Kyniker verglichen: B. Lang, Jesus der Hund, Verl. C. H. Beck, München 2010
Muspilli und Epicharm,
danke für die Anregungen, sie kommen zu früh. Ich warte noch auf dekumatland. Es wird mir noch die versprochenen Verweise geben und dann stelle ich die Gesichtspunkte über Stoa und Kynismus in einem neuen (kurzen?) Thema zusammen. Bisher habe ich ja nur die Behauptung aufgestellt. Ob der Jesus im NT stoisch oder kynisch war, steht gar nicht zur Debatte, können wir dann aber auch diskutieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bernhard Lang hat 2010 Jesu Lehren mit jenen der Kyniker verglichen: B. Lang, Jesus der Hund, Verl. C. H. Beck, München 2010

Der überlieferte Lebensstil Johannes des Täufers, der sich in die Einsamkeit der Wüste zurückzieht, sich mit einer Rohkostdiät aus Heuschrecken und wildem Honig ernährt und nur mit Kamelhaarmantel und Lendenschurz bekleidet herumläuft, erinnert tatsächlich stark an Diogenes von Sinope. Vorbild dürften aber wohl eher die Propheten des Alten Testaments, als die Stoiker oder Kyniker gewesen sein. Anspielungen auf die Propheten Jesaja, Elias und Maleachi konnten von der mehrheitlich jüdischen Zuhörerschaft Johannes/Jesu jedenfalls weit eher als solche erkannt werden, als Bezüge auf stoisches, platonisches oder kynisches Gedankengut.

Ob Jesus über Griechischkenntnisse verfügte, wissen wir nicht. Wenn er wie sein Vater "Tekton" (Bauhandwerker) war, hätte er in Nazareth oder im nahen Sephoris kleines Graecum gut gebrauchen können. Mathäus und Markus (Mk 7, 24-30, Mt 15, 21- 28) berichten von Missionstätigkeiten außerhalb Galiläas nach Sidon und Tyros wo Jesus die Tochter einer Phönizierin (kanaanäischen Frau) heilt. Kontakte mit "Gottesfürchtigen" wie dem Centurio von Kafernaum oder einer griechischen Frau aus Syrophönizien (Mk 7, 24- 30, Mt15, 21-28) legen Griechischkenntnisse Jesu nah.
Jesus war aber palästinensischer Jude, der vor allem in Galiläa als Wanderprediger tätig war und seine Schüler wie die meisten seiner Anhänger waren Juden. Diese simple Tatsache lässt sich auch durch noch so abstruse "Modelle", Spekulationen und Behauptungen nicht unter den Tisch kehren.
 
Jesus war aber palästinensischer Jude, der vor allem in Galiläa als Wanderprediger tätig war und seine Schüler wie die meisten seiner Anhänger waren Juden. Diese simple Tatsache lässt sich auch durch noch so abstruse "Modelle", Spekulationen und Behauptungen nicht unter den Tisch kehren.

Vorausschicken möchte ich, dass ich mich mit der Arbeit B. Langs keineswegs identifiziere, sondern sie "als Beispiel kulturgeschichtlichen Querdenkens" einer im Wissenschaftsbetrieb durchaus renommierten Persönlichkeit vorstellen wollte.

So wie ich den Text lese, versucht Lang zu vermitteln, dass das, was die Tradition zum Leben Jesu erzählt, in der Zeit des Werdens der neutestamentlichen Texte teilweise durch Elemente aus der griechischen Kulturgeschichte "bereichert" worden war.

So verstehe ich es auch, wenn Lang (auf S. 173, leider über Google-Books nicht einsehbar) auf K. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2, S. 30, verweist, wo dieser mutmaßt:

Der Konflikt zwischen der platonisch-aristotelischen Spekulation und dem Geist der Großen Generation, dem Geist des Perikles, des Sokrates und des Demokrit, lässt sich durch alle Zeiten verfolgen. Dieser Geist wurde von der Bewegung der Kyniker mehr oder weniger rein aufbewahrt; wie die frühen Christen predigten sie die Brüderlichkeit der Menschen, die sie mit einem monotheistischen Glauben an die Vaterschaft Gottes verbanden. Das Weltreich Alexanders wie auch das des Augustus wurde durch diese Ideen beeinflusst, die zuerst im Imperium des perikleischen Athen Gestalt angenommen hatten und die durch den Kontakt zwischen dem Westen und dem Osten stets von neuem angeregt worden waren. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Ideen und vielleicht die kynische Bewegung selbst auch die Entstehung des frühen Christentums beeinflusst haben. Zu Beginn stand das Christentum wie auch die kynische Bewegung im Gegensatz zum gelehrten platonisierenden Idealismus und Intellektualismus der schreibenden Autoren, der Schriftgelehrten.

In diesem Zusammenhang irgendwelche historische Sachverhalte behaupten zu wollen, wäre natürlich unangebracht.
 
. Doch auch wenn er sich in nichtrömischer Gefangenschaft befunden hätte, wäre sein römisches Bürgerrecht keine Wunderwaffe gewesen, die ihm automatisch jede Zellentür geöffnet hätte. Übergriffe der Provinzbewohner auf römische Bürger kamen nämlich durchaus vor. Ein besonders drastischer Fall ereignete sich zu Beginn der Kaiserzeit oder kurz davor, als in Kyzikos von den Einheimischen einige römische Bürger ausgepeitscht und hingerichtet wurden.


Auch von römischen Amtsträgern hatten römische Bürger zuweilen Übergriffe zu erleiden. Sueton berichtet in seiner Galbabiographie, dass Galba einen römischen Bürger, dem vorgeworfen wurde, als Vormund sein Mündel vergiftet habe, um sich deren Erbe anzueignen. Galba habe ihn widerrechtlich kreuzigen lassen und als sich das Opfer über den Rechtsbruch beklagte, den Delinquenten an ein geweißtes Kreuz schlagen lassen, das etwas höher war, als die anderen Kreuze, ganz so, als handele es sich um eine Ehre, die dem Delinquenten erwiesen wurde. (Suet, Galba, Kap 8 ) Wie formlos Prozesse vor städtischen Gerichten verlaufen konnten, zeigt ein Beispiel aus Philippi. Paulus und Silas hatten einer jungen Sklavin die Fähigkeit zur Wahrsagens genommen, worauf ihr Besitzer finanziellen Schaden erlitt und Paulus und Silas verklagten. Unter dem Einfluss einer erregten Menschenmenge ließen die Strategen die beiden verhaften und auspeitschen, obwohl sie das römische Bürgerrecht geltend machten
Apg 16, 16-20)
 
Unter dem Einfluss einer erregten Menschenmenge ließen die Strategen die beiden verhaften und auspeitschen, obwohl sie das römische Bürgerrecht geltend machten
Apg 16, 16-20)

Dass sie Römer seien, eröffnet Paulus in diesem Erzählteil erst nach erfolgter Misshandlung.

Apg 16, 35-38

Als es aber Tag geworden war, sandten die Hauptleute die Rutenträger und sagten: Lass jene Menschen los!

Der Kerkermeister aber berichtete dem Paulus diese Worte: Die Hauptleute haben hergesandt, damit ihr losgelassen werdet. So geht denn jetzt hinaus und zieht hin in Frieden!

Paulus aber sprach zu ihnen: Nachdem sie uns, die wir Römer sind, öffentlich unverurteilt geschlagen, haben sie uns ins Gefängnis geworfen, und jetzt stoßen sie uns heimlich aus? Nicht doch; sondern lass sie selbst kommen und uns hinausführen!

Die Rutenträger aber meldeten diese Worte den Hauptleuten; und sie fürchteten sich, als sie hörten, dass sie Römer seien.
 
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