Ursprünge des Christentums

Tacitus, Annales, 15,44: "Ergo abolendo rumori Nero subdidit reos et quaesitissimis poenis adfecit, quos per flagitia invisos vulgus Chrestianos appellabat. Auctor nominis eius Christus Tibero imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio adfectus erat; repressaque in praesens exitiablilis superstitio rursum erumpebat, non modo per Iudaeam, originem eius mali, sed per urbem etiam, quo cuncta undique atrocia aut pudenda confluunt celebranturque." ("Um daher das Gerücht zu beseitigen, schob Nero die Schuld auf andere und verhängte die ausgesuchtesten Strafen über die wegen ihrer Verbrechen Verhassten, die das Volk Chrestianer nannte. Der Urheber dieses Namens, Christus, war unter der Regierung des Tiberius vom Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden. Für den Augenblick war der verderbliche Aberglaube unterdrückt worden, trat aber später wieder hervor, nicht nur in Iudaea, dem Ursprung dieses Übels, sondern auch in der Stadt, wo alle Greuel und Abscheulichkeiten von überall zusammenströmen und gefeiert werden.")

Mir geht es aber auch darum, dass Nero nur die Christen in Rom verfolgen ließ und nicht auch die Juden, also muss bereits zu seiner Zeit der Unterschied bekanntgewesen sein.
 
Die drei kurzen Erwähnungen der Christen bei Tacitus, Sueton und bei Plinius stammen allesamt aus der Zeit zwischen 110 – 120 nC. Die Berichte vermitteln also den Wissensstand zum Anfang des 2. Jhts, und zwar den Wissenstand von Personen, die sich mit den Christen – in welchem Zusammenhang auch immer – beschäftigt hatten.

In der Beurteilung, dass es sich um verderblichen Aberglauben handle, stimmen die drei überein.

Dass die Christen von der römischen Gesellschaft des beginnenden 2. Jhts bereits als Vertreter einer eigenständigen Religion wahrgenommen wurden, bezweifle ich. Das trifft vermehrt für die Zeit der Herrschaft Neros zu.

Beim Bericht des Tacitus - so exakt er klingen mag - ist bemerkenswert, dass er P. Pilatus, der Präfekt gewesen war, zum Prokurator von Judäa gemacht hat.

Tacitus und Sueton berichten – doch eher beiläufig - von einem Christus (bzw. Chrestus) als Namensgeber der Gemeinschaft der Christen. Offenbar haben sie den messianischen Titel für einen Eigennamen gehalten und die Christen für eine jüdische Sekte.
 
Dass die Christen von der römischen Gesellschaft des beginnenden 2. Jhts bereits als Vertreter einer eigenständigen Religion wahrgenommen wurden, bezweifle ich. Das trifft vermehrt für die Zeit der Herrschaft Neros zu.

Wie meinst du das?
- In der Zeit der Herrschaft des Nero wurden die Christen erstmals als eigenständige Religion wahrgenommen oder
- Die Christen wurden noch nicht als eigenständige Religion wahrgenommen, insbesondere nicht unter Nero?
Die Unklarheit besteht, weil die eine Variante mir unlogisch erscheint und die andere Variante die Herrschaft Neros um ca. 50 Jahre + falsch datiert.

Beim Bericht des Tacitus - so exakt er klingen mag - ist bemerkenswert, dass er P. Pilatus, der Präfekt gewesen war, zum Prokurator von Judäa gemacht hat.
Das sind Titel für dasselbe Amt.

Tacitus und Sueton berichten – doch eher beiläufig - von einem Christus (bzw. Chrestus) als Namensgeber der Gemeinschaft der Christen. Offenbar haben sie den messianischen Titel für einen Eigennamen gehalten und die Christen für eine jüdische Sekte.
Auf jeden Fall wird deutlich, dass ihre Kenntnisse von den Christen nicht besonders gut sind.

vorherige - oder womöglich nachträgliche?
Vorherige. Zur Verhaltensänderung, und gerade zu einer solch radikalen von "ich meide die Öffentlichkeit und verstecke mich" zu "ich stelle mich auf den Marktplatz und beginne öffentlich eine Häresie zu predigen und nehme dafür Verfolgung, Folter und Ermordung in Kauf" bedarf es eines vorherigen Umdenkens.
Das Nachträgliche, was mich hier aber nicht interessiert, ist die Verkleidung dieses Ereignisses in eine Wundergeschichte.
 
Beim Bericht des Tacitus - so exakt er klingen mag - ist bemerkenswert, dass er P. Pilatus, der Präfekt gewesen war, zum Prokurator von Judäa gemacht hat.
Zu Tacitus' Zeiten wurde Iudaea von einem "Procurator" regiert. Dass Tacitus übersehen hat, dass der Statthalter in der Zeit bis zur vorübergehenden Herrschaft des Herodes Agrippa einen anderen Titel führte, wird man ihm nachsehen dürfen und schmälert nicht seinen Wert. Irgendeinen Fehler findet man auch in jeder heutigen geschichtlichen Publikation, und mag sie vom Besten des Fachs geschrieben sein.

Tacitus und Sueton berichten – doch eher beiläufig - von einem Christus (bzw. Chrestus) als Namensgeber der Gemeinschaft der Christen. Offenbar haben sie den messianischen Titel für einen Eigennamen gehalten und die Christen für eine jüdische Sekte.
Dass Sueton die Christen für eine jüdische Sekte hielt, mag zutreffen, jedenfalls ist sein Bericht über die Vertreibung der Juden aus Rom unter Claudius reichlich konfus. (Allerdings ist unklar, ob mit dem "Chrestos", der die Juden aufgewiegelt haben soll, wirklich Christus gemeint war.)
Bei Tacitus sehe ich das hingegen anders. In seinem Bericht über die neronische Christenverfolgung spricht er eindeutig nur von den Anhängern von Christus, aber nicht von den Juden. Hingegen enthalten die "Historien" einen Exkurs über die Juden, in dem nicht auf die Christen eingegangen wird. Das legt für mich den Schluss nahe, dass Tacitus sehr wohl zwischen Juden und Christen unterschieden hat.

Der Neronischen Christenverfolgung fielen anscheinend nur Christen zum Opfer, aber keine Juden. Auch das würde bedeuten, dass man damals schon zwischen beiden Gruppen unterschieden hat.
 
Wie meinst du das?
- In der Zeit der Herrschaft des Nero wurden die Christen erstmals als eigenständige Religion wahrgenommen oder
- Die Christen wurden noch nicht als eigenständige Religion wahrgenommen, insbesondere nicht unter Nero?
Die Unklarheit besteht, weil die eine Variante mir unlogisch erscheint und die andere Variante die Herrschaft Neros um ca. 50 Jahre + falsch datiert.
Ich versuche, das präziser zu fassen:

Die Niederschrift der Annalen erfolgte 116/117 nC, die von De vita Caesarum vermutlich zwischen 117 – 122 nC.

Wie Du zutreffend bemerkt hast, waren die Kenntnisse der beiden Geschichtsschreiber, die Christen betreffend, nicht besonders gut. Zwei hochgebildete Römer wussten also zur Zeit des Entstehens ihrer Werke über die Christen, über die sie berichten, kaum Bescheid.

Es drängt sich daher der Schluss auf: Die Christen wurden von der römischen Gesellschaft des beginnenden 2. Jhs noch kaum wahrgenommen.

Woher Tacitus seine Informationen hatte, ist nicht bekannt. Mag sein, dass er während seiner Statthalterschaft in Kleinasien mit der Christenfrage (gleichermaßen wie Plinius als Statthalter von Bithynien und Pontus) konfrontiert war.

Die Zeit der Herrschaft Neros (54-68 nC), habe ich nicht datiert, sondern als bekannt vorausgesetzt. Meine Schlussfolgerung war: Wenn die Christen von der römischen Gesellschaft am Beginn des 2. Jhs als eigenständige Religionsgemeinschaft kaum wahrgenommen wurden, darf das auch – und zwar in vermehrtem Maße - für die Zeit der Herrschaft Neros gelten.

Das sind Titel für dasselbe Amt.
Ja, aber Pilatus führte eben den Titel eines Präfekten, was bekannt wurde, nachdem man 1961 die Pilatus-Inschrift von Caesarea-Maritima gefunden hatte.

Dass es die Evangelisten, die antiken Geschichtsschreiber und Kirchenschriftsteller mit dem Titel des Pilatus nicht so genau genommen haben, räume ich ein.

Matthäus (27,2) nennt ihn hegemon (Führer, Herrscher). Bei Markus, Lukas und Johannes hat er keinen Titel. Bei Philo (Legatio 299) und bei Josephus (Bellum II 9,2) heißt er epitropos (Verwalter, Vorsteher), was man üblicherweise mit procurator übersetzt. Vorgänger und Nachfolger des Pilatus heißen bei Josephus auch eparchos (Kommandant, Befehlshaber), wofür im Lateinischen gewöhnlich praefectus steht.

In die Vulgata ging Pilatus als praeses (Vorsteher, Vorgesetzter, Vorsitzender) ein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Zeit der Herrschaft Neros (54-68 nC), habe ich nicht datiert, sondern als bekannt vorausgesetzt. Meine Schlussfolgerung war: Wenn die Christen von der römischen Gesellschaft am Beginn des 2. Jhs als eigenständige Religionsgemeinschaft kaum wahrgenommen wurden, darf das auch – und zwar in vermehrtem Maße - für die Zeit der Herrschaft Neros gelten.
Wie erklärst Du dann, dass der Christenverfolgung in Rom unter Nero dezidiert Christen zum Opfer fielen und nicht auch die Juden mit ihren verschiedenen Strömungen? Ich verweise auch darauf, dass Tacitus schrieb, die Christen seien verhasst gewesen. Das geht nur, wenn sie auch bekannt waren. Außerdem mussten sie natürlich bekannt sein, um ihnen die Schuld am Brand in die Schuhe schieben zu können.
 
Zu Tacitus' Zeiten wurde Iudaea von einem "Procurator" regiert. Dass Tacitus übersehen hat, dass der Statthalter in der Zeit bis zur vorübergehenden Herrschaft des Herodes Agrippa einen anderen Titel führte, wird man ihm nachsehen dürfen und schmälert nicht seinen Wert. Irgendeinen Fehler findet man auch in jeder heutigen geschichtlichen Publikation, und mag sie vom Besten des Fachs geschrieben sein.

Das stimmt natürlich.

Welchen Amtstitel Pilatus geführt hatte, war für Tacitus bei diesem Bericht von geringer Bedeutung. Die Begebenheit hat er, denke ich, vor allem vorgetragen, um Nero noch 50 Jahre nach seinem Ableben eins auszuwischen.

Das mit dem Titel wollte ich nur bemerkt haben.

Der Neronischen Christenverfolgung fielen anscheinend nur Christen zum Opfer, aber keine Juden. Auch das würde bedeuten, dass man damals schon zwischen beiden Gruppen unterschieden hat.

Das vor allem, weil sich die Christen in den Augen der Römer verdächtig benahmen. Offenbar auch schon ein paar Jahre zuvor.
Sueton schreibt (Claud 25,4):

Judaeos impulsore Chresto assidue tumultuantes Roma expulit.

- "Die Juden, die, von Chrestus aufgehetzt, fortwährend Unruhe stiften, vertrieb er aus Rom" -

So richtig auseinandergehalten hat Sueton Juden und Christen also nicht.

Unter den römischen Juden dürfte es aufgrund christlicher Missionspredigt zu Unruhen gekommen sein, worauf Claudius die Wortführer ausweisen ließ. Der Vorfall fand auch in der Apg mit dem Bericht von der Übersiedlung von Aquila und Priszilla nach Korinth seinen Niederschlag (18,2). Dass das alle Juden betroffen hätte, wie dort behauptet wird, ist unhistorisch. Nur die Unruhestifter (Judaeos impulsore … tumultuantes) - das hat wohl Juden und Christen gleichermaßen betroffen - wurden vertrieben.
 
Wie erklärst Du dann, dass der Christenverfolgung in Rom unter Nero dezidiert Christen zum Opfer fielen und nicht auch die Juden mit ihren verschiedenen Strömungen?

Auf welche Quellen, wonach Juden "verschiedener Strömungen" in Rom ihre Streitigkeiten ausgefochten hätten, berufst Du Dich in diesem Zusammenhang?

Offenbar hat es Christen gegeben, die bei den Juden missionarisch aktiv wurden, was zu den Tumulten geführt hat, auf die ich im vorherigen Beitrag bezuggenommen habe.
 
Sueton schreibt (Claud 25,4):

Judaeos impulsore Chresto assidue tumultuantes Roma expulit.

- "Die Juden, die, von Chrestus aufgehetzt, fortwährend Unruhe stiften, vertrieb er aus Rom" -

So richtig auseinandergehalten hat Sueton Juden und Christen also nicht.

Unter den römischen Juden dürfte es aufgrund christlicher Missionspredigt zu Unruhen gekommen sein, worauf Claudius die Wortführer ausweisen ließ. Der Vorfall fand auch in der Apg mit dem Bericht von der Übersiedlung von Aquila und Priszilla nach Korinth seinen Niederschlag (18,2). Dass das alle Juden betroffen hätte, wie dort behauptet wird, ist unhistorisch. Nur die Unruhestifter (Judaeos impulsore … tumultuantes) - das hat wohl Juden und Christen gleichermaßen betroffen - wurden vertrieben.
Mit dieser Stelle habe ich so meine Schwierigkeiten, vor allem wenn man sie mit der auch von Dir erwähnten Stelle in der Apostelgeschichte verbindet: Letztere erwähnt ausdrücklich, dass von Claudius alle Juden aus Rom vertrieben wurden. Das finde ich insofern bemerkenswert, als zumindest der Verfasser der Apostelgeschichte definitiv zwischen Juden und Christen unterscheiden konnte. Das legt für mich zwei alternative mögliche Schlüsse nahe:
- Claudius konnte nicht zwischen Juden und Christen unterscheiden und wies daher wegen Problemen mit den Christen gleich alle Juden (inkl. der Christen) aus.
- Mit diesem Chrestos ist gar nicht Christus gemeint, sondern irgendein Unruhestifter unter den Juden in Rom. Daher wurden die römischen Juden ausgewiesen, nicht unbedingt aber auch die Christen.
 
Auf welche Quellen, wonach Juden "verschiedener Strömungen" in Rom ihre Streitigkeiten ausgefochten hätten, berufst Du Dich in diesem Zusammenhang?
Nein, da interpretierst Du in meinen Beitrag zuviel hinein. Ich wollte nur sagen, dass der Umstand, dass Nero nur die Christen in Rom verfolgen ließ, nicht aber auch die Juden, für mich nahelegt, dass die Christen von ihm eben nicht mehr bloß als eine jüdische Strömung angesehen wurden, sondern als eigenständige religiöse Gruppe.
 
Mit dieser Stelle habe ich so meine Schwierigkeiten, vor allem wenn man sie mit der auch von Dir erwähnten Stelle in der Apostelgeschichte verbindet: Letztere erwähnt ausdrücklich, dass von Claudius alle Juden aus Rom vertrieben wurden. Das finde ich insofern bemerkenswert, als zumindest der Verfasser der Apostelgeschichte definitiv zwischen Juden und Christen unterscheiden konnte.
Der Bericht der Apg, wonach Claudius alle Juden aus Rom vertrieben hätte, wird heute selbst von Theologen nicht mehr als historisches Ereignis angesehen.

Das legt für mich zwei alternative mögliche Schlüsse nahe:
- Claudius konnte nicht zwischen Juden und Christen unterscheiden und wies daher wegen Problemen mit den Christen gleich alle Juden (inkl. der Christen) aus.
Man hat das jedenfalls als Streit unter Juden aufgefasst. Und nochmals: Es sind offenbar nur die Wortführer des Streits ausgewiesen worden.

- Mit diesem Chrestos ist gar nicht Christus gemeint, sondern irgendein Unruhestifter unter den Juden in Rom. Daher wurden die römischen Juden ausgewiesen, nicht unbedingt aber auch die Christen.
Laut Apg wurden definitiv auch zwei Christen ausgewiesen. Und ein paar namentlich nicht bekannte Juden und Christen dazu. Dass alle Juden vertrieben worden wären, ist unhistorisch.

Ich nehme an, dass Sueton über diese Sache unzureichend informiert war und der Verfasser der Apg übertrieben hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nein, da interpretierst Du in meinen Beitrag zuviel hinein. Ich wollte nur sagen, dass der Umstand, dass Nero nur die Christen in Rom verfolgen ließ, nicht aber auch die Juden, für mich nahelegt, dass die Christen von ihm eben nicht mehr bloß als eine jüdische Strömung angesehen wurden, sondern als eigenständige religiöse Gruppe.

Na dann lassen wir es doch ganz einfach dabei verbleiben, dass ich eine andere Meinung vertrete.
 
Es geht mir nicht darum, ob Claudius alle Juden vertrieben hat, sondern ob er gezielt Juden ausgewiesen hat oder ob er irrtümlicherweise Juden ausgewiesen hat, obwohl er eigentlich Christen ausweisen wollte, weil die Probleme machten. Die Stelle in der Apostelgeschichte besagt für mich eindeutig, dass er Juden ausweisen ließ. Diese Stelle besagt übrigens nicht, dass Aquila und Priscilla zum Zeitpunkt ihrer Ausweisung bereits Christen waren, sondern nur, dass zumindest Aquila zumindest jüdischer Herkunft war. Gut möglich, dass sie erst von Paulus bekehrt wurden. Es ist also durchaus denkbar, dass man in Rom durchaus schon unter Claudius zwischen Juden und Christen unterscheiden konnte und den Aquila auswies, weil er damals noch Jude war.
Für mich gibt es also zwei mögliche Erklärungen:
- Claudius hörte, dass die Christen in Rom Ärger machen, konnte sie aber nicht von den Juden unterscheiden und wies daher die jüdischen (inkl. der christlichen) Führer aus.
- Oder aber es gab nur Probleme mit einem jüdischen Führer namens Chrestos, sodass Claudius dessen Anhänger, darunter Aquila, auswies. Die Christen waren dann möglicherweise nicht betroffen.
 
Es geht mir nicht darum, ob Claudius alle Juden vertrieben hat, sondern ob er gezielt Juden ausgewiesen hat oder ob er irrtümlicherweise Juden ausgewiesen hat, obwohl er eigentlich Christen ausweisen wollte, weil die Probleme machten. Die Stelle in der Apostelgeschichte besagt für mich eindeutig, dass er Juden ausweisen ließ. Diese Stelle besagt übrigens nicht, dass Aquila und Priscilla zum Zeitpunkt ihrer Ausweisung bereits Christen waren, sondern nur, dass zumindest Aquila zumindest jüdischer Herkunft war. Gut möglich, dass sie erst von Paulus bekehrt wurden. Es ist also durchaus denkbar, dass man in Rom durchaus schon unter Claudius zwischen Juden und Christen unterscheiden konnte und den Aquila auswies, weil er damals noch Jude war.
Für mich gibt es also zwei mögliche Erklärungen:
- Claudius hörte, dass die Christen in Rom Ärger machen, konnte sie aber nicht von den Juden unterscheiden und wies daher die jüdischen (inkl. der christlichen) Führer aus.
- Oder aber es gab nur Probleme mit einem jüdischen Führer namens Chrestos, sodass Claudius dessen Anhänger, darunter Aquila, auswies. Die Christen waren dann möglicherweise nicht betroffen.

Ich räume gerne ein, dass ich von all dem, was im NT an Christuskerygma vermittelt wird (samt so manchen Begleitgeschichten aus der Apg, etc.), nur weniges für historisch halte.

In der gegenständlichen Sache halte ich es mit Gerd Theißen, wenn er schreibt:

Die Quelle Suetons ist unbekannt, aber sich nicht christlich. Entweder beruht die Nachricht auf einem vagen Gerücht, oder Sueton hat einen amtlichen Bericht eingesehen und missverstanden.

Historisch zutreffende Kenntnisse über Christus hat Sueton nicht, denn er nimmt anscheinend an, dass "Chrestus" der Anstifter der Unruhen in Rom zur Zeit des Claudius war. Tatsächlich aber dürfte es unter den römischen Juden wegen der christlichen Missionspredigt über den Messias (Christus) zu Unruhen gekommen sein, woraufhin Claudius die Wortführer ausweisen ließ.

Theißen/Merz: Der historische Jesus, Göttingen 2001, S. 90

Vgl. auch Peter Lampe in Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe 18: Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten, Tübingen 1989, 4ff. (Ereignisse rund um das "Claudiusedikt")
 
In der gegenständlichen Sache halte ich es mit Gerd Theißen, wenn er schreibt:

Die Quelle Suetons ist unbekannt, aber sich nicht christlich. Entweder beruht die Nachricht auf einem vagen Gerücht, oder Sueton hat einen amtlichen Bericht eingesehen und missverstanden.
Zumindest bleibt festzuhalten, dass die Ausweisung von Juden aus Rom unter Claudius von der Apostelgeschichte und von Sueton berichtet wird, wobei man davon ausgehen kann, dass beide Quellen voneinander unabhängig sind.
 
Die Niederschrift der Annalen erfolgte 116/117 nC, die von De vita Caesarum vermutlich zwischen 117 – 122 nC.
Das ändert doch nicht daran, dass Tacitus einen Vorfall berichtet, der 64 nach Christus stattfand.

Wie Du zutreffend bemerkt hast, waren die Kenntnisse der beiden Geschichtsschreiber, die Christen betreffend, nicht besonders gut. Zwei hochgebildete Römer wussten also zur Zeit des Entstehens ihrer Werke über die Christen, über die sie berichten, kaum Bescheid.

Es drängt sich daher der Schluss auf: Die Christen wurden von der römischen Gesellschaft des beginnenden 2. Jhs noch kaum wahrgenommen. [...]
Die Zeit der Herrschaft Neros (54-68 nC), habe ich nicht datiert, sondern als bekannt vorausgesetzt. Meine Schlussfolgerung war: Wenn die Christen von der römischen Gesellschaft am Beginn des 2. Jhs als eigenständige Religionsgemeinschaft kaum wahrgenommen wurden, darf das auch – und zwar in vermehrtem Maße - für die Zeit der Herrschaft Neros gelten.
Ich halte diese Schlussfolgerung für falsch. Natürlich wurden sie wahrgenommen, so wie wir heute ja auch Religionsgemeinschaften in unserer Gesellschaft wahrnehmen. Aber man hatte keine inneren Kenntnisse. Verglichen mit unserer heutigen Gesellschaft: Wir haben heute nur noch sekundäres Analphabetentum, jeder Bürger lernt im Laufe seines Lebens lesen und schreiben, wir haben Internet und andere Massenkommunikationsmedien. Und doch haben wir kaum Ahnung von den Befindlichkeiten unserer Nachbarn. Kaum jemand weiß etwas über die Muslime, obwohl seit 60 Jahren muslimische Gastarbeiter in Dtld. leben und obwohl diese seit dem 11. September 2001 in cummulo in den Fokus des medialen Interesses gerückt sind.
Nun stellen wir uns einen Römer vor. Keine Zeitung, kein Internet, kein Fernsehen. Woher soll der etwas seriöses von Christen erfahren, wenn nicht von diesen selbst? Stattdessen hört er etwas von Ritualmorden (dies ist mein Leib, dies ist mein Blut) und dass sie den Kaiserkult verweigern. Tatsache ist, sie wurden wahrgenommen, und zwar als Störer der römischen Ordnung, da sie den aus römischer Sicht zum Erhalt des Staates notwendigen Kaiserkult nicht mitmachten (was wohl neben den unterstellten Ritualmorden der Anlass für den ja nicht unbedingt kaiserfreundlichen Tacitus ist, sie zu perfiden Verbrechern zu erklären).

Ja, aber Pilatus führte eben den Titel eines Präfekten, was bekannt wurde, nachdem man 1961 die Pilatus-Inschrift von Caesarea-Maritima gefunden hatte.
Nix "ja, aber...", ob Prokurator oder Präfekt, das macht keinen Unterschied. Lukas nennt ihn zwar nicht Procurator, aber Tacitus. Lukas (bzw. Hieronymus) gebraucht die Verlaufsform: procurante Pontio Pilato.
Man mag Hieronymus unterstellen, dass er Lukas' "ἡγεμονεύοντος Ποντίου Πιλάτου" nicht angemessen übersetzt (das Wort ἡγεμονίας (Τιβερίου Καίσαρος) desselben Satzes übersetzt Hieronymus im Übrigen mit imperii), aber Tacitus wird man kaum unterstellen können, dass der keine Ahnung von den Ämtern der Römer gehabt habe, zumal er selber Präfekt war.

Matthäus (27,2) nennt ihn hegemon (Führer, Herrscher). Bei Markus, Lukas und Johannes hat er keinen Titel. Bei Philo (Legatio 299) und bei Josephus (Bellum II 9,2) heißt er epitropos (Verwalter, Vorsteher), was man üblicherweise mit procurator übersetzt. Vorgänger und Nachfolger des Pilatus heißen bei Josephus auch eparchos (Kommandant, Befehlshaber), wofür im Lateinischen gewöhnlich praefectus steht.

In die Vulgata ging Pilatus als praeses (Vorsteher, Vorgesetzter, Vorsitzender) ein.

Logische Schlussfolgerung: Es gab eine Vielzahl von Möglichkeiten der Übersetzung des Prokuratoren- oder Präfektenamtes.


Das vor allem, weil sich die Christen in den Augen der Römer verdächtig benahmen. Offenbar auch schon ein paar Jahre zuvor.
Sueton schreibt (Claud 25,4):

Judaeos impulsore Chresto assidue tumultuantes Roma expulit.

- "Die Juden, die, von Chrestus aufgehetzt, fortwährend Unruhe stiften, vertrieb er aus Rom" -

So richtig auseinandergehalten hat Sueton Juden und Christen also nicht.

Unter den römischen Juden dürfte es aufgrund christlicher Missionspredigt zu Unruhen gekommen sein, worauf Claudius die Wortführer ausweisen ließ. Der Vorfall fand auch in der Apg mit dem Bericht von der Übersiedlung von Aquila und Priszilla nach Korinth seinen Niederschlag (18,2). Dass das alle Juden betroffen hätte, wie dort behauptet wird, ist unhistorisch. Nur die Unruhestifter (Judaeos impulsore … tumultuantes) - das hat wohl Juden und Christen gleichermaßen betroffen - wurden vertrieben.

Die Frage ist doch, ob Sueton nicht unterschied, oder ob er hier nicht einfach den Text seiner Quelle, der claudianischen Akten, übernahm.


Mit dieser Stelle habe ich so meine Schwierigkeiten, vor allem wenn man sie mit der auch von Dir erwähnten Stelle in der Apostelgeschichte verbindet: Letztere erwähnt ausdrücklich, dass von Claudius alle Juden aus Rom vertrieben wurden. Das finde ich insofern bemerkenswert, als zumindest der Verfasser der Apostelgeschichte definitiv zwischen Juden und Christen unterscheiden konnte. Das legt für mich zwei alternative mögliche Schlüsse nahe:
- Claudius konnte nicht zwischen Juden und Christen unterscheiden und wies daher wegen Problemen mit den Christen gleich alle Juden (inkl. der Christen) aus.
- Mit diesem Chrestos ist gar nicht Christus gemeint, sondern irgendein Unruhestifter unter den Juden in Rom. Daher wurden die römischen Juden ausgewiesen, nicht unbedingt aber auch die Christen.

Letztere Variante können wir wohl aller Wahrscheinlichkeit nach ausschließen. Und dass Lukas zwischen Juden und Christen zu unterscheiden wusste, dürfte klar sein. Sein eigenes Christsein war schließlich das Resultat der Entscheidung, dass auch Heiden Christen werden könnten.

Ich nehme an, dass Sueton über diese Sache unzureichend informiert war und der Verfasser der Apg übertrieben hat.

Davon kann man ausgehen. Die Suetonstelle ist leider sehr unklar formuliert.

In der gegenständlichen Sache halte ich es mit Gerd Theißen, wenn er schreibt:

Die Quelle Suetons ist unbekannt, aber sich nicht christlich. Entweder beruht die Nachricht auf einem vagen Gerücht, oder Sueton hat einen amtlichen Bericht eingesehen und missverstanden.

Das Missverständnis dürfte schon im amtlichen Bericht gelegen haben.
 
Äh ... Wann? Mit der Zuständigkeit wofür?

Bin mit den Ämtern durcheinander gekommen. Er war Prätor. Das ändert allerdings nichts an meiner Argumentation: Wir können Tacitus zugestehen, dass er die römischen Ämter kannte - er hatte selbst mehrere inne. Wenn er von Pontius Pilatus als procuratorem schreibt, dann müssen wir dieses Amt für Pontius gesetzt sehen.
 
Ich halte diese Schlussfolgerung für falsch. Natürlich wurden sie wahrgenommen, so wie wir heute ja auch Religionsgemeinschaften in unserer Gesellschaft wahrnehmen. ...
Deine Argumente überzeugen mich nicht.

Ich schrieb:
Von der römischen Gesellschaft … als eigenständige Religionsgemeinschaft kaum wahrgenommen wurden,…

Das halte ich aufrecht. Man hat sie (die Christen) wohl als jüdische Sekte wahrgenommen, die einen Geheimkult treibt und allerlei verbrecherische Dinge anstellt.

Bin mit den Ämtern durcheinander gekommen. Er war Prätor. Das ändert allerdings nichts an meiner Argumentation: Wir können Tacitus zugestehen, dass er die römischen Ämter kannte - er hatte selbst mehrere inne.
Ja, er bekleidete verschiedene Ämter, unter Nerva war er Consul gewesen.

Wenn er von Pontius Pilatus als procuratorem schreibt, dann müssen wir dieses Amt für Pontius gesetzt sehen.
Müssen wir? Ich denke, nein!

Dass Tacitus in der Amtsbezeichnung wohl einem Irrtum unterlegen sei, hat schon der Mommsenschüler Otto Hirschfeld (in einer Berliner Akademieabhandlung von 1889) angemerkt. Mit dem Fund der Pilatus-Inschrift aus Caesarea Maritima wurde die Annahme Hirschfelds bestätigt.
 
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