Pope
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Ein Einschub zum "Müssen Nazi-Verbrechen "unerklärlich" sein?"-Strang.
Weil wir über Leben in der Diktatur reden ...
Beispiel Südafrika.
Ich muss zugeben, dass mich das Thema hier unten nicht wirklich interessiert. Man mag mich dafür geisseln, aber die legislativen und anderen Einzelheiten des formellen Weges der "Reconciliation" (= Versöhnung) haben mich nie sonderlich beschäftigt.
Für den geneigten Leser, hier vielleicht noch die Hintergründe:
Quelle
Was ich dennoch mit Spannung verfolge, ist der Verlauf des informellen Prozesses der Versöhnung und des friedlichen Miteinanders. Und der ist mit dem Ende der Wahrheitskommission noch lange nicht zu ende.
1. Versöhnung vs. Gerechtigkeit
Wie im Artikel schon angesprochen, ging man hierzulande nicht den Weg der Verurteilung oder gar Vergeltung, sondern es sollte die Wahrheit über die Verbrechen erzählt werden. Nur wer leugnete oder oder sich in besonderer Weise schuldig gemacht hatte, drohte die Bestrafung. Die Mehrzahl der Anhörungen endete mit der Begnadigung der Täter.
Was mir dabei in Hinblick auf die deutsche Geschichte auffällt, ist wiedereinmal die Ausrichtung des Versöhnungsprozesses auf die Täter, Vordenker und Strippenzieher - und ihre z.T. prominenten Opfer. Der kleine (weisse/arische) Mann auf der Straße blieb verschont. Und in meinem kleinen Städtchen hat sich daher auch kein Schuldbewußtsein innerhalb der weissen Community eingestellt.
Während in Deutschland spätestens mit den 68ern eine Generalverdachts( wenn nicht gar -schuld)debatte losrollte, die zumindest ein öffentliches Bewußtsein für die Mitwisser-, Mitläufer- und/oder Mittäterschaft der breiten Bevölkerung schuf, ist man hier davon weit entfernt. In der Hinsicht finde ich den hiesigen Versöhnungsprozess zu lasch... wenn es auch verständlich ist, warum es dazu nicht kam.
Jedenfalls ist das politische Apartheidssystem offiziell beendet, während es ökonomisch und sozial weiterlebt. Ökonomisch, in der Verteilung des Wohlstands. Sozial, in den Köpfen der Menschen. Niemand hatte den Weissen je erklärt, was sie persönlich falsch gemacht hätten oder anders hätten machen müssen. Und deshalb machen sie genauso weiter, wie zuvor. Apartheid, würden sie sagen, war falsch. Rassismus (das weiss ich, weil ich mich da schon oft auf's Glatteis begeben habe), das ist nur natürlich.
Und jeder hat hier natürlich seine Gründe, warum Schwarzafrikaner schlechtere Menschen sind. Die "Monkeys", "Baboons", oder wasauchimmer, können dies nicht, machen das falsch. Sind per se Verbrecher, lügen immer und hassen die Weissen doch noch viel mehr, als wir sie. Das ist natürlich nicht bei jedem Weissen hier so, es ist mehr der Unterton der weissen Bevölkerung hier. Bestenfalls trifft man auf jemanden, der mit Schwarzen beruflich zwar zurecht kommt, privat aber doch lieber unter Weissen ist. Das Bewußtsein, dass eine solche Haltung doch die Apartheid erst möglich gemacht hat (wie eben in Deutschland der schwelende Antisemitismus), herrscht hier jedenfalls nicht. Und zwischen Kultur und Rasse wird erst recht nicht unterschieden...
Ich als Europäer (die nennen sich auch gerne Europäer und meinen, sie wären es auch) komme da natürlich nur schlecht gegen an. Reich bin ich sowieso, und arrogant, weil ich die Realität der Weissen nicht wahrhaben will: denn im "New South Africa" herrscht ganz legal positive Diskriminierung seitens der "Schwarzen" Regierung, um die historischen Disparitäten auszugleichen. Die Weissen bei uns sehen das natürlich als ungerecht an ("why do we have to suffer for things we didn't do?"), und sind blind für Sicht der andere, schwarzen Seite.
Ich will nicht weiter auf die Einzelheiten eingehen, denn das würde doch zu weit gehen. Aber ich meine, dass der Prozess der Versöhnung hier im Ostkap ein Hauptziel verfehlt oder gar ausser Acht gelassen hat: die Schaffung eines Bewußtseins in der Weissen Bevölkerung, dass sie zu den Profiteuren des alten Systems gehörten und nun in der Pflicht der Ausgebeuteten stehen.
2. Widerstand und Verweigerung im Apartheid-Regime
Die Parallelen sind doch verblüffend. Zum 3.Reich, wie auch zur DDR. Es herrschte ein Quasi-Einparteien-System. Und die Rassenfrage wurde geschickt mit der Kommunistenfrage vereint, so dass man jegliche Umtriebe und politischen Aktivitäten als Gefahr für die Freiheit Südafrikas ahnden konnte. (Entweder Du bist für uns, oder Du bist ein Kommunist!) Dazu kam die perfide Moral der niederländisch-reformierten Kirche, die den Leuten sonntags nochmal vortrug, warum Gott die Welt mit Schwarzen und Weissen Menschen ausgestattet hatte. Dazu ein Frauenbild aus dem 19.Jh. (Frauen dürfen erst seit den 70ern in Bars gehen - es war zu ihrem eigenen Schutz!), und fertig war eine Ideologie, die jeden Widerstand illegitim machte.
Die Zahl der Weissen, die sich der Sache der Schwarzen annahmen, war verschwindend gering. Im Prinzip war es der schwarze Widerstand und der ausländische Druck nach Ende des Kalten Krieges, die den Wandel, die Befreiung erst ermöglichten. Von sich heraus hätte das Weisse Südafrika jedenfalls sicher nicht die Apartheid aufgegeben. Und das ist eine grausame Tatsache: Das Leid der anderen stand nun mal hinter den persönlichen Interessen. Die Ideale der Aufklärung hatten dieses Land nicht erreicht. Und ich befürchte, dass das hier, in Queenstown, auch noch länger so bleiben wird.
Soviel zu Versöhnung und Widerstand in Südafrika. Nachfragen ist erlaubt, eine objektivere Sicht habe ich aber nicht zu bieten. :winke:
Weil wir über Leben in der Diktatur reden ...
Beispiel Südafrika.
Ich muss zugeben, dass mich das Thema hier unten nicht wirklich interessiert. Man mag mich dafür geisseln, aber die legislativen und anderen Einzelheiten des formellen Weges der "Reconciliation" (= Versöhnung) haben mich nie sonderlich beschäftigt.
Für den geneigten Leser, hier vielleicht noch die Hintergründe:
"Die Wahrheits- und Versöhnungskommission"
Die "Truth and Reconciliation Commission" wurde am 15. April 1996 gegründet und, unter der Aufsicht des Südafrikanischen Erzbischof Desmond Tutu, mit 17 Mitglieder "ausgerüstet". Das Hauptziel der Kommission war, die Wahrheit vergangener Unmenschlichkeiten und Ungerechtigkeiten der Unterdrücker an die Öffentlichkeit zu bringen und hiermit die Menschenrechte zu verstärken und zu verbessern.
Während Deutschland zur Zeit des Nürnberger Prozesses als solches gar nicht bestand, sondern zerstört und zertrümmert am Boden lag, war Südafrika mit der Gründung der Kommission bereits auf dem Weg der Versöhnung und des Umbaus der Gesellschaft. In Südafrika vermied man die Unterteilung in Triumphanten und Besiegte, um der Verbrüderung kein weiteres Hindernis zu stellen. Obwohl mehrfache Protestaktionen aufflammten, die die Bestrafung der weißen Missetäter forderten, mahnte vor allen Präsident Nelson Mandela, dass sich das Südafrikanische Volk von der Vergangenheit abgrenzen und nicht die gleichen Fehler begehen soll. Die Schuldigen wurden also, im Gegensatz zu Nürnberg, nicht vor ein Tribunal oder Gericht gestellt, sondern waren aufgefordert, Motive, Antrieb, Vorgehensweisen und bestimmte Ereignisse der Apartheid-Ära zu erläutern und erklären. Meistens, wenn nicht immer, erhielten die, die sich meldeten und ihre Geschichte des Unrechts anerkannten, Amnestie, also eine Begnadigung.
Der Grundgedanke der Kommission lautete: "Vergeben ohne zu vergessen." Natürlich fiel dies der Mehrzahl der Opfer nicht leicht, und viele können selbst heute die Misshändler und Mörder ihrer Familienmitglieder nicht der Schuld entlassen. Trotzdem ist die Kommission einer der wirkungsvollsten Schritte Richtung Versöhnung. Man kann niemandem vergeben, wenn man nicht weiß, wofür. Zudem ist es unmöglich die Gnade eines anderen anzunehmen, ohne sich vorher selbst mit der Situation und des Falschseins seiner Aktionen und Taten auseinandergesetzt zu haben und diese herzlich zu bereuen. Die Kommission gab den "Tätern" die Gelegenheit dieser Besinnung und die Chance, durch die Hilfe beim Aufbau des Neuen Südafrika, ihre Verbrechen "wett" zu machen. Hierdurch wird das Schuldgefühl zwar erregt, es wird der weißen Rasse aber nicht als jahrelange Bürde auferlegt. Der Fokus zentrierte sich hier nicht auf den Täter, sondern auf die Opfer und deren Genesung.
"Die Demokratie ist der beste Weg der Wiedergutmachung."
Doch nicht nur dem Volk sollten Reparationen zu Gunsten kommen, sondern auch den individuellen Opfern von Menschenrechtsverstößen.
Das Ziel war, eine gerechte Gesellschaft zu erschaffen, "ohne menschenrechtliche Verstöße." Es gab die Hoffnung, dass "am Ende dieses Prozesses das Südafrikanische Volk weiser sein wird und es möglich ist, mit gegenseitigem Vertrauen und dem Glauben an das Vermögen unser selbst, eine blühende, friedvolle und gerechte Gesellschaft zu schaffen."
Eine vom Fernsehen übertragene Anhörung bleibt in Erinnerung: einer Gruppe Mütter, deren Söhne während der Apartheid ums Leben gekommen waren, wurde eine Videoaufnahme der Folterungen der Söhne vorgeführt, doch bereits nach einigen Sekunden brachen sie in ein schmerzvolles Schreien und Weinen aus. Mehrere Male wurde versucht, das Video weiterzuführen, doch ohne Erfolg. Schock, Schmerz, Angst und Hass lagen zu tief und trotzdem konnten 4 von 5 Müttern, deren Kinder brutal zu Tode gefoltert wurden, vergeben. Dies ist äußerst bewundernswert und für viele unverständlich. Doch in dieser Fähigkeit lag die Zukunft Südafrikas.
Das bestätigte und neu gelernte Wissen entspannte endlich die Situation und erlaubte dem Neuaufbau in die Mitte zu rücken. Der Mensch fürchtet das Unbekannte. Das Kennenlernen dessen bringt Erleichterung mit sich und befreit den Menschen. Südafrika litt für die Menschlichkeit. Diese Hingabe sollte respektiert werden und "jegliche Menschenrechtsverletzung soll eine weichende Erinnerung der Vergangenheit sein, um niemals wiederzukehren."
Die "Truth and Reconciliation Commission" beinhaltet einen riesigen Fortschritt des Menschenrechts und des Menschentums. Welch eine Kraft und Überzeugung an das Gute muss vorhanden sein, um seinem langjährigen Feind, der gemordet, vergewaltigt, missbraucht, erniedrigt und unterdrückt hat, vergeben zu können. Gewalt und Hass kann man nicht mit Gewalt und Hass bekämpfen. Genau das haben Mandela und seine Begleiter erkannt und verstanden. Ohne diese Weitsichtigkeit wäre ein versöhntes Land, in dem jeder stolzer Mitbewohner ist, nicht möglich gewesen.
Quelle
Was ich dennoch mit Spannung verfolge, ist der Verlauf des informellen Prozesses der Versöhnung und des friedlichen Miteinanders. Und der ist mit dem Ende der Wahrheitskommission noch lange nicht zu ende.
1. Versöhnung vs. Gerechtigkeit
Wie im Artikel schon angesprochen, ging man hierzulande nicht den Weg der Verurteilung oder gar Vergeltung, sondern es sollte die Wahrheit über die Verbrechen erzählt werden. Nur wer leugnete oder oder sich in besonderer Weise schuldig gemacht hatte, drohte die Bestrafung. Die Mehrzahl der Anhörungen endete mit der Begnadigung der Täter.
Was mir dabei in Hinblick auf die deutsche Geschichte auffällt, ist wiedereinmal die Ausrichtung des Versöhnungsprozesses auf die Täter, Vordenker und Strippenzieher - und ihre z.T. prominenten Opfer. Der kleine (weisse/arische) Mann auf der Straße blieb verschont. Und in meinem kleinen Städtchen hat sich daher auch kein Schuldbewußtsein innerhalb der weissen Community eingestellt.
Während in Deutschland spätestens mit den 68ern eine Generalverdachts( wenn nicht gar -schuld)debatte losrollte, die zumindest ein öffentliches Bewußtsein für die Mitwisser-, Mitläufer- und/oder Mittäterschaft der breiten Bevölkerung schuf, ist man hier davon weit entfernt. In der Hinsicht finde ich den hiesigen Versöhnungsprozess zu lasch... wenn es auch verständlich ist, warum es dazu nicht kam.
Jedenfalls ist das politische Apartheidssystem offiziell beendet, während es ökonomisch und sozial weiterlebt. Ökonomisch, in der Verteilung des Wohlstands. Sozial, in den Köpfen der Menschen. Niemand hatte den Weissen je erklärt, was sie persönlich falsch gemacht hätten oder anders hätten machen müssen. Und deshalb machen sie genauso weiter, wie zuvor. Apartheid, würden sie sagen, war falsch. Rassismus (das weiss ich, weil ich mich da schon oft auf's Glatteis begeben habe), das ist nur natürlich.
Und jeder hat hier natürlich seine Gründe, warum Schwarzafrikaner schlechtere Menschen sind. Die "Monkeys", "Baboons", oder wasauchimmer, können dies nicht, machen das falsch. Sind per se Verbrecher, lügen immer und hassen die Weissen doch noch viel mehr, als wir sie. Das ist natürlich nicht bei jedem Weissen hier so, es ist mehr der Unterton der weissen Bevölkerung hier. Bestenfalls trifft man auf jemanden, der mit Schwarzen beruflich zwar zurecht kommt, privat aber doch lieber unter Weissen ist. Das Bewußtsein, dass eine solche Haltung doch die Apartheid erst möglich gemacht hat (wie eben in Deutschland der schwelende Antisemitismus), herrscht hier jedenfalls nicht. Und zwischen Kultur und Rasse wird erst recht nicht unterschieden...
Ich als Europäer (die nennen sich auch gerne Europäer und meinen, sie wären es auch) komme da natürlich nur schlecht gegen an. Reich bin ich sowieso, und arrogant, weil ich die Realität der Weissen nicht wahrhaben will: denn im "New South Africa" herrscht ganz legal positive Diskriminierung seitens der "Schwarzen" Regierung, um die historischen Disparitäten auszugleichen. Die Weissen bei uns sehen das natürlich als ungerecht an ("why do we have to suffer for things we didn't do?"), und sind blind für Sicht der andere, schwarzen Seite.
Ich will nicht weiter auf die Einzelheiten eingehen, denn das würde doch zu weit gehen. Aber ich meine, dass der Prozess der Versöhnung hier im Ostkap ein Hauptziel verfehlt oder gar ausser Acht gelassen hat: die Schaffung eines Bewußtseins in der Weissen Bevölkerung, dass sie zu den Profiteuren des alten Systems gehörten und nun in der Pflicht der Ausgebeuteten stehen.
2. Widerstand und Verweigerung im Apartheid-Regime
Die Parallelen sind doch verblüffend. Zum 3.Reich, wie auch zur DDR. Es herrschte ein Quasi-Einparteien-System. Und die Rassenfrage wurde geschickt mit der Kommunistenfrage vereint, so dass man jegliche Umtriebe und politischen Aktivitäten als Gefahr für die Freiheit Südafrikas ahnden konnte. (Entweder Du bist für uns, oder Du bist ein Kommunist!) Dazu kam die perfide Moral der niederländisch-reformierten Kirche, die den Leuten sonntags nochmal vortrug, warum Gott die Welt mit Schwarzen und Weissen Menschen ausgestattet hatte. Dazu ein Frauenbild aus dem 19.Jh. (Frauen dürfen erst seit den 70ern in Bars gehen - es war zu ihrem eigenen Schutz!), und fertig war eine Ideologie, die jeden Widerstand illegitim machte.
Die Zahl der Weissen, die sich der Sache der Schwarzen annahmen, war verschwindend gering. Im Prinzip war es der schwarze Widerstand und der ausländische Druck nach Ende des Kalten Krieges, die den Wandel, die Befreiung erst ermöglichten. Von sich heraus hätte das Weisse Südafrika jedenfalls sicher nicht die Apartheid aufgegeben. Und das ist eine grausame Tatsache: Das Leid der anderen stand nun mal hinter den persönlichen Interessen. Die Ideale der Aufklärung hatten dieses Land nicht erreicht. Und ich befürchte, dass das hier, in Queenstown, auch noch länger so bleiben wird.
Soviel zu Versöhnung und Widerstand in Südafrika. Nachfragen ist erlaubt, eine objektivere Sicht habe ich aber nicht zu bieten. :winke:
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