Versailler Vertrag zu hart und weich.... !?

Ein Hinweis: die Zahlen oben bitte nicht addieren, sowohl die brit. wie die frz. Schätzung betreffen die Gesamtkosten der Alliierten, also 500 - 800 Mrd. Mark.
 
Der Hinweis war unnötig, der Verweis von Turgot auf die 27 Teilnehmer diente nur dazu, dir in deiner Einseitigkeit deiner Betrachtung vor Augen zu führen, dass es neben Deuschlands Interessen auch ein "paar" andere gab.
Nein, der Hinweis auf die Vielzahl der Teilnehmer diente zur Erklärung warum die Konferenz der Sieger, nachdem sie sich über schwierige Verhandlungen hinaus auf Friedensbedingungen gegenüber Deutschland geeinigt hatte, diese Einigung nicht aufs Spiel setzen wollte, indem man im Anschluss Deutschland zur Konferenz hinzuzog. Nur so war es zu verstehen.

Die aristokratischen Staatsmänner haben es 1815 geschafft, einen vormalig revolutionären Zustand der Mächte untereinander in ein allgemein anerkanntes System der Legitimität zu überführen. Selbst der Kriegsgegner Frankreich konnte sich darin wiederfinden zumal dieses Prinzip Frankreich vor weitergehenden Gebietsabtretungen schützte. Dieser Frieden hielt an bis zur Lösung von dem Prinzip der Legitimität im Krimkrieg, und verhinderte einen allgemeinen europäischen Krieg für 100 Jahre.
In Versailles vermischten die jeweiligen Staatsmänner Forderungen nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und Gebietsfestlegungen nach dem Nationalitätenprinzip mit Reparationsforderungen und Gebietsabtretungen zum Zwecke der Machtbeschneidung. Aus diesen Gründen haben die USA Versailles auch nicht ratifiziert sondern mit Deutschland einen Separatfrieden abgeschlossen. So trägt der Vertragstext eher die Handschrift Clemenceaus als Wilsons. Jener Clemenceau, der danach von den Franzosen eben nicht zum Staatspräsidenten gewählt wurde und sich bereits 1920 "verbittert aus der Politik zurückzog"(Wikipedia).
 
Du hast zu meinen letzten Ausführungen zum Wiener Kongress ja gar keine Stellung bezogen.

Ich jedenfalls für mein Teil bevorzuge den Vergleich mit Brest. Er zeigt eigentlich vielmehr, wie unberechtigt die deutschen Klagen über die angeblichen Ungerechtigkeiten des Versailler Vertrages gewesen waren.

In Brest war es das Deutsche Reich im März 1918, die den Frieden diktieren und den westlichen Mächten eine Vorstellung davon vermittelte, was ihnen blühen würde, wenn sie den Krieg verlieren. Darüber solltest du dir einmal Gedanken machen, wie Brest auf Frankreich, Großbritannien und die USA gewirkt hat. Dem deutschen Staatssekretär des AA war sich darüber durchaus bewußt und wollte die gröbsten Härten vermeiden. Die OHL hat Kühlmann dafür feuern lassen.

Russland musste enorme territoriale Zugeständnisse machen. Polen, Finnland, Estland, Lettland und Litauen sowie wie Transkaukasien gingen verloren. Sie wurden entweder souveräne Staaten unter deutschen Protektorat oder direkt dem Deutschen Reich einverleibt. Des Weitern mussten die Russen die Unabhängigkeit der Ukraine anerkennen. Der deutsche Botschafter Graf Mirbach kam zu dem Schluß, die russische Bevölkerung findet den Inhalt des Vertrages noch schlimmer als die Diktatur der Bolschewisten.

Es wurden 750.000 Quadratkilometer abgetreten. Das entsprach in etwas einer Größe, die doppelt so große war, wie das Deutsche Reich. Es handelte sichum bevölkerungsreiche Gebiete, die auch für die Landwirtschaft eine bedeutende Rolle spielten. Ebenfalls war hier Kohle und Erz zu finden.

Die wirtschaftlichen Bedingungen räumten des Vertrages räumten den Deutschen einen Sonderstatus in Russland ein. So wurden Einzelpersonen und Unternehmen der Mittelmächte von Verstaatlichungen ausgenommen. Diese Unternehmen erhielten auch das Recht in Russland bewegliches und unbewegliches Vermögen zu erwerben. Des Weiteren konnten sie Industrieanlagen zurückführen, ohne Strafsteuern zu zahlen. Auch konnten Deutsche Gewerbe, Handelsunternehmungen und Berufen auf russischem Territorium ausüben. Theoretisch galt das auch für die Russen im Deutschen Reich, nur war Russland zu jener Zeit nicht unbedingt dazu in der Lage, davon Gebrauch zu machen.

Alle Privatrechte an Grundbesitz, die durch Kriegsgesetze oder durch Gewaltakte verletzt wurden, mussten wiederhergestellt werden. Und so weiter und so weiter. Durch diese Bedingungen wurde das Deutsche Reich quasi in die Lage versetzt, die Kontrolle über die russische Privatwirtschaft zu übernehmen.

Natürlich mussten sich die Russen auch dazu verpflichten ihr Heer und ihre Kriegsmarine zu demobilsieren.

Wie du siehst, haben sich die Deutschen gegenüber den Russen auch nicht gerade Mäßigung auferlegt. Schon aus diesem Grunde ist das Gejammer und Gestöhne in meinen Augen ein gutes Stück verlogen.


Grundsätzlich ist es schon erforderlich, sich zu bemühen auch die Sichtweise der anderen beteiligten Nationen in Versailles zu betrachten und zu verstehen, um zu einen differenzierten Bild zu gelangen. Nur mit der deutschen Sichtweise, die nicht gerade durch Sachlichkeit glänzte, der Nachkriegszeit ist es nicht getan.


Pipes, Russische Revolution

P.S.
Franz-Ferdinand schrieb:
Jener Clemenceau, der danach von den Franzosen eben nicht zum Staatspräsidenten gewählt wurde und sich bereits 1920 "verbittert aus der Politik zurückzog"

Im Alter von 79 Jahren durfte er das auch.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bin völlig bei Turgot, aufgrund der oben skizzierten Veränderungen ergeben Vergleiche mit dem 19. Jahrhundert und daraus resultierende Wertungen keinen Sinn.

P.S.
Im Alter von 79 Jahren durfte er das auch.

Es wäre zweckmäßig, wenn Franz-Ferdinand einmal kurz skizzieren würde, wie er sich die inneren Verhältnisse Frankreichs, Großbritanniens und USA 1918/19 vorstellt, oder jedenfalls ganz grob vorstellt, aus welcher Literatur er seine derzeitigen Schlüsse über die treibenden Kräfte, inneren Friktionen etc. dieser Länder zieht.

Mir scheinen da "Missverständnisse" zu bestehen, jedenfalls ergibt sich der Eindruck aus einigen Bemerkungen in dieser Richtung. Vielleicht liegt da der Schlüssel zu einem weiteren Verständnis der Abläufe.

Auf die Presse und ihre besondere Rolle bzgl. Versailles ist auch schon hingewiesen worden.

Entschuldige bitte, alle Zahlen dürften den damaligen Zeitgenossen so exorbitant erschienen sein wie den Heutigen die aufzuspannenden "Rettungsschirme":winke:

War nur ein Hinweis, dass sich keine falschen Fakten festsetzen...
Die Beschreibung der Urteile über diese Summen ist etwas unscharf. Sicher waren sie exorbitant. Sie waren aber so real, in 4 Jahren durch die Budgets zu laufen, bzw. als Zukunftslasten (Pensionen) definitiv verursacht worden zu sein. Der Streit ging letztlich darum, dass ein Land nie in der Lage sein würde, diese Schäden zu ersetzen, weswegen intern die Summen auch nicht "gehandelt" wurden.

Das "exorbitant" lässt sich aber prima auf die Wahrnehmung dieser Kriegsrealitäten übertragen: eine bis dato unvorstellbare Katastrophe. Nun zieh einmal selbst den Schluss, in welcher "Verfassung" sich die Akteure vor dem Hintergrund dieser Ungeheuerlichkeiten befanden.

P.S. Bitte die tagespolitischen Ansätze im Geschichtsforum außen vor lassen
 
Zuletzt bearbeitet:
Für mich liegt das "Ungerechte" im Versailler Vertrag nicht so sehr in der Kriegsschuldfrage, in der utopischen Höhe der Reparationen oder in der Abtretung von Gebieten an sich. Jeder Deutsche dürfte erwartet haben, dass der Sieger "recht" hatte, die Summen waren nicht begreiflich, weder in der Höhe noch in der Art der Ermittlung und der Verlust von Kolonien und Gebieten in Europa war bitter und dennoch entsprach dies den Gepflogenheiten.

Das Hauptproblem sehe ich aber in der Art und Weise. So haben Briten und Franzosen nichts gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker gesagt und implizit Wilsons 14 Punkte unterstützt (zu dem Zeitpunkt brauchten sie auch die Unterstützung der USA) und sich dann nicht mehr dran gehalten. Klar braucht man sich nicht an die Versprechen eines anderen zu halten, aber die damit verbundene Darstellung der eigenen Politik hat große Enttäuschung und Verbitterung verursacht. Dies betrifft nicht nur deutsche Gebietsabtretungen ohne bzw. mit unfreien Wahlen, es betrifft auch das Verbot des Anschlusses Österreichs, die Grenzen auf dem Balkan, gebrochene Versprechungen gegenüber den Arabern, die katastrophale Politik in Palästina usw.
Überall wurde eine Nachkriegsordnung aufgezogen, die Konfliktherde schuf oder schürte und höchstens kurzfristig dem eigenen Machterhalt diente. Sicher, manche Folgen wurden erst später sichtbar, aber vieles wurde bereits von Zeitgenossen vorhergesehen.

Der Vergleich mit Tilsit 1807 erscheint mir da nicht ganz so passend, weil dort genau wie Brest-Litowsk nur eine Vereinbarung in unruhigen Zeiten möglich war. Weder 1807 noch 1918 war bereits eine stabile Nachkriegssituation erkennbar. Es sollten also fremde Ressourcen erschlossen werden um aus einer instabilen Situation möglichst vorteilhaft hervor zu treten.

Der Wortbruch der Briten und Franzosen ist umso gravierender als beide Länder ja das Selbstverständnis von Demokratie hoch hielten, aber eben nicht für andere...

Solwac
 
@Turgot: Du hast zu meinen letzten Ausführungen zum Wiener Kongress ja gar keine Stellung bezogen.

@Turgot: 1815 ging es „nur“ darum das europäische Gleichgewicht der Mächte und die Restauration wieder zur Geltung kommen zu lassen. Das war doch in Versailles ganz anders. Hier ging es auch darum die Theorie des Nationalitätenprinzips und das Selbstbestimmungsrecht der Völker umzusetzten.

Ich habe in #182 versucht zu erklären, dass man es 1815 schaffte, einen vormalig revolutionären Zustand der Mächte untereinander in ein allgemein anerkanntes System der Legitimität zu überführen. Im Gegensatz dazu wurden die neuen Prinzipien des `Selbstbestimmungsrechts´ und des `Nationalitätenprinzips´ eben nicht konsequent verfolgt sondern mischten sich mit Reparationsforderungen und Gebietsabtretungen zum Zwecke der Machtbeschneidung. Doppelt schwer wog auch, dass man deutscherseits meinte, unter diesen Bedingungen den Waffenstillstand eingegangen zu sein und auch unter diesen Bedingungen einen Frieden zu erwarten.
Den Vermerk deinerseits auf die `Macht der Presse´ oder `Macht des Boulevard´ (@Turgot:„…Vor der Tür lauerten Heerscharen von Journalisten, die die Interessen der Verleger mit Nachdruck vertraten. Die öffentliche bzw. veröffentliche Meinung, es war eine überaus aufgeputschte, ließ sich nicht so einfach ignorieren!...“) dem die alliierten Konferenzteilnehmer ausgesetzt waren habe ich verstanden. Aber auch die Staatsmänner in Wien 1815 waren Vorgesetzten zur Rechenschaft verpflichtet und arbeiteten nicht im `luftleeren Raum´. Castlereagh war seinem Parlament verpflichtet, Metternich musste seinem störrischen Kaiser des Öfteren zum „Einlenken“ bewegen und so fort! Gerade weil diese Staatsmänner auch gegen ihre Vorgesetzten letztlich zum Wohl Europas entschieden, schätze ich ihre Leistung im Gegensatz zu ihren Amtskollegen von 1919 höher ein.
@Turgot: Ich jedenfalls für mein Teil bevorzuge den Vergleich mit Brest. Er zeigt eigentlich vielmehr, wie unberechtigt die deutschen Klagen über die angeblichen Ungerechtigkeiten des Versailler Vertrages gewesen waren.
Der Vergleich zwischen Versailles 1919 und Wien 1815 sollte die Gegensätze aufzeigen. Der Vergleich mit Brest 1918 zeigt, da stimme ich dir uneingeschränkt zu, eher Gemeinsamkeiten und kaum Gegensätze. Daher ist der Frieden von Brest als Blaupause für einen Verständigungsfrieden 1919 ungeeignet - obwohl:

@Turgot: Russland musste enorme territoriale Zugeständnisse machen. Polen, Finnland, Estland, Lettland und Litauen sowie wie Transkaukasien gingen verloren. Sie wurden entweder souveräne Staaten unter deutschen Protektorat oder direkt dem Deutschen Reich einverleibt. Des Weitern mussten die Russen die Unabhängigkeit der Ukraine anerkennen.

Hätte ein allgemeiner Friedensschluss aller Kriegsteilnehmer, also Russland eingeschlossen, unter der Beachtung des `Nationalitätenprinzips´ nicht genau diese Staatenbildung bedingt? Oder waren die Finnen, Polen, Esten, Litauer, Letten und Ukrainer denn Russen? Ich bitte, mich nicht falsch zu verstehen: Der Friede von Brest war ein Diktatfrieden und er schadete Deutschland 1919 aber Russland 1914 war halt ein Vielvölkerstaat und Deutschland nicht. Die „ehernen“ Prinzipien, welche die USA im Gepäck nach Versailles mitbrachten, ließen sich nur auf eigene Kosten durchsetzen – das war nicht im Sinne Frankreichs!

@Turgot: Jener Clemenceau, der danach von den Franzosen eben nicht zum Staatspräsidenten gewählt wurde und sich bereits 1920 "verbittert aus der Politik zurückzog" Im Alter von 79 Jahren durfte er das auch.

Hierbei geht es nicht um das Alter, sondern um die Tatsache, dass das französische Volk ihn bereits direkt nach dem Sieg nicht als Staatspräsidenten haben wollte!

@silesia: Ich bin sehr bei Turgot, aufgrund der oben skizzierten Veränderungen ergeben Vergleich mit dem 19. Jahrhundert und daraus resultierende Wertungen keinen Sinn.

„Der Aufstieg und Niedergang der früheren, auf Vielstaatlichkeit beruhenden Weltordnungen – vom Westfälischen Frieden bis in unsere Zeit – ist die einzige Erfahrung auf die man zurückgreifen kann, wenn man nachvollziehen will, mit welchen Schwierigkeiten Staatsmänner heute konfrontiert sind….Aus der Geschichte lernt man durch Analogien, die Schlüsse auf die möglichen Konsequenzen in vergleichbaren Situationen zulassen. Jede Generation muss für sich entscheiden, welche Umstände tatsächlich vergleichbar sind…Der Staatsmann muss auf der Grundlage von Einschätzungen handeln, für die es zum jeweiligen Zeitpunkt keine Beweise gibt; ihn wird die Geschichte zum einen danach beurteilen, wie klug er den vermeintlichen Wandel vollzogen, vor allen Dingen aber danach, wie gut er den Frieden bewahrt hat.“(1)

@silesia: Es wäre zweckmäßig, wenn Franz-Ferdinand einmal kurz skizzieren würde, wie er sich die inneren Verhältnisse Frankreichs, Großbritanniens und der USA 1918/19 vorstellt, oder jedenfalls ganz grob vorstellt, aus welcher Literatur er seine derzeitigen Schlüsse über die treibenden Kräfte, inneren Friktionen etc. dieser Länder zieht.

„Frankreich hatte sich im Krieg weißgeblutet. Die Generation, die seit 1870 von einem Vergeltungskrieg geträumt hat, war siegreich daraus hervorgegangen, aber um einen verhängnisvollen Preis an nationaler Lebenskraft. Es war ein hohlwangiges Frankreich, das die Morgenröte des Sieges erblickte. Tiefe Furcht vor Deutschland bedrückte die französische Nation schon am ersten Tag nach ihrem überwältigenden Erfolg…Zweifellos war endlich Friede und Sicherheit erreicht. Mit einem einzigen leidenschaftlichen Aufschrei rief das französische Volk: „Nie wieder Krieg!“…
Die wirtschaftlichen Bestimmungen des Vertrages waren so bösartig und töricht, dass sie offensichtlich jede Wirkung verloren. Deutschland wurde dazu verurteilt, unsinnig hohe Reparationen zu leisten. Diese Diktate drückten sowohl die Wut der Sieger aus wie den Irrtum ihrer Völker, die nicht begriffen, dass keine besiegte Nation oder Gemeinschaft die Kosten des modernen Krieges ersetzen kann… Die siegreichen Alliierten versicherten nach wie vor, dass sie Deutschland ausquetschen würden, „bis die Kerne krachen“. Das alles übte auf das Gedeihen der Welt und auf die Stimmung des deutschen Volkes gewaltigen Einfluss aus…“(2)

(1) H. Kissinger `Die Vernunft der Nationen´ Berlin 1994
(2) W. Churchill `Der Zweite Weltkrieg´ Bern 1948
 
Zuletzt bearbeitet:
@Fanz-Ferdinand

Zu 1: Kissinger läßt hier schlicht offen, was vergleichbar ist und was nicht.
Schaust Du mal auf entsprechende Literatur mit Expertise zu diesem Thema (Beispiele hatte ich oben angegeben), ergibt sich gerade das Trennende.

Verstehest Du Kissinger richtig, dass die Erkenntnis des mangelnden Vergleichs wichtig ist?:winke:

Zu 2: eine respektable Einschätzung Frankreichs durch Churchill, die allerdings von ihm auch zu erwarten war, da er sich hier nah genug am Puls befand.
Bzgl. Deutschland und des "Kerne-Krachen-Zitats" ist der Hintergrund zum Verständnis wichtig: das ist bekanntermaßen wörtlich die Linie der britischen Hardliner, die gerade nicht umgesetzt worden ist. Ist die der Kontext des restlichen fürsorglichen Zitates zu Deutschland vor dem Hintergrund der britischen Nachkriegspolitik (nach 1945!) bekannt?;) Dann bist Du in der Lage, den ökonomischen Laien Churchill und seine Position zu Reparation 1946 vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges zu interpretieren.

Beides (Churchill wie Kissinger) ist ja nun keine Fachliteratur zu der oben angerissenen Frage, sondern sind nur allenfalls bemerkenswerte Meinungen. Wie sieht es denn nun mit der Literatur aus, oder gründet sich Deine Einschätzung auf die zwei Zitate?
 
@silesia: Kissinger läßt hier schlicht offen, was vergleichbar ist und was nicht.
Schaust Du mal auf entsprechende Literatur mit Expertise zu diesem Thema (Beispiele hatte ich oben angegeben), ergibt sich gerade das Trennende.


„Jede Generation muss für sich entscheiden, welche Umstände tatsächlich vergleichbar sind“

Ich verstehe nicht was du mit „trennend“ meinst? Die Vergleichbarkeit liegt halt je nach Auffassung des Betrachters zwischen 0 und 100% und ich behaupte doch gar nicht, es läge eine 100%ige Vergleichbarkeit vor? Wo sind die Vergleichbarkeiten meiner Meinung nach: Beiden Friedensverträgen ging ein langer, europaweiter Krieg mit mehreren Teilnehmern voraus, die Sieger waren sich untereinander nicht einig wie der Frieden auszuführen sei und beschlossen, die Durchführung einer Konferenz um offene Fragen - auch untereinander - zu klären, beide Konferenzen erhoben den Anspruch, Europa friedlicher zu gestalten, im Sinne eines „Systemwechsels“ sollten strukturelle Änderungen in den Beziehungen der europäischen Völkerfamilie - vornehmlich natürlich auf Seite des Besiegten - vor kriegerischen Wiederholungen schützen, Regierungswechsel hin zur Staatsform der Sieger wurden von den Besiegten gefordert.
Wo sind Unterschiede meiner Meinung nach: Deutschland war, anders als Frankreich 1815, in den Augen des eigenen Volkes „ungeschlagen“ während Frankreich besiegt und besetzt war. Zentraler stand die „Kostenfrage“ im Mittelpunkt, wohl aufgrund der unvorstellbaren Schäden, die Allianz der Sieger zerbrach recht kurz nach Versailles, Quadrupelallianz und Heilige Allianz hielten länger.

Im Ergebnis komme ich zu der Ansicht, dass ein Vergleich der beiden Konferenzen miteinander erlaubt ist. Es gibt viele Gemeinsamkeiten bezüglich der Ausgangslage, „trennend“, besser: nicht vergleichbar, erscheint mir die jeweilige Umsetzung durch die Protagonisten, dem gilt meine Kritik! Wäre es vorstellbar, das, was Nolte als „30-jährigen Bürgerkrieg“ bezeichnet, (#124) bereits 1919 zu beenden ohne das es der „reprise“ 1933-1945 bedurft hätte? Ich halte es für korrekt, das es von 1919 keine `Einbahnstrasse´ zu Hilter gegeben hat (@Turgot #125), jedoch wogen die von den Siegern getroffenen Entscheidungen zu schwer für die junge Republik und alles „Zurückrudern“ in puncto Reparationen zwischen 1922 und 1932 konnte die Fehler des Diktats nicht bereinigen.

@silesia: Bzgl. Deutschland und des "Kerne-Krachen-Zitats" ist der Hintergrund zum Verständnis wichtig: das ist bekanntermaßen wörtlich die Linie der britischen Hardliner, die gerade nicht umgesetzt worden ist.

Sehe ich auch so wobei die Nicht-Umsetzung sich aber erst in den Folgejahren ergibt, die deutsche Delegation in Versailles konnte davon doch nicht ausgehen als sie den Siegern die entsprechende Blanko-Vollmacht ausschrieb! Und es fehlte der (inoffizielle) Zusatz: „Jungs, das ist nur ´ne Worthülse für den politischen Gebrauch gegen unsere eigenen Völker, im Grunde müsst ihr es doch gar nicht zahlen!“ Dadurch war jedoch der Grundstein für die Nicht-Akzeptanz des kompletten Vertragswerks im deutschen Volk gegeben.

@silesia: Beides (Churchill wie Kissinger) ist ja nun keine Fachliteratur zu der oben angerissenen Frage, sondern sind nur allenfalls bemerkenswerte Meinungen. Wie sieht es denn nun mit der Literatur aus, oder gründet sich Deine Einschätzung auf die zwei Zitate?

Es mag keine Fachliteratur sein, aber es gibt die Meinung wieder der ich mich anschließen kann. Meine Einschätzung wurde selbstverständlich auch durch andere Autoren geprägt wobei ich nicht sagen kann, ab wann es sich dabei um Fachliteratur handelt und wann nicht. Der Tenor der gebrachten Zitate steht nicht im Widerspruch zu diesen anderen Autoren, die Ausdrucksweise der Zitate erschien mir gelungen denn immerhin hat Churchill mit seinem Werk den Literaturnobelpreis verliehen bekommen.

Gruß,
Franz-Ferdinand
 
Das Frankreich überhaupt so aufgewertet wurde und eine neue Chance erhielt, im Konzert der Großmächte wieder eine Rolle spielen konnte und durfte, war doch schlicht der Tatsache geschuldet, das der Konflikt um Sachsen und Polen die Eintracht der vier Alliierten untergrub.

Und je mehr sich dieser Konflikt auswuchs, desto geringer wurde die „Furcht“ einer Beteiligung die Bourbonenmonarchie einer am Konzert der Mächte. Und der überaus fähige Talleyrand verstand es dieses Chance zu nutzen. Talleyrand konnte sich aussuchen, welchem Lager er sich anschloss. Eine sehr komfortable Situation für die französische Außenpolitik.

Die Ausgangslage hier war doch, das der preußische König dem Zaren für die Befreiung seines Landes sehr dankbar war; auch wenn diese Dankbarkeit nicht unbedingt von Hardenberg und der preußischen Bevölkerung geteilt worden war. Metternich, Castlereagh und auch Hardenberg ging es schon im Oktober 1814 um die Verhinderung eines zu mächtigen Russland. Deshalb wollte diese Herren Alexanders Ambitionen auf Polen nicht Wirklichkeit werden lassen. Hardenberg musste aber aus dieser Linie auf Geheiß des preußischen Königs ausscheren. Preußen unterstützte fortan Russland und diese unterstützten den preußischen Anspruch auf Sachsen.

Das war eines der Themen des Kongresses. Machtzuwachs bzw. Verhinderung eines zu großen Machtzuwachses. Mit anderen Worten drehte sich sehr viel um das Gleichgewicht der Mächte. Und hierzu wurde, so meinte man, Frankreich benötigt. Das war die Stunde von Talleyrand.

Versailles im Jahre 1919 hatte sich aber eine ganz andere Aufgabe gestellt. Es ging um Ansprüche der Siegermächte gegenüber den Verlierern und um eine umfassende territoriale Neuordnung. Die Stichworte hierfür sind Nationalitätenprinzip und Selbstbestimmungsrecht der Völker sind die Stichworte. Inwiefern es gelungen ist, dieser Herkulesaufgabe nun gerecht zu werden, das steht auf einem anderen Blatt.

Meines Erachtens nach sind es aber eben doch zwei recht unterschiedliche Situation. Und immerhin liegen etwas über 100 Jahre, in denen eine ganz Menge geschehen ist, zwischen dieses Veranstaltungen.

Im Jahre 1815 wurde ein ganz anderer diplomatischer Stil praktiziert, als es 100 Jahre später der Fall war. Die Öffentlichkeit, die durch die Presse informiert und manipuliert wurde, konnte nicht mehr so ohne weiteres missachtet werden; schon gar nicht in einer Demokratie. Und im Jahre 1919 war es eine gewaltig aufgeladene Presse. Und diese Presse hat mit sehr großem Nachdruck dafür gesorgt, dass die Ansprüche der Millionen von Opfern nicht vergessen wurden.

Auch sollte, ich sagte es schon mehrfach, die sehr krasse, fatale negative Außenwirkung des Vertrages von Brest aber auch von Bukarest keinesfalls unterschätzt werden. Dies hat sicher zur Verhärtung der Position der Alliierten seinen Beitrag geleistet.

Insofern kann ich mich deiner Einschätzung insgesamt nicht anschließen.
 
Auch sollte, ich sagte es schon mehrfach, die sehr krasse, fatale negative Außenwirkung des Vertrages von Brest aber auch von Bukarest keinesfalls unterschätzt werden. Dies hat sicher zur Verhärtung der Position der Alliierten seinen Beitrag geleistet.

Diese Darstellung berücksichtigt allerdings nicht, dass die Alliierten ihre Kriegsziele auf Anfrage Wilsons schon 1916 veröffentlicht hatten. Der spätere Friedensvertrag den man dem DR aufzuerlegen gedachte war lag also schon vor Brest-Litowsk in Grundzügen fest und soweit ich mich erinnere, war die Zerschlagung Ö.-U. und der Türkei, die Beseitigung des DR als Großmacht, Demobilisierung, Zahlungen, die Gebietsabtretungen, usw., da schon genannt.

Man könnte sogar einen umgekehrten Schuh daraus machen. Nach den Friedensbedingungen die Russland dem DR und Österreich-Ungarn aufzuzwingen gedachte war das Jammern und Stöhnen über Brest-Litowsk reine Heuchelei, Russland war mit den Friedensbedingungen im Gegenteil noch gut bedient.
 
Diese Darstellung berücksichtigt allerdings nicht, dass die Alliierten ihre Kriegsziele auf Anfrage Wilsons schon 1916 veröffentlicht hatten. Der spätere Friedensvertrag den man dem DR aufzuerlegen gedachte war lag also schon vor Brest-Litowsk in Grundzügen fest und soweit ich mich erinnere, war die Zerschlagung Ö.-U. und der Türkei, die Beseitigung des DR als Großmacht, Demobilisierung, Zahlungen, die Gebietsabtretungen, usw., da schon genannt.

Der Versailler Vertrag enthält tatsächlich keine Überraschung in diesem Sinn, sondern Reduktionen der Kriegszieldebatten 1914-18, in denen die nationale Presse eine beachtliche Rolle spielte.

Der Unterschied besteht darin, dass es sich einmal um Diskussionen über das Fell des noch nicht erlegten Bären handelt, im Fall von Brest aber um eingetretene Vertrags-Realitäten. Es ist Spekulation, aber plausibel anzunehmen, dass der Vertrag von Brest hier eine Marke gesetzt hat, hinter die zurückzugehen im Kontext des nationalen Drucks auf Kriegsziele kaum möglich war.

Darauf hat Turgot oben hingewiesen, und das sehe ich ähnlich. Darauf hinzuweisen, dass Kriegszieldiskussionen zuvor weitergehend als Brest waren, übergeht diesen Effekt.
 
Publikation zur Frage, ob die restriktiven Bestimmungen des Versailler Vertrages zum deutschen Militär die finanziellen Aufwendungen aus den Reparationen kompensiert haben:

The imposed gift of Versailles: the fiscal effects of restricting the size of Germany?s armed forces, 1924?1929 - Munich Personal RePEc Archive
Hantke/Spoerer, The imposed gift of Versailles: the fiscal effects of restricting the size of Germany’s armed forces, 1924–1929

Ergebnis: die Reparationsleistungen waren geringer als die alternativ erwartbaren Militärausgaben. Binnenwirtschaftliche Folgeeffekte der Militärausgaben sind insoweit angesprochen, als auf die Kapazitätsauslastung in der WR eingegangen wird. Multiplikatorwirkungen bei Unterauslastungen wären begrenzt und sektoral beschränkt denkbar.
 
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