Von Dysnomia zu Eunomia zu Isonomia

Sirius

Neues Mitglied
Hi,

ich bin sicher, die Frage nach dem Unterschied zwischen solonischer und kleisthenischer Ordnung wird oft gestellt, aber ich steh echt auf dem Schlauch und irgendwie können mir keine Geschichtsbücher oder Internetartikel helfen. #

Also, Solon richtet mit seinen Reformen die Eunomie (Gute Ordnung) ein. Ich kenne die solonischen Reformen, die müsst ihr mir nicht erklären ;).

Aber was bedeutet jetzt eigentlich die kleisthenische Isonomie? Eigentlich doch: gleiche Partizipation aller Bürger, oder? Mein problem: Das wurde doch schon unter Solon erreicht! Jeder Bürger bei Solon hat Zugang zur Ekklesia und Heliaia. man kann sagen, dass sich die Isonomie erst später richtig verwirklicht (zb. durch die Eingliederung der Theten in die Flotte als Ruderer oder durch Diätenzahlungen).

Aber prinzipiell konnte und sollte doch seit Solon jeder Bürger aktiv an der Politik mitmischen können. Hat es etwas mit gleichheit vor dem Gericht zu tun? Wurde die nicht auch schon durch Solon verwirklicht?

Oder hat es mit der Reform des Rates der 400 zum Rat der 500 zu tun? Hierzu gibt es aber sehr wiedersprüchliche aussagen in vielen Darstellungen. Die antiken Autoren erwähnen nämlich mit keinem Wort, dass die Theten da jetzt Zugang hätten (das steht zwar bei Wikipedia so, ist aber nicht sicher). Es gibt 3 Interpretationen:

1. Theten haben seit Kleisthenes Zugang, aber sind faktisch nicht vertreten, weil es keine Diäten gibt.

2. Theten haben erst seit seit Themistokles (oder Ephialtes/Perikles) Zugang, weil sie als Ruderer der Flotte eine wichtige Rolle gegen die Perser gespielt haben und daraufhin politische Rechte forderten (seit 457 gibt es auch Diäten für Ratsherren)

3. Theten hatten nie formell Zugang zum Rat, sondern die Grenzen zwischen Zeugiten und Theten verschwimmen allmählich, was es einigen Theten erlaubt auch am Rat und gar am Archontat teilzunehmen.

Wenn aber bei Kleisthenes die Theten KEINEN Zugang haben zur Boulé, dann verstehe ich den Unterschied zwischen Solon und Kleisthenes in rechtlicher hinsicht jedenfalls nicht...

Ich hoffe jemand kann mir helfen,
Grüße,

Sirius
 
Zuletzt bearbeitet:
Und es geht ja noch weiter: Zum Archontat haben nämlich nach wie vor nur die 1. Klasse (Pentakosiomedomnio) Zugang (erst seit 487 auch die Hippeis).
 
Aber was bedeutet jetzt eigentlich die kleisthenische Isonomie? Eigentlich doch: gleiche Partizipation aller Bürger, oder? Mein problem: Das wurde doch schon unter Solon erreicht!

Eigentlich ja nicht. Solon hatte die Bürger ja nach Einkommen/Besitz in vier Klassen eingeteilt. Die vierte Klasse hatte zwar Zugang zur Ekklesia (Volksversammlung) und zur Heliaia (Gericht) aber eben nicht in die Tetrakósioi (Rat der 400). Zusätzlich konnten nur die Bürger der ersten Klasse Archonten werden und damit in den Aeropag aufgenommen werden.
 
Eigentlich ja nicht. Solon hatte die Bürger ja nach Einkommen/Besitz in vier Klassen eingeteilt. Die vierte Klasse hatte zwar Zugang zur Ekklesia (Volksversammlung) und zur Heliaia (Gericht) aber eben nicht in die Tetrakósioi (Rat der 400). Zusätzlich konnten nur die Bürger der ersten Klasse Archonten werden und damit in den Aeropag aufgenommen werden.


Ja ich weiß, das war schlecht formuliert. ich meinet: bei Kleisthenes wurde nicht "mehr" Isonomie eingeführt als bei Solon. Oder andersherum: Bei Klesthenes war die politische Ordnung noch genauso timokratisch wie bei Solon:

1. Nur die Pentakosiomedimnio haben zugang zum Archontat
2. Die Theten sind von allen Ämtern (auch vom Rat) ausgeschlossen

--> Wenn das bei beiden Verfassungen der Fall ist, warum heißt die Verfassung des Kleisthenes dann Isonomie? Was ändert sich denn hinsichtlich der Partizpation? Eigentlich doch nichts...

Kann es sein, dass der Begriff einfach in der Forschung verwendet wird, weil in Herodot und Thukydides in Kleisthenes den Vater der Demokratie sehen?
 
Aber es ist doch eigentlich so, dass Kleisthenes die Partizipationsrechte nach Klassen aufgehoben hat und stattdessen die Bürger in zehn Phylen einteilte. Jeder Bürger der Ekklesia konnte jetzt in die Boulé (den Rat der 500) und von dort aus weiter in die Prytanie aufsteigen, deren 50 Mitglieder immer noch 36 Tagen ausgetauscht wurden (bzw. wenn ich mich recht entsinne geschah das nicht auf einmal sondern grüppchenweise, aber da bin ich mir nicht mehr sicher). Die Prytanie wiederum diente als Kontrollgremium für die Archonten, Archonten und Strategen konnten wiederum nur reiche Bürger werden, ihr Amt wurde aber nicht durch die Aufnahme in einen Aeropag ad ultimo verlängert, wie noch unter Solon.
 
Ja, das ist ja genau das Problem:

1. Die Timokratische Ordnung wird eben nicht aufgehoben. Die Theten haben keinen Zugang zum Rat, zumindest steht das nicht in den Quellen bzw. es kann nur angenommen werden, wenn es so ist. Die tatsache, dass die Hohen Ämter immer nur noch die 1. Klasse besetzen konnten, spricht doch dafür, dass die Partizipation nach Klassen nicht abgeschafft wurde.

2. Selbst wenn die Theten Zugang gehabt hätten, hätte Kleisthenes nicht die Isonomie geschaffen, da jetzt immer noch NUR die 1. Klasse der Superreichen Archonten sein konnten bzw. danach im Areopag sitzen durften.

Inweifern ist das dann Isonomie (= Gleiche Partizipation aller Bürger)?
 
Ja, das ist ja genau das Problem:

1. Die Timokratische Ordnung wird eben nicht aufgehoben. Die Theten haben keinen Zugang zum Rat, zumindest steht das nicht in den Quellen bzw. es kann nur angenommen werden, wenn es so ist. Die tatsache, dass die Hohen Ämter immer nur noch die 1. Klasse besetzen konnten, spricht doch dafür, dass die Partizipation nach Klassen nicht abgeschafft wurde.

2. Selbst wenn die Theten Zugang gehabt hätten, hätte Kleisthenes nicht die Isonomie geschaffen, da jetzt immer noch NUR die 1. Klasse der Superreichen Archonten sein konnten bzw. danach im Areopag sitzen durften.

Inweifern ist das dann Isonomie (= Gleiche Partizipation aller Bürger)?

Das Problem ist ja nach wie vor, dass die Bürger für ein politisches Amt keine Diät bekommen, insofern können dauerhafte Ämter nur von denen übernommen werden, die nicht selbst arbeiten müssen.

Was aber nun den Aeropag angeht: ich denke, der ist von Kleisthenes zu Gunsten der Prytanie als Kontrollgremium abgelöst worden? Und in die Prytanie kam man doch per Losverfahren, oder nicht? Jedenfalls nur einmal im Jahr für 36 Tage.
 
Also,

bei Kleisthenes konnten nur die Pentakosiomedimnoi Archonten werden. Seit den Reformen des Themistokles 487 dann auch die Hippeis. Seit Ephialtes und Perikles 457 können auch Zeugiten Archonten werden. Ab da werden dann auch Diäten gezahlt.

Für die Boule werden auch erst um 457 Diäten gezahlt.

Wennm wie du sagts, formell alle Zugang hatten, aber nur nicht konnten, weil keine Diäten gezahlt wurden, warum wurden dann 457 explizit die Zeugiten zu den Archonten zugelassen?

Der Areopag wurde quasi unterwandert seit 487, weil die Archonten nun gelost wurden aus den ersten 2 Klassen. Deshalb füllte sich der Areopag nach und nach mit reichen Bürgern und nicht so vornehmen Adeligen (Vormals reiner Eupatridenverein).

Entmachtet wird der Areopag erst 462 durch Ephialtes/Perikles --> Ab dann ist die Boule Kontrollkriterium und Areopag lediglich für die Blutsgerichtsbarkeit zuständig.
 
Ich würde vermuten, dass das Hauptaugenmerk der kleisthenischen Reformen ua auf der Neuordnung der Phylen lag, weil die alte Einordnung gesellschaftliche Machtverhältnisse (zB die Vormacht adliger, grundbesitzender Geschlechter) unterstützte und verstärkte. Die tyrannis der Peisistratiden war gerade erst zu Ende gegangen, und die sozialen Verhältnisse werden stark durch diese jahrzehntelange Alleinherrschaft geprägt gewesen sein. Die alte Einteilung (an der sich Solon orientierte, die mWn aber auf älteren Traditionen beruhte) hatte es offensichtlich nicht geschafft, eine Gleichverteilung der Macht zu gewährleisten (sonst hätten es die Peisistratiden ja nicht an die Macht geschafft), oder sie war den Reformern durch die jahrelange tyrannis zu stark korrumpiert. Eine politische Neuordnung der Bürgerschaft könnte Machtstrukturen aufgebrochen haben, die dem angestebten Ziel der Isonomie entgegenwirkten.

Ich würde den begriff der Isonomie auch nicht zu stark an die Reformen des Kleisthenes binden, losgelöst von der späteren Entwicklung. Mag sein, dass uns die Idee der Isonomie durch spätere Reformen besser umgesetzt zu sein scheint, als dies alleine durch die Reformen 508/507 geschah. Aber diese bauten auf denen des Kleisthenes auf, und sind ohne sie evtl gar nicht denkbar. Insgesamt ist es mE ein Prozess der Demokratisierung (im Sinne der antiken Demokratie) bzw "Isonomisierung", bei denen durch Kleisthenes wichtige Grundlagen gelegt wurden, was die politische Ordnung bzw Einteilung der Bürgerschaft, der aber weiter geführt wurde (bspw mit der Entmachtung des Areopag oder der Losung fast aller wichtiger Beamter außer den Strategen) und später viel eindeutigere Ergebnisse zeitigte (aus unserer beschränkten Perspektive) als bei Beginn, als der die kleisthenischen Reformen wohl verstanden werden müssen.

Noch eine Vermutung meinerseits: Wir reden ja über einen recht kleinen Zeitraum, historisch betrachtet. 510: Entgültiges Ende der tyrannis, 508/07: Reformen des Kleisthenes, 487: Losung der Archonten, 462/461: Reformen des Ehialtes, ab 443: Große Zeit des Perikles, und ab 431: Beginn des Peloponnesischen Krieges, dermit dem zweimaligen Umsturz der Demokratie ab 404 endete.

Ich halte es für wahrscheinlich, dass es die gleichen Personen bzw politische Gruppierungen ("Parteien", vermutlich aber ohne Parteibuch...) waren, die hinter diesem Prozess zur Erriechung der Isonomie standen, bzw diesen auf der anderen Seite ablehnten. Offensichtlich hatte die "demokratische" Seite dabei lange Zeit den Kopf immer wieder vorne und konnte wiederholt Reformen umsetzen, um ihren politischen Idealen näher zu kommen. Dies im Hinterkopf behaltend: Vielleicht wäre Kleisthenes selber der erste, der 507 gesagt hätte: "Mit Isonomie hat das noch nichts zu tun, es ist nur ein erster Schritt; aber das 5 Jh. v. Chr. liegt ja noch vor uns..." ;)
 
Danke für die Antwort,

dass dies ein längerer Prozess ist, scheint logisch. Das problem ist nur, dass eben viele Forscher den Begriff mit Kleisthenes so dogmatisch verbinden, dass sie eben schreiben: mit Kleisthenes wrde die Isonomia eingeführt bzw. die kleisthenische Verfassung heißt Isonomia. Wenn genug Forscher das schreiben, dann kann das ja kein Zufall sein...

Was ich mir noch geacht habe. Vielleicht geht es gar nicht darum, die Bürger aller KLASSEN miteinzubeziehen. Vielleicht geht es eher darum alle Bürger (aber nur diejenigen, die eben auch dürfen, also z.b Theten nicht) aller Regionen Attikas an das Zentrum Athen zu binden. Peisistratos konnte ja nur deshalb an die Macht kommen, weil die Adeligen Familien der 3 Regionen Attikas miteinander in Konflikt stanen (Alkmaioniden, und die 2 anderen, die mir nicht einfallen wollen). Das heißt, dass die Regionen Attikas eben z.T noch ein politisches eigenleben führten. Das war aber kein horizontales Problem (also Bürger vs. Adel), sondern ein vertikales (Adel vs. Adel). Das konnte Peisistratos dann ja ausnutze.

Kleisthenes widerum zerbrach die überkommenen Strukturen (auch kultisch), auf die der Regionale Adel seine Macht bauen konnte und richtete alle Reginen Attikas auf das Zentrum Athen aus, straffte also den Zusammenhalt Attikas. So konnten dann eben den Bürgen ALLER REGIONEN Attikas ermöglicht werden, an der Politik teilzunehmne. --> Das ist dann die Isonomie des Kleisthenes.
 
eine Kleinigkeit vorweg: Sirius, "horizontal" und "vertikal" genau anders herum verwenden, d.h. vertikal bei hierarchischen Aspekten.
dann verstehe ich nicht, wieso Kleisthenes nicht die Isokratie eingeführt haben soll. Aristot. Ath. pol. 21.3 spricht deutlich davon, dass alle Bürger Zugang zur Boule hatten - somit also definitiv der entscheidende isokratische Faktor gegeben ist. Nur, weil nicht jede tatsächlich partizipiert, heißt es doch nicht, dass sich die politische Form aendert, sonst dürfte man heute ja auch nicht Deutschland als Demokratie bezeichnen, da ja auch nicht jede/r zur Wahl geht.
 
Zurück
Oben