Warum expandierte die SU nicht weiter?

Ashigaru

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Ich habe gestern in Wolfgang Leonhards "Die Revolution entlässt ihre Kinder" eine sehr interessante Textstelle gelesen. Leonhard beschreibt ein Gespräch mit einem russischen Funktionär. Er diskutierte mit dem Offizier, warum die DDR nicht einen eigenen Weg zum Sozialismus ohne die starke Abhängigkeit von der Sowjetunion verfolgen könne. Der Offizier sagt dann was sehr interessantes: Die starke Bindung zur SU müsse sein, denn alle nach 1945 entstandenen Ostblockstaaten seien potentielle Sowjetrepubliken, wenn ihr Weg zum Sozialismus abgeschlossen sei. Bezeichnenderweise hätte deswegen die UdSSR auch nie das Wort "Rußland" im Namen gehabt.

Jetzt frage ich mich: Gab es tatsächlich mal ernsthafte Bestrebungen, eines der Ostblockländer zu einer zur UdSSR gehörenden Sowjetrepublik zu machen?

Warum ist man von diesen (bei den Baltikumstaaten z.B. noch angewandten) Ideen, die sicherlich der offiziellen "Linie" Stalins entsprachen, abgekommen? Sie hätten doch sicher für die SU eine bessere innenpolitische Kontrolle der Blockstaaten bedeutet.
 
Ashigaru schrieb:
Jetzt frage ich mich: Gab es tatsächlich mal ernsthafte Bestrebungen, eines der Ostblockländer zu einer zur UdSSR gehörenden Sowjetrepublik zu machen?

Das wohl eher nicht (abgesehen von den Ländern und Gebieten, die sich die SU entweder durch Hitler-Stalin-Pakt oder im Zuge des 2. Weltkriegs "eingesackt" hat: Baltikum, Moldawien, Ost-CSR etc...).
Aber vorstellbar ist sehr wohl, dass dies in die Ideologie des Stalinismus/Kommunismus gepasst hätte. Oft genug militärisch interveniert hat die SU ja, wenn sie fehlende Linientreue befürchten mussten...

Auch sonst hat die SU meist erbobertes/besetztes Gebiet selten wieder "herausgegeben". Allerdings enstand der "russische" Imperialismus nicht erst mit der Sowjetunion. Diese hat ihn lediglich ideologisch neu aufbereitet wieder fortgeführt. Wenn man heute die Elaborate eines Schirinowski genauer betrachtet, zieht der die Grenze Russlands am Bosporus und dem indischen Ozean.
Spezifisch sowjetische Expansionspolitik dürfte aber der Griff gen Mittel-/Osteuropa gewesen sein (zwar haben schon die Zaren bei der Zerschlagung polnischer Staaten sich beteiligt), dennoch ist das Vordringen der sowjetischen Einflusssphäre nach dem 2. Weltkrieg noch eine größere Dimension.
 
Genau das ist aber doch der Punkt: nachdem sich die Machtsphäre bis nach Mitteleuropa verschoben hat, wäre es doch aus Sicht der Machthaber im Kreml sinnvoll gewesen, die Staaten durch eine "Sowjetisierung" noch enger an sich zu binden. Schließlich waren ja nicht alle mit der SU so eng verbandelt wie die DDR und JBulgarien, und es gab ja auch eine Menge "Sezessionen": erst die jugoslawische und albanische, später die rumänische.
 
Sie haben aber durchaus "ein- und durchgegriffen" wenn es eine "richtige Sezession" geworden wäre (wie in der Tschechoslowakei 1968 oder Ungarn 1956). Albanien hat sich letztlich nicht völlig abgewandt sondern sich eben nur abgeschottet (und zwar allem gegenüber).
Vielleicht spielte auch das Patt des Kalten Kriegs eine Rolle. Und nicht zuletzt auch die Tatsache, dass man selbst die Deutungshoheit über den Kommunismus nicht mehr singulär innig hatte (mit der "Abspaltung" Chinas z.b.). Eventuell (wo ich grade so lustig am spekulieren bin) hat man u.U. auch gemachte Erfahrungen aus Ländern mit einbezogen, in denen die "Revolution" eben NICHT erfolgreich gewesen war (Griechenland z.B.)
 
Das grosse Ziel war ja der Kommunismus.
Das Thema, Blockbildung, sagt ja eigentlich schon alles.
Die DDR, Polen, Tscheslowakei usw. hätten niemals ohne die Su, solange Bestand gehabt. Es ist schon etwas dran an der Bezeichnung- potenzielle Sowjetrepublik- .
In der nächsten Periode, dem Kommunismus, hätten sich Länderfragen sowieso erledigt.
 
Mit der durch China bestrittenen "Deutungshoheit" schneidest du sicher einen wichtigen Punkt an. Nicht umsonst bemühten sich Albanien und Rumänien stets um enge Kontakte mit den Chinesen.
Die "Sezession" Jugoslawiens 1948 war sehr weitgehend, nur griffen die Sowjets anders als in der DDR, Ungarn oder Tschechoslowakei hier wohl deshalb nicht militärisch ein, weil sie beobachten konnten, wie Tito gegen die deutschen einen erfolgreichen Partisanenkrieg führte.
Vielleicht war es auch der Tod Stalins und die "Tauwetterphase", die eine weitere Sowjetisierung verhinderte. Immerhin gab es in den späten 40er Jahren beginnend in den KPs aller Ostblockstaaten die berüchtigten "Säuberungen".
 
Lieber Ashigaru, in der Theorie war es sicherlich möglich die einzelnen sozialistischen Länder, wenn sie den Kommunismus erreicht haten in die Sowjetunion zu übernehmen. Aber in der Wirklichkeit konnte das sozialistische System nur dort aufrecht erhalten werden, wo auch sowjetische Truppen standen. Jugoslawien, Albanien und China hatten trotz realsozialistischen Aufbau mit der Sowjetunion gebrochen.
Es ist wie bei jeder Theorie, sie muß auch der Wirklichkeit stand halten können. :rolleyes:
 
Die insbesondere vom ehemaligen sowjetischen Parteichef Breshnew immer wieder vertretene These von einer de facto begrenzten Souveränität der sozialistischen Staaten ging von einer Einheit der nationalen und internationalen Interessen sozialistischer Staaten aus.

Demnach war es sozialistischen Staaten nicht erlaubt, nationale politische, ideologische und ökonomische Inetressen anzuerkennen, die den internationalen Interessen des Sozialismus schaden könnten. An diesem klassenpolitischen Inhalt fände die Souveränität der einzelnen sozialistischen Staaten - insbesondere denen des Warschauer Paktes - ihre Grenzen.

Die Sowjetunion betrachtete sich als Hüterin und Vorkämpferin des Sozialismus und beanspruchte somit eine hegemoniale Stellung. Sie forderte ein solidarisches Verhalten der übrigen Parteiführungen und beanspruchte ein Recht auch zu gewaltsamer Korrektur. Insofern waren die osteuropäischen Satellitenstaaten schon damals de facto Sowjetrepubliken, auch wenn Rumänien und Albanien sich nicht so botmäßig verhielten.

Im Rahmen der kommunistischen Ideologie hätte es nach der Überwindung des Sozialismus und dem Sieg des Kommunismus eine klassenlose Gesellschaft gegeben, die ihre staatliche Form in Sowjetrepubliken - also Räterepubliken - gefunden hätte. Der bürgerliche Nationalismus wäre in dieser Gesellschaft überwunden gewesen.

Insofern ist die oben geäußerte Vorstellung durchaus zutreffend, dass die klassenlose Gesellschaft des Kommunismus nur Sowjetrepubliken gekannt hätte. Ob das freilich selbst bei einem Sieg des Kommunismus so eingetroffen wäre, steht auf einem anderen Blatt.
 
zwei thesen:

das baltikum gehörte bis 1917 zum ruissischen reich, und zwar als integraler bestandteil. polen und finnland, die nach 45 unabhängig blieben, hatten schon davor einen sonderstatus im zarenreich. bei polen kam sicher auch hinzu, dass es ein zu grosser brocken war, und ausserdem hätte man sich keinen grossen gefallen getan, das erste opfer des krieges voll und ganz zu schlucken.

zum zweiten war es durchaus vorteilhaft, einen block offiziell unabhängiger staaten zu haben, die ja auch mitglied der un waren. eine su hätte nur eine (bzw. 3) stimmen gehabt.
 
Das Gleichgewicht in der Sowjetunion hätte sich verschoben, die Russen wären zur nationalen Minderheit geworden- mit allen Auswikrungen auf die Institutionen und Machtverhältnisse in der Union.

Die Sowjetunion (nach 1945) war eine "gesättigte" Macht und hatte kaum noch expansionistische Absichten- nicht so sehr aus Friedensliebe, sondern weil die Probleme im eigenen Machtbereich groß genug waren (Kriegsfolgen, industrieller Rückstand, Nationalitätenprobleme).
Beleg: außer Afghanistan 1979 keine sowjetischen Interventionen außerhalb der Einflußsphären von Jalta gegeben hat.
 
na dafür gabs ja die sog. stellvertreter, man hat sich nicht selbst die hände schmutzig gemacht
 
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