Warum ist das Christentum eine monogame Religion?

hyokkose schrieb:
Ich frage mich, ob Baumerts etwas ausgefallenen Übersetzungen immer zu trauen ist:

http://www.sankt-georgen.de/leseraum/baumert2.html

Aber um diese Frage zu beantworten, müßte ich erst das Buch lesen, um festzustellen, ob seine etwas geschraubt wirkenden Übersetzungen philologisch nachvollziehbar sind.


Danke für diesen Link, ich hab ihn unter Favoriten gezogen und werde ihn in Ruhe lesen und das Buch scheint auch sehr empfehlendswert, ich werde es mir also beschaffen, denn das gesamte Thema ist mehr als interessant.
 
Das Idealbild der frühen Christen war ein unverheirateter Mensch, der sein Leben nur Gott widmet und sich nicht dadurch ablenken lässt, dass er einer Frau/einem Mann gefallen muss und ein Mensch, der nicht dadurch abgelenkt ist, dass er seine Begierde stillt. So schrieb zum Beispiel ein Apostel, dass leider nicht jeder Mensch so rein von diesen Lüsten sein könne, wie er. Und schafft man es nicht, so soll man wenigstens die Ehe eingehen, so dass man gegenseitig dafür sorgt, dass die Begierde befriedigt wird und der Körper der Frau solle dem Mann gehören, ebenso wie der Körper des Mannes der Frau gehören sollte.

Waren die Christen eigentlich dumm, weil sie den Geschlechtsverkehr negativ bewerteten? Wie sollte das Christentum in seinen Anfängen überleben, wenn man sich nicht vermehrte?

Die Christen glaubten daran, dass sie in der Zeit lebten, in der bald der Messias wiederkommen werde um zu richten. Wenn der jüngste Tag schon bevor stand, wozu sollten sie sich dann noch um weitere Generationen sorgen?
 
Waren die Christen eigentlich dumm, weil sie den Geschlechtsverkehr negativ bewerteten? Wie sollte das Christentum in seinen Anfängen überleben, wenn man sich nicht vermehrte?

Es gibt ja nicht nur den ehelichen Geschlechtsverkehr, sondern auch unkeusche Ausschweifungen. Ehelicher Verkehr war selbstverständlich erlaubt. Wenn dir die Art und Weise wie damit ungegangen wurde, bieder vorkommt, dann denke an das erste Buch der Bibel, die Genesis. Als Eva sich von der Schlange verführen ließ, und daraufhin Adam von seiner Frau, begingen sie die erste Sünde. Sie erkannten infolge dessen, dass sie nackt waren - es war die Geburt der Schamhaftigkeit und der sexuellen Lust. Etwas durch die Sünde - noch dazu die Ursünde - hervorgerufenes kann also von der Kirche nicht gutgeheißen werden.

Außerdem kannst du dir mal überlegen, was die Folge der Vertreibung aus dem Paradies für Eva war. Gott prophezeite ihr "Mühsal [...] sooft du schwanger wirst." (Gen 3,16) Der Geschlechtsverkehr ist also Voraussetzung dafür, dass das weibliche Geschlecht seinen Teil der göttlichen Bestrafung empfangen kann; ist es da wirklich schwer für die Christen der ersten Jahrhunderte, der fleischliche Lust skeptisch gegenüberzustehen? <- Die Frage ist nicht rhetorisch gemeint, versuch einfach, dich geistig mal knapp 2.000 Jahre zurückzuversetzen.


Die Christen glaubten daran, dass sie in der Zeit lebten, in der bald der Messias wiederkommen werde um zu richten. Wenn der jüngste Tag schon bevor stand, wozu sollten sie sich dann noch um weitere Generationen sorgen?

Das war vielleicht in den allerersten Jahren so, aber da antworte ich am besten mit Augustinus:

"Also ist es umsonst, wenn wir die Jahre, die diese Weltzeit noch dauern mag, ausrechnen und festlegen wollen, da wir aus dem Munde der Wahrheit (=Jesus) hören, dass uns solches Wissen nicht gebührt. Gleichwohl behaupten einige, es würden vierhundert, andere fünfhundert, noch andere tausend Jahre von der Auffahrt des Herrn bis zu seiner letzten Ankunft verstreichen. Es wäre umständlich und ist auch nicht nötig, darzulegen, wie jeder seine Ansicht zu begründen sucht. Es handelt sich ja nur um menschliche Vermutungen, und man kann nichts Sicheres vorbringen, das sich auf das Ansehen der kanonischen Schriften stützte. Allen, die hier grübeln wollen, befiehlt der die Finger zu lassen, der spricht: "Es gebührt euch nicht zu wissen die Zeit, die der Vater seiner Macht vorbehalten hat."" (civ. XVIII, 53)
 
Die Sexualfeindlichkeit kam nach meiner Kenntnis nicht aus dem Christentum, das ja mal zunächst aus der jüdischen Tradition sich entwickelte, wo heiraten ein Pflicht war. Da gibt's ja den thread, ob Jesus eine Frau hatte.
Vielmehr waren es heidnische philosophische Bewegungen, die den Geschlechtsverkehr verachteten - allen voran die Stoa. Als das Christentum sich in einer heidnischen Welt behaupten musste, trat es in ethische Konkurrenz zu diesen Bewegungen. Man wollte mindestens genausogut wenn nicht gar besser sein, als die Heiden. Da entstanden viele christliche Strömungen, die gleichziehen wollten, besonders im Osten, wo das Asketentum sich breit machte.
Es hat dazu auch innerkirchliche Auseinadersetzungen gegeben. Aber schon die sehr frühen Konzilien haben die Herabsetzung der Ehe bekämpft und die Josephsehe (auch Engelehe genannt), also eine Ehe ohne Geschlechtsverkehr, sowie die offenbar häufiger vorkommende Selbstkastration verboten. Ich erinnere mich schwach, dass Origines sowas praktiziert hat, vielleicht auch Augustinus (habe hier nichts zur Hand). Die ganze der Kirche zugeschriebene Leibfeindlichkiet kam von außen in sie hinein, nicht nur Stoa, sondern vor allem die dualistischen Lehren, wo der Geist Teil des Himmels, der Leib aber Teil der bösen Welt ist, dessen Abtötung durch Askese die Seele "befreit". Davon waren die Evangelisten noch nicht infiziert. "... und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt." Da verwendet Joh. das Wort "sarx" für Fleisch, was eine leicht negative Konnotation hatte. Das war ein Materialbegriff, das, was man beim Metzger kauft. Und Paulus begründet seine Abscheu vor der Unzucht damit, dass der Leib ein Tempel sei. Er verachtet also den Leib (und damit die Sexualität) nicht, sondern meint, dass der außereheliche Geschlechtsverkehr den Tempel profanisiert und entheiligt.
Die Mehrfachehe wird überhaupt nicht problematisiert. Wenn ich recht informiert bin, wurde die Polygamie sowohl im Judentum als auch im römischen Reich zur Zeit des frühesten Christentums nicht praktiziert.
Aber indirekt ergab sich aus der harschen Ablehnung des außerehelichen Geschlechtsverkehrs ein Schutz für die Sklavinnen, deren Hauptaufgabe ja die Bereitschaft zum Geschlechtsverkehr mit dem Herrn war. Auch dazu haben wir ja inzwischen einen eigenen thread.
 
Voltaire behauptet contraire, dass am Anfange, im Christentum, die Ehe und die Vermehrung verpflichtend gewesen wären und daher diejenigen die wie die Priester der kath. Kirche keusch leben würden, entgegen den Geboten handeln würden. Na ja, aber Voltaire ist schon ein Schalk, der sich allerdings mit Kirchengeschichte sehr gut auskennt.
 
...vielleicht auch Augustinus (habe hier nichts zur Hand).

Augustinus hatte einen Sohn, nach meinen Informationen sogar ein uneheliches. In "de civitate dei" spricht er sich für eine kinderhervorbringende Ehe aus; von einer Kastration weiß ich nichts, halte sie aber für sehr unwahrscheinlich, ansonsten hätte er davon in seinen "confessiones" berichtet.
 
Ich wollte ja nicht aufzeigen, wo diese Sexualfeindlichkeit herkam - was meine Vorredner sehr gut dargestellt haben -, sondern den mir bekannten Standpunkt zur Sexualität äußern und auf das Problem aufmerksam machen, dass es schwierig für eine Religionsgruppe wäre sich zu vergrößern oder zu überleben, wenn man sich nicht vermehrt.
Geschlechtsverkehr gerade in der Ehe war sicherlich erlaubt, ich habe nur geschrieben, dass die Auffassung des Kirchenmannes, dessen Text ich gelesen habe, war, dass man am aller besten ohne Ehe und fleischliche Lust lebe.
Weshalb ich den Kirchenmann nicht nenne? Die Unterlagen liegen zu Hause. :)

Meine Fragestellungen waren sicherlich rethorisch und das Wörtchen "dumm" viel zu wertend. Und die Textstelle die Lukrezia aufgeführt hat, ist mir unbekannt. Das eröffnet natürlich eine neue Interpretationsgrundlage. :)
 
Voltaire behauptet contraire, dass am Anfange, im Christentum, die Ehe und die Vermehrung verpflichtend gewesen wären und daher diejenigen die wie die Priester der kath. Kirche keusch leben würden, entgegen den Geboten handeln würden. Na ja, aber Voltaire ist schon ein Schalk, der sich allerdings mit Kirchengeschichte sehr gut auskennt.

Diese Behauptung hängt wohl mit der Auffassung zusammen, die "finsteren" (weil menschen- und sexualfeindlichen) Apostel und Kirchenväter hätten die "gute" (also menschenfreundliche und gütige) Lehre Jesu verfälscht - eine sehr beliebte Behauptung. Die Frage ist, ob es für diese Annahme irgendwelche konkreten Indizien gibt, ansonsten liegt nämlich der Verdacht nahe, dass Aufklärer, Antiklerikale und Liberale einfach ihre Wunschvorstellungen auf den angeblich "wahren Jesus" projizieren. Im Gegensatz dazu gibt es die Annahme, die Apostel und Kirchenväter hätten sogar im Gegenteil die allzu radikalen Lehren Jesu abgemildert, um sie überhaupt für die Masse der Menschen erträglich und annehmbar zu machen, was mir auch einleuchtender erscheint.
 
Ich möchte auf meine Interpretation zurückkommen, dass Religionen eine gesellschaftliche Funktion erfüllen.
http://www.geschichtsforum.de/showpost.php?p=173549&postcount=56 . Sie schaffen - vermittels des Glaubens des Einzelnen - eine kollektive Motivation; diese lässt Gesellschaften entstehen, die in ihrer historischen Umgebung gut oder schlecht funktionieren können. Die gesellschaftsbildenden Kraft des Glaubens ist dem Einzelnen weder ersichtlich noch wichtig. Er glaubt einfach und der Rest ergibt sich "von selbst".

Was aber ist die gesellschaftliche Funktion von Monogamie und ehelicher Treue ? Wieso setzte sich die christliche Religion, die dieses propagiert, ausgerechnet vor 2000 Jahren durch ?

Zu dieser Zeit hatte die Landwirtschaft ein großes Bevölkerungswachstum ermöglicht. Dieses hielt noch an, während neue Flächen nicht mehr mit gleicher Geschwindigkeit erschlossen werden konnten. Die Folge war eine Überpopulation.

Ein neues Gesellschaftsmodell war erforderlich. Dessen Kern war "Kooperation über die eigene Sippe hinaus", anders ausgedrückt "liebe deinen Nächsten".

Dessen Basis war das individuelle Eigentum, z.B. an landwirtschaftlicher Fläche. Es führte zur Bildung von Abhängigkeitverhältnissen und Hierarchien. Die sich daraus ergebende Gesellschaft war offenbar produktiver als die auf Basis der alten kollektiven Eigentumsverhältnisse.

Die strenge paarweise Zuordnung von Mann und Frau passt in diesen Kontext. Die Frau war nun des traditionellen Rückhalts durch die Sippe beraubt und brauchte nun einen eigenen Mann zur Absicherung ihrer selbst und der gemeinsamen Kinder (die nun ebenfalls eindeutig einem einzelnen Mann zugeordnet waren). Im Gegenzug verlangte der Mann eine Garantie für seine Vaterschaft, da er sonst seine Lebensarbeit in den Dienst der Aufzucht fremder Kinder gestellt hätte, in Form von (weiblicher) Keuschheit vor und Treue in der Ehe.

Solche Veränderungen werden natürlich nicht durch die bewusste Verfolgung von gesellschaftlichen Zielen getrieben, sondern vom individuellen zweckfreien Glauben, dessen "unbeabsichtigte" Folgen die Bildung einer funktionierenden Gesellschaft sein können. Daher kann man auch keine "logischen" Verhaltensweisen erwarten.
 
Augustinus hatte einen Sohn, nach meinen Informationen sogar ein uneheliches. In "de civitate dei" spricht er sich für eine kinderhervorbringende Ehe aus; von einer Kastration weiß ich nichts, halte sie aber für sehr unwahrscheinlich, ansonsten hätte er davon in seinen "confessiones" berichtet.
Kann sein, dass ich mich irre. Mein Hirn neigt zu Verwechselungen. War wohl nur Origines.
 
Was aber ist die gesellschaftliche Funktion von Monogamie und ehelicher Treue ? Wieso setzte sich die christliche Religion, die dieses propagiert, ausgerechnet vor 2000 Jahren durch ?
(...)

Ein neues Gesellschaftsmodell war erforderlich. Dessen Kern war "Kooperation über die eigene Sippe hinaus", anders ausgedrückt "liebe deinen Nächsten".

Dessen Basis war das individuelle Eigentum, z.B. an landwirtschaftlicher Fläche. Es führte zur Bildung von Abhängigkeitverhältnissen und Hierarchien. Die sich daraus ergebende Gesellschaft war offenbar produktiver als die auf Basis der alten kollektiven Eigentumsverhältnisse.
Privateigentum und Abhängigkeitsverhältnisse sind mWn. deutlich älter als das Christentum, dass erst Jahrtausende später daraus konkrete Folgen entstehen vermag ich mir nicht vorzustellen.
Auf die Entstehung des jüdischen Glaubens ließe es sich anwenden (wenn dies nötig ist), da dies näher an einem Übergang vom Nomadentum (wenig, an dem man Privateigentum haben könnte) zur Sesshaftigkeit liegt.
 
Ich glaube das das eher was mit anstand zu tun hat und das sich die Christen sagten, es gibt nur einen Gott und man braucht auch nur einen Lebenspartner.
 
So der Richtigkeit halber hier die Texte auf die ich mich bei meiner Argumentation stütze:

1 Korinther, 7, 1-7

" Ehe und Ehelosigkeit
1 Wovon ihr aber geschrieben habt, darauf antworte ich: Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren. 2 Aber um Unzucht zu vermeiden, soll jeder seine eigene Frau haben und jede Frau ihren eigenen Mann. 3 Der Mann leiste der Frau, was er ihr schuldig ist, desgleichen die Frau dem Mann. 4 Die Frau verfügt nicht über ihren Leib, sondern der Mann. Ebenso verfügt der Mann nicht über seinen Leib, sondern die Frau. 5 Entziehe sich nicht eins dem andern, es sei denn eine Zeitlang, wenn beide es wollen, damit ihr zum Beten Ruhe habt; und dann kommt wieder zusammen, damit euch der Satan nicht versucht, weil ihr euch nicht enthalten könnt. 6 Das sage ich aber als Erlaubnis und nicht als Gebot. 7 Ich wollte zwar lieber, alle Menschen wären, wie ich bin, aber jeder hat seine eigene Gabe von Gott, der eine so, der andere so.
"


1 Korinther, 7, 1-7

"Ehe und Jungfräulichkeit
Über die Jungfrauen habe ich kein Gebot des Herrn; ich sage aber meine Meinung als einer, der durch die Barmherzigkeit des Herrn Vertrauen verdient. 26 So meine ich nun, es sei gut aum der kommenden Not willen, es sei gut für den Menschen, ledig zu sein. 27 Bist du an eine Frau gebunden, so suche nicht, von ihr loszukommen; bist du nicht gebunden, so suche keine Frau. 28 Wenn du aber doch heiratest, sündigst du nicht, und wenn eine Jungfrau heiratet, sündigt sie nicht; doch werden solche in äußere Bedrängnis kommen. Ich aber möchte euch gerne schonen.
29 Das sage ich aber, liebe Brüder: Die Zeit ist kurz. Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, bals hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht; 30 und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht; 31und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht. 32 Ich möchte aber, daß ihr ohne Sorge seid. Wer ledig ist, der sorgt sich um die Sache des Herrn, wie er dem Herrn gefalle; 33 dwer aber verheiratet ist, der sorgt sich um die Dinge der Welt, wie er der Frau gefalle, und so ist er geteilten Herzens. 34 Und die Frau, die keinen Mann hat, und die Jungfrau sorgen sich um die Sache des Herrn, daß sie heilig seien am Leib und auch am Geist; aber die verheiratete Frau sorgt sich um die Dinge der Welt, wie sie dem Mann gefalle. 35Das sage ich zu eurem eigenen Nutzen; nicht um euch einen Strick um den Hals zu werfen, sondern damit es recht zugehe und ihr stets und ungehindert dem Herrn dienen könnt.
36 Wenn aber jemand meint, er handle unrecht an seiner Jungfrau, wenn sie erwachsen ist, und es kann nicht anders sein, so tue er, was er will; er sündigt nicht, sie sollen heiraten. 37 Wenn einer aber in seinem Herzen fest ist, weil er nicht unter Zwang ist und seinen freien Willen hat, und beschließt in seinem Herzen, seine Jungfrau unberührt zu lassen, so tut er gut daran. 38 Also, wer seine Jungfrau heiratet, der handelt gut; wer sie aber nicht heiratet, der handelt besser.
"



Wobei ich die Verse 7 und 32 -38 hervorheben möchte. Sicherlich ist dies hier erst einmal die Meinung eines einzigen, doch ich denke, dass hier wichtige Gedanken genannt werden.
Und zur Frage des Threads passen die Verse ja alle mal. ;)
 
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