Warum keine Neuauflage der September-Verschwörung im September 1939

Carolus

Aktives Mitglied
auf den Höhepunkt der Sudetenkrise gab es Pläne für einen Staatsstreich: ein Stoßtrupp sollte Hitler verhaften bzw. erschießen Septemberverschwörung ? Wikipedia.

Die Münchner Konferenz, die die Sudetenkrise friedlich beilegte, entzog den Verschwörern die Legitimation für ihr Handeln, da Hitler nun auf einmal als "Friedenspolitiker" präsentiert werden konnte.

Warum gab es ein knappes Jahr später bei der Vorbereitung des Polenfeldzugs nicht auch Versuche, Hitler zu stürzen?

In der Wikipedia steht dazu:
Die Verschwörer haben sich lange Zeit von diesem Septemberschock nicht erholt. Nur ein kleiner Kern hielt weiterhin zusammen, aber ohne organisatorische Kraft zur Wiederholung eines solchen Unternehmens.
Irgendwie vermag mich diese Aussage nicht zu überzeugen. Sind die Verschwörer denn ein Jahr lang in Apathie und Depressionen versunken?
 
Ich bin auf einen Artikel in der ZEIT (Die Halder-Legende | ZEIT ONLINE) aufmerksam geworden. Danach ist im Zweifel zu ziehen, wie weit die eigentliche September-Verschwörung gediehen war.

Halders "Putsch von 1938" war kein konkreter Plan, sondern ist allenfalls eine nachträgliche Überhöhung vager Absichten, die vor allem aus der Unzufriedenheit mit dem Strategen Hitler entstanden sein mögen. Die abenteuerliche Geschichte kam aber zu Beginn des Kalten Kriegs gerade recht, um die Legende von der sauberen, ja widerständigen deutschen Wehrmacht mitzubegründen.

Falls diese Sicht richtig ist, würde es auch erklären, warum es 1939 keine Neuauflage dieser Pläne gab: weil es schon 1938 keine Pläne gegeben hat
 
Zwar nicht im September 1939, aber im November 1939 soll es Planungen/Absichten für einen Putsch gegeben haben:

At the same time, Goerdeler was deeply involved in the planning of an abortive putsch intended to be launched on 5 November 1939, and as such was in very high spirits prior to that day.[100] Hassell wrote in his diary that with worry that "He [Goerdeler] often reminds me of Kapp." (Wolfgang Kapp, the nominal leader of the Kapp Putsch was notorious for his irresponsibility)[100] The proposed putsch became stillborn when Field Marshal Walter von Brauchitsch and General Franz Halder, the leaders of the planned putsch got cold feet, and dropped their support.[101]


https://en.wikipedia.org/wiki/Carl_...tempt_of_November_1939_and_attack_on_the_West


Ich bin offen gestanden ein wenig überrascht über diesen Putschversuch, der wohl nicht über das Planungs- oder Absichtsstadium hinausgekommen ist, weil ich davon noch nie etwas gehört habe. Zudem wird er auch im deutschsprachigen Artikel zu Goerdeler nicht erwähnt. Die im obigen Artikel zitierte Quelle für diesen Putsch ist John Wheeler-Bennett: The Nemesis of Power The German Army In Politics 1918-1945, London, 1967.

Da ich das Buch nicht vorliegen habe, weiß ich nicht, welche Quellen Wheeler-Bennett benutzt. Irritierend ist jedoch, dass m. W. dieser Putsch ansonsten in der Literatur zum Widerstand nicht auftaucht.
 
Die ex-post von Halder behauptete Absicht zum Putsch bzw. zur Erschießung Hitlers am 5.11. hatte zunächst einmal - ebenfalls so behauptet - den Hintergrund, dass Hitler entgegen der Erwartungen der Generalität nicht auf eine politische Anschlusslösung mit den Westmächten nach dem absehbar schnell siegreichen Polenfeldzug einschwenkte, sondern seit Ende September, dann massiv im Oktober-Memorandum auf einen sofortigen Westfeldzug zusteuerte.

Für diesen war das Plandatum 12.11.39 erstmalig angesetzt, es folgten die bekannten (ein Dutzend) Verschiebungen bis zum 10.5.1940.

In der Kontroverse um das Angriffsdatum 12.11., dass die Generalität ablehnte, soll es Putschgedanken gegeben haben. Dies behauptete auch Halder nach dem Krieg ("mit der Pistole in der Tasche zu Hitler"). Nach einem Wutanfall Hitlers, in dem Anspielungen auf den zu liquidierenden "Geist von Zossen" (der Generalstab) fielen, sollen sich die Involvierten nicht sicher gewesen sein, ob Hitler etwas von dem Widerstand geahnt habe.

Für den 1. September 1939 gab es eine andere Sachlage, ohne die oben skizzierte kontroverse Lage. Aufschluss über die Siegerwartungen der Generalität gibt dieser Aufsatz:
Franz Halder und die Kriegsvorbereitungen im Frühjahr 1939. Eine Ansprache des Generalstabschefs des Heeres
Vfz - download 1997/Heft 3
Institut für Zeitgeschichte: VfZ-Download (1953-2010)

Offenbar hielt man diesen Krieg im vorhinein für "problemlos" und schnellstens beendbar, ohne Eskalation mit den Westmächten. Diese Erwartung ist erst - spätestens - mit Hitlers Oktober-Memorandum zerstoben.

Zur Rede 9.10.: siehe im Forum "Bogentheorie"

Der Angriffstermin 12.11. wurde um den 27.9. festgesetzt, mit dem Datum sollen Halders und Brauchitsch Absichten gehabt haben, Hitler zu beseitigen. Mit der Rede 5.11., der Absage des Angriffstermins und den Andeutungen Hitlers über die renitente Generalität sei das obsolet gewesen.
 
Dazu zwei Literaturhinweise.

Hartmann, Halder Generalstabschef Hitlers 1938-1942 und

Müller, Das Heer und Hitler.
 
Beide Darstellungen lassen mE auch viele Fragen offen, so zB wie ernst es Halder etc. im Oktober/November wirklich gewesen ist.

Für die Frage des Polenfeldzuges und der Bereitschaft, diesen Krieg mitzutragen, ist neben der befürwortenden Grundstimmung noch nicht auf den Effekt der Rede am Obersalzberg 22.8. vor der Generalität hingewiesen worden. Danach war bis auf den harten Kern um Oster (und Canaris?), die die Kriegsabsicht an den britischen Geheimdienst weitergaben, kein Widerstand mehr spürbar gewesen.
 
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