Achtung bei Verallgemeinerungen...
JRRT0lkien schrieb:
Hallo!
Wir nehmen in Geschichte gerade den Alltag im Mittelalter durch. Und je mehr ich darüber lese, desto mehr drängt sich die Frage auf, warum gerade in der Zeit im 10. - 12. Jhd., aber auch darüber hinaus, das Leben der Bauern, die ja über 90% der Bevölkerung stellten, so hart und kurz sein musste.
Warum änderte es sich über die Jahrhunderte nicht?
Es ist ein gängiges Mißverständnis, dass das Mittelalter eine homogene, "dunkle" Zeit ist. Im Gegenteil, es gab Konjunkturen von guten Zeiten, die schlechten folgten, Regionen die prosperierten, während andere darbten oder von Kriegen oder Seuchen heimgesucht wurden. Wobei wir natürlich nicht von heutigen Ansprüchen an Lebensstandards ausgehen dürfen, der Abstand zum viel niedrigeren Existenzminimum war für die damaligen Menschen geringer.
Ein Indikator für wirtschaftlich gute Zeiten ist zum Beispiel die Körpergröße. Je nahrreicher und besser die Ernährung in der Jugend, desto größer werden nämlich die Menschen. Auf Basis von Skeletten aus den verschiedenen Jahrhunderten kann man also die Lebensqualität ableiten und neueren Studien zufolge waren die Menschen im Nordeuropa des 9.-11. Jahrhunderts fast so groß wie wir heute. Allerdings war auch die Nahrung proteinreicher, da die Vieh- und Milchwirtschaft erst später auch durch den Bevölkerungsdrck von der Getreidewirtschaft abgelöst wurden. In den Jahrhunderten darauf folgte eine kleine Eiszeit und schließlich die "Krise des Spätmittelalters" mit Krieg, Seuchen und schlechten Ernten.
Bei der Bemessung der Lebenszeit muss man auf die statistischen Kenngrößen aufpassen. Die durchschnittliche Lebensdauer sinkt dramatisch (auf die bekannten Zahlen von 25-32), wenn man alle im Kindesalter verstorbenen Personen mitzählt. Wer allerdings die ersten Lebensjahre überlebte, konnte durchaus sehr alt werden. Deshalb spricht man auch von einer Lebenserwartung bei der Geburt (die Zahl, die in modernen Statistiken immer auftaucht) und der Lebenserwartung als Erwachsener. Letztere änderte sich wie erstere im Laufe der Jahrhunderte und war im 14. Jahrhundert wohl am geringsten.
Löhne und Preise änderten sich ebenfalls über die Zeit.
Hier zum Beispiel eine Datenbank zu den Getreidepreisen in ganz Europa.
Schließlich ist die Stellung der Bauern - oder besser, der in der Landwirtschaft arbeitenden Bevölkerung - auch eine Machtfrage. Wer fest in ein feudales Machtgefüge eingeschlossen war, lebte unfreier, aber nicht unbedingt schlechter als einer, der gegen Privilegien neues Gebiet (in Wäldern, Berglandschaften oder Osteuropa) erschloss. Auch hier kann man grobe Konjukturen erkennen: bis ins 10. Jahrhundert wurden die Bauern im Zuge der Feudalisierung immer unfreier, ab dem 11. Jahrhundert stieg die Zahl der Freibauern v.a. in Kolonisation wieder an um im Spätmittelalter durch Territorialisierung der Herrschaft und den Strukturwandel in wirtschaftlichen Notzeiten wieder zu sinken. Ja, es gab sogar so etwas wie Bauernstaaten - die schweizer Urkantone und Dithmarschen in Schleswig-Hostein.