Wege in die NS-Diktatur - auch Angst vor der Moderne?

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Abiturientin

Gast
Der obere Titel ist mein Thema für mein mündliches Abitur und ich bin mir dabei nicht sehr sicher, weil ich sehr wenig Quellen dazu finde.
Mein Gedanke dabei war, dass das Kleinbürgertum vom Land Angst vor den Veränderungen der Zwanziger Jahre bekommen und sich somit vom Nationalsozialismus angezogen gefühlt hat.
Ist das denn überhaupt ein nachvollziehender Gedanke und wenn ja, wie könnte ich das belegen?
Ich wäre für jede Hilfe dankbar :)
 
Bei der Fragestellung sind grundsätzlich zwei Aspekte zu unterscheiden.

Zum einen die Aspekte innerhalb der NS-Ideologie, die anti-modernistisch interpretiert werden können.

Ein wichtiger Vertreter, der die These formuliert, die NS-Bewegung sei auch durch antimodernistische Tendenzen geprägt worden, ist Turner.

Faschismus und Kapitalismus in Deutschland - Henry Ashby Turner, Adolf Hitler - Google Books

Er differenziert die anti-modernistischen Inhalte des "linken" Flügels innerhalb der NSDAP, die sich an einer ständischen Gesellschaft des Mittelalter orientiert. Diese Position war noch durch konkretere Aussagen geprägt als eine Art von "NS-Utopie".

Und des "rechten" Flügel, zu dem auch Hitler gehörte, der eher einen mysthischen Bezug aufwies und teilweise auf die Zeit vor dem Christentum verwies (Germanentum und nordische Götterwelt).

Dieser Formulierung der politischen Ideologie durch die NSDAP standen Wähler gegenüber, die eine Reihe prägender und auch traumatisierender Erfahrungen erlebt haben.

- Den Weltkrieg und den Zusammrenbruch des sozialen und politischen Gefüges des wilhelminischen Deutschlands
- Die oktroyierte Verfassung durch die Alliierten und die politischen Kämpfe zwischen links und rechts während der WR
- Die Hyperinflation bzw. Deflation und die anschließende Weltwirtschaftkrise von 1929/30

Alle diese Aspekte haben das soziale Gefüge der WR zu einer "Fahrstuhlgesellschaft" gemacht, bei der die Gefahr vor allem der Mittelschichten in die - so verstandene - gesellschaftliche Marginalisierung in der Unterschicht (Pauperisierung) besonders stark ausgeprägt war.

Ob das nun eine Form der "Angst vor der Moderne" ist, ist schwer zu beurteilen, weil man definieren müßte, was "Moderne" in diesem Fall bedeutet.

Es war sicherlich die Angst vor der sozialen Verelendung, dass Teile des deutschen Volks, teils aus der Mittelschicht (kleinen Selbständigen etc.) ihre Wünsche nach wirtschaftlicher Stabilität auf einen, vermeintlichen, starken Mann projiziert haben. Diese Projektion zielte vor allem auf die als bedrohlich angesehene "Zangenbewegung" zum einen einer "Sowjetisierung" der Gesellschaft und zum anderen der destruierenden Elemente einer liberalistischen kapitalistischen Wirtschaftsordnung.

Beide bedrohten die Existenz und die damit zusammenhängenden Weltbilder der Mittelschicht in der WR.

Und wählten ausgerechnet mit Hitler jemand zur Lösung ihrer wirtschaftlichen Probleme, der im klassischen Sinne mit Politik zu Friedenszeiten wenig am Hut hatte. Wie sich in den folgenden Jahren zeigen sollte. Und der an der Vermehrung des Wohlstands des ihm anvertrauten Deutschen Volkes absolut kein Interesse gezeigt hatte.

Ironischerweise befreite er den Mittelstand von ihren Ängsten, allerdings anders und wesentlich radikaler als die es sich bei der Wahl 1933 von Hitler erhofft haben. Nach Moskau wollte wohl keiner seiner Wähler marschieren.
 
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Dieser Formulierung der politischen Ideologie durch die NSDAP standen Wähler gegenüber, die eine Reihe prägender und auch traumatisierender Erfahrungen erlebt haben.

- Den Weltkrieg und den Zusammrenbruch des sozialen und politischen Gefüges des wilhelminischen Deutschlands
- Die oktroyierte Verfassung durch die Alliierten und die politischen Kämpfe zwischen links und rechts während der WR
- Die Hyperinflation bzw. Deflation und die anschließende Weltwirtschaftkrise von 1929/30

Alle diese Aspekte haben das soziale Gefüge der WR zu einer "Fahrstuhlgesellschaft" gemacht, bei der die Gefahr vor allem der Mittelschichten in die - so verstandene - gesellschaftliche Marginalisierung in der Unterschicht (Pauperisierung) besonders stark ausgeprägt war.

Ich finde den Begriff der oktroyierten Verfassung hier etwas stark. Immerhin waren die Deutschen nach dem ersten WK noch immer in weiten Teilen Souverän und haben die Verfassung vor dem VV beschlossen. Selbst wenn gab es nach 1919 keinen Zwang eine republikanische Verfassung aufrecht zu erhalten. Defacto haben sich die Alliierten nach 1918 nicht mehr für die deutsche Verfassung, sondern lediglich für die deutschen Reparationen interessiert.

Pauperisierung bezeichnet eigentlich nicht die gesellschaftliche Marginalisierung der unteren Schichten sondern viel eher die Verelendung weiter Teile der Bevölkerung in der Frühindustrialisierung.
 
1. Man mag über Begriffe streiten. Fakt ist, dass Wilson eine andere Position bei Verhandlungen gegenüber Vertretern eines aristokratischen preußischen Militarismus gezeigt hätte wie gegenüber den demokratisch gewählten Vertretern des Reichstags.

Meine mich sogar erinnern zu können, dass Wilson Verhandlungen mit den "preußischen Militaristen" ausgeschlossen hatte.

Insofern gab es externen Druck für eine Umgestaltung des politischen Systems in Deutschland. Und dann, zeitlich versetzt, gab es auch die "November-Revolution".

Der Begriff ist zudem aus der innenpolitischen Situation gerechtfertigt, da die konservativen Eliten nicht freiwillig die Umgestaltung mit getragen haben, sondern von nicht geringen Teilen der Bevölkerung ein demokratisches politisches System abgelehnt wurde.


zu 2. Es ist durchaus zutreffend, dass der "Archetyp" der Konstruktbildung im Bereich der Historiographie auf die Frühzeit der Industriealisierung verweist. Gleichzeitig führt er ein eigenständiges Leben im Bereich der sozialwissenschaftlichen Konstrukbildung.

Abgeleitet aus diesem Prozess der Verarmung bzw. Verelendung wird dieser Begriff in Analogiebildung ebenfalls für ähnlich gelagerte Prozesse verwendet (vgl. Link als Beispiel).

Soziologie der Entwicklungsländer - Google Books

Und für die Mittelschicht in der WR führten die Auswirkungen der wirtschaftlichen Krisen in den zwanziger Jahren, so zumindest die kollektive Wahrnehmung der Bedrohung, in den sozialen Abstieg.

Und dieser führte nicht automatisch in die "Proletarisierung", sondern es wurde die Gefahr antizipiert, dass dieser Prozess in der Ausformung einer parallelen Unterschichtsformation endet, die nicht identisch war mit der klassischen Arbeiterschicht.

Und deswegen ist dieser teils reale teils antizipierte Prozess der Verarmung der Mittelschicht durchaus sinnvoll als "Pauperisierung" zu bezeichnen.

Für das Thema spielt die Begrifflichkeit in diesem Fall aber nur eine geringe Rolle.
 
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