Wie beurteilt man historische Überlieferungen?

Windhuk Lager

Mitglied
Hallo Forum

Ich lese jetzt seid einiger Zeit das Thema "Liegt Arminius eine historische Gestalt zu Grunde" und ich hätte da einige Fragen dazu.
Ich möchte mit meinem Thema nicht das oben genante aufwärmen, meine Fragen bezieht sich auf die generelle Lesensweise solcher Überlieferungen und die Metodik der wissenschaftlichen Forschung, ob es jetzt das Nibelungen- oder Rolandlied ist, oder etwa die Bibeltexte im AT.
Wie wörtlich kann man solche Überlieferungen nehmen, oder welche Einflüsse wirkten auf solche Überlieferungen im laufe der Zeit??
Im laufe der Jahrhunderte nehmen solche Erzählungen wahrscheinlich die Form der Stillen Post an, die nichts desto trotz einen wahren Kern besitzen kann. Es gibt Naturvölker in denen die Häuptlinge und ihre Taten, durch mündliche Überlieferungen 40 oder mehr Generationen zurück verfolgt werden können. In der Bibelforschung, im alten Ägypten oder Griechenland finden Archäologen immer wieder Zeugnisse das Geschichten, doch oft einen wahren Kern besitzen.
Wie kann man aus dieser Sichtweise das Nibelungenlied oder andere Heldenepen beurteilen?
Mir geht es bei meiner Frage um die Methodik in der Forschung, weniger um persönliche Interpretationen der Forumsteilnehmer.

Gruß Steffen
 
Hallo Forum

Ich lese jetzt seid einiger Zeit das Thema "Liegt Arminius eine historische Gestalt zu Grunde" und ich hätte da einige Fragen dazu.
Ich möchte mit meinem Thema nicht das oben genante aufwärmen, meine Fragen bezieht sich auf die generelle Lesensweise solcher Überlieferungen und die Methodik der wissenschaftlichen Forschung, ob es jetzt das Nibelungen- oder Rolandlied ist, oder etwa die Bibeltexte im AT.
Wie wörtlich kann man solche Überlieferungen nehmen, oder welche Einflüsse wirkten auf solche Überlieferungen im laufe der Zeit??
Im laufe der Jahrhunderte nehmen solche Erzählungen wahrscheinlich die Form der Stillen Post an, die nichts desto trotz einen wahren Kern besitzen kann. Es gibt Naturvölker in denen die Häuptlinge und ihre Taten, durch mündliche Überlieferungen 40 oder mehr Generationen zurück verfolgt werden können. In der Bibelforschung, im alten Ägypten oder Griechenland finden Archäologen immer wieder Zeugnisse das Geschichten, doch oft einen wahren Kern besitzen.
Wie kann man aus dieser Sichtweise das Nibelungenlied oder andere Heldenepen beurteilen?
Mir geht es bei meiner Frage um die Methodik in der Forschung, weniger um persönliche Interpretationen der Forumsteilnehmer.

Gruß Steffen

In erster Line sind diese Texte aus literaturwissenschaftlicher Sicht zu bewerten, historisch lässt sich möglicherweise noch linguistisch etwas herausfiltern, vielleicht auch Glaubensvorstellungen zum Zeitpunkt der Niederschrift. Bei einigen dieser Texte, wie z.B. beim Rolandslied, kann man die historischen Quellen zum Sachverhalt heranziehen. Man wird dann sehen, dass - so verhält es sich beim Rolandslied - aus der bei Einhard überlieferten Schlacht gegen die katholischen Basken eine Schlacht gegen die muslimischen Sarazenen wird. Ergo: ereignishistorisch ist das Rolandslied wertlos. Was man herausfinden kann ist z.B., dass zwischen Speer und Lanze nicht unterschieden wird, was wir ja tun. Für uns ist die Lanze eine Stoßwaffe und der Speer eine Wurfwaffe. Für den Verfasser des Rolandsliedes wird es diesen Unterschied zwar gegeben haben, aber der manifestiert sich nicht im Wortgebrauch.
Beim Nibelungenlied ist die Geschichte noch viel verfahrener. Es gibt kein definitives Ereignis, auf welches man es zurückführen könnte. Möglicherweise ist es wirklich schlicht Phantasie.
Ich vermute in diesem Zusammenhang, dass in 1000 Jahren Archäologen nach den Gräbern der Schulmädchen Hanni und Nanni suchen werden und versuchen den Rio Pecos zu lokalisieren um das Apachengold zu finden.

Will sagen: Die einzige Methode Epen auf historische Nachrichten zu überprüfen ist, andere Quellen zu finden, was dann in der Regel zu dem Ergebnis führt, dass das Epos mit der historischen Realität nicht mehr viel gemein hat, was wiederum zu der Erkenntnis führt, dass Epen keine Quellen für Ereignisgeschichte sind.
 
Zuletzt bearbeitet:
Will sagen: Die einzige Methode Epen auf historische Nachrichten zu überprüfen ist, andere Quellen zu finden, was dann in der Regel zu dem Ergebnis führt, dass das Epos mit der historischen Realität nicht mehr viel gemein hat, was wiederum zu der Erkenntnis führt, dass Epen keine Quellen für Ereignisgeschichte sind.[/quote]

macht man es sich mit diesem Ansatz nicht ein bißchen einfach?
So weit ich weiß gibt es Volksmärchen, die in einigen Aspekten Germanische und Keltische Erzählungen aufgreifen oder verarbeiten (Frau Holle etc.)

Ich meine wenn Schliemann genauso gedacht hätte, läge Troja wahrscheinlich immernoch unter einem Hügel verborgen.



Gruß Steffen
 
macht man es sich mit diesem Ansatz nicht ein bißchen einfach?

Hast Du einen besseren?

So weit ich weiß gibt es Volksmärchen, die in einigen Aspekten germanische und keltische Erzählungen aufgreifen oder verarbeiten (Frau Holle etc.)

Bei Frau Holle ist der Fall so gelagert, dass aufgrund des vorliegenden Materials, also anderen Quellen, (Liederedda/Edda) eine Verbindung zu Hel geknüpft werden konnte. Mit Frau Holle hängt eben unsere Hölle (Hel ist die Göttin der Unterwelt), unsere Höhle und das Adjektiv hohl zusammen, und englisch hell (Hölle), aber auch hole (Loch).

Ich meine wenn Schliemann genauso gedacht hätte, läge Troja wahrscheinlich immer noch unter einem Hügel verborgen.

Schliemann war nicht der erste, der den Tell bei Hirsalik mit Troja verband. Noch in der römischen Antike war Troja bzw. Illion/Illium besiedelt, Appian überliefert sogar eine Plünderung Trojas im mithridiatischen Krieg durch den römischen Feldherren Fimbria, obwohl sich die Stadt Sulla schon ergeben hatte. Ein besonders pikantes Detail dabei ist, dass Fimbria die Leute, die in Kontakt mit Sulla standen gefoltert haben soll. Auch im 19. Jahrhundert gab es Personen vor Schliemann, die Hirsalik mit Troja verbanden.
 
Hast Du einen besseren?

Hast Du einen besseren?

Klar hab ich den, nicht gleich draufhauen!!
(vielleicht bin ich auch noch ein bißchen durch deinen Schlagabtausch mit Trajan in oben genanntem Thema beeinflusst , ich hoffe ihr vertragt euch wieder :friends:)

Ein paar "verschiedene Beispiele":
Zu lebzeiten haben Fachleute (nicht alle) über Schliemann gelacht, da sie Troja lediglich für eine Geschichte hielten und plötzlich findet Schliemann da was ....
oder
.... Wikinger in Nordamerika?! ja klar jetzt versuchen die "ewigen Germanen" auch noch die Entdeckung von Amerika für sich zu beanspruchen und dann ....
.... oder
die Hethiter hielt man meines wissens auch lange für ein Sagenvolk, bis deren Existens dann tatsächlich bewiesen wurde.

Macht man es sich dann nicht zu einfach wenn man alte Texte lediglich ins das Reich der Fabeln und Märchen stellt?!

Wie Tacitus schreibt werden die Taten des Arminius in Liedern besungen, was bedeuten könnte das die damalige Gesellschaft so etwas wie Heldenverehrung kannte.
Also warum sollten dann Heldenepen nicht partiell Wahrheiten enthalten?

Gruß Steffen
 
Hast Du einen besseren?

Macht man es sich dann nicht zu einfach wenn man alte Texte lediglich ins das Reich der Fabeln und Märchen stellt?!

Ich warte noch auf einen Methodenvorschlag, der besser ist, als alte Texte mit anderen Quellen, sofern vorhanden und sinnvoll, in Beziehung zu setzen. Auch werden diese Texte nicht "einfach ins Reich der Fabeln und Märchen gestellt". Es gibt einfach keine sinnvolle Methode (oder sie wurde noch nicht entdeckt) wie man Sagen, Epen und dergleichen Texte ohne die Zuhilfenahme anderer Quellen, auf ihren ereignishistorischen Gehalt überprüfen kann. Die Beziehung von Frau Holle zur nordgermanischen Gottheit Hel ist letztlich nur über die anderen Quellen, wozu literarische Texte, aber auch die Etymologe gehört, nachzuweisen. Doch über die heidnischen Glaubensvorstellungen sagt das Märchen wenig aus, christliche Kontaminierung heidnischen Sagengutes - ich denke dabei an Goldmarie und Pechmarie - nicht ausgeschlossen

Wie Tacitus schreibt werden die Taten des Arminius in Liedern besungen, was bedeuten könnte das die damalige Gesellschaft so etwas wie Heldenverehrung kannte.
Das ist völlig unbestritten

Also warum sollten dann Heldenepen nicht partiell Wahrheiten enthalten?
Auch das stand nie zur Debatte. Doch denke auch mal umgekehrt? Wieviel Bücher werden geschrieben, wieviele Geschichten erzählt, die keinen historischen Hintergrund haben? Ist Phantasie etwa eine Erfindung der Gegenwart? Müssen wir jetzt den historischen Parzival oder den historischen Gawân finden, Lancelot oder Iwein? Die Zwerge Alberich oder Alfrich? Gloin, Gimli usw.? (Wobei man ja sogar davon ausgeht, dass die Zwerge der alten Sagen tatsächlich auf reale Menschen zurückgehen, die, aus den entwickelten Mittelmeerregionen in den unterentwickelten Norden kommend kleinwüchsiger waren und ihr Geheimwissen zu Geld machten.)
 
Ich warte noch auf einen Methodenvorschlag, der besser ist, als alte Texte mit anderen Quellen, sofern vorhanden und sinnvoll, in Beziehung zu setzen.

Hallo El Quijote, :winke:
ich habe mit meiner Aussage nicht die Methode gemeint die du anbietest, da bin ich ganz deiner Meinung, sondern den Schluss den du daraus ziehst

..... was wiederum zu der Erkenntnis führt, dass Epen keine Quellen für Ereignisgeschichte sind

Wahrscheinlich hast du es härter Formuliert als du es meinst, bei der Formulierung bleibt kein Platz für die Beispiele, bei denen man eben doch reale Belege fand. (jetzt wirds Haarspalterei glaub ich):grübel:
Da ich wie gesagt auch das "Siegfried - Arminius Thema mitlese, wird mir das Thema allerdings ein bißchen zu heiß und meine Frage hast du eigentlich auch bereits beantwortet.

Danke Gruß Steffen
 
Hallo El Quijote, :winke:
ich habe mit meiner Aussage nicht die Methode gemeint, die du anbietest, da bin ich ganz deiner Meinung, sondern den Schluss den du daraus ziehst

..... was wiederum zu der Erkenntnis führt, dass Epen keine Quellen für Ereignisgeschichte sind

Wahrscheinlich hast du es härter formuliert als du es meinst, bei der Formulierung bleibt kein Platz für die Beispiele, bei denen man eben doch reale Belege fand.

Nein, ich meine das genauso, wie ich es geschrieben habe. Epen sind keine Quellen für Ereignisgeschichte. Das schließt nicht aus, dass Ereignisgeschichte sich in Epen wiederfindet: Im Nibelungenlied z.B. Ereignisgeschichte der Völkerwanderungszeit und Ereignisgeschichte des 12. Jahrhunderts. Nur ist die Ereignisgeschichte der Völkerwanderungszeit total verzerrt und die des 12. Jahrhunderts entkontextualisiert, so dass diese Quellen für den Historiker, der die Völkerwanderungszeit bearbeitet, so gut wie wertlos sind. Soll er etwa aus der Thidrekssaga schließen, dass Thidrek und Hildebrand Schwertleite oder Ritterschlag empfangen haben? Beide werden von ihren Vätern zu Rittern gemacht. Nur Ritter gab es in der Völkerwanderungszeit noch gar nicht, Schwertleite und Ritterschlag sind Erfindungen des Hochmittelalters. Der skandinavische Verfasser der Thirekssaga hat aber genau solches im Sinn.
Nehmen wir noch mal den Cid-Epos, einfach weil das der Epos ist, bei dem die vergangene Zeit zwischen Ereignis und Verschriftlichung am kürzesten von allen mir bekannten Epen ist:
Der historische Cid ist 1099 gestorben. Das Epos endet mit dem Satz "Per Abbat le escrivio en el mes de mayo de era de mill e .cc xlv. años."
"Abt Peter schrieb dieses Buch im Monat Mai der hispanischen Ära 1245."
Die hispanische Ära (era hispánica) hat die Geschichtswissenschaft vor Rätsel gestellt, niemand weiß woher diese Zeitrechnung, die parallel zur Zeitrechnung Anno Domini in einem Abstand von 38 Jahren läuft, wirklich kommt, aber es gibt ein paar Thesen dazu. Nach unserer Zeitrechnung ist das Jahr 1245 der hispanischen Ära das Jahr 1208.
Nun gibt es aber eine große Debatte, ob Per Abbat wirklich nur der Verfasser des Cid-Epos war, oder nur derjenige, der eine mündliche Tradition aufgeschrieben hat.
Das Argument der Traditionalisten oder Oralisten ist eine Zeile im Poema de Almería von 1147:
"Ipse Rodericus, Meo Cidi sape vocatus - Selbst Rodrigo, der oft Mein Cid genannt wird".
Hierin sehen die Traditionalisten den unumstößlichen Beweis dafür, dass das Cid-Epos mündlich schon 1147 bestand. Ramón Menéndez Pidal, der Übervater der spanischen Geschichtswissenschaft und der altspanischen Philologie hat daraufhin die Schätzung unternommen, dass das Poema de Mio Cid um 1125, also knapp 25 Jahre nach dem Tod des Cid entstanden sei. Ich hänge eher der anderen Fraktion an, die in Per Abbat den Verfasser und nicht nur den Sammler des Epos sieht. Die Argumente dafür: Die Versöhnung zwischen dem Cid und König Alfons verläuft nach dem Schema der Leyes de Benavente von 1202 und die Reihenfolge der spanischen Ständeversammlungen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entspricht den Treffen zwischen Alfonso und dem Cid im Epos.
http://www.geschichtsforum.de/f53/t...ag-quellen-und-epos-datierung-des-epos-22403/
So, wie dem auch sei, ob nun 25, 50 oder 110 Jahre zwischen dem Tod des realen Cid und dem Cidepos vergangen sein mögen, die Geschichte ist schon in diesem (relativ) kurzen Zeitraum total verzerrt. Aus dem Raubritter, der kein Problem damit hatte, christliche Ländereien im Dienste islamischer Herrscher oder auch zum eigenen Vorteil zu verheeren, wird ein zu Unrecht bescholtenes Opfer höfischer Intrigen, das einzig und allein zum Ruhme seines Königs beinahe den Islam von der iberischen Halbinsel vertreibt, es treten Personen auf,die keine Zeitgenossen des Cid waren etc.
Wenn wir das nun auf unsere Epen übertragen, wo nicht ein, zwei oder vier Generationen zwischen dem Ereignis und dem Epos liegen, sondern ca. 20 - 25 Generationen (oder, wenn man Trajans Arminius/Marbod-These mit einbezieht, sogar gut 48 Generationen zwischen Ereignis und Verschriftlichung), dann wird deutlich, dass ein Epos ereignisgeschichtlich gar keine Beweiskraft hat. Im Falle des Rolandsliedes wären es im Übrigen zwölf bis dreizehn Generationen, die zwischen dem Ereignis und dem Epos liegen.

Hinzu kommen noch die intertextuellen Widersprüche. Im Nibelungenlied lockt Kriemhild ihre Brüder an Etzels Hof um ihren ersten Mann zu rächen - was ihr auch gelingt. Das altskandinavische Atlilied hat eine andere Rolle für Gudrun (ohne Zweifel Kriemhild, denn auch Gudrun hat die Brüder Gunnar und Högni (Hagen ist im Nibelungenlied nicht der Bruder, sondern der Onkel) und auch Gudrun streitet sich - allerdings nicht vor der Kirche, sondern im Bad mit Brynhild, welche die hochrangigere von beiden sei, mit jeweils denselben Argumenten von Kriemhild/Gudrun: "Du bist nur die Konkubine des Dieners"): Gudrun versucht vergeblich ihre Brüder zu warnen, indem sie ihnen einen mit Wolfshaar umwickelten Ring schickt, der ihnen bedeuten soll, dass Atli ihre Ermordung plant um an ihre Schätze heranzukommen. Im Atlilied tötet Gudrun schließlich Attila, um ihre Brüder zu rächen, im Nibelungenlied wird sie von Hildebrand erschlagen und Attila und Dietrich beweinen gemeinsam das Schicksal der Toten. Brynhild, im Nibelungenlied Herrin der Burg Isenstein auf Island, ist in der Thidrekssaga Herrin der Burg Saegart in Schwaben, jenseits der Alpen (also aus italienischer Sicht). Was macht man mit solch widersprüchlichen Nachrichten? Welche hat Vorrang?

Was man sinnvoller Weise machen kann, ist zu versuchen, die politische Verortung des Schreibers in seiner Zeit zu ermitteln. So gibt es z.B. bei Wolfram von Eschenbach die Diskussion, ob er den Parzival nicht als politisches Stück geschrieben hat, in dem er die Konflikte der Welfen und der Staufer aufgreift. Auch Reinecke Voss ist ein stauferzeitliches Werk, ein Fürstenspiegel. Heinrich von Veldeke greift in seinem Aeneasroman den Mainzer Hoftag auf, beschreibt also die Zeit nach dem trojanischen Krieg unter Zuhilfenahme zeitgenössischer, selbst erlebter Ereignisse. So können wir natürlich Epen historische Wahrheiten entnehmen, aber diese sind immer zeitnah zum Verfasser, nicht zum beschriebenen Ereignis zu finden.
 
Schriftkultur der Germanen

Morgen,

ich habe gestern angefangen, das Buch: kleine Geschichte Europas zu lesen. Im Essay über die Dark Ages, habe ich einiges gelesen, was mich einigermaßen stutzig macht...

In einer Randnotiz wird darauf hingewiesen, die Germanen hätten über keine eigentliche Schriftkultur verfügt, daher sei es notwendig die Heldenepen, welche im Mittelalter später aufgeschrieben wurden zu konsultieren, wenn wir ihre Sicht auf die Dinge verstehen wollen.

Aber:

diese Heldenepen sind doch genauso Fiktion wie sagen wir Harry Potter, und sagen nichts über diese Zeit aus.
und
sind diese Darstellungen dann nicht auch beeinflusst von denen die sie aufschrieben?
Ist es also nicht eigentlich Blödsinn von diesen Werken überhaupt irgendwelche Schlüsse zu ziehen????
 
nein, einigen der aufgeschriebenen "Heldenlieder" sind überlieferte "Geschichten" .

Also Sagen. Man kann dann am Ganzen schon erkennen, wann ungefähr diese entstanden sind und den Kern "herauskitzeln".

Wobei natürlich "die Germanen" ein weitläufiger Begriff sind. Da wird von vielen eine Homogenität impliziert, die es so nie gegeben hat
 
Morgen,

ich habe gestern angefangen, das Buch: kleine Geschichte Europas zu lesen. Im Essay über die Dark Ages, habe ich einiges gelesen, was mich einigermaßen stutzig macht...

In einer Randnotiz wird darauf hingewiesen, die Germanen hätten über keine eigentliche Schriftkultur verfügt, daher sei es notwendig die Heldenepen, welche im Mittelalter später aufgeschrieben wurden zu konsultieren, wenn wir ihre Sicht auf die Dinge verstehen wollen.

Aber:

diese Heldenepen sind doch genauso Fiktion wie sagen wir Harry Potter, und sagen nichts über diese Zeit aus.
und
sind diese Darstellungen dann nicht auch beeinflusst von denen die sie aufschrieben?
Ist es also nicht eigentlich Blödsinn von diesen Werken überhaupt irgendwelche Schlüsse zu ziehen????

Das ist es ja: Es geht um ihre Sicht der Dinge, nicht um Ereignisgeschichte.
Der Vergleich mit Harry Potter ist dabei gar nicht mal so schlecht, werden darin doch auch reale Sichtweisen oder historisches kritisiert. Es ist nicht wahrscheinlich, dass Rowling von Anfang an z.B. gegen rassistische Sichtweisen schreiben wollte, aber ab dem zweiten oder dritten Band wird genau dieses Thema aufgegriffen (Schlammblüter, Blutreinheit), nicht von ungefähr tauchen im letzten (bzw. vorletzten) Film plötzlich Uniformierte auf, die an Dtld. in den dreißiger Jahren denken lassen. In einem der Filme gibt es plötzlich ein Inquisitionskommando, angeführt von einer kleinbürgerlich gepolten Frau, die zwar keinen offenen Rassismus und Speziesismus* auslebt, deren Vorstellungen und Verhaltensweisen aber genau davon getrieben werden: Von Rassismus, Speziesismus und kleinbürgerlicher Intoleranz. Rückschlüsse über die Wertvorstellungen unserer Gesellschaft, und zwar sowohl im positiven als auch im negativen, lassen sich daher durchaus auch aus den Harry Potter-Büchern und in etwas eingeschränkterem Maße auch aus den Filmen ziehen. Und die Lehre: Sei misstrauisch, wenn kleine, harmlos wirkende Damen, die einen Faible für zuckersüßes rosa und kleine, niedliche Kätzchen haben, plötzlich Weisungsbefugnis bekommen. ;)

*Disclaimer: Der sperrige Begriff Speziesismus wird in unserer Welt v.a. und fast ausschließlich von radikalen Veganern verwendet. In einer Welt mit Fabelwesen aber ist er ganz gut anwendbar.
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke, El Quijote; treffend ausgedrückt!

Interessant aber auch, wenn eine zeitliche Differenz zwischen zwischen Entstehen einer Geschichte und deren Verschriftlichung existiert. Hätte die gute Rowlings die Harry Potter-Story erst ausgiebig am Lagerfeuer erzählt, bis dann 2200 irgend eine andere Person auf die Idee kommt, dieses mündliche tradierte Sagengut aufzuzeichnen.

Was sagt das dann über welche Gesellschaft? Wie würden di Charaktere aussehen? Wenn meine Zukunftsängste wahr werden gibt das nen grandiosen Voldemort... ;)

Oder aber:

Und die Lehre: Sei misstrauisch, wenn kleine, harmlos wirkende Damen, die einen Faible für zuckersüßes rosa und kleine, niedliche Kätzchen haben, plötzlich Weisungsbefugnis bekommen.

Exakt. :rofl:

*Disclaimer: Der sperrige Begriff Speziesismus wird in unserer Welt v.a. und fast ausschließlich von radikalen Veganern verwendet. In einer Welt mit Fabelwesen aber ist er ganz gut anwendbar.

Sagt die campaign for equal heights...
 
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