Wie Casanova die Liebe sah...

Brissotin

Aktives Mitglied
Was hat der Beruf seines Bruders mit der Vorstellung von Liebe bei Giacomo selbst zu tun?
Das war eine Gegenfrage, aber keine Antwort. Ich passe da schon ganz genau auf. :devil:

Mir geht es beim Hinweis auf seinen Bruder darum, dass Casanova abgesehen von den Frauen kaum Leidenschaften erkennen lässt. Auch wenn er die Künste kannte und durch seinen Bekanntenkreis bisweilen damit in Verbindung kam, gehörte ihnen nicht seine Liebe, wie ich es bei einem Händel vermuten würde.
 
Brissotin schrieb:
Auch wenn er die Künste kannte und durch seinen Bekanntenkreis bisweilen damit in Verbindung kam, gehörte ihnen nicht seine Liebe, wie ich es bei einem Händel vermuten würde.

Da bin ich aber gehörig anderer Meinung. ;)

Liest man die Abschnitte, in denen er sich mit Voltaire zu messen versucht, mit welcher Leidenschaft er daran geht, seine Liebe zu Ariost kundzutun, wie sehr er seine geistige Überlegenheit, andere auszutricksen, für seine Flucht aus den Bleikammern ausnutzt und sich damit brüstet, lassen für mich ein ganz anderes Bild entstehen. Außerdem finde ich, dass er für einen unverheirateten Mann keinen extremen Verschleiß hatte. Er selbst spricht von 120 Geliebten und auf 40 Jahre verteilt macht das drei Stück pro Jahr. Bedenkt man, wie viel er gereist ist, und sich somit ständig nach neuen Wesen umsehen musste, die er begehren konnte, erscheint die Zahl nicht mehr ganz so utopisch.
 
1. Da bin ich aber gehörig anderer Meinung.

2. Liest man die Abschnitte, in denen er sich mit Voltaire zu messen versucht, mit welcher Leidenschaft er daran geht, seine Liebe zu Ariost kundzutun, wie sehr er seine geistige Überlegenheit, andere auszutricksen, für seine Flucht aus den Bleikammern ausnutzt und sich damit brüstet, lassen für mich ein ganz anderes Bild entstehen. Außerdem finde ich, dass er für einen unverheirateten Mann keinen extremen Verschleiß hatte. Er selbst spricht von 120 Geliebten und auf 40 Jahre verteilt macht das drei Stück pro Jahr. Bedenkt man, wie viel er gereist ist, und sich somit ständig nach neuen Wesen umsehen musste, die er
begehren konnte, erscheint die Zahl nicht mehr ganz so utopisch.
1. Ist auch in Ordnung.
Bei seinem Verhältnis zu Voltaire und den Philosophen im Allgemeinen ist man sich ja sehr strittig. Manch einer behauptet, Casanova wollte sich nur aufspielen, wenn er plötzlich bei namenhaften Größen seiner Zeit wie Katharina II. oder Voltaire auftauchte. Übersehen wird da gern, dass eben der Dilettantismus ganz charakteristisch für seine Schicht war, worunter Casanova vermutlich noch zu den gebildeten (immerhin studierter) Dilettanten zählte. Wie ernsthaft seine Philosophie war, also in wie weit sie ihn bestimmte, ist schwer zu sagen. Mit seinem Werk "Icosameron ou histoire d’Edouard, et d'Elisabeth qui passèrent quatre vingts ans chez les Mégramicres habitante aborigènes du Protocosme dans l'interieur de notre globe" von 1788 gab er sich wohl viel Mühe, auch wenn es laut Kleßmann etwas spät kam und daher an Erfolg gebrach.

2. Das habe sehe ich genauso. Dass er keinen "enormen Verschleiß" hatte, besagt aber nichts über seine Leidenschaften.;)

Zu seiner genauen Einstellung zur Liebe, hast Du aber immer noch nichts gesagt.:devil: Ich lausche gespannt.:)
(Bin mal gespannt, dieses Jahr soll es im schönen Gartensaal im Ebneter Schloss (Bauzustand der 1740er hauptsächlich) einen Vortrag zu Giacomo Casanova geben. Kann ich Dich damit hierher locken, Luki?:))
 
Manch einer behauptet, Casanova wollte sich nur aufspielen, wenn er plötzlich bei namenhaften Größen seiner Zeit wie Katharina II. oder Voltaire auftauchte.

Die Menschen, die das nicht tun würden, kann man denke ich an einer Hand abzählen. Selbst ich würde das versuchen, auch wenn ich wohl in dieser Rolle nicht ganz so elegant aussehen würde wie Casanova.

Zu seiner genauen Einstellung zur Liebe, hast Du aber immer noch nichts gesagt. Ich lausche gespannt.

Ich bin kein Hellseher und kann nur das wiedergeben, was ich selbst in sein Werk hineininterpretiere. Sollte meine subjektive und vielleicht falsche Meinung trotzdem gewünscht werden, kann ich gerne einige essayistische Zeilen dazu schreiben.

(Bin mal gespannt, dieses Jahr soll es im schönen Gartensaal im Ebneter Schloss (Bauzustand der 1740er hauptsächlich) einen Vortrag zu Giacomo Casanova geben. Kann ich Dich damit hierher locken, Luki?)

Das könnte gut sein. Gib mir per PN Bescheid, wenn sich ein konkreter Termin herauskristallisiert.
 
Ich bin kein Hellseher und kann nur das wiedergeben, was ich selbst in sein Werk hineininterpretiere. Sollte meine subjektive und vielleicht falsche Meinung trotzdem gewünscht werden, kann ich gerne einige essayistische Zeilen dazu schreiben.
Essayistisch? Subjektiv? Von Dir?
Das sind drei Komponenten, welche es erwünscht machen.:O
Im Ernst, Du kannst einen vielleicht gespannt machen.;)
 
"Mancher will sprechen lernen zu einem Zeitpunkt, wo er lernen sollte, endgültig zu schweigen." Montaigne
Vielleicht wäre es nun auf für mich an der Zeit, meinem Begehren nachzugeben, mich in einen Helden wie Casanova hineinzudenken und darüber törichterweise einen Essai zu verfassen, der auf dilettantische Weise versucht, den Stil Montaignes zu kopieren, doch diesen in seiner Plumpheit nie erreichen wird.

Casanova trug nicht mehr Leidenschaft für die Liebe in sich, als ein durchschnittlicher Mensch. Was lehrt uns die Geschichte anderes, als dass es die Leidenschaften der Liebe sind, egal ob in Geistigkeit zu unserem angebeteten Objekt hingezogen oder von den züngelnden Flammen der Fleischlichkeit getragen, die der Menschen eigenste Charaktereigenschaft sind? Zahlreiche Episoden aufzuzählen würde an dieser Stelle zu weit führen und es würde Sie ermüden, wenn ich ihnen von der Venus von Willendorf erzähle, die uns frech ihre Genitalien entgegenstreckt. Für wie vermessen würden Sie es halten, wollte ich Sie über die Gelüste in den antiken Mythen aufklären wollen oder über Augustinus, der seine ersten Jahre rastlos und getrieben von körperlicher Begierde verbrachte? Ebenso wie Origenes, der sich in seiner Verzweiflung über diese Tatsache selbst entmannte, wie uns so manche Quellen lehren? Was hätte Not getragen, die Menschen zu mahnen, dass triebhafte Lust nichts bringt, denn omne animal triste post coitum, wenn sie nicht ständig Gefahr laufen würden, in den Wogen der Liebesleidenschaft zu ertrinken? Dabei war den Eingeweihten durchaus bewusst, dass die Traurigkeit nach dem Liebespiel zumeist aus der Tatsache geobren wurde, dass ein Liebender nach Abklingen der feurigen Wogen allein zurückbleibt. Es blieb das Gefühl, nicht geliebt zu werden, ein Gegenstand für den anderen gewesen zu sein.
Ganz anders stellt sich die Situation bei Casanova dar. Er hinterließ keine verbrannte Erde, er war nicht auf der Suche nach Opfern, die er zurücklassen konnte. Vielmehr sieht er sich selbst als Opfer der Frauen (und eines Kastrats). Wie hätte er anders handeln können, als alles zu tun, was ihm seine Angebeteten gewogen machen könnte? Nicht er war es, der die Spielregeln diktierte, sondern die Frau war es, die er als vernünftiges Wesen wahrnahm und zu deren Dienst er sich verpflichtete, solange sie es zuließ. Seine Leidenschaft an der Vielfalt ergab sich nicht aus einer Sammelleidenschaft, wie man simpliciter glauben könnte, sondern vielmehr aus einer Odyssee, die ihn von Perfektion zu Perfektion trieb. Die Charpillon war es, die bei ihm tiefe Wunden hinterließ. Er wollte sich von ihr lösen, da er das Verderben erahnte, das sie ihm bereiten hätte können, doch er wurde ihr Opfer, er erlag ihrem Charme viele Male, bevor er letztendlich den Sieg davontrug. Und selbst in diesem Moment gesteht er ein: "...und ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn sie in diesem Augenblick die Geistesgegenwart besessen hätte, sich mir an den Hals zu werfen und mich um Gnade [...] zu bitten."
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke Luki, ich kriege das natürlich nicht so hin. Meine Vorbilder sind andere als Deine, aber kommen auch von mir nicht im Netz zur Geltung.;)

Das ist schon faszinierend, was uns Casanova liefert. Seine Geschichte seines Lebens ist alles, aber in erster Linie auch eine Seelenstriptease. Er hatte sich ja schon von anderen anhören können, wie dumm es war, Memoiren zu verfassen und diese gar zu veröffentlichen, wenn man zu Lebzeiten noch mit den Konsequenzen rechnen muss. So bleiben seine Memoiren unveröffentlicht bis fast alle seine Zeitgenossen unter der Erde liegen oder zumindest jene, welche er kompromitieren konnte. So buhlte er mit keinem anderen als dem berühmten Bernis um die Gunst einer Dame. Die Kritiker rückten in der Folge den erotischen Part der Memoiren in den Vordergrund und so entstanden geflügelte Wörter und Assoziationen, welche mit dem großen Casanova in Verbindung gebracht wurden.
Heinrich Heine macht da keine Ausnahme:
"Meiner Geliebten möchte ich das Buch nicht empfehlen, aber allen meinen Freunden. Italienische Sinnlichkeit haucht uns daraus entgegen. Es ist keine Zeile darin, die mit meinen Gefühlen übereinstimmte, aber auch keine Zeile, die ich nicht mit Vergnügen gelesen hätte."
Der wahrhaft große Casanova wurde als der große Verführer Casanova missinterpretiert. Dabei liegt m.E. seine Größe für uns Heutige einfach in der Lebendigkeit seiner Schilderungen begründet. Er schenkt uns ein leuchtendes Bild seiner Zeit UND seines Lebens. Er verteidigt sich nicht und rächt sich, im Vergleich zu einem Barras oder Trenck, kaum in seinen Memoiren. Er gesteht ein und auch, wo ihn die Frau überwunden hatte und sich als die Klügere erwies. Auch Casanova hat seine Fehler, nicht bloß Pech auch manchmal hoch gesetzt und verloren. Lieben tut er mit Haut und Haaren, nicht als selbstironische bis sarkastische Liebesmaschine wie sie uns Mirabeau in seiner "Bekehrung" präsentiert. Wer Casanova nur dem Namen nach kennt, mag das glauben, aber wer nur die eine oder andere Passage las oder seine Hingabe, mit welcher er gutes Essen lobt und sogleich zu den anderen Freuden übergeht, der wird nicht umhin können ihn anders aufzufassen.

Vielleicht steckt ein bisschen Casanova in jedem oder in jedem Mann zumindest. Wenn man den Blick befreit hat, sieht man ihn und erkennt die Alltäglichkeit seines Kampfes und seiner Irrwege. Was treibt ihn? Ist es ein Schicksal, das ihn rastlos lange Jahre bleiben lässt, ist es der Zeitgeist? Dabei bleibt er immer Freidenker, verfolgt wie Trenck, aber weniger beschränkt in der Sichtweise. Vielleicht sieht er doch letztlich voll Abscheu auf sein Venedig zurück, dem Ort vieler Lieben.

Ich frage mich oft, ob Casanova ein Einzelfall war oder ob er ein Paradebeispiel nur ist für die Libertins ohne Halt, ohne Rast? War sein Weltbild und sein Bild von den Frauen, nach welchem er sich den Damen gegenüber letztlich auch verhielt, eine eigene Kreation von ihm und wir übertragen es auf sein "galantes" Jahrhundert? Oder wollen wir das gern glauben, da andere Helden der Romane seiner Zeit ihm so ähneln, dass es fast zu verführerisch wäre, ihn als einen Romanhelden zu sehen?
 
Danke Luki, ich kriege das natürlich nicht so hin. Meine Vorbilder sind andere als Deine, aber kommen auch von mir nicht im Netz zur Geltung.;)

Das ist schon faszinierend, was uns Casanova liefert. Seine Geschichte seines Lebens ist alles, aber in erster Linie auch eine Seelenstriptease. Er hatte sich ja schon von anderen anhören können, wie dumm es war, Memoiren zu verfassen und diese gar zu veröffentlichen, wenn man zu Lebzeiten noch mit den Konsequenzen rechnen muss. So bleiben seine Memoiren unveröffentlicht bis fast alle seine Zeitgenossen unter der Erde liegen oder zumindest jene, welche er kompromitieren konnte. So buhlte er mit keinem anderen als dem berühmten Bernis um die Gunst einer Dame. Die Kritiker rückten in der Folge den erotischen Part der Memoiren in den Vordergrund und so entstanden geflügelte Wörter und Assoziationen, welche mit dem großen Casanova in Verbindung gebracht wurden.
Heinrich Heine macht da keine Ausnahme:

Der wahrhaft große Casanova wurde als der große Verführer Casanova missinterpretiert. Dabei liegt m.E. seine Größe für uns Heutige einfach in der Lebendigkeit seiner Schilderungen begründet. Er schenkt uns ein leuchtendes Bild seiner Zeit UND seines Lebens. Er verteidigt sich nicht und rächt sich, im Vergleich zu einem Barras oder Trenck, kaum in seinen Memoiren. Er gesteht ein und auch, wo ihn die Frau überwunden hatte und sich als die Klügere erwies. Auch Casanova hat seine Fehler, nicht bloß Pech auch manchmal hoch gesetzt und verloren. Lieben tut er mit Haut und Haaren, nicht als selbstironische bis sarkastische Liebesmaschine wie sie uns Mirabeau in seiner "Bekehrung" präsentiert. Wer Casanova nur dem Namen nach kennt, mag das glauben, aber wer nur die eine oder andere Passage las oder seine Hingabe, mit welcher er gutes Essen lobt und sogleich zu den anderen Freuden übergeht, der wird nicht umhin können ihn anders aufzufassen.

Vielleicht steckt ein bisschen Casanova in jedem oder in jedem Mann zumindest. Wenn man den Blick befreit hat, sieht man ihn und erkennt die Alltäglichkeit seines Kampfes und seiner Irrwege. Was treibt ihn? Ist es ein Schicksal, das ihn rastlos lange Jahre bleiben lässt, ist es der Zeitgeist? Dabei bleibt er immer Freidenker, verfolgt wie Trenck, aber weniger beschränkt in der Sichtweise. Vielleicht sieht er doch letztlich voll Abscheu auf sein Venedig zurück, dem Ort vieler Lieben.

Ich frage mich oft, ob Casanova ein Einzelfall war oder ob er ein Paradebeispiel nur ist für die Libertins ohne Halt, ohne Rast? War sein Weltbild und sein Bild von den Frauen, nach welchem er sich den Damen gegenüber letztlich auch verhielt, eine eigene Kreation von ihm und wir übertragen es auf sein "galantes" Jahrhundert? Oder wollen wir das gern glauben, da andere Helden der Romane seiner Zeit ihm so ähneln, dass es fast zu verführerisch wäre, ihn als einen Romanhelden zu sehen?


Casanova war eine reiche, universal gebildete Persönlichkeit, der ausgezeichnete Kenntnisse der Naturwissenschaften, der Ökonomie und der Literatur vorzuweisen hatte. Er betätigte sich zeitweilig nolens volens als Agent der Inquisition, und seine Schilderung der Flucht aus den Bleikammern ist meisterhaft. Er schlug Katherina II. eine Kalenderreform vor und übersetzte die Odyssee im Originalversmaß ins Russische. Die Frauen muß er wirklich gerne gehabt haben, er war ein guter Liebhaber in dem Sinne, dass er nicht den Akt um seiner selbst willen suchte, sondern das Ganze Drumherum, den Flirt und die Konversation, so dass das Ganze der Schlußpunkt in einem wirklichen Liebesspiel wurde. Seine Freundinnen hat er geschont, er kam für Nachkommen auf, suchte die Damen sicherzustellen und er benutzte Kondome, obwohl der Liebesgenuß mit einigen dieser Dinger nicht allzu groß gewesen sein kann.

Er selbst zog sich mehrere Male venerische Erkrankungen zu, wobei er sich einige Male einer quecksilber- Kur gegen die Syphilis unterziehen mußte.
 
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