Wie vereinbarten die europäischen Mächte des 19. Jhdts Kolonialismus & Nationalismus?

MarilynS

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Wie begründeten die europäischen Mächte des 19. Jahrhunderts den Widerspruch der kolonialen Expansion ("Ausdehnung ihres politischen Machtbereichs ohne eine entsprechende Neugründung") und der immer stärker werdenden Idee des Nationalstaates ("Begrenztheit des Territoriums und einer mit dem Territorium gegebenen homogenen Bevölkerung")? (Abgesehen von dem Zweig des Nationalismus, der auf Rassismus beruht)
 
Da könnte man diverse Punkte betrachten:

- Einmal natürlich Rassismus respektive Eurozentrismus

- Wurden Kolonialisierung (in Übersee) und Nationalismus (daheim) von den gleichen Kräften vertreten?

- Wie war das mit Nationen in Europa ohne eigenen Staat? Im 19. Jh. bspw Irland oder Polen.

- In manchen außereuropäischen Ländern entwickelten sich nationalistische Bewegungen (in Südamerika war man da Europa in ggewisser Hinsicht sogar voraus). Inwieweit waren die mit euräischen Nationalismen verbunden?

Eine einfach Antwort wird's wohl nicht geben. ;)
 
Wie begründeten die europäischen Mächte des 19. Jahrhunderts den Widerspruch der kolonialen Expansion ("Ausdehnung ihres politischen Machtbereichs ohne eine entsprechende Neugründung") und der immer stärker werdenden Idee des Nationalstaates ("Begrenztheit des Territoriums und einer mit dem Territorium gegebenen homogenen Bevölkerung")? (Abgesehen von dem Zweig des Nationalismus, der auf Rassismus beruht)

Der Kolonialismus wurde von der wirtschaftlichen Macht einer Nation bestimmt und der Möglichkeit, sich vermeintlich neue Märkte (Ländereien od. Gebiete) zu unterjochen bzw. aus damaliger Sicht, zu erschließen.
Nationalismus erscheint sich dabei nur auf die inneren Gesellschaftsgefüge einer Nation zu beziehen, doch auch hier spielt die wirtschaftliche Stärke eine Rolle, die eigene nationale Stärke gegenüber über seinen Nachbarn oder anderen Staaten als Machtinstrument aus zuspielen, wobei wir dann auch wieder bei einer Ausweitung der starken Nationen über ihre Landesgrenzen hinaus angekommen sind.
Vornehmlich zum Ziel, die Wirtschaftsgröße oder Stärke der eigenen Nation zum Vorteil über anderen Nationen zu vergrößern.
Gerade im 19. Jahrhundert spielt die industrielle Revolution hierbei eine große Rolle und die Möglichkeit große Strecken immer schneller zu überwinden. So zu sagen der Weg zur Globalisierung, allerdings in Form der Kolonialisierung, die nur die Stärke der Nationalstaaten möglich machte.
 
Begriffe und Verwirrungen? Ein Versuch zu einem vernetzten Ansatz

Keine einfachen Fragen und auch kein einfacher Kontext der hier angesprochen wurde. Leztlich werfe ich mehr Fragen auf, auch für mich selbst. So wucherte mein Posting, das nur anreißen kann! Bleibt zu hoffen, das sich die vielen losen Enden meiner Sammlung nicht zu sehr verheddern oder missverstanden werden.
:sorry: vorab.

- Vor dem Kontext kolonialen Ausgreifens ist der Begriff des Nationalismus m.e. schlecht gewählt. Besser passt der Begriff des Imperialismus.

- Kernfrage ist dann die Definition des Nationalismus an sich, was besonders schwierig in diesem Kontext ist. Warum? Es mag klarer werden vor dem Begriff des Imperialismus, wenn man ihn universell verwenden will. Ein schönes Beispiel sind die Diskussionen um den Begriff des „Imperialismus“ im Kontext mit Expansion & Geschichte des Römischen Reiches in der Antike. Der Begriff Imperialismus wird aus vielerlei Gründen oft ganz natürlich für das antike Großreich angewendet. Trotz aller Ähnlichkeiten gibt es gravierende Unterschiede! Wurde der Begriff des Imperialismus doch eigentlich vor dem Hintergrund des weltweiten Ausgreifen Europas in der Neuzeit, insbesondere der letzten Phase dieses „Rennens um Kolonien“ nach erfolgreicher Aktivierung der Industriellen Revolution beschrieben. Ohne Zweifel war das Ausgreifen europäischer Mächte auf Kolonien in Übersee bereits mit dem Beginn des Transozeanischen Fernhandels in der Frühen Neuzeit begonnen worden. Man spricht dabei erst noch von Kolonialismus und nicht von Imperialismus... Das Römische Reich kannte diese Form der Expansion (Fernhandelsziele, Kontrolle & teils totale Monopolisierung kompletter Handelsrouten) ebenso wenig wie Kolonien im Sinne der Neuzeit… Spricht man im Kontext des Römischen Reiches von Imperialismus, muss man vorsichtig sein, nicht den ganzen Ballast der moderneren Entwicklungsgeschichte des neuzeitlichen Imperialismus mit sich zu tragen…!
Ähnlich viel angesammelter Ballast hat sich aus der Entwicklung des Nationalismus aufgetürmt. Besonders im Verlauf des 20.Jhts.!

- Ist Rassismus eine Abart des Nationalismus? Wenn ja, kam es denn nicht bereits vor Auftreten des modernen Nationalismus zu Formen des Rassismus? Wird heute nicht eher von Rassismus im Kontext von Hautfarben verwendet? Ist dann Rassismus nicht eher ein Phänomen, das über nationale Tellerränder und Anschauungen hinausgeht? Rassismus hat im Kontext mit der rassistisch begründeten Ideologie des Nationalsozialismus eine ganz eigene Ausprägung und entsetzliche Steigerung gewinnen können. Dabei wurde er fraglos ganz eng mit dem Nationalismus verbunden! M.E. nach scheint mir Rassismus vorher im Kontext mit Kolonialismus und Imperialismus deutlicher ausgeprägt gewesen zu sein...?

- Im Kontext des klassischen Imperialismus der Kolonialreiche wurden bereits weitere Begriffe genannt, die zur Beschreibung des Imperialismus gebraucht werden, aber nicht völlig deckungsgleich damit sind. Es wären dies etwa Kolonialismus, Handelsmonopole. Indirekte Herrschaft über Handelsgesellschaften und Kooperation mit lokalen Machthabern – versus direkte Herrschaft, Industrialisierung (mit seinem Bedarf an Rohstoffen und Absatzmärkten in seiner frühen Ausprägung) etc. Schon jetzt sollte klar sein, dass der in der Eingangsfrage implizierte, unmittelbare Zusammenhang zwischen Nationalismus und Kolonialismus eben nicht direkt zutrifft.
Die koloniale Expansion des 19.Jhts. war eine Erscheinungsform des Imperialismus, nicht des Nationalismus. Innerhalb Europas war der Nationalismus teils eher so etwas wie ein Gegenspieler des Imperialismus. Die Vorgänge in Irland können dies gut aufzeigen. Die osteuropäischen Nationalitätenprobleme in dortigen Vielvölkerstaaten mögen bekannter sein, doch waren die dortigen Staaten außer Russland nicht wirklich Träger des Kolonialismus. Die russische Expansion war verglichen mit den übrigen europäischen Mächten eher anders strukturiert, doch mit imperialen Zielsetzungen… Daher nannte ich Irland zuerst.

- Natürlich gab es diverse Wechselwirkungen zwischen Imperialismus und anderen Phänomenen, insbesondere der Industriellen Revolution. Ebenso mit dem Nationalismus! Erfolgreicher Kolonialismus und Imperialismus schlug sich positiv im Selbstwertgefühl einer Nation nieder, spornte an und ermöglichte der Nation neue Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. So stellt sich die Frage nach der Klammer zwischen der im 19.Jht. die Oberhand gewinnenden Geisteshaltung des Nationalismus und dem politisch dominierenden Imperialismus! M.E. stößt man bei dieser Suche unweigerlich in den meisten Fällen auf eine viel ältere Institution, die einst in starkem Gegensatz zum Nationalismus stand: Die Staatsform der Monarchie!
Eine sich national gebärdende Monarchie konnte die Kräfte, die sich aus dem Nationalismus ergeben konnten, gut für außenpolitische Ziele kanalisieren. Frankreich, das seit der endgültigen Vertreibung der Bourbonen eine Republik geworden war, gebärdete sich als Sonderform nicht anders als die Monarchien, schon aufgrund des traditionellen Wettstreits mit England. Auch fiel es unter Kaiser Napoleon III. zumindest zeitweilig wieder in eine Form der Monarchie zurück. Das Ende von Napoleons Monarchie war allein äußeren Einflüssen geschuldet! Mit dieser Betrachtungsweise löst sich m.E. der ideologische Widerspruch zwischen Nationalismus (im eigenen Mutterland) und Kolonialismus/Imperialismus weitgehend auf – was diskussionswürdig ist!!!


Durch diesen Kunstgriff konnte erfolgreicher Imperialismus zum Gradmesser eines erfolgreichen Nationalismus für das Bürgertum (als gebildeter Träger der Ideale des Nationalismus!) hochstilisiert werden. Quasi Imperialismus als Ausdruck eines gelungenen Nationalismus und als gemeinsame Aufgabe für Bürgertum und traditionelle Aristokratie. Traditionell dieses Verhältnis nicht immer ungetrübt geblieben…
Diesen letzten Absatz kann man m.E. recht gut bei den Vorgängen der "Nationalwerdung" von Italien und Deutschland nachvollziehen. In beiden Fällen gruppierten sich die "Nationalen" um eine Dynastie (Hohenzollern, bzw. Savoyer). Dabei waren die Savoyer traditionell eher französisch eingestellt. In ihrem Königreich (vor der italischen Einigung) waren Französisch und Italienisch die Verwaltungssprachen, mit Bevorzugung von Französisch. In Deutschland lohnt ein Blick auf die Schlagworte der "Großdeutschen Lösung" versus der letztlich realisierten bismarckschen "Kleindeutschen Lösung"... Die Sprengkraft nationaler Bewegungen innerhalb einer alten, gewachsenen Monarchie manifestieren sich sehr gut im Herrschaftsbereich der Habsburger... Aber genug von meinen losen Enden :devil:
 
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Durch diesen Kunstgriff konnte erfolgreicher Imperialismus zum Gradmesser eines erfolgreichen Nationalismus für das Bürgertum (als gebildeter Träger der Ideale des Nationalismus!) hochstilisiert werden. Quasi Imperialismus als Ausdruck eines gelungenen Nationalismus und als gemeinsame Aufgabe für Bürgertum und traditionelle Aristokratie. [...]

Vielleicht nur mal als Denkanstoß, aber eine chronologische Betrachtung der Entwicklung im 19. Jahrhundert verdeutlicht die Zusammenhänge zwischen Kolonialismus und Nationalismus.
So sind schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts gefestigte Nationen, schnell in der Lage, ihrer kolonialen Bestrebungen weltweit auszudehnen. Ohne eine entsprechende Handels- und Kriegsflotte war dies kaum machbar, daher steht wohl auch kaum außer Frage, warum Großbritannien im 19. Jahrhundert so erfolgreich war.
Um sich aber dieser Seemacht mächtig zu werden, bedarf es enormer wirtschaftlicher und industrieller Größe, nicht zuletzt mit der Einführung der Dampfschifffahrt ab den 1840iger Jahren. Die und die Eisenbahn zu Land, ermöglichte das "Schrumpfen von Entfernungen" zu fernen Ländern und gab dem Kolonialismus die technische Voraussetzung.
Mit der Zeit der Einigungskriege noch gespalteter Nationen (1860-70), deren Bestreben dem Nationalismus geschuldet war, wurden auch hier Nationen geboren, die nun durch die Stärkung der Nation in der Lage waren, dem kolonialen Beispiel Großbritanniens und Frankreichs zu folgen, so z.B. Japan, USA, Italien oder Deutschland.

Von daher sollte der Begriff Nationalismus nicht isoliert auf die Nation beschränkt werden, sondern das durch den Nationalismus entstandene neue Gesellschaftsgefüge (egal ob Monarchie und/oder Parlamentarismus) gab nun die Möglichkeit frei, die wirtschaftliche Größe zu zentrieren und damit auch den Export und den Import zu verstärken, was wiederum zum Schritt führte, sich über neue Märkte vergrößern zu müssen/wollen und dies führte über den Weg des Kolonialismus, im Grunde ist das der Imperialismus des 19. Jahrhunderts; und ich füge noch den Navalismus hinzu, der die Globalisierung in dieser schnellen Art ermöglichte.

Nationalismus und Kolonialismus im 19. Jahrhundert gehören also Zusammen und stehen in direkter Wechselwirkung.
 
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