Wie war das tatsächlich mit Schlesien?

Oben waren die Zahlen der Volksdeutschen in Polen fraglich. Die entsprechende erste Statistik während der NS-Besatzung ist für Gesamt-Schlesien abgedruckt in Jansen/Weckbecker: Der "Volksdeutsche Selbstschutz" in Polen 1939/40, S. 40.

Schlesien hatte nach der Neugliederung insgesamt 7,258 Mio. Einwohner, davon nach der amtlichen Statistik 4,814 Mio. Deutsche und 2.184 Mio. Polen (letzere iW durch die eingegliederten Gebiete Ostoberschlesiens, siehe oben). Von diesen Zahlen können die letzten Reichsstatistiken vor dem 1.9.1939 subtrahiert werden, um die Veränderung zuverlässig zu berechnen.[*] Ergänzung: Für den Regierungsbezirk Kattowitz: 1,547 Mio. Polen und 0,278 Mio. Deutsche.

Quelle: IMT NO-3732, "Ordner Selbstschutz I, Seite 6", abgedruckt in Pospoeszalski, Documenta Occupationis, Band V/VI.


[*] Statistisches Jahrbuch 1928-1944:
Bevölkerung Schlesien per 1.1.1939: 4,583 Mio.
Der Zuwachs aus der Annexion beträgt danach rd. 0,25 Mio. Deutsche und 2,1 Mio. Polen.
 
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Ich habe schon seit einiger Zeit (allerdings vergeblich) nach Unterlagen gesucht, wie sich die ethnische Zusammensetzung in Schlesien im 19. Jhdt. entwickelt hat. Das erste Problem wäre natürlich, wie man den Begriff "ethnisch" definieren möchte. Zum einen waren die Schlesier Bürger Preußens bzw. Deutschlands. Zum anderen gab es deutsch-, polnisch- und zweisprachige Schlesier.

Möglicherweise kommt man über die sprachliche Zuordnung ein wenig weiter. Gibt es denn Aufzeichnungen, wie sich innerhalb von Schlesien die Sprachgrenzen entwickelt haben?
 
Es gibt etliche, deutsche karten, polnische karten, moderne karten, alte karten und natürlich die von domen. Im wesentlichen waren große teile Niederschlesiens deutschsprachig, der Süden Niederschlesiens und weite Teile Oberschlesiens polnischsprachig.
Von polnischer Seite wird gerne darauf hingewesen, daß die älteren Siedler polonisiert wurden. Zudem erwähnt man gerne Wallonen, Flamen und Franzosen, um den deutschen Anteil generell zurückzuweisen. Die Deutschen in Schlesien und anderen Teilen der Ostgebiete erklärt man zu späten Zuwanderern, gerne weist man auf die "vertriebene" Frau Steinbrück hin, als ob alle erst nach 1939 gekommen wären. Zuwanderung aus Polen nach dem 30jährigen krieg oder während der Industrialisierung verschweigt man hingegen, als wären Polen schon immer dort gewesen.
Auf die Idee, daß man eine gemeinsame geschichte haben knnte, kommen leider nicht alle.
 
Auf die Idee, daß man eine gemeinsame Geschichte haben könnte, kommen leider nicht alle.
:winke: Da kann ich Dir nur aus ganzem Herzen zustimmen! Und es wäre schön, wenn das allgemein so gesehen werden würde.

Ein ehrvoller Gedanke, der keinen Raum für regionale oder nationalistische Unterschiede übrig lassen würde, doch wo fangen wir an, mit der gemeinsamen Geschichte?
 
:winke: Da kann ich Dir nur aus ganzem Herzen zustimmen! Und es wäre schön, wenn das allgemein so gesehen werden würde.

Die alten schlesischen Familien sahen das glaub ich eher so, als heute manchen Revanchisten.
Meine Großmutter murmelte ab und zu mal, daß "sie" ja schließlich nicht nur Preußen sondern auch Österreicher und halbe Polen gewesen waren, obwohl sie sooo alt nun wirklich nicht war ;)
Sie verzieh den Preußen nie, daß die Kirche mit den Familienunterlagen von Ihnen beschossen worden war, als hätte sie "17hundert-und-ein-paar-Zerquetschte" da zugesehen.
 
Ein ehrvoller Gedanke, der keinen Raum für regionale oder nationalistische Unterschiede übrig lassen würde, doch wo fangen wir an, mit der gemeinsamen Geschichte?
Das ist ja so faszinierend, gerade an der Geschichte der Gegend jenseits von Elbe und Oder, da kann man ganz weit zurückgehen und findet immer dieses Nebeneinander von verschiedenen ethnischen/sprachlichen oder religiösen Gruppen. In der Regel sind sie miteinander ausgekommen.
Da sollten wir die kulturellen und baulichen Hinterlassenschaften der Region gemeinsam genießen können, ohne ständig zu fragen, wessen Erbe es ist.
 
Ich vermute mal, daß Carolus hier die Frage gestellt hat, weil er in einem anderen Forum "fremdgeht". Sort wurde ein thread erffnet zum Thema "Mythos Mittelalterlicher Ostsiedlung". "In Germany there functions what I would call the Ostsiedlung Myth, acccording to which Germans constructed all cities in Central and Eastern Europe, and according to which the Magdeburg Law was something originally created by the "nation of German burghers" as a collective, rather than by two people (Archbishop of Magdeburg Wichman and Emperor Frederick Barbarossa)." Diesem Ansatz kann man meiner Meinung nach durchaus folgen. Dieältere deutsche Forschung fokussierte sich tatsächlich zu sehr auf den deutschen Anteil.
Problematisch wird es für mich, wenn es dann heißt "This is why they call that phenomenon the "Ostsiedlung", which translates as "settlement in the east" or "eastward expansion". In Poland we have a more realistic name - "settlement on German law" ("osadnictwo na prawie niemieckim")." Einen Einblick in die Geschichtsschreibung in Deutschland und Polen gibt Jörg Hackmann, Ostpreußen und Westpreußen in deutscher und polnischer Sicht. In der Diskussion zwischen deutschen und polnischen Historikern gibt es mittlerweile deutliche Annäherungen, auch wenn es noch immer bestimmte Reibungspunkte gibt. Dennoch scheint diese durchaus fruchtbare Diskussion unter historikern, diesen kleinen Kreis noch nicht so verlassen zu haben. In der Öffentlichkeit gilt noch mehr, daß es "der polnischen Landeshistorie...um den Nachweis der Autochthonie der polnischen Bevölkerung gegenüber der zugewanderten deutschen" ging. "Durch die Westverschiebung Polens 1945 mußte die polnische Geschichtswissenschaft in weit stärkerem Maße als zuvor eine politische Funktion erfüllen: den Gebietszuwachs der "wiedergewonnenen Gebiete" historisch zu legitimieren." Selbst für die Ur- und Frühgeschichte orientiert man sich daher noch gerne an der Kostrzewskischen These einer ethnischen Kontinuität von der Lausitzer Kultur bis zur Slawenzeit. So läßt Cieslak zB bei seiner Geschichte des Ermlandes und Masurens in seinem Vorwort zur 2. Auflage die deutsche Bevölkerung gänzlich unerwähnt. Achremzcyk deutet zB die Geschichte Danzigs überwiegend polnisch. Wie bereits erwähnt, wird dabei auch die Ostsiedlung als ein "settlement on German law" umgedeutet. Zwar ist das nicht gänzlich falsch, vor allem dort, wo es auch den Anteil der Polen an diesen Stadtgründungen würdigt. Leider wird die Beschränkung auf ein "German law" dazu benutzt, den deutschen Anteil an diesem Prozeß zu marginalisieren. Dies geschieht zu dem gleichen Zweck, den auch schon die polnische Historiographie nach 1945 betrieb, einer Legitimisierung der Vertreibung oder doch zumindest einer Rechtfertigung. Die deutsche Bevölkerung war nach dieser Geschichtssicht keine alteingesessene, mittelalterliche, sondern erst eine späte, sehr viel spätere, die sich somit auch noch gar kein Recht erworben hatte, als einheimisch betrachtet zu werden. Sie wird praktisch mehr oder weniger gleichgesetzt mit den "Vertriebenen" ala Erika Steinbrück bzw. deren Eltern. Man kann nur hoffen, daß sich die Erkenntnisse aus den historischen Zirkeln auch in der öffentlichen Wahrnehmung breit macht, besonders in Polen, aber auch in Deutschland.
 
Ich bin auch in dem "Glauben" aufgewachsen, dass die "deutsche Ostsiedlung" ab dem 12./13. Jahrhundert vor allem auf deutsche Siedler zurückgeht. Dabei lassen sich allerdings mehrere Faktoren unterscheiden:

  • Eroberung (eher im Baltikum/Ostpreußen - Deutscher Orden)
  • Emigration
  • Assimilation (freiwillige wie auch zwangsweise)
  • Kulturübernahme (z. B. Magdeburger Stadtrecht)
  • Handel (die Hanse mit ihrer lingua franca Hansesprache ? Wikipedia d. h. Niederdeutsch), vor allem im Ostseeraum Pommern, West- und Ostpreußen und Baltikum



Ich vermute mal, daß Carolus hier die Frage gestellt hat, weil er in einem anderen Forum "fremdgeht".

erwischt!:winke:
 
Ich bin auch in dem "Glauben" aufgewachsen, dass die "deutsche Ostsiedlung" ab dem 12./13. Jahrhundert vor allem auf deutsche Siedler zurückgeht. Dabei lassen sich allerdings mehrere Faktoren unterscheiden:

  • Eroberung (eher im Baltikum/Ostpreußen - Deutscher Orden)
  • Emigration
  • Assimilation (freiwillige wie auch zwangsweise)
  • Kulturübernahme (z. B. Magdeburger Stadtrecht)
  • Handel (die Hanse mit ihrer lingua franca Hansesprache ? Wikipedia d. h. Niederdeutsch), vor allem im Ostseeraum Pommern, West- und Ostpreußen und Baltikum

Das ist ja auch im Prinzip nicht verkehrt. Flamen und Niederländer schieden ja erst später aus dem Reichsverband aus. Als zB meine väterlichen Vorfahren aus den Niederlanden nach Pommerellen kamen (um 1600), waren sie immer noch Teil des Reiches. Der Grund warum sie relativ lange eine separate Gruppe bildeten war nicht ein anderer ethnischer Hintergrund, sondern der Umstand, daß sie als Mennoniten zB keine Eide leisteten oder den Militärrdienst verweigerten. Es gab nur bei der Stadtgründung in Polen auch slawische Beteiligung, das Magdeburger Recht war nicht gebunden an deutsche Bürger, sondern wurde in weiten Teilen Polens auch ohne deren Beteiligung vergeben. problem ist halt nur der Umgang der Geschichtsschreibung in Plen damit, als beispiel mal wiki "Polish land owners used the location privilege known as "settlement with German law" across the country usually with no German settlers present....Notable Polish towns... issued by Polish landlords included Krakow,... Szczecin,... Wroclaw,... Zlotoryja". Hier wird es wieder sehr deutlich, wohin die Reise geht. In Krakau gab es eine sehr starke deutsche Beteiligung, Deutsche machten zu bestimmten Zeiten um die 35% der Bevlkerung aus und stellten selbst nach dem Aufstand des Albert noch lange Stadtvogt und die Mehrheit des Stadrates. Noch im 17. Jhd waren 20% deutschsprachig. Stettin geht auf eine Vergabe durch die Greifen zurück, ebenfalls mit starkem deutschen Bevölkerungsanteil in Ober- und Unterstadt. Dies gilt ebendso für das wiedergegründete Breslau. Und auch Goldberg, diesmal in der Tat, mit Heinrich dem Bärtigen von einem Piasten mit Stadtrecht versehen, hatte vermutlich schon vor der Vergabe eine starke deutsche Bevölkerung, ganz abgesehen von der Zeit nach der Stadtrechtsvergabe. Wenn man sich bei wiki die Revision history anschaut, dann erkennt man auch warum hier Geschichtsklitterung betrieben wurde und von wem.
:D
 
Die gegensätzliche Historikersicht ist im Hinblick auf die jüngere Geschichte nachvollziehbar. Dass da inzwischen eine Annäherung stattfindet, ist mir neu, danke für die Darstellung, beorna.
Carolus hat die wesentlichen Punkte der deutschen Ostsiedlung dargestellt, auf diesen Begriff trifft man nach wie vor oft.
Einige der von Carolus genannten Punkte betreffen mehr den Nordosten, also das ehemalige Pommern, Ostpreußen. Könnte sein, dass der nördliche Osten genauso zu den landwirtschaftlich schwierigen Gebieten gehörte wie die norddeutsche Tiefebene, wegen der Eiszeitschieberei, den sandigen Böden und den vielen Gewässern. Und deshalb dünner besiedelt war und ist.
Schlesien liegt aber weiter im Süden und war von den Eiszeitgletschern nicht so betroffen, weist aber wiederum Gemeinsamkeiten mit Süddeutschland, Österreich, Böhmen etc auf.
Die Geschichte mit dem Piastenruf ist bekannt, damals spielte der Adel in einer eigenen Liga, Nationalität oder Sprache waren für die Landbesitzer nicht so relevant.
Meine Frage wäre, kann man sich der Geschichte Schlesiens evtl. von Süden nähern?
 
Das ist ja auch im Prinzip nicht verkehrt. Flamen und Niederländer schieden ja erst später aus dem Reichsverband aus. Als zB meine väterlichen Vorfahren aus den Niederlanden nach Pommerellen kamen (um 1600), waren sie immer noch Teil des Reiches. Der Grund warum sie relativ lange eine separate Gruppe bildeten war nicht ein anderer ethnischer Hintergrund, sondern der Umstand, daß sie als Mennoniten zB keine Eide leisteten oder den Militärrdienst verweigerten. Es gab nur bei der Stadtgründung in Polen auch slawische Beteiligung, das Magdeburger Recht war nicht gebunden an deutsche Bürger, sondern wurde in weiten Teilen Polens auch ohne deren Beteiligung vergeben. problem ist halt nur der Umgang der Geschichtsschreibung in Plen damit, als beispiel mal wiki "Polish land owners used the location privilege known as "settlement with German law" across the country usually with no German settlers present....Notable Polish towns... issued by Polish landlords included Krakow,... Szczecin,... Wroclaw,... Zlotoryja". Hier wird es wieder sehr deutlich, wohin die Reise geht. In Krakau gab es eine sehr starke deutsche Beteiligung, Deutsche machten zu bestimmten Zeiten um die 35% der Bevlkerung aus und stellten selbst nach dem Aufstand des Albert noch lange Stadtvogt und die Mehrheit des Stadrates. Noch im 17. Jhd waren 20% deutschsprachig. Stettin geht auf eine Vergabe durch die Greifen zurück, ebenfalls mit starkem deutschen Bevölkerungsanteil in Ober- und Unterstadt. Dies gilt ebendso für das wiedergegründete Breslau. Und auch Goldberg, diesmal in der Tat, mit Heinrich dem Bärtigen von einem Piasten mit Stadtrecht versehen, hatte vermutlich schon vor der Vergabe eine starke deutsche Bevölkerung, ganz abgesehen von der Zeit nach der Stadtrechtsvergabe. Wenn man sich bei wiki die Revision history anschaut, dann erkennt man auch warum hier Geschichtsklitterung betrieben wurde und von wem.

:D

ganz schön kompliziert...das alles.

Ich frage mich auch, ob deutschsprachig auch automatisch ethnisch deutsch heißt. Letztendlich könnte die deutschsprachige Bevölkerung auch durch gemischte Prozesse der Immigration Deutscher und kulturelle Übernahme geschehen sein. Ich nehme ein Beispiel aus der Gegenwart, um das zu illustrieren: es gibt viele Länder Afrikas und Asiens, in denen Englisch als Folge der Kolonialzeit gesprochen wird, ohne dass damit die Bevölkerung automatisch sich als Engländer ansehen.
 
Die gegensätzliche Historikersicht ist im Hinblick auf die jüngere Geschichte nachvollziehbar. Dass da inzwischen eine Annäherung stattfindet, ist mir neu, danke für die Darstellung, beorna.
Carolus hat die wesentlichen Punkte der deutschen Ostsiedlung dargestellt, auf diesen Begriff trifft man nach wie vor oft.
Einige der von Carolus genannten Punkte betreffen mehr den Nordosten, also das ehemalige Pommern, Ostpreußen. Könnte sein, dass der nördliche Osten genauso zu den landwirtschaftlich schwierigen Gebieten gehörte wie die norddeutsche Tiefebene, wegen der Eiszeitschieberei, den sandigen Böden und den vielen Gewässern. Und deshalb dünner besiedelt war und ist.
Schlesien liegt aber weiter im Süden und war von den Eiszeitgletschern nicht so betroffen, weist aber wiederum Gemeinsamkeiten mit Süddeutschland, Österreich, Böhmen etc auf.
Die Geschichte mit dem Piastenruf ist bekannt, damals spielte der Adel in einer eigenen Liga, Nationalität oder Sprache waren für die Landbesitzer nicht so relevant.
Meine Frage wäre, kann man sich der Geschichte Schlesiens evtl. von Süden nähern?

In der Wiki ist eine Karte der deutschen Mundarten: File:Deutsche Mundarten.png - Wikimedia Commons

Dabei zeigt sich eine Dreiteilung in Nord-Süd-Richtung zwischen Ober-, Mittel- und Niederdeutschen Mundarten. Interessanterweise gab es im südlichen Ostpreußen (Alleinstein/Marienburg) eine mitteldeutsche Sprachinsel. Ich vermute, dass das mit der Wiederbevölkerung nach Epidemien in der frühen Neuzeit zusammenhängen mag, als viele Siedler aus südlichen Gegenden nach Ostpreußen gingen.

Das Deutsch in Schlesien war eine mitteldeutsche Mundart. Das könnte damit zusammenhängen, dass wesentliche Tele der deutschen Siedler aus den mitteldeutschen Sprachgebiet herstammten, so dass sich dort das Mitteldeutsche durchsetzen konnte.
 
ganz schön kompliziert...das alles.

Ich frage mich auch, ob deutschsprachig auch automatisch ethnisch deutsch heißt. Letztendlich könnte die deutschsprachige Bevölkerung auch durch gemischte Prozesse der Immigration Deutscher und kulturelle Übernahme geschehen sein. Ich nehme ein Beispiel aus der Gegenwart, um das zu illustrieren: es gibt viele Länder Afrikas und Asiens, in denen Englisch als Folge der Kolonialzeit gesprochen wird, ohne dass damit die Bevölkerung automatisch sich als Engländer ansehen.

Ethnisch deutsch führt uns mE nicht weiter, da sind wir ganz schnell bei den Haplogruppen oder wie will man das feststellen?
Leider gibt es bis weit in die frühe Neuzeit nur Sprach- und Schreibzeugnisse der alphabetischen Elite. Was weiß man denn darüber, wie die Bauern auf den Dörfern sprachen oder die Händler auf dem Markt? Da muss es eine Vielzahl von Dialekten gegeben haben, mal mehr slawisch, mal mehr deutsch aber fast dörferweise verschieden.
Solche Situationen führen manchmal zur Etablierung einer Verkehrssprache, wie du das in deinem Beispiel für die ehemaligen Kolonien ausführst, Carolus.
Ob und inwieweit das für Schlesien zutrifft, ist schwer zu beurteilen. Ab dem 30-jährigen Krieg bzw den vorausgehenden religiösen Auseinandersetzungen kann man sich der Frage vielleicht über die Kirchen nähern.

Nachtrag: Habe deinen obigen Beitrag erst jetzt gesehen, Carolus. Da hatten wir scheinbar die gleichen Gedanken.
 
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ganz schön kompliziert...das alles.

Ich frage mich auch, ob deutschsprachig auch automatisch ethnisch deutsch heißt. Letztendlich könnte die deutschsprachige Bevölkerung auch durch gemischte Prozesse der Immigration Deutscher und kulturelle Übernahme geschehen sein. Ich nehme ein Beispiel aus der Gegenwart, um das zu illustrieren: es gibt viele Länder Afrikas und Asiens, in denen Englisch als Folge der Kolonialzeit gesprochen wird, ohne dass damit die Bevölkerung automatisch sich als Engländer ansehen.
Ja, das ist sicher nicht immer so eindeutig zu sagen. Es kommt ja auch hinzu, daß man im Mittelalter idR Personenverbände findet, d.h. die ethnische herkunft eher nachrangig war. Im historum gibt es eine oder mehrere schöne Diskussionen um die ethnische Einordnung von Kopernikus. Soweit ich mich erinnere entzündete sich der Streit in einem thread "die 5 oder 10 größten Persönlichkeiten eures Volkes". Ein Deutscher erwähnte dort Kopernikus. Das führte sofort zu heftigem Widerspruch von Polen. Versuche sich darauf zu einigen, daß Kopernikus für beide Völker eine große Bedeutung hatte schlugen fehl. Ob die Koperniks nun slawischen oder deutschen Ursprungs sind, ist unklar. Das es eine Familie war, die sich im gemeinsamen Umfeld slawisch-deutscher Bevölkerungen bewegte ist eindeutig. Seine Verwandten, die watzenrodes, waren maßgeblich am Kampf der Städte gegen den orden beteiligt und unterwarfen sich dem polnischen König. Kopernikus diente diesem auch und es muß auch nicht bezweifelt werden, daß er dem Knigreich Polen ein "treuer Unterthan" war. Das sagt aber wiederum nichts über seine ethnische Zuordnung. Er lebte aber in einem von Deutschen dominiertem Umfeld, er schrieb in Deutsch und Latein, seine Mutter wie gesagt war eine Watzenrode. Er selbst hat leider keine Aussage über seine Ethnizität gemacht. Vielleicht sah er sich als Deutscher in Preußen königlichen Anteil und polnischen Untertan. Vielleicht sah er sich auch nur als deutschsprachigen Preußen und polnischen Untertan. Sehr wenig deutet hingegen auf einen Polen. Was er war ist aber auch im Prinzip unwichtig. Ich vermute mal, er hätte über solche Diskussionen nur den Kopf geschüttelt. Dies gilt ähnlich für die deutschen Migranten, allerdings gibt es dort auch einige Zeugnisse, die darauf schließen lassen, daß man sich zumindest teilweise durchaus als Deutsche wahrnahm.
 
Ethnisch deutsch führt uns mE nicht weiter, da sind wir ganz schnell bei den Haplogruppen oder wie will man das feststellen?
Leider gibt es bis weit in die frühe Neuzeit nur Sprach- und Schreibzeugnisse der alphabetischen Elite. Was weiß man denn darüber, wie die Bauern auf den Dörfern sprachen oder die Händler auf dem Markt? Da muss es eine Vielzahl von Dialekten gegeben haben, mal mehr slawisch, mal mehr deutsch aber fast dörferweise verschieden.
Solche Situationen führen manchmal zur Etablierung einer Verkehrssprache, wie du das in deinem Beispiel für die ehemaligen Kolonien ausführst, Carolus.
Ob und inwieweit das für Schlesien zutrifft, ist schwer zu beurteilen. Ab dem 30-jährigen Krieg bzw den vorausgehenden religiösen Auseinandersetzungen kann man sich der Frage vielleicht über die Kirchen nähern.


Nähern über die Kirche, heißt vermutlich, dass man herausfinden müßte, wann in welchen Gemeinden die Predigten oder Gemeindeaufzeichnungen auf Deutsch bzw. Polnisch vorkamen (eigtl. den schlesischen Dialekt des Polnischen, der vom Hochpolnischen auch stark abweicht).


Nachtrag: Habe deinen obigen Beitrag erst jetzt gesehen, Carolus. Da hatten wir scheinbar die gleichen Gedanken.

:winke:

Ja, das ist sicher nicht immer so eindeutig zu sagen. Es kommt ja auch hinzu, daß man im Mittelalter idR Personenverbände findet, d.h. die ethnische herkunft eher nachrangig war. Im historum gibt es eine oder mehrere schöne Diskussionen um die ethnische Einordnung von Kopernikus. Soweit ich mich erinnere entzündete sich der Streit in einem thread "die 5 oder 10 größten Persönlichkeiten eures Volkes". Ein Deutscher erwähnte dort Kopernikus. Das führte sofort zu heftigem Widerspruch von Polen. Versuche sich darauf zu einigen, daß Kopernikus für beide Völker eine große Bedeutung hatte schlugen fehl. Ob die Koperniks nun slawischen oder deutschen Ursprungs sind, ist unklar. Das es eine Familie war, die sich im gemeinsamen Umfeld slawisch-deutscher Bevölkerungen bewegte ist eindeutig. Seine Verwandten, die watzenrodes, waren maßgeblich am Kampf der Städte gegen den orden beteiligt und unterwarfen sich dem polnischen König. Kopernikus diente diesem auch und es muß auch nicht bezweifelt werden, daß er dem Knigreich Polen ein "treuer Unterthan" war. Das sagt aber wiederum nichts über seine ethnische Zuordnung. Er lebte aber in einem von Deutschen dominiertem Umfeld, er schrieb in Deutsch und Latein, seine Mutter wie gesagt war eine Watzenrode. Er selbst hat leider keine Aussage über seine Ethnizität gemacht. Vielleicht sah er sich als Deutscher in Preußen königlichen Anteil und polnischen Untertan. Vielleicht sah er sich auch nur als deutschsprachigen Preußen und polnischen Untertan. Sehr wenig deutet hingegen auf einen Polen. Was er war ist aber auch im Prinzip unwichtig. Ich vermute mal, er hätte über solche Diskussionen nur den Kopf geschüttelt. Dies gilt ähnlich für die deutschen Migranten, allerdings gibt es dort auch einige Zeugnisse, die darauf schließen lassen, daß man sich zumindest teilweise durchaus als Deutsche wahrnahm.

Das ist immer schwierig mit Emigranten und ihren Nachkommen. Auch Königin Elisabeth II des Vereinigten Königreiches von England etc. stammt aus einem deutschen Fürstenhaus. Der "Erbauer" des Eiffelturms, Gustave Eiffel, stammt auch aus einer deutschen Familie, hieß noch bis 1880 Bönickhausen und änderte danach erst seinen Namen nach der Region (Eifel), aus der sein Vorfahr nach Frankreich ausgewandert war. Man stelle sich vor, statt Eiffelturm würde das Bauwerk "Bönickhausenturm" bzw. "Tour Bönickhausen" genannt werden. :D

Allgemein läßt sich die Frage stellen, ab wann man von einer Ethnie in eine andere wechselt. Wann ist man Auslandsdeutscher? Wann Ausländer mit deutscher Abstammung? Heute ist die Frage einfacher mit Staatsangehörigkeiten zu lösen, aber in dem Zeitraum spätes Mittelalter / frühe Neuzeit gab es so etwas noch nicht.


Ich wurde gerade darauf aufmerksam gemacht. Natürlich heißt die Gute Steinbach und nicht Steinbrück.

Politikernamen, die mit "Stein-" beginnen, habe ich auch schon verwechselt.:rotwerd:
 
Das ist immer schwierig mit Emigranten und ihren Nachkommen. Auch Königin Elisabeth II des Vereinigten Königreiches von England etc. stammt aus einem deutschen Fürstenhaus. Der "Erbauer" des Eiffelturms, Gustave Eiffel, stammt auch aus einer deutschen Familie, hieß noch bis 1880 Bönickhausen und änderte danach erst seinen Namen nach der Region (Eifel), aus der sein Vorfahr nach Frankreich ausgewandert war. Man stelle sich vor, statt Eiffelturm würde das Bauwerk "Bönickhausenturm" bzw. "Tour Bönickhausen" genannt werden. :D
Wow, man lernt nie aus.

Allgemein läßt sich die Frage stellen, ab wann man von einer Ethnie in eine andere wechselt. Wann ist man Auslandsdeutscher? Wann Ausländer mit deutscher Abstammung? Heute ist die Frage einfacher mit Staatsangehörigkeiten zu lösen, aber in dem Zeitraum spätes Mittelalter / frühe Neuzeit gab es so etwas noch nicht.
Das geht anscheinend schneller als man vermuten mag. Besonders wenn es keine rassistische, religiöse oder ideologische Schranken gibt.



Politikernamen, die mit "Stein-" beginnen, habe ich auch schon verwechselt.:rotwerd:
Sind auch alle irgendwie gleich unsympathisch :)
 
Allgemein läßt sich die Frage stellen, ab wann man von einer Ethnie in eine andere wechselt. Wann ist man Auslandsdeutscher? Wann Ausländer mit deutscher Abstammung? Heute ist die Frage einfacher mit Staatsangehörigkeiten zu lösen, aber in dem Zeitraum spätes Mittelalter / frühe Neuzeit gab es so etwas noch nicht.

Eine Ethnie wechselt sicher nicht mit der Staatsbürgerschaft. Ich würde sagen mit dem Aufgeben von Sprache und dem Bewusstsein anders zu sein. Dies funktioniert mal schneller, mal weniger schnell und mal gar nicht. Je nach dem wie groß die eigene Community ist oder anderer Faktoren Religion wenn ich an die Sorben in Sachsen (Katholiken im protestantischen Umfeld) denke.
 
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Das ist aber nicht so einfach, nehmen wir als Beispiel die Spätaussiedler, in ihrer Heimat waren sie als "Deutsche" bekannt, obwohl sie vor allem russisch sprachen, in Deutschland bezeichnet man sie oft als Russen, eben wegen ihrer Sprache, obwohl sie einen deutschen Pass haben.
 
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