Hochinteressant und schwer philosophisch, genau wie ich es mag, EQ:winke:
Deine Beiträge geben mir Impulse und regen mich zum weiteren Nachdenken an. Ich halte dagegen (nicht aus bösem Willen, sondern weil mich die Diskussion reizt. Wenn ich anfange zu nerven, bitte sagen)
bez. USA: [...]Weiter werde ich darauf nicht eingehen wegen Tagespolitik.
d'accord. Gehe ich also auch nicht weiter darauf ein.
[...] Anders dagegen an der innerdeutschen Grenze. Hier wurde gegen das Bürgerrecht der freien Ortswahl verstoßen: kein Staat hat das Recht seinen Bürgern die Ausreise zu verwehren (internationales Recht). Die Beweggründe waren niedriger Natur, weil Menschen aus Gründen des Prestiges der Regierungsverantwortlichen ihrer Freiheit beraubt wurden.
Ich mache jetzt mal den advocatus diaboli und antworte aus der Position eines fiktiven DDR-Verantwortlichen: "Auch in der DDR stand es jedem Bürger frei, seine Ausreise ganz regulär zu beantragen. Wir haben es hier mit illegalen Grenzgängern zu tun. Ihr Bundesgrenzschutz, lieber Westler, überwacht doch auch die Grenze und stellt illegale Grenzgänger. Kann sich bei Ihnen jeder, der bei Nacht und Nebel heimlich die Grenze überschreitet, auf das Bürgerrecht auf freie Ortswahl berufen?
Und erschossen werden die Leute bei uns übrigens auch erst, wenn sie auf Anruf falsch reagieren, genau wie bei Ihnen in militärischen Sperrgebieten. Dass Sie da niedere Beweggründe zu erkennen glauben, ist Ihre Sache, ich jedenfalls tue das nicht."
Den Begriff des
Gefährders zu verwenden ist naheliegend, aber er verlagert das Problem nur. Jetzt ist nicht mehr die Crux, wer entscheidet, ob jemand ermordet oder rechtmäßig getötet wurde, sondern wer entscheidet, ob jemand ein Gefährder ist oder nicht. Solange ein Eindringling in ein Sperrgebiet, in dem Waffen gelagert werden, diese noch nicht in seine Gewalt gebracht hat, ist er doch nicht zwingend ein Gefährder? Auch hier wieder: Wo ist die Grenze? Darf der Staat jeden erschießen, den er für einen Gefährder
hält oder geschickt als einen solchen definiert? Für die DDR waren Republikflüchtlinge natürlich auch "Gefährder". Du erkennst mein Problem?
Aber grundsätzlich verstehe ich natürlich den Unterschied, den Du aufzeigst, und ich stimme auch grundsätzlich zu.
Auch eine richterliche Anweisung muss begründet sein und der Grund muss auf Tatsachen basieren und tatsächlich eine Gefährdung darstellen.
Wenn also der richterliche Beschluss entweder a) nicht tatsachenfundiert ist oder b) diese Tatsachen für Staat oder Bürger ungefährlich sind, dann ist ein solcher Beschluss nicht rechtskräftig.
Um mal nur die beiden deutschen Unrechtsstaaten aufzugreifen: Es ist auffällig, dass die Nazis ihre politischen Gegner ganz ohne Gerichtsverfahren in die KZs stecken bzw., im Falle der DDR konspirativ vorgingen.
Wieder das Gefährdungsproblem, genau wie oben: Der Staat definiert über seine Gesetze weitgehend selbst, was eine Gefährdung ist und was nicht. Ich rede nun nicht von klar nachvollziehbaren Gefährdungen, die schon aus den 10 Geboten ableitbar sind, wie Bedrohung des Lebens oder so. Sondern so diffuse Dinge wie etwa Gefährdungen für "die öffentliche Ordnung". Oder auch eine "Volksverhetzung". Wann genau gefährdet jemand die öffentliche Ordnung oder verhetzt das Volk? Wer entscheidet das? EQ? Panzerreiter? Der "Staat"? Wessen Definition zählt? Vor Gericht jedenfalls weder die Deine noch die Meine.
Die Katze beißt sich erst mal in den Schwanz: Der Staat gibt im Idealfall Kriterien vor, wann er legal zu bekämpfen sei (siehe GG), aber gleichzeitig entscheidet er im Großen und Ganzen selbst rechtlich bindend, ob diese Kriterien gerade zutreffen oder nicht. Selbst wenn es, wie in der BRD, so etwas wie ein Verfassungsgericht gibt: Es urteilt nicht
über die Verfassung, sondern
auf Basis der Verfassung. Es ist, in meinen Augen, nicht wirklich unabhängig. Es ist eine rechtliche Instanz in Abhängigkeit von genau dem Recht, das der Staat selbst verfasst hat. Es ist keine ethische oder moralische Instanz.
Wir reden ja hier nicht über die BRD, ich nehme sie nur als strukturelles Vergleichsbild her, sondern über ein fiktives Unrechtssystem. Die BRD hat eine ordentliche Verfassung, die, wenn sie von einem rührigen BVG konsequent geschützt und angewendet wird, die Entstehung eines Unrechtssystems massiv erschwert bis unmöglich macht. Aber was, wenn das BVG versagt? Etwa, weil es geschmiert oder unter Druck gesetzt wird? Dann stimmt es einer Verfassungsänderung zu, es schleichen sich in die ureigene Verfassung Unrechtselemente ein und der (Unrechts-)Staat beruft sich weiterhin auf völlig geltendes, verfassungsgemäßes Recht, "im Namen des Volkes" (Hat Herr Freisler das nicht auch immer gesagt?)
Ich denke, man muss sich, um ein Unrechtssystem als solches zu entlarven, völlig von der traditionellen Vorstellung von national verbrieftem Recht und Gesetz und auch dessen Auslegung lösen, denn das dürfte das erste sein, was ein Unrechtsstaat faktisch aushebelt und für sich selbst missbraucht.
Was aber bleibt stattdessen? Allgemein gültige Menschenrechte? Das wäre eine Möglichkeit. Taugen die dafür? Ehrliche Frage, denn ich muss gestehen, ich kenne sie nicht alle auswendig. Oder sind die unter'm Strich auch wieder dehnbar und jeder kann sie mehr oder weniger auslegen, wie er will?
Ein anderes Problem:
Die Menschenrechte bilden, soweit ich das überblicke, westliche ethische Werte ab. Mit welcher ethischer Legitimation sollten wir diese Rechte in allen Kulturkreisen der Welt durchsetzen? Ich sehe Konfliktpotential und den möglichen Missbrauch dieser Menschenrechte, um missliebige Länder als Unrechtsstaaten zu diskreditieren und
von außen ein angebliches Unrechtssystem zu beseitigen. Kurz: Einen Kriegsvorwand. (Ein Beispiel: Jedes islamische Land, in dem die Scharia gilt, wäre wegen des Verstoßes gegen das Verbot der Körperstrafen aus Sicht der Menschenrechte ein Unrechtsstaat). Wir wären, in etwas verfeinerter Form, wieder im Jahre 1900: Am westlichen Wesen soll die Welt genesen.
Ich muss Flo zustimmen: Im Endeffekt müssen die Menschen selbst entscheiden, ob sie in einem Unrechtsstaat leben oder nicht. Dem Ausland steht das nicht zu. Es wäre moralisch verpflichtet, einem Volk zu helfen, welches sich aus eigenem Entschluss von einem Unrechtssystem befreien will, es aber aus eigener Kraft nicht mehr kann. Nur dann wären wir wieder beim schon genannten Problem: Wer bittet denn das Ausland um Hilfe? Wie sähe eine solche Bitte aus? Z.B: ein Brief an die UN, den alle 1,3 Mrd Chinesen unterschrieben haben? Woran soll das Ausland erkennen, dass die Bitte wirklich von der Mehrheit des Volkes kommt? Ich muss Flo schon wieder zustimmen, auch wenn ich es ungern tue, weil auch ich natürlich dem unterdrückten Volk helfen wollte: Eine Bevölkerung muss das irgendwie selbt regeln.
Der erste Schritt ist doch, das Unrecht öffentlich zu machen oder die Mitarbeit zu verweigern; es gehört eben auch dazu etwaige Repressalien - z.B. den Verlust des Arbeistplatzes - in Kauf zu nehmen.
Ich weiß, was Du meinst. Das wäre der erste Schritt in einem Rechtsstaat, der erste Tendenzen zeigt, in einen Unrechtsstaat abzugleiten. Insofern: ja, einverstanden.
Aber reden wir von einem vollendeten, fiktiven Unrechtsstaat im Sinne der Eingangsfrage, nicht einem Rechtsstaat, der genau das zulässt: Unrecht selbst oder über eine freie Presse öffentlich zu machen.
Was geschah denn mit den Leuten, die Hitlers Unrecht öffentlich machen wollten? Ich bewundere diese Leute, aber mir ist mein Fell wichtig genug, dass ich nicht diesen Mut gehabt hätte, das gebe ich offen zu. Bin ich der einzige?
Wenn ich schon gegen das System agiere, wenn ich es weg haben will, dann will ich den Erfolg auch erleben, dann will ich was davon haben und wieder in Freiheit leben. Sprich: ich bin nicht bereit, dafür zu sterben, damit andere die Früchte ernten. Jemanden dafür sterben zu lassen - ja, sicherlich schon.
Womit ich ein Problem der unterscheidlichen Perspektive gefunden zu haben vermeine:
Von außen betrachtet mögen die Eskalationsstufen wie folgt sein:
passives Nichtstun / passiver Widerstand / aktiver, gewaltloser Widerstand / aktiver,bewaffneter Widerstand
Aus Sicht eines Individuums und unter Berücksichtigung der Gefährdungslage (am Beispiel der massiven Gefährdungslage im 3. Reich) mögen diese Stufen plötzlich anders aussehen:
passives Nichtstun / passiver Widerstand / aktiver,bewaffneter Widerstand / aktiver, gewaltloser Widerstand!
Bewaffnet legen die mich genauso um wie die gewaltlosen Geschwister Scholl, wenn sie mich erwischen. Aber dann kann ich mich wenigstens wehren.
Diese Reihenfolge der Eskalationsstufen erscheint mir nicht trivial. Denn die Frage war ja "Wie weit darf man gehen..." Den eigenen Tod zu verursachen ist für mich, was den eigenen Mut und die eigene Motivation betrifft, weiter, als fremden Tod zu verursachen.
Rechtlich betrachtet ging Elser weiter als die Geschwister Scholl.
Von der Konsequenz, von der Opferbereitschaft her gingen die Geschister Scholl weiter als Elser.
(Hätte Stauffenberg die gleiche Opferbereitschaft gezeigt, hätte das Attentat geklappt. Dann hätte er die Bombe(n) als Selbstmordattentäter direkt neben Hitler gezündet, am besten beim Händedruck)
Von der rechtlichen Betrachtung aber, das habe ich dargelegt, will ich mich ja lösen. Auch von der rückwirkenden rechtlichen Betrachtung, da sie m.E. nicht zielführend ist, sondern sich in rechtlichen Spitzfindigkeiten und Formulierungs- wie Auslegungstricks verliert.
Das wiederum ist für mich nur schwer nachzuvollziehen. Wenn ich bespitzelt werden, dann werde ich bespitzelt, ob ich nun wenig bespitzelt werde, oder rund um die Uhr, ob nur immer einer hinter mir herläuft oder ob ich auch abgehört werde, ich werde bespitzelt, wenn ich verhaftet werde, werde ich auch nicht nur ein bisschen verhaftet oder nur ein wenig an der Ausreise gehindert etc.
Das sehe ich nicht so. Ich kann sehr wohl ein bisschen bespitzelt werden.
Andernfalls müsste ich sofort nach Beseitigung des Unrechtsstaates rufen, weil meine Verbindungsdaten im Internet 6 Monate gepeichert werden (unabhängig davon, ob ich etwas angestellt habe oder nicht) und meine e-mails automatisch gefiltert werden (ebenfalls unabhängig davon, ob ich etwas angestellt habe oder nicht) Fakt ist: ich werde bespitzelt, auch in dem Rechtsstaat BRD. Zumindest nach meiner Definiton von "bespitzeln", womit wir wieder beim Definitionsproblem dehnbarer Begriffe sind. Der Staat nennt das natürlich nicht "bespitzeln".
Aber das ist jetzt wieder Tagespolitik, also lassen wir's gut sein.