Wirtschaftskontinuität von der Antike ins Mittelalter

silent-kid

Neues Mitglied
Ist die Wirtschaftsgeschichte der klassischen Antike und des Mittelalters eine stringente Kontinuität?


Kontinuität beschreibt den Zustand des lückenlosen Zusammenhangs; keine klaren Abschnittsgrenzen, kein Anfang mit einem deutlich abgeschlossenen Ende, einen fließenden Übergang, meist unter gleichen oder ähnlichen Vorraussetzungen. Ein innerer Zusammenhang des gegebenen historischen Einzelnen.
Wohingegen Diskontinuität eine abrupte, sprunghafte Veränderung bedeutet.

Im Sinne der Wirtschaftsgeschichte der klassischen Antike und des Mittelalters, bedeutet dies: Hat das Mittelalter das wirtschaftliche Gedankengut der klassischen Antike und seine Praktiken ohne zu überlegen übernommen und weiterentwickelt? Gab es überhaupt eine ‚Übernahme’? Haben sich die Gepflogenheiten der klassischen Antike vielleicht im Laufe der Zeit ihrer Nutzung einfach nur weiterentwickelt? Oder ist alles mit dem Ende der klassischen Antike und der darauf folgenden Völkerwanderung untergegangen und das „Rad“ musste erst wieder erfunden werden?
 
Ich glaube nicht, dass es die Kontinuität zwischen der mittelalterlichen und der antiken Wirtschaft gab, wohl aber Parallelen. So hat das römische Reich z.B. eine Latifundienwirtschaft entwickelt. Diese musste aber notwendigerweise durch die vielen Krisen und den demographischen Zusammenbruch in der Spätantike aufgegeben werden. Das bedeutete einen Wegfall sowohl der Arbeitskräfte, als auch des Absatzmarktes. Ich bin der Meinung, dass man das römische Klientelsystem (zumindest bis zur marianischen Heeresreform) durchaus mit dem mittelalterlichen Lehenswesen vergleichen kann.
Der Zusammenbruch des politischen Systems und der politischen Einheit des Reiches dürfte zusätzlich den Fernhandel nachhaltig verändert haben.
Wir erleben in der Spätantike - zumindest in Westeuropa - einen Niedergang der Stadtkultur, was sowohl auf den oben erwähnten demographischen Zusammenbruch, als auch auf eine veränderte Wirtschaftsstruktur zurückzuführen ist (oder wird umgekehrt eine Schuh draus?). Die schon von Xenophon beschriebene und kritisch bewunderte Spezialisierung der Handwerke und Berufe in den Städten dürfte in dieser Zeit auch wieder verloren gegangen sein. Ich denke die Archäologie spricht, was die technischen Fertigkeiten der Menschen in Antike oder Früh- und Hochmittelalter angeht, Bände.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler o.ä. und erlaube mir deshalb nur einige vorsichtige Gedanken :grübel:

... ist alles mit dem Ende der klassischen Antike und der darauf folgenden Völkerwanderung untergegangen und das „Rad“ musste erst wieder erfunden werden?

Daß "alles ganz abrupt" untergegangen ist, glaube ich nicht, denn es gab durchaus "Überbleibsel", wiewohl wir da regional unterscheiden sollten (Südeuropa, Westeuropa, Nordeuropa, England als Sonderfall, Oströmischer Reichsteil = Byzanz...).
"Rad neu erfunden" ist so eine Sache - ich würde es eher "ein neues anderes Rad gebaut" beschreiben...

ABER...

Hat das Mittelalter das wirtschaftliche Gedankengut der klassischen Antike und seine Praktiken ohne zu überlegen übernommen und weiterentwickelt?

Auch das glaube ich nicht, denn der Begriff "Feudalismus" (der übrigens für alle oben genannten Regionen zutreffend ist) kennzeichnet mW sowohl eine Gesellschafts- als auch eine Wirtschaftsform, welcher i.a. eine gegenüber der antiken Welt neue Qualität (an dieser Stelle wertfrei gemeint) gegeben ist.

Wie schwierig aber allgemeingültige Aussagen abzuleiten sind, erkennt man bspw. in diesem Text

Ist die Wirtschaftsgeschichte der klassischen Antike und des Mittelalters eine stringente Kontinuität?

Kontinuität wage ich - ebenso wie El Quijote - vor diesem Hintergrund zu verneinen; Parallelen durch Verschmelzung mit den "Resten" der spätantiken Welt gab es jedoch meiner Meinung sehr wohl.
 
Zuletzt bearbeitet:
silent-kid schrieb:
Ist die Wirtschaftsgeschichte der klassischen Antike und des Mittelalters eine stringente Kontinuität?


Kontinuität beschreibt den Zustand des lückenlosen Zusammenhangs; keine klaren Abschnittsgrenzen, kein Anfang mit einem deutlich abgeschlossenen Ende, einen fließenden Übergang, meist unter gleichen oder ähnlichen Vorraussetzungen. Ein innerer Zusammenhang des gegebenen historischen Einzelnen.
Wohingegen Diskontinuität eine abrupte, sprunghafte Veränderung bedeutet.

Im Sinne der Wirtschaftsgeschichte der klassischen Antike und des Mittelalters, bedeutet dies: Hat das Mittelalter das wirtschaftliche Gedankengut der klassischen Antike und seine Praktiken ohne zu überlegen übernommen und weiterentwickelt? Gab es überhaupt eine ‚Übernahme’? Haben sich die Gepflogenheiten der klassischen Antike vielleicht im Laufe der Zeit ihrer Nutzung einfach nur weiterentwickelt? Oder ist alles mit dem Ende der klassischen Antike und der darauf folgenden Völkerwanderung untergegangen und das „Rad“ musste erst wieder erfunden werden?

Wo befinden wir uns denn?

Skandinavien? Irland? Italien? Byzanz? Nehmen wir mal Deutschland ...

Kontinuität gab es damals sicherlich nicht. Normalerweise nimmt man diesen Begriff, um Systemumbrüche oder Politikwechsel der Neuzeit zu charakterisieren. Vom Kaiserreich zu Weimar, etwa. Oder aussenpolitisch von Adenauer zu Schröder.

Eine wirtschaftliche Kontinuität von Caesar bis Karl dem Großen? Mit dem Völkersturm änderte sich das Gesicht Europas. Die Städte wurden entvölkert. Die römischen Straßen und Aquädukte zerfielen. Die Handelswege von Nordafrika und Syrien bis nach England kollabierten. Nahezu die gesamte Verwaltung, die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur des Römischen Reiches war vernichtet...

Und die einfallenden Germanen werden kaum ans Wirtschaften gedacht haben - man musste ja nur weiterziehen und sich in der nächsten Stadt nehmen, was man brauchte! Die Stämme, die sich niederließen, buken erstmal ganz kleine Brötchen. Es war ein leeres Land geworden. All die brachliegenden Felder zu bewirtschaften, dazu brauchte es Menschen, die es dann nicht mehr gab, und Technologien, die erstmal wieder angelernt werden mussten.

Das System des Feudalismus basiert auf eine Herrschaftsideologie. Der Adel und die Kirche erhalten das Land vom König, und diese "liehen" es wiederum der Bevölkerung. Schematisch: König -> Vasall -> Leibeigene. Es weist natürlich Parallelen zum römischen Großgrundbesitz auf, aber wo gab es denn überhaupt mal ein "freies" Bauerntum? Sogar im antiken, "demokratischen" Griechenland wuchsen Feudalstrukturen, unterschied man Freie und Unfreie.

Ich behaupte daher, dass mögliche Parallelen zwischen den Wirtschaftsformen der Antike und des Mittelalters kaum als "Kontinuität" bezeichnet werden können. Eher war es ein langwieriger Neuanfang auf niedrigem Niveau.
 
Ich habe mich jetzt mal mit dem Thema etwas ausführlicher beschäftigt und mich eingelesen. Bedient habe ich mich bei:
R.J. Holton: The Transition from Feudalism to Capitalism. London 1988, S.11-63.
Robert S. Lopez: The Commercial Revolution of the Middle Ages. Englewood Cliffs 1971.
Das ist dabei herausgekommen:


Verläuft die Wirtschaftsgeschichte von der klassischen Antike bis ins Mittelalter kontinuierlich?


Kontinuität beschreibt den Zustand des lückenlosen Zusammenhangs; keine klaren Abschnittsgrenzen, keinen Anfang mit einem deutlich abgeschlossenen Ende, vielmehr einen fließenden Übergang, meist unter gleichen oder ähnlichen Vorraussetzungen. Ein innerer Zusammenhang des gegebenen historischen Einzelnen.
Im Gegensatz dazu würde Diskontinuität in diesem speziellen Fall eine abrupte, sprunghafte Veränderung, unabhängige Entwicklung oder aber Stagnation bedeuten.

Im Sinne der Wirtschaftsgeschichte der klassischen Antike und des Mittelalters, bedeutet dies: Hat das Mittelalter das wirtschaftliche Gedankengut der klassischen Antike und seine Praktiken ohne zu unbewusst übernommen und weiterentwickelt? Gab es überhaupt eine ‚Übernahme’? Haben sich die Gepflogenheiten der klassischen Antike vielleicht im Laufe der Zeit ihrer Nutzung einfach nur weiterentwickelt? Oder ist alles mit dem Ende der klassischen Antike und der darauf folgenden Völkerwanderung untergegangen und das „Rad“ musste erst wieder erfunden werden?

Einer der größten Hemmschuhe der römischen, wie auch der feudalen Gesellschaft, war ihre agrarische Ausrichtung. Wer Geld hatte versuchte Ländereien zu erwerben. Wer Ländereien hatte, war ein gemachter Mann und versank gleichzeitig in der Mittelmäßigkeit, denn römische Landbesitzer mischten sich nicht in den Handel ein. Man hatte einen gewissen Stand an Ansehen und Reichtum erreicht, den man nicht durch Investitionen in risikoreiche Bereiche wie Handel und Technologie gefährden wollte. Da es noch keinen Mangel an billiger Arbeitskraft gab fehlte der Anreiz zu rationalisierenden Innovation.
Den Großgrundbesitzern gegenüber standen die kleinen Handwerker, Künstler und Arbeiter, denen es wiederum an arbeitserleichternden Gerätschaften und Mitarbeitern fehlte, um mehr als unbedingt nötig zu produzieren, was gleichzeitig bedeutete, dass sie nicht genügend Geld durch Verkauf erwirtschaften konnten, um sich Mitarbeiter oder Gerätschaften zu leisten; ein Teufelskreis.

Die Skandinavische Gesellschaft und die idealtypische Idee der Ritterlichkeit betrachteten, genauso wie die Menschen des Römischen Reiches, Luxus und „Geld zum Fenster hinaus werfen“ als eine der ehrenhaftesten Tugenden.
Robert S. Lopez bemerkt dazu: „The medieval lords on the whole were still more contemptuous of trade; the best one would expect of them was that they might patronize a slightly improved version of commercial and industrial mediocrity.“ (Lopez, S.56)

Die Idee des Profits war dem feudalen Zeitalter nicht fremd. Es gab durchaus Überfluss. Die Problematik lag eher darin, dass kaum einer die Möglichkeit ergriff und ausbaute. Wie in der römischen Gesellschaft, so war es einem angesehenen Mann auch im Feudalismus unangenehm mit Handel in Verbindung gebracht zu werden. Zwischen der herrschenden Klasse der Fürsten und der Bischöfe und den niedrigen Leibeigenen und Armen, war kaum Platz für eine Mittelschicht, die es sich leisten konnte in den Handel zu investieren. Mal ganz abgesehen davon: „Paupers were more acceptable than merchants: they would inherit the Kingdom of Heaven and help the almsgiving rich to earn entrance.“ (Lopez S.60)

Für die entscheidende Wende brauchte es einen Menschenschlag, der unter besonderen Voraussetzungen stand: die Juden. Nirgendwo daheim, aber auch nirgends fremd, ermöglichte ihnen ihre Zersplittertheit über ganz Europa und die ihnen von Herrschern auferlegten Einschränkungen in der Wahl ihrer Betätigungsfelder Sparten auszufüllen, die von niemand anderem besetzt waren: den Fernhandel. Ihre spezielle Stellung war u.a. Folge ihrer sozialen Stellung und religiösen Struktur: Unter unterprivilegierten Fremden konnte sich keine (militärische) Aristokratie entwickeln. Landwirtschaft war den Juden zwar nicht verboten, aber die Möglichkeit plötzlicher Vertreibung und mangelnder Unterstützung durch Nachbarn machte sie uninteressant. Von daher fiel der Handel den Juden „in den Schoß“, verstärkt noch durch ihre religiös bedingte Fähigkeit zu lesen und zu schreiben und eine, den Fernhandel ungemein erleichternde, gemeinsame Sprache. Überall wo es den Juden ermöglicht wurde ihre Einkünfte zu erlangen und wieder nach Gutdünken zu investieren, beschleunigten sie das Wirtschaftswachstum.

Ein weiterer wichtiger Spieler in der frühen Wirtschaftsgeschichte waren die italienischen Städte. Sie zeichneten sich durch eine Ausdehnung und Konzentration auf den Seehandel aus. Sie bauten große Schiffsflotten, in Anlehnung an die Schiffsbaukunst des römischen Reiches, um gegen die sie regelmäßig überfallenden Piraten und Muslime zu ziehen. Dadurch erzielten sie Einnahmen. Die bestehenden Schiffsflotten wurden im Folgenden verwendet, um Produkte der Stadt andernorts zu verkaufen, oder sie fremden Herrschern gegen Gebühren, Steuerfreiheit und Zollrechte, im Kampf zur Verfügung zu stellen. Diese Idee wurde bereits von dem Handels- und Seevolk der Phönizier verfolgt: Handel mit dem ganzen Mittelmeer und Militärhilfe zur See für die Perser.
Insofern hätte das antike Athen, mit seinem delisch-attischen Seebund ähnliches bewirken können, was Athen im Gegensatz zu den italienischen Städten fehlte, war die Entwicklung des italienischen Hinterlandes und seiner Gesellschaft, das auf die Erfolge der Städte und Kaufleute reagierte.
Griechenland hatte seinen Kaufleuten so heftige Steuern auferlegt, dass sie aus ihrem Handel kaum Profit zu ziehen vermochten. In Italien dagegen zog sich der Adel aufs Land zurück. Händlerfamilien und Nobilität heiraten ineinander ein und bilden so eine neue erfolgreiche Schicht der Magnaten. So gut wie alle Einwohner waren freie Menschen und jeder versuchte (im eigenen Interesse) am Handel teilzuhaben und unter der Führung der Magnaten ein gewisses Mitspracherecht in der Politik zu haben.
Palermo und andere süditalienische Städte dagegen, die von den Normannen eingenommen wurden und in denen wieder ein aristokratisches und feudales (Agrar-)System eingeführt wurde, verloren schnell ihre Macht und ihr Wirtschaftswachstum und verkümmerten.

Gerade die Wirtschaftskonkurrenz schürte immer wieder Kleinkriege zwischen den einzelnen oberitalienischen Städten. Aber während die Feudalherren in Nordeuropa in großen Kriegen um Landbesitz und Untertanen rangen, ging es in Italien um Zollrechte, Handelswaren, wirtschaftliche Einflussbereiche usw. In Italien war der Krieg Motor der Wirtschaftlichkeit, während nördlich der Alpen durch Kriege die agrarische Gesellschaft stagnierte.

Erhöhte kaufmännische Betätigung wiederum bedeutet größere Mengen Geldes im Umlauf. Das bedeutete, dass mehr Geld geprägt werden musste, was wiederum die Qualität der Münzen verschlechterte (mehr Kupfer in den Silbermünzen, da zu wenig Rohmaterial vorhanden war). Die schlechtere Qualität der Münzen bedeutete, dass sie weniger wert waren, was zur Folge hatte, dass man mit diesen Münzen kleinere Dinge bezahlen konnte.
In der klassischen Antike, sowohl in Rom, als auch in Griechenland waren ebenfalls große Mengen an Münzen vorhanden, was fehlte und was wir in Italien und bei den Juden des Mittelalters finden, war die Bereitschaft das Geld in großen Mengen gewinnbringend auszugeben, anzulegen oder zu verleihen.

Wir finden im Mittelalter unter Anderen auch römische Handelsvereinigungen und -verträge wieder. Die erste jedoch, auf die wir im Mittelalter stoßen ist die rogadia der Juden. Im Mittelalterlichen Recht enthalten sind aber auch die griechisch-römische Form der societas (Partnerschaft), sowie die fraterna (Bruderschaft), die aus der klassischen Antike überlebt haben. Ähnliches gilt für die Form, die in Amalfi betrieben wurde: den column: Lopez beschreibt ihn als eine Abwandlung der byzantinischen Weiterentwicklung der ursprünglich römischen fraterna. (Lopez S.75)
Eine weitere in der Antike häufig genutzte Form, die auf das Mittelalter hernieder gekommen ist, ist der sea loan: Ein Gläubiger bezuschusst eine Kaufmannsfahrt mit Geld. Wenn der Kaufmann Profit durch den Verkauf seiner Waren macht, wird der Gläubiger daran beteiligt, sollte z.B. das Schiff gekapert werden oder im Sturm untergehen, verliert der Gläubiger seine Beteiligung ersatzlos. Zwar verliert der sea loan mit Aufkommen der Versicherungen langsam an Bedeutung, ist aber über das gesamte Mittelalter in Gebrauch und zweifellos als deren Vorreiter zu sehen. Ähnlich sind fraterna und societas im Laufe der Zeit immer wieder erweitert oder verkleinert worden, um neue Formen von Handelsvereinigungen und –verträgen, wie compagnia, collegantia und commenda zu bilden.

Eine weitere Problematik, die Antike und Mittelalter weitflächig teilten, war das Fehlen von arbeitserleichternden technischen Geräten. Betrachtet man sich den Transport von Gütern auf dem Landweg, so hat sich seit den Zeiten Roms nicht viel getan, außer, dass das römische Wegesystem zwischen großen Städten zusehends verfallen ist, was sich jedoch durch zahlreiche Trampelwege zwischen kleinen Ortschaften, die Ausweichrouten ermöglichten, die Waage hielt. Das Transportsystem und die transportierte Menge änderte sich kaum. Zwar ging man von Wägen auf Maultiere über, aber einen entscheidenden Unterschied machte das nicht aus, was zur Folge hatte, dass der Handel zu Land keine besonderes Interesse bei großen Kaufleuten erregte.
Der Seeweg war, wie auch schon in der Antike, der wesentlich interessantere Handelsweg. Auf Schiffen können viel größere Mengen auf einmal transportiert werden. Die Galeone, das Wahrzeichen des italienischen Händlers, war eine Weiterentwicklung der römischen Galeere (Lopez S. 82), und verband die Vorteile der Ruderer und des Antriebs durch Segel und stellte durch ihren Rammsporn, ebenfalls bereits von den Griechen und Römern eingesetzt, eine starke Waffe gegen andere Schiffe dar. Eine Erhöhung der Ladekapazität durch Vergrößerung der Schiffe war gar nicht von Interesse, denn wie bereits zu früheren Zeiten, musste das Schiff klein genug sein, um auch kleine Häfen anlaufen zu können, oder einen geringen Tiefgang haben um Flussläufe hinaufzufahren.
Dass der freie stolze Athener Bürger an den Riemen der Trieren des delisch-attischen Seebundes, im Gegensatz zu den Galeerensklaven des römischen Reiches, ein direktes Vorbild für den freien stolzen Galeeren-Ruderer des italienischen Mittelalters ist, ist zu bezweifeln. Der Hintergrund ist jedoch vergleichbar: Stadtstaaten, deren höchstes Gut und Ideal der Handel und Kampf zu Schiff darstellte, würden keinen Galeerensklaven den geringen Raum auf dem Schiff überlassen, den man mit Handelswaren ausfüllen könnte und im Gegenzug auf verlässliche Verteidigung im Kampffall verzichten, sondern selbst diese Position übernehmen.

Man möchte anführen, dass die Völkerwanderung einen großen bildungstechnischen Einbruch zwischen Antike und Mittelalter bedeutete. Nicht vergessen werden sollte jedoch, dass die Eindringlinge wesentlich geringer an Zahl und ungebildeter waren, und sich von den Annehmlichkeiten der römisch-griechischen Lebensweise schnell beeinflussen ließen und sie sicherlich nicht zerstören wollten.
Lopez Behauptung, dass die Barbaren durch die Beschleunigung der Zerstörung der alten Ordnung einen fruchtbaren Grund für etwas vollkommen Neues schufen (Lopez S.13), widerlegt er selbst keine 10 Zeilen später, durch die Aussage, dass die meisten Völker der Völkerwanderungszeit durch den Kontakt mit Rom geprägt gewesen wären und sich schnell näher gekommen seien. Interkultureller Austausch war dabei garantiert. Zwei Seiten später schreibt er sogar, dass der landwirtschaftstechnische Unterschied nicht „Rom contra Barbaren“ lauten dürfe, sondern in den Regionsdifferenzen zu suchen sei: Italienische Trocken-Landwirtschaft funktioniert klima- und bodenbedingt vollkommen anders als Agrikultur im verregneten Nordeuropa und dementsprechend auch mit anderen Werkzeugen. Die Barbaren brachten ihre eigenen Techniken mit, die sich mit denen der Römer mischten (Lopez S.15).

Selbst die Anfänge des Feudalismus sind im Römischen Reich zu suchen: Der Stand der Leibeigenen entwickelte sich aus der demographischen Depression heraus und ließ ärmere Menschen aus Mangel an gesundheitlicher und wirtschaftlicher Sicherheit, in die Abhängigkeit und gleichzeitig den Schutz eines Großgrundbesitzers fliehen (Lopez S.17). Holton erklärt dazu, Feudalismus sei nicht als Erweiterung römischen Rechts zu sehen, da sich darin z.B. Institutionen wie das Vasallentum fänden, die Kriegsdienst mit sich brächten, die deutliche Einwirkungen aus dem Germanischen seien (Holton S.19). Ein Widerspruch ist in dieser Erweiterung der römischen Grundstruktur jedoch nicht zu entdecken.

Wie auch in vielen anderen der aufgeführten Fälle ist dies ein Zeichen einer Weiterentwicklung von Grundstrukturen der Antike, mit denen sich fremdes, „barbarisches“ Kulturgut vermischte. Aus den hier aufgeführten Gründen läßt sich auf eine Kontinuität in einigen Bereichen der Wirtschaft und Technik schließen. Sicherlich mussten aber auch Vieles erst wieder entdeckt werden, das während der Völkerwanderung verloren gegangen war, andere Dinge sind vollkommene Neuerfindungen.

Wenn es auf irgend einem Gebiet tatsächlich eine weitestgehende Kontinuität gegeben hat, dann in dem Desinteresse der Oberschicht in den wirtschaftlichen Fortschritt zu investieren.

Um mit Lopez zu schließen: “Every code has its exceptions, but the bias existed in the tenth century as in the age of Augustus, in Germany as in China...” (Lopez, S.60)
 
@ silent-kid: in deinem Text sind schon einige gute Ansätze. Aber einige Punkte kommen m.E. noch zu kurz:

Wenn es auf irgend einem Gebiet tatsächlich eine weitestgehende Kontinuität gegeben hat, dann in dem Desinteresse der Oberschicht in den wirtschaftlichen Fortschritt zu investieren.

Generell richtig, gerade für die Spätantike. Allerdings darf man nicht vergessen, dass das Wohl römischer Städte ebenso wie kleinerer Kommunen vielfach davon abhingen, wie stark die Bürger selbst (und da wiederum die begüterten Bürger) in die Städte investierten. Z.B. entstanden viele Bauten, besonders Tempel, vor allem auf Privatinitative. Einige der großartigsten Beispiele sind die Stoa und einige andere Gebäude, die der schwerreiche Herodes Atticus im 2. Jh. n. Chr. in Athen errichten ließ.

Was m.E. hier noch etwas zu kurz kommt, ist die Rolle des Staates, der gerade in der römischen Spätantike sehr stark in die Wirtschaft eingriff. Dass die römische Zivilisation gerade in den Nordwestprovinzen so stark und rasch zusammenbrach, mag auch daran gelegen haben, dass die sich erst langsam neu formierenden germanischen Herrscher- und Verwaltungsschichten in keiner Weise in der Lage waren, die hochentwickelte Infrastruktur am Leben zu erhalten.

Ebenso wäre noch die Rolle der Kirche zu berücksichtigen, die im Mittelalter ein sehr dynamischer "Wirtschaftszweig" war. Man muss dabei berücksichtigen, dass sie es war, die annähernd eine Art "öffentlichen Auftrag" durch den Bau von Kirchen, Klöstern, Wallfahrtsstätten oder auch Spitälern übernahm.

Und was den wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Spätantike und Frühmittelalter betrifft, finde ich noch die Pirenne-These wichtig, die einen vorübergehenden Zusammenbruch der europäischen Wirtschaft infolge des Vordringens des Islam im Mittelmeer konstatiert:

http://de.wikipedia.org/wiki/Pirenne-These
 
Zurück
Oben