WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

Vielleicht wäre ohne den französischen "Blankoscheck" an Rußland überhaupt kein Weltkrieg entbrannt und es wäre bei einem bilateralen Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien geblieben.

Da bin ich mir sogar ziemlich sicher, das es ohne Poincare feste Zusagen in Petersburg kein Weltkrieg gegeben hätte. Stefan Schmidt hat in seinem bedeutenden Werk Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise ausgeführt, das Poincare das Risiko eines Krieges billigend in Kauf genommen hat. Dem gibt es nichts hinzuzuzfügen.

Und mir persönlich wird bei der ganzen Diskussion zu sehr übersehen, das Österreich-Ungarn durch die Balkankriege und die Londoner Konferenz das Vertrauen in das Konzert der Mächte verloren hatte. und daran sind nicht zuletzt Russland und Frankreich mit Schuld.

Wien stand auf dem Balkan praktisch mit dem Rücken zur Wand und war zum, lokalen, Kriege entschlossen.
 
Da bin ich mir sogar ziemlich sicher, das es ohne Poincare feste Zusagen in Petersburg kein Weltkrieg gegeben hätte. Stefan Schmidt hat in seinem bedeutenden Werk Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise ausgeführt, das Poincare das Risiko eines Krieges billigend in Kauf genommen hat. Dem gibt es nichts hinzuzuzfügen.

Und mir persönlich wird bei der ganzen Diskussion zu sehr übersehen, das Österreich-Ungarn durch die Balkankriege und die Londoner Konferenz das Vertrauen in das Konzert der Mächte verloren hatte. und daran sind nicht zuletzt Russland und Frankreich mit Schuld.

Wien stand auf dem Balkan praktisch mit dem Rücken zur Wand und war zum, lokalen, Kriege entschlossen.


Entschlossen war die Kriegspartei sicher, auch entschlossen, um jeden Preis Krieg gegen Serbien zu führen und zwar schon bevor das Ultimatum gestellt wurde. Nur mit Entschlossenheit allein kann man keinen Krieg führen, und schlagbereit war die k.K. Armee nicht, ein Großteil der Soldaten befand sich auf Ernteurlaub. Hätte die Donaumonarchie unmittelbar nach dem Attentat von Sarajewo losgeschlagen, hätte sich der Krieg möglicherweise begrenzen lassen. Die Ermordung Franz Ferdinands und seiner Gattin war ein Affront der auch in Westeuropa Verständnis für die Donaumonarchie erweckte. Mit der Dauer der Julikrise aber stieg das Risiko, dass es zu einem europäischen Krieg kam und sich der Konflikt eben nicht begrenzen ließ. Nachdem man Franz Ferdinand und Sophie Chotek in geradezu taktloser Weise beerdigt hatte, konnte sich der Eindruck aufdrängen, dass die "Falken" in Wien die Ermordung des ungeliebten Thronfolgers funktionalisierte, um "mit Serbien abzurechnen".
 
Da bin ich mir sogar ziemlich sicher, das es ohne Poincare feste Zusagen in Petersburg kein Weltkrieg gegeben hätte. Stefan Schmidt hat in seinem bedeutenden Werk Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise ausgeführt, das Poincare das Risiko eines Krieges billigend in Kauf genommen hat. Dem gibt es nichts hinzuzuzfügen.

Komischerweise wird dieser französische "Blankoscheck" an Rußland aber kaum irgendwo erwähnt, weder im Geschichtsunterricht in der Schule noch in den üblichen Geschichtsdokumentationen im Fernsehen. Wie ist das zu erklären?

Und wie ist es zu erklären, daß heute zwar eigentlich niemand mehr eine "deutsche Alleinschuld" vertritt, aber immer noch von vielen, auch seriösen Historikern suggeriert wird, daß das Deutsche Kaiserreich die "Hauptschuld" trage? Das ist doch eigentlich nur durch eine ideologisch gefärbte Geschichtsdeutung zu erklären. :confused:
 
Wenn man jetzt den Siegern eines Krieges Schuld oder Teilschuld am Krieg gäbe, wie sollte man dann erklären, warum die Sieger ihre Beute behalten sollen? Oder welcher Sieger will zugeben, das er eigentlich auf der selben Stufe steht wie ein Bankräuber?
§ 249 StGB Raub - dejure.org
Solche Gesetze gibts schließlich in jedem Staat, also wird kein Sieger zugeben, das er einen Krieg provoziert hat, um sich einen Vorteil, meist materieller Art zu verschaffen.
 
...

Und wie ist es zu erklären, daß heute zwar eigentlich niemand mehr eine "deutsche Alleinschuld" vertritt, aber immer noch von vielen, auch seriösen Historikern suggeriert wird, daß das Deutsche Kaiserreich die "Hauptschuld" trage? Das ist doch eigentlich nur durch eine ideologisch gefärbte Geschichtsdeutung zu erklären. :confused:

Von "seriösen Historikern" wird nicht "suggeriert",
sondern sie kommen aufgrund einer quellengestützten und quellenbelegten Faktenlage zu einer Einschätzung. (Und es gibt tatsächlich gute Belege für die "Hauptschuld", die hier wohl besser "Hauptverantwortung" heißt, des DR.)
Bei sehr komplizierten Sachverhalten können hier auch verschiedene Deutungen entstehen.
Aber:
"eine ideologisch gefärbte Geschichtsdeutung" findet sich sehr viel weniger bei 'seriösen Historikern', als bei Leuten, die nicht darlegen wollen woher ihre Vorstellung stammt, nicht sagen was sie gelesen haben, keine Quellen nennen, sich jedoch mit besonderen Deutungen hervortun.
In einem solchen Fall kann durchaus man vermuten: "Das ist doch eigentlich nur durch eine ideologisch gefärbte Geschichtsdeutung zu erklären."
Not confused...
 
Von "seriösen Historikern" wird nicht "suggeriert",
sondern sie kommen aufgrund einer quellengestützten und quellenbelegten Faktenlage zu einer Einschätzung. (Und es gibt tatsächlich gute Belege für die "Hauptschuld", die hier wohl besser "Hauptverantwortung" heißt, des DR.)

Welche "Belege" gibt es denn für die "Hauptverantwortung" des Deutschen Kaiserreiches am Ausbruch des Krieges? Aus meiner Sicht beruht diese Sichtweise auf einer selektiven Würdigung der Faktenlage und einer entsprechend eindimensionale Interpretation derselben zu Lasten des Deutschen Kaiserreiches und zugunsten der übrigen Großmächte.

Welches sind denn Deiner Meinung nach die drei schwerwiegensten "Belege" für eine "Hauptschuld" des Deutschen Kaiserreiches am Ausbruch eines gesamteuropäischen Krieges?
 
Und wie ist es zu erklären, daß heute zwar eigentlich niemand mehr eine "deutsche Alleinschuld" vertritt, aber immer noch von vielen, auch seriösen Historikern suggeriert wird, daß das Deutsche Kaiserreich die "Hauptschuld" trage? Das ist doch eigentlich nur durch eine ideologisch gefärbte Geschichtsdeutung zu erklären. :confused:
Die Hauptschuld (iSd hauptsächlichen Verantwortung) wird nicht "suggeriert", sondern ist breit überwiegender Forschungsstand, der im Übrigen auch die von anderen Ländern verantworteten Beiträge zum Kriegsausbruch nicht ausblendet, sondern vielfach untersucht hat.

Der Vorwurf "ideologisch gefärbter Geschichtsdeutung" ...

- völlig absurd, wenn man sich die intensive internationale Forschung der letzten 50 Jahre anschaut -

... wird eigentlich nur benutzt, um darzustellen, dass einem selbst die Ergebnisse weltanschaulich nicht passen. In der Sache ist das völlig belanglos, argumentativ uninteressant.

Komischerweise wird dieser französische "Blankoscheck" an Rußland aber kaum irgendwo erwähnt, weder im Geschichtsunterricht in der Schule noch in den üblichen Geschichtsdokumentationen im Fernsehen. Wie ist das zu erklären?
Vermutlich liest Du die falschen Bücher oder siehst zuviel Fernsehdokumentationen. Außerdem sind weder der Geschichtsunterricht noch Fernsehdokumentationen der Nabel der Welt.

Zum französischen "Blankoscheck" siehe hier:
http://www.geschichtsforum.de/f62/w...m-kriegsausbruch-6895/index32.html#post715962
http://www.geschichtsforum.de/715226-post143.html
http://www.geschichtsforum.de/482678-post37.html
Sowohl die Behauptung einer Erweiterung französischer Bündnispflichten über den bestehenden Vertrag hinaus als auch die Frage des "Blanko" (gemessen an der Qualität des deutschen Blankoschecks gegenüber Österreich) sind höchst umstritten. Die Gründe sind in den links angerissen.
 
Sowohl die Behauptung einer Erweiterung französischer Bündnispflichten über den bestehenden Vertrag hinaus als auch die Frage des "Blanko" (gemessen an der Qualität des deutschen Blankoschecks gegenüber Österreich) sind höchst umstritten.

An der Bekräftigung des deutschen Beistandes gegenüber Österreich kann ich ehrlich gesagt nichts negatives finden. Wenn man mit einem Staat seit Jahrzehnten eng verbündet und befreundet ist und dieser Staat dann Opfer eines schweren Terroranschlages auf seine tragenden Institutionen wird, finde ich es eigentlich absolut normal, dass man dann solidarisch zusammensteht.

Nach dem Terroranschlag vom 11. September erklärte Bundeskanzler Schröder den USA die "uneingeschränkte Solidarität" Deutschlands. Niemand würde wohl behaupten, dies sei ein verwerflicher "Blankoscheck". Es würde wohl auch niemand bestreiten, daß die USA das Recht hatten Afghanistan anzugreifen um gegen die Brutstätte des sie bedrohenden Terrorismus vorzugehen und sich somit zu verteidigen.

Die deutsche Beistandsbekräftigung mit Österreich hat auch nicht zum Weltkrieg geführt. Gestern Abend sah ich im ZDF eine Dokumentation zur Julikrise. Dort wurde geschildert, daß der deutsche Beistand mit Österreich auf Nikolaus II. eine abschreckende Wirkung hatte und er deshalb erwog in der Frage um Serbien nachzugeben. Dann reiste der französische Staatspräsident nach St. Petersburg und beschwor den Zaren hart zu bleiben, nicht nachzugeben und es auf eine Konfrontation ankommen zu lassen, Frankreich würde dann im Fall eines Krieges Rußland beistehen. Dieses französische Einwirken hat erst Nikolaus II. dazu getrieben den großen Krieg zu riskieren. Ansonsten wäre wohl 1914 überhaupt nicht geschehen, außer daß Österreich Serbien zurechtgestutzt hätte.
 
silesia schrieb:
Sowohl die Behauptung einer Erweiterung französischer Bündnispflichten über den bestehenden Vertrag hinaus als auch die Frage des "Blanko" (gemessen an der Qualität des deutschen Blankoschecks gegenüber Österreich) sind höchst umstritten.

Poincare hat der Ausweitung des casus foederis, eben für einen Balkankrieg, in dem Russland verwickelt war, akzeptiert. Einzige Voraussetzung war, dass as Deutsche Reich involviert war. Dadurch wurde Russland ermutigt und Poincare nahm gemäß Stefan Schmidt billigend das Risiko eines großen Krieges in Kauf. Leitmotiv war der Gedanke und Sorge, das Frankreich sonst eventuell irgendwann Deutschland allein darstehen würde.
 
kosmokrat schrieb:
Die knappe Zusammenfassung der Julikrise von Annika Mombauer ist, neben dem komplexeren Dokumentenband von Gerd Krumeich, wohl die beste Möglichkeit, sich über die Hintergründe des Kriegsbeginns vor 100 Jahren zu informieren.

Den Band vom Krumeich lese ich gerade. Ihm unterlaufen doch ein paar gravierende Fehler. Schlieffen wird zum Nachfolger Moltkes ernannt oder Lord Haldane wird urplötzlich zum britischen Premier. Das ist schon ein wenig peinlich für ein Historiker, der sich schon so lange Zeit mit dieser Thematik beschäftigt.
Überhaupt ist das Buch arg einseitig geraten. Es ist sehr deutschzentrisch, zumindest was ich bisher gelesen habe, und sieht in der Vorkriegszeit praktisch nur deutsche "Sünden". Die der anderen Großmächte werden übersehen.
 
Poincare hat der Ausweitung des casus foederis, eben für einen Balkankrieg, in dem Russland verwickelt war, akzeptiert.

Eine Ausweitung des casus foederis gab es nach überwiegender Auffassung nicht, insbesondere der genannte Balkankrieg ist bereits Gegenstand der Absprachen 20 Jahre zuvor.

Nochmals der Gesamtüberblick:
Zwei Schlussfolgerungen:

a) Bestätigung des geltenden Abkommens über den gegenseitigen Beistand, insoweit Normalität

Poincarre sagte den Russen schon einmal vorsorglich definitive Unterstützung zu; Bündnisfall war zwar nicht gegeben, das Russland nicht bedroht wurde und auch nicht angegriffen werden sollte, aber egal.
http://www.geschichtsforum.de/f62/r...voraussetzung-und-der-eintritt-den-ww1-48326/

Die Interpretation der vertraglichen Bindungen des Zweiverbandes ist in der Forschung höchst umstritten. Derzeitige Basis und sozusagen Ausgangspunkt des Streits ist die Analyse von George Kennan (siehe auch Schmidt, Julikrise und Keiger, France and the origins..., etc.).

Kennan hat herausgearbeitet, dass der Vertrag im Wortlaut der Artikel 1 und 2 widersprüchlich ist (ironisch mit "gegenseitiger Lüge" bezeichnet), außerdem und unbedingt (Artikel 2) gegenseitigen Beistand für den europäischen Krieg mit den Mittelmächten unabhängig von "Agression" oder Verursachung ansieht.

Anders als die Bedeutung des Vertrages für Russland ist der Vertragswert für Frankreich in einer existentiellen Lebensversicherung gegen den Konflikt mit dem Deutschen Reich einzuschätzen [siehe auch Schmidt]. Die 1912 (und 1909) bereits formulierte politische Linie der französischen Außenpolitik hatte die prinzipielle Vorstellung, dass eine Konfrontation von ÖU und RUS in jedem Fall die deutsche Mobilmachung auslösen würde.

Das ist wiederum der Bündnisfall gemäß Artikel 2.

Wie bereits zwischen FRA und RUS Mittel Juli 1914 formuliert, ging man (zutreffend!) davon aus, dass das Deutsche Reich hinter einem österreichischen Angriff auf Serbien stehen würde, für den Russland (das eigentliche Ziel von Bethmanns Risikopolitik und von Deutschlands Blankoscheck, der eine antirussische Zielrichtung hatte) beistandspflichtig wird.

Ein Teil der Literatur, der im Juli 1914 nun eine Erweiterung der Bündnispflichten FRAs gegenüber Russland sieht, bis hin zu einem französischen Blankoscheck, interpretiert diese Verträge ausschließlich politisch-formal, und übersieht außerdem die geänderten politisch-militärischen Rahmenbedingungen gegenüber 1894. Die Vertragsrealitäten und der materielle Gehalt des Vertrages werden vielmehr - üblich in der juristisch-vertraglichen Auslegung der Verpflichtungen - teleologisch ermittelt: Den europäischen Großmächten war 1914 völlig klar, dass eine Generalmobilmachung die äußerste diplomatische Krise, kurz vor einem möglichen Krieg, bedeutet. Dafür bestand die Beistandsverpflichtung nach Artikel 2 unabhängig vom Anlass.

Die teleologische Auslegung des Vertrages wird aus dem Schriftwechsel 1909 deutlich:

a) Erhaltung des Friedens und des militärischen Gleichgewichts in Europa (durch Abschreckung, eine vergleichbare Grundkonstellation wie die Bündnissysteme im Kalten Krieg)
b) Sicherung der gemeinsamen und dauerenden Interessen der beiden Länder (zu einzelnen Krisenfall definieren!).

Der materielle Gehalt des Vertrages bestand damit seit 1894 in einer Abwägung.

FRA hat zuvor in mehreren Krisen in genau dieser Abwägung signalisiert, es sehe den Bündnisfall nicht als gegeben an. Diese Abwägung musste im Juli 1914 anders ausfallen, in dem prognostizierten worst case: Krieg ÖU/RUS und sofortige Beteiligung des DR gegen RUS.

1914 war man sich klar, dass
a) das DR hinter der kriegskalkulierenden Haltung von ÖU "steckt"
b) dass wie 1911 (diplomatische "Blaupause" für die abschreckend-feste Haltung gegen das DR in Form der Mansion-House-Rede), somit ein Signal der Festigkeit gegenüber DR/ÖU den Krieg vermeiden würde
c) die Mittelmächte eine Interessenzone über Südosteuropa bis zu den Meerengen ausdehnen wollten (ein völlig zutreffende Einschätzung, siehe Rose) und damit das europäische Gleichgewicht verschieben wollen.

In genau dieser Abwägung ist keine Ausdehnung/Erweiterung des Bündnisfalles des Zweiverbandes FRA/RUS gegeben, sondern die Anwendung seines Grundtatbestandes. Wie gesagt, diese Interpretation ist in der Literatur umstritten, ebenso wie die konträre Auffassung, nach dem Wortlaut des Vertrages sei eine Erweiterung des Bündnisregelungen vorgenommen worden.

Es ist daher sicher nichts dagegen einzuwenden, die Position der "Erweiterung der frz. Bündnispflichten" mit Verweis auf einige Autoren zu vertreten (die Position "französischer Blankoscheck" ist mE völlig überzogen, weil hier allein der Vorbehalt einstand, dass GB ebenfalls eine harte Haltung und ggf. Beistand garantieren würde).

Der Position sollte man allerdings der Klarheit halber anfügen, dass sie in den Detailforschungen zu dieser Frage keine herrschende Auffassung darstellt.
http://www.geschichtsforum.de/f62/p...d-im-juli-1914-a-31936/index8.html#post715226

Bekanntlich hatte die Beistandsbekräftigung von Poincare die Zielsetzung, der Blaupause von 1911 mit einer festen Haltung gegenüber den Kriegsabsichten der Mittelmächte gegen Serbien entgegen zu treten und diese "gleichsam manu militari" (Schmidt, Julikrise) zu bannen. Ebenso unbestritten ist, dass

a) diese "Zusicherung" konditioniert war, nämlich den zu diesem Zeitpunkt unsicheren Beistand Großbritanniens in der festen Haltung voraussetzte. Sowohl Frankreich wie Russland gingen davon nicht sicher aus.
b) als diplomatisches Signal an die Mittelmächte kontra Eskalationspolitik gerichtet war.
 
silesia schrieb:
Eine Ausweitung des casus foederis gab es nach überwiegender Auffassung nicht, insbesondere der genannte Balkankrieg ist bereits Gegenstand der Absprachen 20 Jahre zuvor.

Selbst Krumeich, der bekanntermaßen Frankreich und Russland eher positiv gegenübersteht, das Deutsche Reich als Hauptschuldigen ausmacht, sieht eine Ausweitung des casus foederis durch Poincare.

Poincare wurde getrieben durch seine Angst, Frankreich könne Russland als Bündnispartner verlieren und damit den Deutschen Reich allein gegenüberstehen. Aus diesem Grunde bekräftige er, nicht nur im Zuge seines Besuchs in Petersburg im Juli 1912, ganz entschieden seine Bündnistreue. Und Poincare wußte genau um die russischen Befindlichkeiten und somit auch um die mögliches Folgen seiner Zusicherungen, aber das nahm er gemäß Stefan Schmidt durchaus billigend in Kauf. Hier ist die besondere Schwere der Mitschuld Frankreichs an der Katastrophe festzumachen.Priorität hatte für Poincare der Erhalt des Bündnispartners; gar nicht so unähnlich war ja auch die britische Haltung. Frankreich und Großbritannien waren beide mehr oder weniger von Russlands Gande abhängig und damit auch mehr oder weniger von Petersburg erpressbar. Das haben die britischen Staatsmänner am Vorabend des Krieges etliche Male leidvoll zur Kenntnis nehmen müssen.
 
Da möchte ich mich selbst aus dem "Schwesterthread" zitieren:
"Die Hauptgründe für den Weltkrieg sehe ich vielmehr in der Unfähigkeit der Großmächte mit den ganz natürlich entstehenden Konflikten in einer enger werdenden Welt umzugehen. Das heißt sie mit friedlichen Mitteln zu lösen, also einen Ausgleich zu suchen, statt als Lösung Krieg zu wählen."

Wer hat es denn ernsthaft versucht? Nicht viele, meiner Meinung nach. Ich finde, dass man es sich zu einfach macht, wenn man sagt, dass alle Schuld sind, weil es alle hätten verhindern können. Denn wer kann schon einen Krieg verhindern, wenn es lauter Herrscher gibt, die sich nach mehr Macht sehnen?
Wenn man sagt, dass alle Schuld sind, weil sie Europa in den Imperialismus getrieben haben, finde ich das völlig in Ordnung, jedoch wird die andere Begründung dem nicht gerecht.
Ich denke, dass du auch den Imperialismus meinst, aber ich wollte es nur noch ein mal gesagt haben ;)
 
Ich empfehle zu diesem Thema :
Sebastian Haffner "Die sieben Todsünden des deutschen Reiches im ersten Weltkrieg "

Haffner geht davon aus,daß erst die präventive Kriegserklärung gegenüer Frankreich und Verletzung der Neutralität der Beneluxstaaten durch Deutschland den vorher lokalen Konflikt auf dem Balkan zu einem Weltkrieg machte.da dies den Kriegseintritt Englands provozierte.
 
2. Zum anderen lag der "Risikostrategie" keine belastbare Lageanalyse zugrunde, da deutscherseits drei Prämissen aufeinandertürmt wurden, deren Wahrscheinlichkeit keiner Bewertung unterzogen wurde (Rußland würde bei Serbien abseits stehen - wenn es nicht abseits steht, würde Frankreich keinen Beistand leisten - Großbritannien würde nicht in den Krieg eintreten) und deren Wahrscheinlichkeiten sogar konträr (GB!) zu den militärischen Planungen standen: Selbstmord aus Angst vor dem Tod - Committing Sucide for Fear of Death. Zum Beispiel bzw. grundlegend Jarausch: The Illusion of Limited War: Chancellor Bethmann Hollweg’s Calculated Risk, July 1914, auf den sich spätere Publikationen (zB Herwig) bezogen haben.

Vielleicht interessiert es allgemein, online verfügbar:

http://www.ssoar.info/ssoar/bitstre...ch-The_illusion_of_limited_war.pdf?sequence=1
 
silesia schrieb:
. Zum anderen lag der "Risikostrategie" keine belastbare Lageanalyse zugrunde, da deutscherseits drei Prämissen aufeinandertürmt wurden, deren Wahrscheinlichkeit keiner Bewertung unterzogen wurde (Rußland würde bei Serbien abseits stehen - wenn es nicht abseits steht, würde Frankreich keinen Beistand leisten - Großbritannien würde nicht in den Krieg eintreten) und deren Wahrscheinlichkeiten sogar konträr (GB!) zu den militärischen Planungen standen: Selbstmord aus Angst vor dem Tod - Committing Sucide for Fear of Death. Zum Beispiel bzw. grundlegend Jarausch: The Illusion of Limited War: Chancellor Bethmann Hollweg’s Calculated Risk, July 1914, auf den sich spätere Publikationen (zB Herwig) bezogen haben.

Hatte man in Petersburg und Paris denn eine belastbare Lageanalyse für den eigenen hochriskanten außenpolitischen Kurs vorgenommen gehabt?
 
Hatte man in Petersburg und Paris denn eine belastbare Lageanalyse für den eigenen hochriskanten außenpolitischen Kurs vorgenommen gehabt?

Die Kritik fehlender Analyse setzt zunächst einmal bei den Akteuren an, die die Actio-Reactio-Spirale unzweifelhaft in Gang gesetzt haben.

Diese Akteure waren das Deutsche Reich und ÖU, in ihren Absprache vom 5. Juli 1914 und danach bis hin zum "timing" des Ultimatums. Hier lag zunächst das Heft in der Hand.

Krisenforschung beschäftigt sich durchaus mit den daraus resultierenden Eskalationsspirale , und folgender kleiner Ausschnitt ist sozusagen grundlegend für die Abschreckungspolitik der Russischen Seite, die unzweifelhaft einen Krieg mit ÖU aufgrund der eskalierenden Mobilmachungsschritte einkalkuliert hatte, auch wenn die Logik des Eskalationsschrittes auf Kriegvermeidung gerichtet war (nicht ohne Grund waren diese Schritte auch heftig intern diskutiert worden, wie man der Literatur entnehmen kann):

"States may take these actions for purely defensive purposes, but adversary states often perceive these actions as threatening. Compounding this is the fact that most weapons systems can serve offensive as well as defensive functions. The result is a tendency toward worst-case analysis in the context of extreme uncertainty. The threatened state responds with measures to protect itself, and those measures are in turn perceived as threatening by the other. This can generate an action–reaction cycle and a conflict spiral that leaves all states worse off and that can sometimes escalate to war. This is the core of the security dilemma: actions that states take to increase their security often induce a response by adversaries and actually result in a decrease in their security (Herz, 1959; Jervis, 1978; Glaser, 1997). It is worth noting that although an inadvertent war is inadvertent in the sense that neither side wants war or expects war in the early stage of a crisis, such wars can actually begin with a deliberate step at the end of an inadvertent process (George, 1991).

The security dilemma and conflict spiral are the core of the spiral model of war and peace (Jervis, 1976: chap. 3). These concepts are important in part because they explain how wars can occur even if states prefer peace to war and even if they behave rationally, since conflict spirals can be structurally induced by the system. Conflict spirals can also be exacerbated further by non-rational psychological processes, which we describe in chapter 5 on individual decision-making and war."


Levy/Thompson beschreiben die "Systemebenen-Theorien" in ihrem Buch "Causes of War". Dieses erklärt die Lageanalyse ("spieltheoretisch" den Worst Case unter völliger Unsicherheit) und das Verhaltensmuster.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und die Kritik der fehlenden Analyse setzt sich bei den Akteueren fort, die die Krise dann erheblich eskaliert haben. Auch diese Akteuere müssen sich dem gleichen Maßstab der Kritik stellen bzw. gefallen lassen; es kann nicht sein, das mit unterschiedlichen Maß gemessen wird. Das ist dann eine unfaire Beurteilung.

Zu deinem angeführten Zitat kann ich nichts äußern; die Gründe sind dir bekannt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Du hast es aber gut zusammengefasst. :winke:

Das ist nämlich auch dem Link zu entnehmen, der sich um Erklärung bemüht.
 
Du hast es aber gut zusammengefasst. :winke:

Das ist nämlich auch dem Link zu entnehmen, der sich um Erklärung bemüht.

Ich habe oben ausschließlich meine eigene Meinung wiedergegeben und das diese sich mit den von dir gesetzten Link deckt, das kann nur ein Zufall sein.:winke:
 
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