Wo blieben die Vandalen?

Wie umfangreich war denn der Seehandel noch zu der Zeit der Vandalen und sind deren Operationen ausschließlich als eine Art Küstenraub anzusehen? Haben sie sozusagen das mitgehen lassen, was die anderen übrig gelassen hatten?
 
Mal nebenbei: ist das mit den 1000 Schiffen glaubwürdig oder sollte man das besser als "Absicht" bezeichnen?
...
Das scheint mir eher eine antike Übertreibung zu sein. Eine erste Vorführung dieser Flotte (1000 Schiffe) nach einem Jahr halte ich demnach für ausgeschlossen.
Ich denke, 1000 war eine Propaganda-Zahl, so wie viele Zahlen bei Heeresstärken u. ä. übertrieben sind. 1000 war so etwas wie eine Mengenangabe, die "viel(e)" bedeuten sollte, um es dem normalen Volk deutlich zu machen. Allerdings dürfen wir auch nicht vergessen, dass die Schiffe damals so riesig nicht waren. Es heißt "Schnellsegler" --- also schnell und wendig. Vielleicht hat jemand hier Erfahrung im Bootsbau und weiß, wie lange so etwas dauert?
 
Zu den gotischen Plünderzügen aus dem Schwarzen Meer heraus

…In den Jahren 258-268 nChr. pflegten Goten von Thessalonike aus den Seeraub. Ephesos, Nikaia, Nikomedia wurden überfallen und ausgeraubt….

Wobei ich auch hier unterstelle, mir eigentlich sicher bin, dass die Goten vorhandene Strukturen nutzten.

Von Thessalonike aus konnten keine gotischen Seeräuber starten. Die Goten lebten damals an der Nordküste des Schwarzen Meeres. Thessalonike war eines von sehr vielen Zielen (wie auch etwa Athen) in den großen Unternehmungen des Jahres 268. Die Vorgänge werfen auch ein sehr bezeichnendes Bild darauf, wie die gotischen- und anderen „Landratten“ so plötzlich zu einer „Flotte“ kamen:

Laut Herwig Wolfram begannen die ersten Angriffe mit dem Niedergang des Bosparanischen Reiches, das durch innere Schwäche seine Kontrolle verlor. Die ersten Angreifer auf (römisches) Kleinasien nutzten sogar "Flotte und Mannschaften" der Bosparaner, die sie "wegnahmen". Die Wirkungen provozierten einen kanonischen Hirtenbrief des Bischofs von Neokaisareia-Niksar an seine Gläubigen. Aus ihm sei zu ersehen, dass die Angreifer vor Ort (also innerhalb des Imperiums!) durchaus Leute antrafen, welche die Situation zum eigenem Vorteil ausnutzten und "zu Goten" wurden... will sagen: Plünderten als wären sie Goten:

"Es besteht kein Zweifel, dass Unterschichten mit den Goten paktierten, ihnen Wege zeigten sowie an ihrer Beute partizipierten. oder zu partizipieren versuchten..." Weiter geißelte der Bischof auch Menschen der Oberschicht, welche die Notlage nutzten, ihren Einfluss auszudehnen, oder gar Menschen in Abhängigkeit zu bringen. Einige stellten Privatarmeen auf, welche teils erfolgreich gegen die „Piraten“ waren, aber wohl auch dem Eigennutz dienen konnten. Etwa um Ansprüche durchzusetzen oder zurückeroberte Beute aller Art (auch Menschen!) selbst einzubehalten. Ähnliches geschah wohl auch bei den nächsten Einfällen.

Erfolge der Selbsthilfegruppen und häufige Flucht regulärer Stadtgarnisonen gegen die „Piraten“ beweisen wohl, wie wenig römisches Militär in diesen Gebieten gewesen sein muss. Das ist besonders auffällig, weil quasi gleichzeitig alle Barbarenangriffe an der Donaugrenze schon im Ansatz scheiterten!

257 wird eine gotische Flotte „…auf der Höhe der Terkos-Seen durch Fischerbarken so wesentlich verstärkt, dass das Schiffsmaterial genügt, um die gotischen Krieger von der Phileatine-Bucht zur Nordspitze der kleinasiatischen Landzunge überzusetzen…“
Letzteres Unternehmen hatte seinen Ausgang westlich der Krim. Das Unternehmen im Jahr davor mit der „bosporanischen Flotte“ startete in den kimmerischen Häfen östlich davon. Wolfram geht davon aus, dass die Flotte von 257 ihren Ausgang von den griechischen Küstenstädten der südukrainischen Flussmündungen nahm und von den dort wohnenden Bewohnern unterstützt war.
„…setzt allerdings voraus, dass die Griechenstädte… in gotischem Besitz waren.“

Im Jahre 268 durchbrachen kombinierte Flotten verschiedener Gruppen (etwa Eruler/Heruler und Goten) die Dardanellen und begannen Raubzüge in der Ägäis, wo große Probleme sie erwarteten:
„…war die Anfälligkeit des barbarischen Schiffsmaterials groß. Die Flotte soll aus fünfhundert bis zweitausend Booten bestanden haben...“

Übrigens trafen die „Seeräuber“ diesmal auch auf römische Flotten, mussten den Durchbruch in die Ägäis erkämpfen und erlitten bei anderen Treffen herbe Schlappen gegen deren Kriegsschiffe. Auch die an Land gesetzten Heere gingen überwiegend unter, was beides von einer heftigen Gegenwehr der Römer in ihrem „mare nostrum“ kündet. Beim Gegenschlag kommandierte Kaiser Gallienus auch persönlich Gruppen seiner neuen Schlachtenreiter und sogar Schiffe und Truppen des ägyptischen Präfekten kamen zum Einsatz: Mit herben Folgen auch für die Sieger, denn die Palmyrer bemächtigten sich zwischenzeitlich Ägyptens und Gallienus, sowie ein siegreicher Kommandant – der sich zum Usurpator machte – kamen beide bei zwischenrömischen Machtkämpfen zu Tode. Kaiser Claudius gewann dann im Folgejahr seinen Titel „Gothicus“ bei Gegenschlägen und „Aufräumarbeiten“.

Aber ich finde auch in diesem Abschnitt durchaus Parallelen zu den späteren Vorgängen bei den Vandalen!
 
Flottenbau, Besatzung und auch Schiffstypen? Wieder Theoderich.

Silesia schrieb:
Das scheint mir eher eine antike Übertreibung zu sein. Eine erste Vorführung dieser Flotte (1000 Schiffe) nach einem Jahr halte ich demnach für ausgeschlossen.

In den „Variae“ müssten noch Details zu finden sein, wie sehr die Planung auch das begrenzte „seemännische Potential“ Italiens belastete. (Da war irgendwas mit Rücksichten…). Darauf weist auch mein Zitat von Rubin mit den „Sklaven“ bei der Rekrutierung hin. „Galeerensklaven“ brauchte man kein Handgeld zu zahlen… Und das bei einem Foederatenvolk, das sich selbst als Kriegerkaste sah!
Wichtig ist auch der Kontext des Flottenbaus: Theoderich war wütend über den Kerkertod seiner Schwester Amalafrida bei den Vandalen (Tod um 525). Es wurde von einem geplanten Rachekrieg gegen die untreuen Verbündeten gesprochen, die ihm schon einmal (bei der Übernahme der Herrschaft über die Westgoten) aktiv in die Suppe gespuckt hatten, indem sie einen ihm nicht genehmen, westgotischen Thronanwärter (Gesalech) unterstützt hatten. Echte „Rache“ konnte Theoderich nur nehmen, wenn er mit Truppen den Sprung nach Nordafrika wagen wollte. Eine „Mehrzweckflotte“ bot dafür die allerbesten Chancen, auch eine Invasion zu wagen – wobei dies sicher politische Konsequenzen bedeutet hätte!

Ein Kernpunkt für den (als Vergleich herangezogenen,) ostgotischen Flottenplan von 525 ist dessen Umfang und genaue Art. Beat Meyer-Flügel hat die Stellen in der „Variae“ nach Themen differenziert. Wir lesen hier (S228), dass Fischer eben nicht zur neuen Flotte gezogen werden sollten, um die Versorgung mit Meeresgetier nicht zu gefährden. Wüsste man nicht um Cassiodors blumigen Stil…. Weiter ist bekannt, dass Italien in jener Zeit durchaus Holz exportierte und zwar nicht nur nach Africa! Theoderich beherrschte damals die nördliche Mittelmeerküste zwischen Gibraltar und Salona in Dalmatien! Als faktischer König der Westgoten (an seines Enkels Statt) konnte er auch auf Ressourcen im Westen zurückgreifen, was den Plan 1000 Schiffe im Ganzen auf Kiel legen zu lassen, in ein angemesseneres Licht rücken dürfte. Sicher war Italien die „Kernprovinz“ des Amalers, doch eben bei Weitem nicht Alles!
Unter Var. 5,16,2 findet sich in Latein folgender Text:
„Cum nostrum igitur animum fequens cura pulsaret naves Italiam non habere, ubi tanta lignorum copia suffragatur, ut aliis quoque provinciis expetita transmittat, deo nobis inspirante decrevimus mille interim dromones fabricandos assumere, qui et frumenta publica possint convehere et adversis navibus, si necesse fuerit, obviare.“
In einem weiteren Brief an den praefectus praetrorio Abundantius, spricht Cassiodor von einigen, bereits fertig gestellten Schiffen (was bedeutet, dass niemals alle 1000 Schiffe fertig wurden) und ihrer Fähigkeit zum Truppentransport. (Var. 5,17,2). Dabei vergisst er nicht hervorzuheben, dass man von Außen nur die Zahl der Triremen (Ruder) sehen könne, aber nicht wer sich dahinter verberge.
Die Verwendung des Wortes „dromones“ deutet auf die in jener Zeit aufkommenden, kleinen, oft auch als Schnellsegler verwendeten Schiffe dieses Typs hin. Die Dromonen sollten noch bis weit in das Mittelalter hinein eine Rolle als Kriegsschiff spielen, ihr genaues Aussehen ist aber recht unbekannt. Ein Vorteil gegenüber der alten Trireme sei es gewesen, dass auch ungeübte Ruderer hier gut Verwendung finden konnten. Auch waren sie wohl bessere und stabilere Segler. Wie genau nun die „Schnellsegler“ jener Zeit (Dromone wird auch mit „Läufer“ als Wortbedeutung übersetzt) nun ausgesehen haben, weis ich nicht. Sicher ist, dass eine „Galeere“, gleich welcher Art als Massengutfrachter eigentlich nur in Ausnahmefällen eine Option sein sollte.
http://wissen.spiegel.de/wissen/ima...e035/0546/ROSP200504701290131.PDF&thumb=false

@Vandalen:
Wir sollten auch nicht vergessen, dass auch die Vandalen nicht plötzlich als „Seefahrer“ im Mittelmeer aufgetaucht sind: Als Geiserich von Spanien aus nach Afrika übersetzte, nahm er die mit abstand kürzeste Route zwischen Iulia Traducta (Spanien) und Tingis (=Tanger) im heutigen Marokko. Jemand der die See beherrscht, wäre direkter gefahren, statt erst im Jahre 439 Karthago zu erobern (= 10 Jahre nach dem Aufbruch) und in Etappen das ganze Gebiet dazwischen zu durchziehen und dabei die dort stehenden, römischen Truppen vertreiben zu müssen. Nutznießer (und auch Helfer) bei diesem Krieg waren auch örtliche Berberstämme, denn nach Weiterzug der Vandalen blieb oft ein Machtvakuum zurück. Geiserich hatte bei den lokalen Stämmen einigen Rückhalt!
Auch wenn vandalische Fahrten bereits vor der „Invasion“ nach Afrika gegangen waren, so beweist das keineswegs eine ausgewiesene Seemannschaft. Die von mir grob skizzierte Entwicklung einer „barbarischen“ Bedrohung des Schwarzen Meeres durch Goten, Heruler und Sarmaten weiter Oben, die bis zu massiven Plünderungen uralter griechischer Küstenstädte in der Ägäis eskalierten, weisen m.E. einige Parallelen zu den Vorgängen bei den Vandalen auf. Auch hier stützte man sich auf Kenntnisse und Geräte von einer örtlichen, in maritimen Dingen erfahreneren Bevölkerung. Hier wie dort stehen am Anfang die „Übernahme“ von regionalen „Flotten“ und deren späteren, mehr oder weniger gekonnten Einsatz für eigene Zwecke.

Aus zivilem Blickwinkel gesehen haben sich die Vandalen in Nordafrika ins gemachte Nest gesetzt. Die Gegend war vor allem agrarisch reich, gut erschlossen und wirtschaftlich eine boomende Exportprovinz. Auch wenn die Vandalen "Strandschläge" durchführten (wie ich das einmal nennen will...), so war doch die Wirtschaftlichkeit ihres Reiches direkt mit den zivilen See-Exporten verbunden. Sie hatten also ein Interesse an einer funktionierenden Handelsschifffahrt. Diese wurde umso sicherer, je besser sie selbst die Meere auch militärisch befahren konnten. Die fast schon skandalös gescheiterten west- & oströmischen Flotten-Expeditionen gegen Geiserich haben vermutlich deren Ansehen und Kampfgeist vielleicht noch mehr geschädigt als ihr Material selbst. Die Überlieferung lässt das (kurze Zeit später so glücklich/siegreiche) Heer des Belisar auf der Überfahrt nach Africa sich weigern, gegen vandalische Flotten zu kämpfen, falls sie auf der Anfahrt abgefangen würden! Jedenfalls war bald nach Geiserichs Erfolg in Africa keine Weströmische Flotte mehr übrig. Weder König Odoaker, noch der Ostgote Theoderich haben von Italien aus in den seit Jahrhunderten bekannten, römischen Haupt- Flottenstützpunkten Misenum und Ravenna noch Flotten vorgefunden. In ihrem Krieg konnte Theoderich sogar „Flotten“ aus „griechischen“ Handelsschiffen improvisieren um Truppen zu verlegen, oder die Versorgung des in Ravenna eingeschlossenen Odoaker stören. Hier war einfach nichts mehr! „Vandalen“ und Oströmer wurden nun zu den „Transporteuren“ im Seehandel (wie man Cassiodors Zitat auch lesen muss). Was wundert es da, wenn die Vandalen auch Schiffe unterhielten, mit denen sich dieser Handel auch schützen und kontrollieren ließ? Nicht vergessen sollte man auch ihren „Inselbesitz“, zu dem Besitzungen auf den großen Inseln Korsika, die Balearen, Sardinien und Sizilien gehörten. Letztere überließen sie gegen eine Art „Rente“ dem König Odoaker und später dann den Ostgoten. Sizilien war in der späten Republik neben Africa der hauptsächliche Kornlieferant, gestützt von Lieferungen aus Sardinien. Da ist schon eine deutliche, wirtschaftliche Idee dahinter zu vermuten. Es passt dann nur zu gut ins Bild, wenn die Vandalen durch Überfälle zur See ihren Zugriff auf das Korn noch weiter verfestigen lassen: Also Kornerzeugung, Transport und militärischen Zugriff auf die Verkehrswege in ihrer Hand vereinen.
Karthago selbst wurde von Zeitgenossen nach Rom als zweite Stadt des Westreiches angesehen, manche setzten es mit dem ägyptischen Alexandria gleich. In der Spätantike wurde die Stadt für Manche nur noch von Rom und Konstantinopel übertroffen. Wolfram kann sich sogar für die Vandalenzeit noch eine sechsstellige Bevölkerungszahl dort vorstellen, für das „gesamte römische Afrika schätzt man heute drei Millionen Menschen, die vornehmlich in den rund 500 Städten des Landes lebten. Eine tatsächlich enorme Konzentration von Kapital und Arbeitskraft, die dem Reich Geiserichs schon von Anbeginn eine beachtliche ökonomische Stärke verlieh.“

@Wieder die vandalische Flotte:
Wolfram schreibt neben dem Mosaik von San Apollinare Nuovo (Ravenna), auf dem symbolisierte Handelsschiffe zu sehen sind:
„…geben eine Vorstellung von der vandalischen Flotte, die nicht aus Kriegsschiffen bestand, sondern aus Transportschiffen. Diese Schiffe trugen die maurischen Landungstruppen an die Küsten des Mittelmeeres, die sie unter vandalischem Befehl verheerten. Geiserich soll als willkürliches Ziel solcher Raubfahrten >gegen diejenigen, denen Gott zürnt< genannt haben. (Procopius: De bello Vandalico)“
 
Zuletzt bearbeitet:
...
Auch hier stützte man sich auf Kenntnisse und Geräte von einer örtlichen, in maritimen Dingen erfahreneren Bevölkerung. Hier wie dort stehen am Anfang die „Übernahme“ von regionalen „Flotten“ und deren späteren, mehr oder weniger gekonnten Einsatz für eigene Zwecke.
...
Lt. einem Bischof Idatius (zum 5. Jahr Valentinians) schiffte sich Geiserich nach dem Sieg über den Sueben Hermigar über die schmale Meerenge nach Afrika ein, "wozu die spanischen Seestädte gar gern ihre Schiffe geben mochten".
Womit die Übernahme regionaler Flotten bestätigt sein dürfte. Ob ohne oder mit "Nachdruck" sei dahin gestellt.
 
Wer in Tunesien auf Spurensuche geht, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Vandalen sich kommod in der römischen Zivilisation eingerichtet hatten, ohne selber etwas Bleibendes zu hinterlassen. Beim Spaziergang durch die Ruinenfelder in Henchir-el-Gusset und anderswo überkommt einen leicht die Melancholie der Geschichte...

Wen es interessiert, der in der Weltwoche publizierte Bericht von der Tunesien-Reise ist hier kostenlos zu lesen:

Die Barbaren waren besser als ihr Ruf Dr. Malte Herwig
 
Zurück
Oben