Zeitliche Einordnung eines Portraits

gnlwth

Mitglied
Frohe Weihnachten erstmal!

Schon eine Weile frage ich mich, wen folgendes Portrait eigentlich darstellt:

1207_talleyrand_jeune_tocque-9f967.jpg

Verlinkt von 1894 et 2007 - Château de Chalais (16) - Vente des tableaux, tapisseries et objets d'art de la famille de Talleyrand - Histoire Passion - Saintonge Aunis Angoumois.

Das Bild trägt den Titel "Talleyrand jeune" - der junge Talleyrand. Aber welcher? Es gab ja so viele... Das Bild stammt aus dem versteigerten Inventar des Schlosses in Chalais, das der Familie Talleyrand-Périgord gehörte. Charles-Maurice de Talleyand (u.a. Außenminister unter Napoleon) verbrachte einen (kleinen) Teil seiner Kindheit dort, und zwar etwa von 1758 oder 59 bis 1762, da war er acht Jahre alt. Der Junge auf dem Bild könnte so irgendwie zwischen 8 und 10 Jahren alt sein und die Gesichtszüge kommen auch hin, allerdings halte ich es eigentlich für fast ausgeschlossen, dass man den behinderten Jungen, der vermutlich erst mit vier, fünf Jahren eben dort, in Chalais, mühsam richtig Laufen lernte, in diesem Aufzug dargestellt hätte. Die Einordnung des Bildes, beziehungsweise, andere Kandidaten dafür zu finden, welcher Talleyrand das denn sonst sein könnte, wäre auch sicher leichter, wenn ich einen Anhaltspunkt hätte, von wann etwa das Bild eigentlich ist. Kämen die 50er/60er Jahre des 18. Jahrhunderts denn überhaupt hin?

Viele Grüße,
Gnlwth
 
Ich hätte ohne Deine Vermutung auf 1730er oder 1740er getippt. Leider sieht man ja von der Kleidung nichts. Porträts mit Adeligen in Rüstung hielten sich im Grunde noch sehr lang, sogar bis um 1790, auch wenn sie in der 2. Hälfte des 18.Jh. nach meiner Erfahrung deutlich seltener werden.

Erstaunlich und selten ist die Darstellung eines sehr jungen Mannes, hier ja fast noch eines Kindes, in Rüstung. Wenn ich mich recht entsinne, habe ich auch schon Beispiele gesehen, wo die Rüstung mal nicht eine militäre Laufbahn des Dargestellten unterstreichen sollte, sondern wohl nur auf seine adelige Abkunft abzielte oder einem Spleen des Dargestellten folgte.

Die Datierung kann also primär über die Frisur erfolgen. Auffällig ist auch die riesige schwarze Schleife, welche vielleicht zu einem Haarbeutel im Nacken gehört. Solche Dimensionen hatten die Schleifen der Solitaires eigentlich nur in den 1720ern und 1730ern. (Vgl.: File:DeTroy.jpg - Wikimedia Commons ) In den 1750ern waren die Solitaires nicht mehr so breit, also nicht mehr von so breitem Band, und wurden dann auch zusehends nicht mehr zu einer Schleife gebunden, sondern lose in das Hemd gestopft.
Die Frisur an sich wirkt noch sehr streng und auch eher nach 1730er oder 1740er.
 
Hallo Brissotin,

vielen Dank für Deine wie immer kompetente Einschätzung, die Charles-Maurice (und seine Brüder) doch recht eindeutig ausschließt (das hätte mich auch echt gewundert).

Jetzt kommen natürlich so einige Talleyrands in Frage, vornehmlich wohl die Generation von Charles-Maurice' Vater Charles-Daniel (1734-1788). Der hatte allerhand Brüder: Gabriel-Marie (1726-1795), Louis (1735-?), Alexandre-Angélique (1736-1821), Louis-Marie (1738-1799), Pierre-Joseph (1741-? ) und Antoine-Louis (1742-?).

Die beiden letzteren haben ihre Kindheit nicht überlebt, soweit ich weiß.

Alexandre-Angélique schlug eine klerikale Karriere ein (das war der Onkel, der darauf drang, dass Charles-Maurice ebenfalls Priester werden sollte; bei ihm in Reims wohnte der Junge 1769-1770, weil sich die Familie davon versprach, dass ihm der Aufenthalt im Palais des Onkels (damals Koadjutor des Erzbischofs von Reims und wenig später selbst Erzbischof) eine Karriere in der Kirche schmackhaft machen würde - kleingekriegt haben sie ihn zwar, aber ein Jahr hat es immerhin gedauert). In Rüstung hat man den früh für die Kirche bestimmten Alexandre-Angélique aber vermutlich auch nicht portraitiert.

Intererssant ist übrigens Gabriel-Marie de Talleyrand-Périgord (ein Halbbruder von Charles-Daniel), und warum, das sieht man sofort an folgendem Portrait:

Gabriel_Marie.jpeg



Wer jetzt aber der Junge auf dem Portrait war.... schwer zu sagen. Außerdem hatten die genannten Talleyrand-Brüder ja auch noch Cousins, die unter Umständen ebenfalls in Frage kommen. Und wenn man sogar noch eine Generation zurück gehen muss, wird es nicht leichter. Wird wohl ein Rätsel bleiben, wer der Portraitierte war...


Das Bild von de Troy ist übrigens lustig - was für eine kuschelige Vorleserunde!

Viele Grüße,
Gnlwth
 
Intererssant ist übrigens Gabriel-Marie de Talleyrand-Périgord (ein Halbbruder von Charles-Daniel), und warum, das sieht man sofort an folgendem Portrait:
Ist das eine Generalsuniform? Oder meinst Du, er sei interessant, weil er scheinbar auch eine Gehbehinderung hatte? (Ich denke, das erkennt man an den Schuhen.)

Es könnte auch sein, wie Du richtig vermutest, dass der Gesuchte in einer Generation zuvor zu finden ist. Bei der großen Familienähnlichkeit und der Vielzahl an Sprösslingen ist es wirklich eine Suche wie nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.
Zudem könnte der Dargestellte auf dem Gemälde auch schon gut und gern ein junger Erwachsener von um die 20 sein, der nur jugendliche Züge bewahrt hat oder dem welche hingemalt wurden. Denk mal an Friedrich II. von Preußen, der auch auf Kronprinzenporträts von um 1739 noch eine Menge Babyspeck im Gesicht hat und da war er schon 27(!). Dann könnte der Gemalte zwischen 1710 und 1730 vielleicht geboren worden sein. (Wie gesagt, die Rüstung erschwert ja eher eine Datierung.)
 
Ist das eine Generalsuniform? Oder meinst Du, er sei interessant, weil er scheinbar auch eine Gehbehinderung hatte? (Ich denke, das erkennt man an den Schuhen.)

Ganz genau, es ist diese Kombination: Gabriel-Marie de Talleyrand (Comte du [sic] Périgord) machte tatsächlich - trotz augenscheinlicher Gehbehinderung - Karriere beim Militär und wurde 1780 schließlich Generalleutnant. Wer weiß, was seinem Halbbruder durch den Kopf ging, als der dafür sorgte, dass sein ebenfalls gehbehinderter Sohn keine Karriere beim Militär machte. (Nun war Charles-Maurice de Talleyrand aber auch wirklich überhaupt nicht gut zu Fuß, was beim Halbonkel ganz anders gewesen sein könnte - Lord Byron hatte ja z.B. auch einen Klumpfuß, und wie er damit umging, ist ja bekannt. Die Ausprägungen und Folgen einer solchen Fehlbildung sind doch sehr unterschiedlich). Trotzdem: Manchmal wundert man sich.

Es könnte auch sein, wie Du richtig vermutest, dass der Gesuchte in einer Generation zuvor zu finden ist. Bei der großen Familienähnlichkeit und der Vielzahl an Sprösslingen ist es wirklich eine Suche wie nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.

Ja, die Familienähnlichkeit... hier ein paar Talleyrands, die eben so aussehen wie Talleyrands offensichtlich aussahen:

1207_talleyrand_charles_prince_de_chalais_29-4b992.gif

Charles de Talleyrand

talleyrand_charles-0dbd8.jpg

Charles de Talleyrand

1207_talleyrand_louis_jean_prince_de_chalais_85-09cc3.jpg

Louis-Jean de Talleyrand

1207_talleyrand_jean_prince_de_chalais_52-c0496.gif

Jean de Talleyrand


1207_talleyrand_andre_comte_18-9ed13.gif

André de Talleyrand.


Wer wirklich wissen will, wer die alle waren und in welchem Verwandschaftsverhältnis die zu Charles-Maurice standen, kann das hier nachlesen. Die oben verlinkten Bilder stammen wieder von 1894 et 2007 - Château de Chalais (16) - Vente des tableaux, tapisseries et objets d'art de la famille de Talleyrand - Histoire Passion - Saintonge Aunis Angoumois.

Viele Grüße,
Gnlwth

P.S. Da ich mich nicht wirklich für Genealogie interessiere, habe ich auch eigentlich keine Ahnung von all den Verwandschaftsverhältnissen - interessant finde ich nur immer Portraits von Menschen, und darauf doch irgendwelche Familienähnlichkeiten zu entdecken.
 
Ganz genau, es ist diese Kombination: Gabriel-Marie de Talleyrand (Comte du [sic] Périgord) machte tatsächlich - trotz augenscheinlicher Gehbehinderung - Karriere beim Militär und wurde 1780 schließlich Generalleutnant. Wer weiß, was seinem Halbbruder durch den Kopf ging, als der dafür sorgte, dass sein ebenfalls gehbehinderter Sohn keine Karriere beim Militär machte. (Nun war Charles-Maurice de Talleyrand aber auch wirklich überhaupt nicht gut zu Fuß, was beim Halbonkel ganz anders gewesen sein könnte - ...
Es kommt wohl auch darauf an, was man zu tun hatte. Im Laufgraben stelle ich mir das schon höchst unbequem vor und damit musste man als General rechnen. Doch scheint es ja bei Charles-Maurice de Talleyrand soweit gegangen zu sein, dass es ihm schon Mühe machte mit der Kutsche seinem Kaiser oder Konsul hinterher zu reisen (gut, die Gefährte waren auch alles andere als bequem). Wie war denn Charles-Maurice de Talleyrand als Reiter? Das kann ich mir garnicht so vorstellen. Und ein guter Reiter sollte ein Offizier schon sein.

Zu dem Gemälde selbst ist nicht viel mehr zu sagen als wohl 1. Hälfte 18.Jh., nach 1720, eher vor 1750. Mehr könnten nur Recherchen zum Künstler ergeben. Aber da fürchte ich mal auf einen Allerweltsmaler, auch wenn die malerische Qualität ganz ordentlich zu sein scheint.
 
Es kommt wohl auch darauf an, was man zu tun hatte. Im Laufgraben stelle ich mir das schon höchst unbequem vor und damit musste man als General rechnen. Doch scheint es ja bei Charles-Maurice de Talleyrand soweit gegangen zu sein, dass es ihm schon Mühe machte mit der Kutsche seinem Kaiser oder Konsul hinterher zu reisen (gut, die Gefährte waren auch alles andere als bequem). Wie war denn Charles-Maurice de Talleyrand als Reiter? Das kann ich mir garnicht so vorstellen. Und ein guter Reiter sollte ein Offizier schon sein.

Wie extrem die Fehlbildung an sich bei Charles-Maurice de Talleyrand war, ist schwer zu sagen. Man weiß jedenfalls, dass er große Probleme mit entzündeten Gelenken hatte - durch die jahrelange Fehlbelastung beim Gehen geht da einfach nach und nach alles kaputt, Sprunggelenk (ohnehin deformiert), Knie, Hüften, am Schluss sogar seine Ellebogen- und Schultergelenke, weil er sich jahrelang überall abstützen musste und nur mit Stock gehen konnte. In den letzten Jahren seines Lebens benutzte er einen Rollstuhl (siehe Robin Harris, Talleyrand - Saviour and Betrayer of France). Chronische Schmerzen in den Beinen hatte er bereits als Kind, laut David Lawday - Napoleon's Master - A Life of Prince Talleyrand gibt es Briefe seiner Mutter, in denen sie schreibt, dass sie mit ihm deshalb zur Badekur in Bourbon l'Archambault war (dort verbrachte er auch als Erwachsener jedes Jahr im Sommer einige Zeit, um seine Gelenkentzündungen zu kurieren). Ein weiteres Problem bei unbehandelten Klumpfüßen ist nicht nur, dass das Sprunggelenk deformiert und schnell entzündet ist, sondern auch, dass die Mittelfußknochen oft einfach durchbrechen (weil das Körpergewicht quasi seitlich auf die Knochen wirkt). Ob Talleyrand auch unter solchen Belastungsbrüchen litt, weiß ich nicht, aber es ist nicht unwahrscheinlich. Ebenso dürfte er schon früh Bandscheibenprobleme gehabt haben, ebenfalls durch die Fehlbelastung beim Gehen und den ziemlich sicheren Beckenschiefstand (durch Beinlängendifferenz). Wie auch immer, Arthrose und chronische Gelenkentzündungen reichen wohl, um einem jede Bewegung zu verleiden - kein Wunder, dass er immer als so unwahrscheinlich langsam, träge und reglos beschrieben wird.

Was das Reiten angeht - ja, er konnte anscheinend reiten, wie gut, sei einmal dahingestellt. Napoleon soll ihn (als sich das Verhältnis der beiden zu trüben begann) zu gemeinsamen Ausritten "gezwungen" und ihm dabei viel zu kleine Pferde angedreht haben, was offensichtlich relativ albern aussah (Talleyrand war für damalige Verhältnisse ein sehr großer Mann). Sehr viel später, als er sich mit seinem mittleren Bruder Archambaud wieder besser verstand, sollen die beiden in Valençay gemeinsame Ausritte unternommen haben. (Beides in Jean Orieux, Talleyrand beschrieben.)
Außerdem gibt es ja da noch die Landerkundungstour durch Nordamerika, die Talleyrand zu Pferde unternommen hat, da es dort, wo er hinwollte, keine Infrastruktur gab. Das muss eine ziemliche Tour de force gewesen sein, da man sich da wirklich durch die Wildnis schlagen und im Zelt schlafen musste - sicher nicht so einfach für Talleyrand, der damals ja immerhin schon 40 Jahre alt und körperlich entsprechend lädiert war. In Eberhard Ernst - Talleyrand in Amerika 1794-1796 - Ein Emigrantenschicksal zur Zeit der Französischen Revolution wird beschrieben, dass er sich in Boston zum Zweck des Durch-den-Urwald-Reitens spezielle Steigbügel hat anfertigen lassen (aber nicht, wie die dann aussahen).
Ich habe Dir ja mal geschrieben, dass ich mal einen historischen Roman geschrieben habe, der sich mit Talleyrands Reise durch Nordamerika befasste. Weil ich damals noch nie im Leben auf einem Pferd gesessen hatte, die Beschreibung aber realistisch sein sollte und ich wissen wollte, wie das so ist, zu reiten, habe ich angefangen, Reitunterricht zu nehmen. Das mache ich heute noch, weil es mir wirklich riesigen Spaß macht - aber ich finde es so unendlich schwer, ich bin so grottenschlecht und unfähig - und ich bin nicht behindert. Wie man ordentlich mit den Beinen und Gewichtsverlagerung ein Pferd lenken soll, wenn man in den Beinen keine Kraft hat und sowieso alles weh tut, will ich mir gar nicht vorstellen. Vermutlich war Talleyand ein sehr schlechter Reiter, aber dass er es offensichtlich überhaupt konnte, ist echt eine Leistung, die ich um so höher schätze, seit ich mich selber abmühe, irgendwelchen Pferden klar zu machen, dass ich jetzt echt im Galopp einen Zirkel reiten will. Klappt nicht immer, und ich nehme jetzt seit über sechs Jahren Unterricht...

Langer Rede kurzer Sinn: Ich glaube, Charles-Maurice wäre wohl wirklich keine Sportskanone gewesen, und ob seine Reitkünste über auf dem Pferd sitzen und im Schritt durch den Wald zockeln hinausgingen, weiß ich nicht. Aber immerhin hat er sich drauf gesetzt, was schonmal eine Leistung ist.


Viele Grüße,
Gnlwth
 
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