Zur Geschichte des Ehrgefühls in Deutschland und Österreich 1828-1926

Warmonger

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Sehr geehrte HistorikerInnen und PhilosophInnen,
derzeit treibt mich das oben genannte Thema aufgrund der folgenden Arbeit um, die ich demnächst zu verfassen habe: "Schnitzlers 'Traumnovelle' (1926) und Grillparzers 'Kloster bei Sendomir' (1828): ein Beitrag zum Ehrgefühl zur Zeit der literarischen Veröffentlichungen".
An einem besseren Titel wird seit längerem gearbeitet, aber darum soll es hier auch nicht gehen. Es geht darum, vom Ausgangspunkt dieser Werke sowie Sekundärliteratur das Verständnis von "Ehre" und "Ehrgefühl" zur gegebenen Zeit zu entwickeln. Zahlreiche Sekundärliteratur habe ich schon eingeholt, ausserdem bin ich auf Nietzsches Aphorismus "Liebe und Ehre" gestossen, mit dem ich sehr gut arbeiten kann.

Nun kommt die Frage: welche weiteren philosophischen, moralischen, vielleicht sogar juristischen oder theologischen Schriften, die zu dieser Zeit in Deutschland und Österreich "allgemeine Gültigkeit" hatten, sind euch bekannt?

(Ausserdem: falls jemand ganz zufällig einen Nachweis dafür kennen sollte, dass Schnitzler den genannten Nietzsche-Aphorismus [aus: Menschliches, Allzumenschliches I] rezipiert hat, wäre ich dankbar für diese Mitteilung, auch wenn ich natürlich weiß, dass ich dafür nicht im richtigen Forum bin)

Mit besten Grüßen,
Warmonger
 
vielleicht wäre das Kapitel "die große Gereiztheit" aus dem Roman "Der Zauberberg" von Thomas Mann am Rande reizvoll: ein kurioser Ehrenhandel wird dort satirisch-ironisch betrachtet und im Kontext hierzu auch manche Bemerkung zum Ehrbegriff gemacht (freilich eine Rückschau von 1924 auf die Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg)

des weiteren kurios ist die Ehre in der romantischen Oper, z.B. Graf Telramunds Arie "mein´ Ehr ist hin" aus Richard Wagners romantischer Oper Lohengrin (1848)
 
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Nun kommt die Frage: welche weiteren philosophischen, moralischen, vielleicht sogar juristischen oder theologischen Schriften, die zu dieser Zeit in Deutschland und Österreich "allgemeine Gültigkeit" hatten, sind euch bekannt?

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@Warmonger

Ich bin kein Literaturhistoriker, also kannst Du da auch keine Tipps erwarten. Aber zum Ehrbegriff in Deinem Uz, vllt. nachstehende juristische Hinweise:

Festungshaft, als nichtentehrende Strafe sowohl im DR als auch in Österreich:

Festungshaft ? Wikipedia

Vergl. hier, insbesondere § 20

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich (1871) ? Wikisource

Es wurde also ausdrücklich im Strafrecht zwischen entehrender und nicht entehrender Strafe unterschieden.

Natürlich das Duell. Dazu ist die Literatur Legion.

Dann vllt. noch, die aus dem militärischen Ehrenkodex erwachsenden und im Laufe des 19. Jh. durch die allgemeine Wehrpflicht und den Reservedienst (insbesondere Reserveoffizierskorps) auch in das zivile Leben eindringenden militärischen Ehrbegriffe.

Darüber hinaus die aus studentischen Verbindungen erwachsenden Ehrbegriffe und die Verwurzelung und Tradierung hinein in das bürgerliche Leben. (Stichworte: Burschenschaften, Studentenverbindungen, Satifikationsfähigkeit).

Die Übernahme von adeligen Lebensstilen und einem aus dem Adel erwachsenden Ehrenkodex im 19. Jh. durch das mittlere Bürgertum und das Großbürgertum (z.: eine gewisse Verbürgerlichung des Militärs, jenseits hochadeliger Garderegimenter).

M.
 
Was war das Ehrgefühl ? Welche gesellschaftliche Funktion hatte es ? Warum brauchen wir es heute nich mehr ?

Zumindest war es ein höchst interessantes Phänomen, eine von innen kommende Motivation zu gesellschaftlich konformem Handeln, wie Gewissen oder Glaube, gleichwohl bezogen auf die Gesellschaft und den eigenen Platz darin, wie Guter Ruf oder Vertrauenswürdigkeit.

Wer die Ehre verlor, hatte seinen Platz in der Gesellschaft verloren, seine Tariffähigkeit, das Vertrauen der anderen auf ein gesellschaftkonformes Funktionieren. Das Ehrgefühl ist ist die permanente Selbstkontrolle, ob dieses kostbare Gut noch intakt ist. Immerhin konnte man(n) die Ehre manchmal mit brachialen Mitteln zurückerobern, und zwar auf Kosten dessen, der sie in Frage stellte.

Meinem Verständnis hat ein Ehrgefühl inbesondere innnerhalb der Führungselite von Gesellschaften einen Sinn, in der eine intensive Kooperation und ein starkes Vertrauen darin vonnöten ist, dass der Einzelne die ihm obliegende Rolle fehlerfrei spielt. Ein Spielverderber muss sofort und nachhaltig aus der Gruppe ausgeschlossen werden. Die Regeln des Spiels aber waren keine Gesetze, und auch die Exekutive kam nicht von oben, sondern sie waren in den den Individuen selbst stark emotional verankert - bezogen auf sich selbst uns auf die anderen - und auch die Strafe, Ausschluss aus der Gemeinschaft wegen Ehrverlusts, wurde an der Basis geregelt.
 
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