Muspilli

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Angesichts des postmodernen Rekurs auf Spinozas Philosophie in der Emotionswissenschaft (Affective Science)* bin ich bei Gelegenheit auf folgende Monographie gestoßen:


Catherine Newmark, Passion - Affekt - Gefühl. Philosophische Theorien der Emotionen zwischen Aristoteles und Kant. (Hamburg: Meiner, 2008) gestoßen, wo es in der Einleitung heißt, daß der Audruck Emotion von Decartes "zwar bereits im Zusammenhang mit der Passionslehre eingesetzt [wird], bezeichnet dort aber noch ganz allgemein 'Bewegung' ('motio')." (S.11)

Ich hatte beim ersten Lesen dieser Feststellung daraus geschlossen, daß Descartes den Begriff "Emotion" erst eingeführt habe. Bei genauer Prüfung steht das freilich aber nicht in dem Zitat. Nun habe ich zwar auch einen Überblick über die „Philosopie der Emotionen“von R. C. Solomon (1993)**, aber darin wird meiner Annahme gemäß der Begriff in anachronistischerweise verwendet; gleiches gilt für W. Lyons' „Phiolosophy of Cognition an Emotion“ (1999).***
Catherine Newmark erwähnt wenigstens auch explizit, daß sie den Begriff der Emotion für den von ihr untersuchten Zeitraum als „theorieunabhängiges Kunstwort“ zu verwenden vermag, aber ist insofern gründlich, als daß sie im Anhang etwa eine Liste hat in der man die von den Philosophen jeweils verwendeten Begriffe noch einmal synoptisch darstellt, wenn sie auch möglicherweise sehr synonym mit bestimmten Begriffen umgeht (z. B. pathos = passio) – immerhin tut sie es explizit und ob es redlich ist, wäre meine Aufgabe zu prüfen. Nichts desto weniger ist es meiner Ansicht nach aber nicht zulässig, auf terminologische Veränderungen überhaupt nicht einzugehen, vor allem dann nicht, wenn ein Philosophiehistoriker mit Blick auf Emotionstheorien behauptet: „the theories and debates of today cannot be understood or appreciated without some understanding of the philosphy's rich and convoluted past.“ (Solomon, 1993, pg.3)
Wie dem auch, worum es mir zunächst geht: Hat nun Descartes den Begriff „Emotion“ eingeführt?
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*Antonio Damasio (2003), Looking for Spinoza. dt. Übers.: Der Spinoza-Effekt. München: List, 2003; Y. Yovel (Ed.), Desire and Affect. Spinoza as Psychologist. New York: Little Room, 2000
** in: Lewis & Haviland (Eds.), Handbook of Emotions
*** in: Dagleish & Power (Eds.), Handbook of Cognition and Emotion
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Mein etymologisches Wörterbuch fürs Deutsche (ich habe keins für Französisch) gibt das Wort bezeichnenderweise als Entlehnung aus dem Französischen (émotion) um 1700 an, ferner: mittelfranzösisch esmotion sei „nach dem Vorbild von frz. motion [...] gebildet zu frz. émouvoir, afrz. esmovoir 'in Bewegung setzen, erregen', aus lat. exmov[FONT=Times New Roman, serif]ē[/FONT]re

„In den Principia behandelt Descartes nicht nur die direkten emotionalen Reflexe, z.B. Angst, sondern auch die spontanen Gefühlsregungen, z.B. Liebe oder Hass. 1649 erschien der Traktat Les passions de l'âme („Die Leidenschaften der Seele“, 1649), den Descartes für seine Briefpartnerin, die pfälzische Prinzessin Elisabeth verfasst hatte.“(http://de.wikipedia.org/wiki/Ren%C3%A9_Descartes)​

Gewiß muß ich da selbst ins gründliche Studium gehen, obwohl es auch nur eine Nebenfrage in meiner Beschäftigung mit zeitgenössischen (!) Emotionstheorien ist... :rotwerd:.

In der Hoffnung, daß aber vielleicht jemand in einem seiner Bücher z. B. über Descartes, die Aufklärung oder so Informationen dazu hat ...; oder vielleicht gibt es jemanden, der gar ein Dictionaire Étymologique du Fran[FONT=Times New Roman, serif]ç[/FONT]ais daheim im Bücherregal stehen hat; oder ebenso zufällig den Briefwechsel mit der Prinzessin Elisabeth Stuart von Böhmen und von der Pfalz (insonders der Jahre 1643-1646), den cartesianischen Passionstraktat von 1649 (Les Passions de l'âme) oder eben die Meditationes de prima philosophia; also falls das der Fall und auch noch die Zeit da wäre, einen Blick reinzuwerfen ...
 
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Wie dem auch, worum es mir zunächst geht: Hat nun Descartes den Begriff „Emotion“ eingeführt?
Ein schönes Thema, bei dem leider meine Kenntnisse nicht ausreichen. Gleichwohl folgende Hinweise:

den cartesianischen Passionstraktat von 1649 (Les Passions de l'âme)
kannste hier herunterladen:
Oeuvres de Descartes
Irgendwo im 1. Kapitel kommt D. übrigens auf die alte Lesart zurück, wonach die Zirbeldrüse (!) der Sitz der Seele ist...

ein Dictionaire Étymologique du Français daheim
Ja (vom alten Gamillschegg 1928): émotion "Erregung", 16. Jh., in Anlehnung an motion abgeleitet von émouvoir
Diese Datierung geht vor Descartes zurück. Ich wollte das überprüfen in
Émotion - Wikipédia
aber die gibt rein gar nichts her.

Sonst kann ich nur Sekundarliteratur anbieten.
 
Interessant, dass der Neurologe Antonio R. Damasio, zwei der oben zitierten Herren zu Buchtiteln verarbeitet hat, nämlich "Decartes' Irrtum" und "Der Spinoza-Effekt" ("Looking for Spinoza").

Beim Lesen gewann ich den Eindruck, dass wir uns ein falsches Bild vom Menschen, seinem Verstand und seinen Gefühlen machen.

Wir meinen, der Mensch funktioniere über seinen Verstand. Darunter gibt es noch eine geheimnisvolle Nische, "das Un(ter)bewusste". Die Gefühle funken irgendwie von der Seite dazwischen, meist störend, sie können aber von intelligenten und gereiften Personen unter Kontrolle gehalten werden.

Und wie ist es wirklich ? Nehmen wir an, wir (oder ein Vorfahr) begegnen einem Wolf.
Als erstes stellen sich verschiedene Körperzustände ein : Die Muskelspannung erhöht sich, der Atem geht schneller (um maximal Energie zur Verfügung zu stellen), Blutgerinnungshormone werden ausgeschüttet (um die Chance zu erhöhen, starke Blutungen zu überleben),...
Dann erreicht die Information das Gehirn, genauer gesagt, die stammesgeschichtlich ältesten Teile im Hirnstamm. Dort wird das Muster der Körperzustände interpretiert, im vorliegenden Fall als Angst. Die Emotion entsteht also nicht im Gehirn, sondern sie ist nur (?) das Ergebnis einer eine Interpretation !
Hier werden bereits Gegenreaktionen, z. B. Flucht, ausgelöst.
Dann erst (wenn überhaupt) erreicht diese Information unser vielgepriesenes Primatenhirn, in dem rational entschieden werden kann, dass der Wolf ja nur spielen will.

Wohlgemerkt : Erst kommt der Körper, dann die Interpretation im Stammhirn, dann die Ratio.

Man könnte auch sagen, dass die Rationalisierung des eigenen Verhaltens immer erst nachträglich erfolgt. Wenn man bei einem Probanden durch einen elektrischen Impuls eine Handbewegung auslöst und ihn dann befragt, warum er die Hand bewegt hat, wird er voll ehrlicher Überzeugung antworten "weil ich mich am Kopf kratzen wollte. Es hat mich nämlich gejuckt."

Wir sollten uns klarmachen, dass die vielen Tausend Hormonausschüttungen, mit denen die Zellen miteinander kommunizieren - meist zum Zwecke der Regulierung von Körperfunktionen - ständig ablaufende biochemische Reaktionen sind, aus demselben Substrat bestehen wie Fühlen und Denken. Nur ein winziger Teil davon wird im Cortex verarbeitet und von uns als "bewußtes Denken" wahrgenommen.

Die "Philosophie der Emotionen" ist in meinen Augen die Kulturgeschichte einer Lebenslüge.
 
@ jschmidt: ganz herzlichen dank erst einmal! Online-Lektüre ist leider nicht so mein Ding - zudem z. Zt. ohne funktionale Sehhilfe...; nein, im Ernst, dein Hinweis ist auf jeden Fall weiterführend; ich frage mich jetzt, wie es zur spezifischen oder z. T. auch nach wie vor noch unspezifischen Verwendung in der Psychologie gekommen ist. Ich muß wohl auch mal in einem philosphiegeschichtlichen Lexikon der Begriffe nachschauen bzw. hoffe, daß ich in der Bibliothek auch einen solchen Lexikonartikel dazu finden werde.

Interessant, dass der Neurologe Antonio R. Damasio, zwei der oben zitierten Herren zu Buchtiteln verarbeitet hat, nämlich "Decartes' Irrtum" und "Der Spinoza-Effekt" ("Looking for Spinoza").

Beim Lesen gewann ich den Eindruck, dass wir uns ein falsches Bild vom Menschen, seinem Verstand und seinen Gefühlen machen.

Wir meinen, der Mensch funktioniere über seinen Verstand. Darunter gibt es noch eine geheimnisvolle Nische, "das Un(ter)bewusste". Die Gefühle funken irgendwie von der Seite dazwischen, meist störend, sie können aber von intelligenten und gereiften Personen unter Kontrolle gehalten werden.

Und wie ist es wirklich ? [...] Erst kommt der Körper, dann die Interpretation im Stammhirn, dann die Ratio.

Man könnte auch sagen, dass die Rationalisierung des eigenen Verhaltens immer erst nachträglich erfolgt. [...] Wir sollten uns klarmachen, dass die [...] - meist zum Zwecke der Regulierung von Körperfunktionen - ständig ablaufende biochemische Reaktionen [...], aus demselben Substrat bestehen wie Fühlen und Denken. Nur ein winziger Teil davon wird im Cortex verarbeitet und von uns als "bewußtes Denken" wahrgenommen.

Die "Philosophie der Emotionen" ist in meinen Augen die Kulturgeschichte einer Lebenslüge.

Es gibt eine gute Diskussion von Damasios Büchern von dem Philosophen Wolfgang Lenzen: http://www.philosophie.uni-osnabrueck.de/Publikationen%20Lenzen/Damasios%20Theorie%20der%20Emotionen.pdf
Ausgehend von der harschen Kritik seitens Colin Mc Ginn in der New York Times zeigt Lenzen die Schwäche von Damasios Emotionstheorie auf, wobei wiederum eine erste Schwäche der kritischen Würdigung in der sehr fehlerhaften Rezeption der von Damasio leider häufig auch nicht klar dargestellten Neurobiologie der Emotionen liegt; die zweite Schwäche liegt darin begründet, daß Lenzen das Konzept von Damasios sog. "Hintergrundemotionen" nicht verstanden hat, was allerdings auch nicht allzusehr verwundert, weil es um ein sehr mager elaboriertes Konzept handelt. Mag Lenzens Diskussion also fehlerhaft sein, legt sie nicht desto weniger den kritischen Nerv von Damasios neurowissenschaftlicher Philosophie des Geistes frei und in dieser Hinsicht ist die ausführliche Analyse von Wolfgang Lenzen, der anscheinend in Logik und Erkenntnistheorie ganz gut auszukennen scheint, sehr lesenswert.

Damasio vertritt nun bekanntlich eine Variation der Emotionstheorie von William James, indem er dessen Postulat von unabdingbaren Körperreaktion für das Erleben von Emotionen aufgreift und eine wissenschaftlich überprüfbare Theorie der somatischen Marker formuliert hat, die
besagt, daß jede Entscheidung sozusagen einen automatisierten Rückgriff auf emotionale Erfahrungen erfordere.
Diese Theorie wird in dem Zitat rezipiert: Körper -> Interpretation -> Ratio

Mir erschließt sich daraus allerdings noch nicht das Fazit, daß die Emotionsphilosophie deshalb als die Kulturgeschichte einer Lebenslüge angesehen werden kann. Ich glaube gerne, daß Damasio mit seiner Kritik an der wohl einflußreichen Geistesphilosophie Descartes' richtig liegt, allerdings ist höchst bedauerlich, daß er diese Kritik nicht konkret an dessen Passionslehre (die gemäß meines flüchtigen Eindrucks gemäß die Wiedersprüche deutlich offenlegen würde) verdeutlicht. Ich glaube auch gerne, daß die Geistes- und Emotionsphilosophie eines Spinozas sich möglicherweise besser eignet, um im Einklang mit heutigen Emotionstheorien zu stehen. Wenn es sich tatsächlich als korrekt erweist, daß die Humanwissenschaften der Neuzeit eher einer cartesianischen Anthropologie als einer spinozischen anhingen, wäre dein Fazit gewissermaßen nicht ohne Berechtigung, aber für die Zeit davor wäre mir das doch etwas sehr pauschal formuliert und vor allem auch eingehender zu prüfen.
 
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Zur Einführung von Descartes Passionslehre

Ein wenig weiter bin ich jetzt mit der Frage, ob man Descartes die Einführung des Emotionsbegriff zuschreiben kann; mitnichten möchte ich an dieser Stelle einmal eine umfasende Darstellung von Descartes "Emotions"-theorie versuchen, da ich nur ich zunächst nur auf die in Einleitungsbeitrag angeführte Monographie von C. Newmark (2008) zurück greife.
Nach Catherine Newmark steht die moralphilosophische Passionsliteratur in augustinischer und vor allem thomistischer Tradition. Descartes selbst erwähnt selbst lediglich explizit an Literatur De anima et vita von Juan Luis Vives (1538), dem er sich wohl bezüglich der Einteilung der Hauptpassionen und Unterarten anschließt. Beeinflußt vom Neostoizismus, setzte sich Descartes in seinem Passionstrakt ("Les passions del'âme, 1649) allgemein von der Passionslehre der Ecole, d. h. von der scholastischen Philosophie, und insbesondere ihrer Psychologie ab:
Die wissenschaftliche Behandlung des Themas bezeichnet er als defectueuses und denkt dabei freilich an "seine neue naturwissenschaftliche Methode" (Newmark, 2008, S.84), mithilfe derer er die menschliche Seele auf "Geist, Verstand und Vernunft" (Newmark, S.96) eingeschränkt hatte. Von dieser "Denkseele" (Newmark) - der res cogitans unterscheidet Descartes' Substanzdualismus bekanntlich die res extensa. Die Gründe für diese strenge Trennung sollen hier gerade einmal nicht interessieren, sondern nur die Implikationen für eine Emotionstheorie, die dabei ausgesprochenermaßen zum Problem wird: das sog. Leib-Seele-Problem der Philosophie und Psychologie. Obzwar Descartes in früheren Werken betont, "dass die Seele eines Menschen ihrem Wesen nach vollständig körperungebunden sei, gesteht er zu, dass es einen spezifischen Körper gebe, der enger an die Seele gebunden sei als irgendein anderer" (Newmark, S.101), mehr noch: Phänomene wie Sinneswahrnehmung, Hunger, Durst und Schmerz sowie die menschliche Einbildungskraft legen nahe, daß die menschliche Seele mit einem solchen spezifischen Körper "gleichsam vermischt sei und eine Einheit bilde." (ebd.) Descartes spricht diesbezüglich auch von modi cogitandi, die offensichtlich rezeptiv auf die Körperwelt bezogen sind.
Interessanterweise wurde Descartes in dem Briefwechsel mit Elisabeth Stuart anscheinend auf die Frage gestoßen, wie denn die Natura mea - der Begriff für die leib-seelische Einheit - genauer zu denken sei und versuchte diese zunächst mithilfe seines Begriffes der "notion primitive" oder "simple" zu klären: "pour l'ame & et le corps ensemble, nous n'avons que celle [notion primitive] de leur union, de la quelle depend celle de la force qu'a l'ame de mouvoir le corps, & le corps d'agir sur l'ame, en causant ses sentimens & et ses passions." (Ende Mai 1643) Gegenüber Elisabeth konzediert Descartes ferner eine Kausalität, die nicht mechanistisch (naturwissenschaftlich im Sinne Descartes) zu denken sei, läßt aber im Unklaren, wie sie denn alternativ zu denken sei. Oder anders formuliert: die von ihr angesprochene Frage, "comment l'ame de l'homme peut determiner les esprits du corps, pour faire l'actions volontaires, (n'estant qu'une substance pensante)" (Anfang/Mitte Mai 1643), ließ Descartes zunächst unbeantwortet; Elisabeth entschuldigt sich sogar noch für ihr Unverständnis in einem nächsten Brief. Daß es sich freilich nicht um "stupidité" seitens Elisabeths, sondern um einen empfindlichen Nerv der cartesianischen Konzeption von Naturwissenschaft und Philosophie handelt - die Ausgrenzung der Anthropologie aus den Wissenschaften, wird deutlich am Abbruch des Themas seitens Descartes, nachdem Elisabeth noch schrieb, sie teile durchaus die Sinneserfahrung, daß die Seele den Körper bewege, aber nicht darüber unterrichte, wie sie es tue! Stattdessen wurde Descartes wohl ein Kommentator der Krankheiten Elisabeths, was wohl seinen medizinischen Interessen entsprach, die "sogar als wesentlicher Grund für Descartes' mechanistische Natur- und Körperkonzeption gesehen werden [können]" (Newmark, S.107) Über dieses Interesse kommt Descartes im Briefwechsel mit Elisabeth jedenfalls knapp zwei Jahre nach dem obigen Abbruch der Leib-Seele-Problemdiskussion auf die Passionen zu sprechen, wobei er am Beispiel "die Idee einer psychosomatischen Krankheitsverursachung" thematisiert (am Beispiel eines langen Fiebers, das Descartes auf Traurigkeit zurückführt). Genaugenommen empfielt Descartes als Therapie gewissermaßen die Verdrängung (vgl. Newmark, S.110). Allerdings gab er diesen psychosomatischen Heilungsoptimus dieser Zeit bald auf - so interpretiert Newmark etwa eine Bemerkung Descartes an Chanut (aus einem Brief vom Juni 1646) dem Sinne nach, "dass die Physik ihm nützlicher für die Moral als für die Medizin gewesen sei" (S.111) - und entwarf in Anschluß an ethische Diskussionen mit Elisabeth zügig seine Passionstheorie. So unterschied er schon im Oktober 1645 etwa Passionen im engeren Sinne (z. B. passion de la tristess) von anderen psychophysischen Phänomenen (z. B. sentiment de la douleur), mußte sich aber anscheinend noch mit gewissen "substantiellen Problemen" beschäftigen, um (wie Elisabeth forderte) alle Passionen im Einzelnen zu behandeln. Interessanterweise kommt es nur noch zur Diskussion einzelner Probleme - Newmark erwähnt lediglich das "bezüglich der physischen Effekte der admiration" (S.122). Hingegen wendet sich seine Beschäftigung jetzt in der Passionsfrage an die Königin Christine von Schweden. Einer dieser Bewerbungsbriefe wird als "Dissertation sur l'amour" bezeichnet; ferner entwirft Descartes eine erste Liste von Passionen im engeren Sinne (neben der tristesse sind joye, amour und haine aufgenommen), die im publizierten Passionstraktat als passions principales (oder primitives) besprochen werden, wobei die Liste erweitert wird (um admiration und désir).
Nicht nur mit der Neurophysiologie des Passionstraktates müßte ich mich noch eingehender beschäftigen, auch mit der Kategorisierung der einzelnen Emotionen. Daher nur ein kleiner von mir erarbeiteter Abriß zur Physiologie, soweit ich nach der Lektüre Newmarks verstehe:
Descartes stellt sich den Körper wie einen Automaten vor, wobei das Herz als Zentrum des Blukreislaufes eine wichtige Rolle als "une espece de feu" (eine Art Feuer), das das Blut erwärme und verdünne, womit anscheinend Herzschlag und Puls erklärt werden sollen. Die feinsten Teile ("les plus vives & plus subtile parties du sang") gelangen ins Gehirn – im Anschluß an die neoplatonische Tradition und galensche Medizin spricht er auch diesbezüglich von „Animalgeistern“ (esprits animaux) als sehr kleine Körper definiert. Daneben soll Descartes eine Nervensubstanz kennen, die „sich im Übrigen in deselben Röhren“ (Newmark) bewege. Newmark meint, daß sich Descartes' Nervensystem eher für die Sinneswahrnehmung zuständig sei, „ein körperweites Netz, das Sinneseindrücke nach Descartes' berühmten Schnurprinzip dem Gehirn mitteilt“ (S.126), während die Esprit animaux „vornehmlich als Übermittler von Befehlen und Gehirn an den Restkörper fungieren.“ (ebd.) Muskelkontraktion stellt sich Descartes dabei wohl als Anhäufung von Espritteilchen vor, Entspannung hingegen als eine Verringerung, und das nicht nur willkürlich. Interessant ist, daß er implizit als Lösung für Elisabeths ursprüngliche Frage (s. oben) nach der „Übermittlung vom physischen Gehirn zur immateriellen Seele“ (Newmark, 127), nun die Annahme der „sehr kleinen Drüse“ (petit glande) lanciert, die Zirbeldrüse als Sitz der menschlichen Seele.
Wie verbindet Descartes nun die Differenzierungen der Seelenfunktionen des Denkens, denn all das, „was in der Seele ist, sind Gedanken (pensées)“ (Newmark, S.128), mit seinen physiologischen Annahmen? Er unterscheidet zunächst nach den zentralen Kategorien activ-passiv: „Die 'Aktionen' der Seele sind ihre freien Gedanken und Willensäußerungen, ihre 'Passionen' im weiteren Sinne alle ihre Perzeptionen.“ (ebd) Seelenaktion bezieht Willenhandlungen (auch den Willen, Gott zu lieben) mit ein; inerhalb der Passionen im weiteren Sinne/Perzeptionen wird unterschieden zwischen vom Körper ausgelösten und von der Seele erzeugten, wobei letztere wiederum edler (plus noble) seien, da sie die Aktion der Seele voraussetzen (Beispiele sind Vorstellungen von Chimären und Gedanke von etwas Intelligiblen). Bezüglich der körperverursachenden Perzeptionen unterscheidet Descartes zwischen nervengeleiteten Gedanken, die Descartes mit dem Schnurprinzip erklären möchte, und Gedanken, die nur von sog. Esprit animaux hervorgerufen werden (beispielsweise Träume). Das folgende Resümee von Descartes' Konzeptualisierung der Passionen aus physiologischer Sicht erscheint mir sehr bedeutsam: „Die Passionen haben für Descartes ihre erste Ursache in etwas Körperlichem, meist [...] einer Sinneswahrnehmung, ihre letzte und nächste Ursache aber in einer besonders starken Aktivität der esprits animaux. Die Passion ist also für Descartes hauptsächlich eine physiologische Mischung aus nervenübermittelter 'Wahrnehmung' und besonders heftiger, unkontrollierter Tätigkeit der esprits animaux.“ (Newmark, S.130) Eine Textstelle im Passionstraktat enthält dann auch tatsächlich den Begriff der Emotion:
„Apres avoir consideré en quoy les passions de l'ame different de toutes ses autres pensées, il me semble qu'on peut generalement les definier, De perceptions, ou des sentimens, ou des émotions de l'ame, qu'on raporte particulièrement à elle, & qui sont causées, entretenu[FONT=Times New Roman, serif]ë[/FONT]s & fortifiées par quelque mouvement des esprits.“ (zit. nach Newmark, S.130) Descartes erläutert wohl im folgenden, wie Newmark angibt, daß sich der Begriff „sentimens“ auf die Nähe zu oder Ähnlichkeit mit Wahrnehmungen beziehe, der Begriff „émotion“ hingegen auf die „besonders starke Bewegung und Erschütterung, welche den passions de l'âme in bevorzugtem Maße eigen ist.“ (ebd.)
Gegenenfalls werde ich auf einzelne Probleme von Descartes Konzeption in Zukunft noch näher eingehen, etwa auf sein Paradigma der Angst (peur) zur Veranschaulichung seiner Zirbeldrüsentheorie, wobei interessant ist, daß dieser Affekt in seiner Einteilung als Unterart des Begehrens (désir) erscheint, dem er wiederum und gegen seine Intention gewissermaßen ein eher abgelehntes (da tradititionelles) appetitives Modell zugrunde legt. Auch Descartes moralphilosophischen Explikationen, auf die ich wenig eingegangen bin, müssen genauer untersucht werden. Ferner denke ich auch an einen kleinen Vergleich von Descartes Passionslehre aus neurophysiologischer Sicht mit Damasios neurowissenschaftlicher Emotionslehre, um einem Verdacht einer größeren Nähe als Antonio Damasio lieb sein dürfte, nachzugehen.






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Was für ein wundervolles Thema und welch grandiose Ausführungen. Dankeschön dafür! Mir war die Emotionsphilosophie von Descartes bisher kaum vertraut und daher habe ich sehr viel gelernt. Ein Aspekt, den Du kurz genannt hast, scheint mir insbesondere in der nicht übersehbaren Beeinflussung besondere Betrachtung zu verdienen.

Es wäre nicht die erste Anregung, die sich Descartes bei Augustinus geholt hat. Recht populär ist hier die Gegenüberstellung des Augustinischen mit dem Cartesischen "Cogito". Ich habe mich hier vor einiger Zeit mal in einen Aufsatz eingearbeitet, den ich Dir jetzt leider nicht nennen kann. Er befindet sich in diesem Band: Augustinus: De civitate dei, Christoph Horn (Hrsg.) ISBN 978-3-05-002871-2 der Reihe "Klassiker auslegen" von Höffe. http://www.oldenbourg-wissenschaftsverlag.de/fm/1005/Uebersicht_KA.pdf Der Aufsatz ist am Titel eindeutig zu identifizieren, wenn Du den Sammelband in Händen hältst. :) Leider hab ich das Buch wohl scheinbar verliehen oder es ist temporär im Orkus meiner Regale verschwunden. Wie auch immer: Im Moment kann ich Dir nicht mehr Infos geben, die Abhandlung habe ich aber als sehr gewinnbringend empfunden, denn sie arbeitet die Unterschiede und Überschneidungen gut heraus.

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Nun aber zu den Emotionen, bevor ich weiter abschweife. Es gibt eine nigelnagelneue Arbeit über die Emotionen bei Augustinus. Ich bin darauf auf Zufall gestoßen bzw. durch einen Glücksfall. Mein Lebensgefährte durchforstet immer die Rezensionen in der FAZ und es hat sich ihm ein Sammelband zu den "Passiones animae" aufgedrängt, den ich dann geschenkt bekommen habe. (Oje, ich schweife schon wieder ab...) Wie auch immer, hier der Titel: Schäfer, Christian, Thurner, Martin (Hgg.): Passiones animae. Die "Leidenschaften der Seele" in der mittelalterlichen Theologie und Philosophie, Berlin 2009.

Der mit Abstand gelungenste Aufsatz darin behandelt die Emotionen bei Augustinus. Vorbildlich wird mit einer Begriffsklärung begonnen und der Autor, Johannes Brachtendorf, weist darauf hin, dass Augustinus für "Emotion" mehrere termini verwendet, wie perturbatio, affectio, affectus und vor allem passio. (Übersetzung meist mit "Leidenschaft".) Unterschied zur modernen Verwendung von Emotion sei, dass wir darunter auch kurze und impulsive Zustände verstehen; Augustinus hat hier jedoch stets Grundlegenderes im Blick; also Regungen, die eine Lebensorientierung erkennen lassen.

Es ist denke ich nicht sinnvoll, hier eine umfassende inhaltliche Zusammenfassung zu geben. Falls der Aufsatz tatsächlich für Dich relevant sein sollte, wirst Du ihn Dir ohnehin in der Bibliothek holen. Vielleicht nur kurz, was mir spontan wichtig erscheint.

Du schreibst, dass "Seelenaktion (...) Willenhandlungen (auch den Willen, Gott zu lieben) mit ein" bezieht. Augustinus schlägt in die gleiche Kerbe, nur noch etwas tiefer, wie mir scheint. Er sieht Emotionen als "Typisierungen des Wollens", die je nach Situation unterschiedlich ausfallen können. Es bleibt jedoch der Grundsatz, dass der, dessen Wille auf Gott (das Gute) gerichtet ist, gute Emotionen hervorbringt - entsprechend andersherum genauso.

Augustinus entwirft auch eine "eiserne Kette", die de Menschen dazu bringt, Böses zu tun. Es beginnt mit einem pervertiertem Willen (voluntas perversa), geht über zum Begehren (libido) wird dann zur Gewohnheit (consuetudo) und endet mit der Notwendigkeit (necessitas). Wenn Du so willst, ist das ein sehr früher Entwurf von so etwas wie einem Suchtgedächtnis. Mit dieser persönlichen Einschätzung begebe ich mich aber auf dünnes Eis, weil ich da mit den neurobiologischen Vorgängen schlichtweg nicht vertraut bin.

Besonders deutlich zeigt sich die Gefahr von Emotion/Affekten im sexuellen Bereich. Die Emotion ist ja etwas, das sich als nicht von der Vernunft geleitete Handlung versteht. Die Vernunft, also der - ich nenne es mal "richtige Draht" - zu Gott ist es ja, was die Emotionen unter Kontrolle hält bzw. sie gar nicht erst aufkommen lässt. Der Vernunft ist es möglich, über alle Körperfunktionen zu herrschen. Böse Gedanken können verdrängt werden (oder man kann es zumindest versuchen) und die ratio entschließt sich, die Hand nicht zu erheben, um beispielsweise den goldenen Ring zu entwenden. Nun haben wir bei den Sexualorganen das Problem, dass hier de Wille nicht Herr über die Steuerung ist, sondern die Regungen geschehen rein durch die libido. Deshalb sieht Augutstinus im sexuellen Begehren "die deutlichste Manifestation des Verlustes innerer Einheit, wie der Mensch ihn zufolge der Ursünde erleiden muss." Hier hast Du eine theoretische Grundlage dafür, warum Geschlechtsverkehr, sofern er nicht zur Zeugung von Nachkommenschaft dient, per se schlecht ist. (Nähkästchen: Mir war das zuvor nicht in dieser Dimension bekannt und ich war so beeindruckt von den Augustinischen Ausführungen, dass ich jauchzend durchs Zimmer gelaufen bin. Eine Antwort, nach der ich lange gesucht habe!)



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Ich hoffe, es war nicht zu wirr, aber Du kannst ja einfach noch einmal nachfragen. Es würde mich freuen, wenn Du uns bezüglich dieses spannenden Themas hin und wieder auf dem Laufenden hältst.
 
„nach dem Vorbild von frz. motion [...] gebildet zu frz. émouvoir, afrz. esmovoir 'in Bewegung setzen, erregen', aus lat. exmov[FONT=Times New Roman, serif]ē[/FONT]re

kleine Ergänzung:

exmovere gibt es nicht, habs jedenfalls nirgendwo gefunden, nur emovere; hinausschaffen, entfernen, verscheuchen, emporheben, erschüttern

beim suchen bin ich noch darauf gestoßen:

"Als Fachterminus wurde Emotion (lateinisch motio, movere, motum bewegen, erregen, erschüttern und lateinisch emovere
hinaus, wegschaffen, entfernen, erschüttern) von Eugen Bleuler (1857 - 1939) geprägt."(TU-Berlin)

vielleicht nutzt es was; bezieht sich aber auf Psychologie, nicht Philosophie
 
So, jetzt habe ich noch einmal gründlicher geschaut und den Aufsatz gefunden, den ich bezüglich des cogito meinte:

Horn, Christoph: Welche Bedeutung hat das augustinische Cogito? (Buch XI 26), in: Horn, Christoph (Hg.) Augustinus. De civitate dei (Klassiker Auslegen), Berlin 1997.
 
Sehr schöne Skizze, auch wenn ich nur die Hälfte zu verstehen meine. :rotwerd:

Passionsliteratur...
Wer nach diesem Begriff googelt, landet weit weg von Descartes...:winke:

"die Idee einer psychosomatischen Krankheitsverursachung"
Eigentlich schade, dass D. dieser Denkrichtung nicht noch größere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Gleichwohl wird er von manchen Wissenschaftshistorikern unter die drei wichtigsten Vorgänger der psychosomatischen Theorie gerechnet. [1]

eine erste Liste von Passionen im engeren Sinne (neben der tristesse sind joye, amour und haine aufgenommen), die im publizierten Passionstraktat als passions principales (oder primitives) besprochen werden, wobei die Liste erweitert wird (um admiration und désir).
Erfreulich übrigens, dass gegen derlei Leidenschaften ein Kräutlein gewachsen ist, von dem ja auch unser Forum in reichem Maße zehrt: die générosité oder magnanimatas...

Descartes stellt sich den Körper wie einen Automaten vor...
Was dann bei La Mettrie zum "L'homme machine" führt, indem er von Descartes Lehre Gott & Seele subtrahiert. (Sehr grob gesagt.)


[1] Hahn, Die Entwicklung der psychosomatischen Medizin. In: Die Psychologie des 20. Jh. I: Die europäische Tradition. Zürich 1976, S. 932 ff. - Die beiden anderen sind Paracelsus und Leibniz.
 
Besonders deutlich zeigt sich die Gefahr von Emotion/Affekten im sexuellen Bereich.
Aber wäre nicht Sex ohne Emotion/Affekt eine äußerst mechanistische Betätigungsform? Pornographische Darstellung pur, sozusagen?

Deshalb sieht Augutstinus im sexuellen Begehren "die deutlichste Manifestation des Verlustes innerer Einheit, wie der Mensch ihn zufolge der Ursünde erleiden muss." [...]
ich war so beeindruckt von den Augustinischen Ausführungen, dass ich jauchzend durchs Zimmer gelaufen bin.
Na ja, da würde ich doch gern ein ernstes Wörtchen mit Dir reden wollen. :winke: Wenn Du gelegentlich einen Thread dazu aufmachst, bin ich dabei.
 
Erst einmal kann ich nur kurz auf eure Beiträge eingehen - zumindest die einfachen Antworten will ich gleich formulieren, damit ich mich damit später nicht erst aufhalten muß.

@ jschmidts Hinweis:
Wer nach diesem Begriff [Passionsliteratur] googelt, landet weit weg von Descartes...
Ich habe mir beim Versuch promt das über Freuds "Passionslehre" bestellt - gewissermaßen auch weit ab von Descartes ... - es wäre mir peinlich, den Begriff verwendet zu haben, hätte ihn nicht eben Frau Newmark in ihrer Arbeit über die philosophischen Emotionstheorien verwendet. Das Ergebnis wird auch nicht besser, wenn man "moralische Passionsliteratur" googelt. Daher teile ich gerne die Informationen mit, falls man nach dem Gemeinten googeln möchte. Genannt (bei Newmark - nicht Descartes) werden neben der Arbeit von Vives (16. Jh.): Nicolaus Coëffeteau, Tableau des passions humaines (1620), Marin Cureau de la Chambre, Les caractères des passions (1649), Jean Francois de Senault, De l'usage des passions (1641), Pierre Le Moyne, Peintures morales (1645).

@ Rephaim:
"Als Fachterminus wurde Emotion (lateinisch motio, movere, motum bewegen, erregen, erschüttern und lateinisch emovere
hinaus, wegschaffen, entfernen, erschüttern) von Eugen Bleuler (1857 - 1939) geprägt."(TU-Berlin)

Danke! Bleuler hat so allerlei Begriffe geprägt bzw. eingeführt. Interessant, daß ihm auch dieser zugeschrieben werden soll; es macht mich allerdings auch stützig, daß die Fachliteratur davon nicht in Kenntnis setzt; genaugenommen wird er in dem von mir in Beitrag #3 angeführten Zitat von Descartes schon sehr spezifisch verwendet, oder besser in erläuternden Lesart durch Newmark - im Sinne von dem, was die zeitgenössischen Emotionstheorien "arousal" nennen. Ich werde aber an der Frage dranbleiben. Was übrigens "ex-movere" betrifft: Im Stohwasser findet es sich auch nicht; das Etym. Wörterb. des Dt. gibt es auch nur als Nebenform fürs häufigere "emovere" an; ich hatte es aber irgendwie als neolatinisierende Bildung verstanden...

@ Lukretia: Dir auch erst einmal ganz herzlichen Dank; werde wohl noch Fragen haben, bei Augustinus bin ich aber noch gar nicht - und nachdem, was ich im Kapitel bei Newmark dazu auch nur mehr überfolgen habe, werde ich mich damit sehr schwer tun...
 
Aber wäre nicht Sex ohne Emotion/Affekt eine äußerst mechanistische Betätigungsform? Pornographische Darstellung pur, sozusagen?

Hm, nein, dann habe ich das zu verkürzt oder unklar ausgedrückt. Die Affekte sind bei Augustinus etwas, das von der Linie mit der göttlichen Vernunft abweicht. Vielleicht sollte ich einfach mal bei Adam und Eva anfangen, bevor es wieder zu Missverständnissen kommt. Wenn Muspilli das so möchte, weil er seinen Pfad "sauber" halten will, kann ich das dann auch gerne verschieben.

Es ist ja bekannt, dass Augustinus sich des platonischen Einflusses nicht verwehrte und so entwirft er ein Stufenmodell mit dem vollkommensten Wesen, Gott, an der Spitze. Danach kommen die Engel als Geistwesen und dann kommt irgendwann der Mensch mit seiner Doppelnatur aus Geist und Leib. Nun ist es so, dass diese Stufen nicht homogen sind, sondern es gibt gelungenere Entitäten einer Stufe und weniger gelungene. Das sei davon abhängig, wie stark ausgeprägt die Einheit dieser Entität ist. Der Mensch im Paradies hatte noch die für einen Menschen maximale innere Einheitlichkeit, denn er orientierte sich an Gott und damit gingen seine Affekte nur in diese eine, vernünftige Richtung. Affekte sind also nicht per se schlecht, sondern sie sind nur dann schlecht, wenn sie von nicht vernünftig sind.

Hier gab es nach dem Sündenfall eine Veränderung: Nicht mehr Gott ist das summum bonum, sondern der Mensch sieht sich selbst als solches. Vielleicht hilft es, sich das ganze im Kopf graphisch vorzustellen. Man denke sich eine Linie bestehend aus Affekten, die vom Individuum zu Gott reicht. (Ideallinie sozusagen, jetzt, wo die Formel 1 gerade wieder frisch angefangen hat.) Das ist danach nicht mehr der Fall. Die Linie geht quasi in einem Kreis vom Menschen zum Menschen - zumindest läuft sie Gefahr, dies zu tun. Es kostet den Menschen Anstrengung, in seinen Handlungen und Regungen auf die Ideallinie zurückzukehren. Er muss stets bemüht sein, seine Affekte wieder mit der Vernunft in Einklang zu bringen.

Ein Mensch nun, der in seinem ganzen Tun bestrebt ist, diese Ideallinie einzuhalten und damit sein Denken und Handeln auf Gott zu richten, kann durch seinen Willen diese Dinge bewirken. Wie bereits angedeutet: "Der Vernunft ist es möglich, über alle Körperfunktionen zu herrschen. Böse Gedanken können verdrängt werden (oder man kann es zumindest versuchen) und die ratio entschließt sich, die Hand nicht zu erheben, um beispielsweise den goldenen Ring zu entwenden."

Ich begebe mich mal auf ein niedriges Niveau, denn so scheint es mir am besten erklärbar zu sein. (Keine Wertung gegenüber den geschätzten Lesern in diesem Pfad!) Wenn die junge Pamela Anderson knapp bekleidet über den Bildschirm läuft oder das Double von Audrey Hepburn - um die gängigsten Frauentypen mal zu nennen - sich einem in eindeutigen Gesten nähert, hat man als Mann unter Umständen nicht mehr die Kontrolle über seine Geschlechtsorgane, die man gerne hätte; vorausgesetzt, man ist jemand, der sich vorgenommen hat, seine Anstrengungen ganz und gar auf Gott und die Ideallinie auszurichten. Und eben das ist der Grund, warum die Sexualität für Augustinus "die deutlichste Manifestation des Verlustes innerer Einheit, wie der Mensch ihn zufolge der Ursünde erleiden muss", ist. Wenn die Audrey-Doppelgängerin sich nun dem männlichem Individuum nähert, kann es sich entscheiden, nicht um der reinen libido willen mit ihr Geschlechtsverkehr zu haben. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass seine Geschlechtsorgane seinem Willen nicht gehorcht haben und sich mit Blut vollgepumpt haben.

Aber wäre nicht Sex ohne Emotion/Affekt eine äußerst mechanistische Betätigungsform? Pornographische Darstellung pur, sozusagen?

Der Affekt ist es hier, der die Mechanik ausmacht. Ich erlaube mir, mich noch einmal selbst zu zitieren:

Vorbildlich wird mit einer Begriffsklärung begonnen und der Autor, Johannes Brachtendorf, weist darauf hin, dass Augustinus für "Emotion" mehrere termini verwendet, wie perturbatio, affectio, affectus und vor allem passio. (Übersetzung meist mit "Leidenschaft".) Unterschied zur modernen Verwendung von Emotion sei, dass wir darunter auch kurze und impulsive Zustände verstehen; Augustinus hat hier jedoch stets Grundlegenderes im Blick; also Regungen, die eine Lebensorientierung erkennen lassen.

Das Anschwellen des Gliedes ist eine kurzer, impulsiver Zustand. Für Augustinus hat er jedoch eine weitreichendere Bedeutung, weil er ein Abweichen von der Ideallinie bedeutet. Emotion ist nicht im modernen Sinne von Liebe und Zuneigung zu verstehen, vielleicht hat das ein wenig verwirrt. Affekte, die auf Liebe zielen, sind die, die sich auf der Ideallinie befinden. Also Affekte, die deshalb entstehen, weil sie auf Gott gerichtet sind.
 
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Ich begebe mich mal auf ein niedriges Niveau...
Recht so - als Premiummitglied kann ich erwarten, dass an meine niedrigsten Instinkte appelliert wird! :winke:

Wenn die Audrey-Doppelgängerin sich nun dem männlichem Individuum nähert, kann es sich entscheiden, nicht um der reinen libido willen mit ihr Geschlechtsverkehr zu haben. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass seine Geschlechtsorgane seinem Willen nicht gehorcht haben und sich mit Blut vollgepumpt haben.
Ich glaube zu verstehen, was Du meinst. Es geht um die sog. "begierdelose Zeugung", die allen heiligmäßigen Menschen von Augustinus wärmstens anempfohlen wird [1]:
Aber jeder Freund der Weisheit und heiliger Freuden, der im Ehestande lebt, jedoch nach der Mahnung des Apostels sein Gefäß in Heiligkeit und Ehren zu besitzen weiß, nicht im Fieber der Begier, wie die Heiden auch, die Gott nicht kennen, würde lieber, wenn es in seiner Macht stünde, ohne solche Lust Kinder erzeugen, so daß auch bei diesem Geschäft der Nachkommenschaftsgründung die hierfür erschaffenen Glieder in derselben Weise seinem Geiste dienstbar wären wie die übrigen je ihren besonderen Aufgaben dienenden Glieder, also nicht auf Anreizung durch hitzige Lust, sondern in Bewegung gesetzt durch den Wink des Willens.
Also wenn schon zur Ermöglichung der Verrichtung Blut gepumpt werden muss [2], dann ohne Emotionen, sondern kraft eines - typisch männlichen! - Willensaktes. Wer das schafft, kann auch die schändliche Lust meiden, also "das Genießen dessen, was wir wollen". [3]


[1] Augustinus, Civitas dei, 14. Buch, Kap. 16 (zitiert nach BKV).
[2] Beim Samenspenden zwecks künstlicher Befruchtung läßt sich das minimieren, aber das wusste Augustinus noch nicht.
[3] aaO, Kap. 6
 
Zu Augustinus, Descartes und Platon

Augustinus schlägt in die gleiche Kerbe, nur noch etwas tiefer, wie mir scheint. Er sieht Emotionen als "Typisierungen des Wollens", die je nach Situation unterschiedlich ausfallen können. Es bleibt jedoch der Grundsatz, dass der, dessen Wille auf Gott (das Gute) gerichtet ist, gute Emotionen hervorbringt - entsprechend andersherum genauso.


Tatsächlich schlägt Descartes natürlich eher in die gleiche Kerbe wie Augustininus!
In einem Brief an Elisabeth vom September 1645 unterscheidet Descartes zwischen den wertvollen Freuden des Geistes ("plaisir [...] qui appartient a l'esprit seul") und denen der Sinnlichkeit: "les autres qui appartiennent a l'homme, c'est a dire a l'esprit en tant qu'il es uni au cors; & ses derniers, se presentant confusement a l'imagination, paroissent souvent beaucoup plus grans qu'ils ne ne sont, principalement avant qu'on les possedent, ce qui es le source de tous les maux & de toutes les erreurs de la vie." (zit. nach Newmark, 2008, S.118) Die Emotionen (Passionen) müssen beherrscht werden, um sich zum Guten auszurichten, da sie in ihrer Reinform anscheinend keinen Einfluß auf Urteile (jugemens) haben sollten. Um diese Beherrschung zu erreichen bedarf es der Übung, Geschicklichkeit (industrie) oder Gewöhnung (habitude):
"Nos passions ne peuvent pas aussi directement estre excitées ny ostées par l'action de nostre volonté, mais elles peuvent l'estre idirectement par la representation des choses qui ont coustume d'estre jointes avec les passions que nous voulons avoir, & qui font contraires à celles que nous voulons rejetter" (Passions de l'Ame, Article XLV) Gemäß meines ersten Eindruckes entwirft Descartes aber eine durchaus interessante, teilweise kognitive Theorie, eventuell erstmals im Zusammenhang der Passionslehre, aber das wäre noch zu prüfen. Ich habe auch gerade erst reingelesen in die Originalschrift. Ob und inwieweit sich Descartes in Bezug auf das, was du als augustinischen Grundsatz formulierst, anders verhält, ist ebenfalls noch zu prüfen. In gewisser Hinsicht ist seine Passionslehre wohl schon anschlußfähig, aber eben auch nicht ohne Widersprüche: "Descartes' physiologische fundierte Passionslehre stellt die von scholastischen Mustern unabhängigste Theorie des 17. Jahrhundert dar und kann damit als der letzte große originelle, wenn auch höchst widersprüchliche Entwurf der alten Affektlehren angesehen werden." (Newmark, 2008, S.16) Unterschiede liegen voraussichtlich eher in unterschiedlichen Naturauffassungen. Wie gesagt, ich muß das noch prüfen.


Augustinus entwirft auch eine "eiserne Kette", die de Menschen dazu bringt, Böses zu tun. Es beginnt mit einem pervertiertem Willen (voluntas perversa), geht über zum Begehren (libido) wird dann zur Gewohnheit (consuetudo) und endet mit der Notwendigkeit (necessitas). Wenn Du so willst, ist das ein sehr früher Entwurf von so etwas wie einem Suchtgedächtnis. Mit dieser persönlichen Einschätzung begebe ich mich aber auf dünnes Eis, weil ich da mit den neurobiologischen Vorgängen schlichtweg nicht vertraut bin.


Ob das neurobilologisch hinhaut? Das ist, glaube ich gar nicht so entscheidend; eher ist die Frage, ob Augustinus überhaupt eine Gedächtnistheorie hat? Das obige Zitat aus Descartes Passionstraktat zeigt zunächst noch gar keinen großen Unterschied zu Augustinus. Descartes setzt aber als Vermittlung seine ungeteilte Denksseele mit Sitz in der Zirbeldrüse, wo einerseits Gedächtnisspuren - er spricht etwa von "pores du cerveau, par où les esprit [animaux] ont auparavant, pris leur cours à cause de la presence de cet objet" (Art. XLII) - aktiviert werden und dadurch unmittelbar zum Willen zugang haben. Descartes hält nun die geistige Übung für deshalb für wichtig, weil der prinzipiell freie Wille und die Imaginationsfähigkeit der Seele die Bewegung des (kleinen) "Hirnzapfens" ([petite] glande) anscheinend dahingehend beeinflussen, daß die entsprechenden Gedächtnisspuren aktiviert werden. Kurz, meiner bereits angedeutete Vermutung liegt darin, daß Descartes erstmals eine kognitive Komponente in die Passionslehre einführte - allerdings muß ich das noch mit den philosophiehistorischen Darstellungen vergleichen.


Besonders deutlich zeigt sich die Gefahr von Emotion/Affekten im sexuellen Bereich. Die Emotion ist ja etwas, das sich als nicht von der Vernunft geleitete Handlung versteht. Die Vernunft, also der - ich nenne es mal "richtige Draht" - zu Gott ist es ja, was die Emotionen unter Kontrolle hält bzw. sie gar nicht erst aufkommen lässt. Der Vernunft ist es möglich, über alle Körperfunktionen zu herrschen. Böse Gedanken können verdrängt werden (oder man kann es zumindest versuchen) und die ratio entschließt sich, die Hand nicht zu erheben, um beispielsweise den goldenen Ring zu entwenden. Nun haben wir bei den Sexualorganen das Problem, dass hier de Wille nicht Herr über die Steuerung ist, sondern die Regungen geschehen rein durch die libido. Deshalb sieht Augutstinus im sexuellen Begehren "die deutlichste Manifestation des Verlustes innerer Einheit, wie der Mensch ihn zufolge der Ursünde erleiden muss." Hier hast Du eine theoretische Grundlage dafür, warum Geschlechtsverkehr, sofern er nicht zur Zeugung von Nachkommenschaft dient, per se schlecht ist.


Hier würde mich gerade einmal interessieren, wie es bei Augustinus oder nach Brachtendorf wörtlich klingt mit der Verdrängung, also welcher Begriff genau benutzt wird. Descartes benutzt im obigen Zitat das Verb "rejetter", das mehr mit „zurückwerfen“, „abschieben“ übersetzen wäre. Die Übersetzung gibt auch „zurückdrängen“ an, was natürlich sehr nah am Begriff ist, wirft aber konzeptuelle Fragen auf, die eigentlich in die psychoanalytische Theorie fallen.
Freilich habe ich ihn in meinem Beitrag zur Einführung in Descartes Emotionstheorie auch benutzt:
Genaugenommen empfielt Descartes als Therapie gewissermaßen die Verdrängung (vgl. Newmark, S.110).
Newmark (2008) stellt tatsächlich explitzit fest, daß es um Verdrängung gehe bei dem Vorschlag zur Besserung von Elisabeths Traurigkeit, "die Vorstellungskraft und die Sinne von den realen Unglücksursachen abzulenken" (S.110), d. h. rational zu kontrollieren; daher entwarf Descartes wohl auch im Passionstraktat die skizzierte Gedächtsnistheorie. Eine Verdrängung im dynamischen Sinne durch das "Verschieben" der emotionalen Erregung auf einen anderen Gedanken ist möglich, aber Descartes wohl nicht vorstellbar; der Begriff der Verdrängung ist immanent erst einmal nur im deskriptischen Sinne verwendet, nicht im dynamischen Sinne der Psychoanalyse.


Die Affekte sind bei Augustinus etwas, das von der Linie mit der göttlichen Vernunft abweicht. Vielleicht sollte ich einfach mal bei Adam und Eva anfangen, bevor es wieder zu Missverständnissen kommt.
Gerade im Falle der Südenlehre – in einem meiner Bücher schrieb ein Autor „Entdeckung der Erbsünde“ - kommt um Adam und Eva auch nicht mehr herum!



Es ist ja bekannt, dass Augustinus sich des platonischen Einflusses nicht verwehrte und so entwirft er ein Stufenmodell mit dem vollkommensten Wesen, Gott, an der Spitze. Danach kommen die Engel als Geistwesen und dann kommt irgendwann der Mensch mit seiner Doppelnatur aus Geist und Leib. [...] Affekte sind also nicht per se schlecht, sondern sie sind nur dann schlecht, wenn sie [...] nicht vernünftig sind. [...] Es kostet den Menschen Anstrengung, in seinen Handlungen und Regungen auf die Ideallinie zurückzukehren. Er muss stets bemüht sein, seine Affekte wieder mit der Vernunft in Einklang zu bringen.

Ein Mensch nun, der in seinem ganzen Tun bestrebt ist, diese Ideallinie einzuhalten und damit sein Denken und Handeln auf Gott zu richten, kann durch seinen Willen diese Dinge bewirken.



Ich habe gerade gelesen bei Knut Eming (Die Unvernunft des Begehrens) über Platons Affekttheorie in den Nomoi, wo er ein Mariottenmodell entwirft; die (Menschen-) Marionette habe demnach „viele durcheinandergehende gehende und einander entgegengesetzte Fäden aus Eisen, denen die Affekte entsprechen, während es nur einen aus Gold gebe, der aber 'von milder und nicht gewaltsamer Art' ist, so daß er es sehr schwer habe, zur Herrschaft zu kommen.“. (In: Hübsch & Kaegi (Hg.), Affekte. Heidelberg: Winter, 1999, S.14) Affekte (Pathe) üben gewöhnlich einen Zwang oder eine Macht aus; der Vernunft obliegt es nun, sich dieser Macht zu bedienen, sie einzubinden. Mir wird erst mit diesem Rekurs auf Platons Modell die Vorstellung einer Ideallinie verständlich.

Das Anschwellen des Gliedes ist eine kurzer, impulsiver Zustand. Für Augustinus hat er jedoch eine weitreichendere Bedeutung, weil er ein Abweichen von der Ideallinie bedeutet. Emotion ist nicht im modernen Sinne von Liebe und Zuneigung zu verstehen, vielleicht hat das ein wenig verwirrt. Affekte, die auf Liebe zielen, sind die, die sich auf der Ideallinie befinden. Also Affekte, die deshalb entstehen, weil sie auf Gott gerichtet sind.
Augustinus Begriff dafür ist „amor voluntatis bonae“, die Liebe des guten Willens und ihre Träger bestehen aus der christlichen Gemeinschaft, der civitas celaestis. Ich sagte in einem Beitrag, daß ich wohl mit Augustinus so meine Schwierigkeiten haben würde, die genau mit diesem Punkt zusammenhängt, die religiöse Grundhaltung so zu betonen, daß je nach Auslegung jegliche Emotionen für gut befunden werden kann, so dann auch der Zorn, der bezeichnenderweise nichteinmal von Augustinus thematisiert wird. Oder sollte ich das besser als Frage formulieren?
 
Newmark (2008) stellt tatsächlich explitzit fest, daß es um Verdrängung gehe bei dem Vorschlag zur Besserung von Elisabeths Traurigkeit, "die Vorstellungskraft und die Sinne von den realen Unglücksursachen abzulenken" (S.110), d. h. rational zu kontrollieren...

Dass Newmark sich auf "Verdrängung" festgelegt hat, will mir irgendwie nicht einleuchten. Zumal dann, wenn der Vorschlag auf eine "rationale Kontrolle" hinausläuft, passt das ganz und gar nicht. Stattdessen läge für mich - unter den vielen denkbaren Abwehr- bzw. Verarbeitungsmechanismen" - z. B. die Sublimierung viel näher.
 
Aber "Sublimierung" paßt gar nicht in Descartes' Lehre.
Ich weiß allerdings auch nicht mehr so recht, warum ich behauptet habe, daß Descartes sich die "Verschiebung" nicht vorstellen konnte, schließlich ist das ja durchaus sein Vorschlag: Durch Übung die Lebensgeister in die Hirnporen zu lenken, so daß sie beispielsweise anstatt die Traurigkeit eine Freude hervorbringen. Identifiziert man die Lebensgeister mit einer libidnösen Energie gemäß Freud, würde der Idee der Sublimierung theortisch zunächst nicht im Wege stehen. Allerdings steht Freuds Begriff der Sublimierung nicht im Zusammenhang einer Affektlehre: Sublimierung sei nach dem Vokabular der Psychoanalyse der "Von Freud postulierte Vorgang zur Erklärung derjenigen menschlichen Handlungen, die scheinbar ohne Beziehung zur Sexualität sind, deren treibende Kraft aber der Sexualtrieb ist." (Laplanche & Pontalis) Hingegen schon der der Verdrängung, und zwar in Bezug auf "vom Bewußtsein abgeschnittene Vorstellungen" (Laplanche & Pontalis, S.583) Insofern ist der Terminus aus psychoanalytischer Sicht vielleicht doch nicht so verkehrt von Newmark gewählt, da Freud auch "ihr Wesen nur in der Abweisung und Fernhaltung vom Bewußten" (Die Verdrängung, 1915d) angibt. Aber mit Freud wäre zu betonen, daß es um die Verdrängung der Vorstellung geht; es gibt nach Freud aber keinen unbewußten Affekt; der korrelierende Affekt(betrag) wird vielmehr verschoben - er spricht aber gelegentlich wohl auch von der Möglichkeit der Unterdrückung (vgl. Freud 1915d; Das Unbewußte, 1915e: "der Affekt bleibt bestehen und kann sich nun auf eine Vorstellung richten; er wird in einen anderen Affekt umgewandelt, besonders in die Angst; oder aber er wird unterdrückt" (Laplanche & Pontalis, S.136)
 
Das ist ein interessantes Thema, mir ist dabei nur nicht ganz klar, welche Emotionen genau bei diesem Werk untersucht werden, nur die affektiven Emotionen? Denn Emotionen sind ja vielseitig, und ich denke die Philosophie alleine kann die Antworten auf diese Fragen nicht bieten.
 
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