Zweibund zwischen Deutschem Reich und Österreich-Ungarn

Kriegsziel-Richtlinien von Reichskanzler Bethmann Hollweg

vom 9. September 1914

z. Hd. des Staatssekretärs Clemens v. Delbrück

(Aus: Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945, hg. von Reinhard Opitz. Köln 1977)




Euerer Exellenz

übersende ich in der Anlage eine vorläufige Aufzeichnung über die Richtlinien unserer Politik beim Friedensschluß, die ich hier habe anfertigen lassen. Wenn auch der Krieg noch nicht entschieden ist und es eher den Anschein hat, als gelänge es England, seine Bundesgenossen in einem Widerstand à outrance festzuhalten, so werden wir doch für die Eventualität plötzlicher Verhandlungen, die dann nicht in die Länge gezogen werden dürfen, gewappnet sein müssen. Über das wirtschaftliche Programm eines mitteleuropäischen Zollverbandes haben wir ja kurz nach dem Ausbruch des Krieges mündlich gesprochen und eine Übereinstimmung in den Grundzügen feststellen können.

Es käme nun darauf an, im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt die einzelnen Probleme vorbereitend so zu klären, daß es bei eventuellen Verhandlungen über einen Präliminarfrieden möglich ist, schnell das Richtige zu treffen und in kurzen Formeln die richtige Grundlage für den späteren schwierigen Aufbau zu finden. (...)

Das allgemeine Ziel des Krieges:

Sicherung des Deutschen Reichs nach West und Ost auf erdenkliche Zeit. Zu diesem Zweck muß Frankreich so geschwächt werden, daß es als Großmacht nicht neu erstehen kann, Rußland von der deutschen Grenze nach Möglichkeit abgedrängt und seine Herrschaft über die nichtrussischen Vasallenvölker gebrochen werden.

Die Ziele des Krieges im einzelnen:

  1. Frankreich.
    Von den militärischen Stellen zu beurteilen, ob die Abtretung von Beifort, des Westabhangs der Vogesen, die Schleifung der Festungen und die Abtretung des Küstenstrichs von Dünkirchen bis Boulogne zu fordern ist.
    In jedem Falle abzutreten, weil für die Erzgewinnung unserer Industrie nötig, das Erzbecken von Briey. Ferner eine in Raten zahlbare Kriegsentschädigung; sie muß so hoch sein, daß Frankreich nicht imstande ist, in den nächsten 15-20 Jahren erhebliche Mittel für Rüstungen aufzuwenden.
    Des weiteren: Ein Handelsvertrag, der Frankreich in wirtschaftliche Abhängigkeit von Deutschland bringt, es zu unserem Exportland macht und uns ermöglicht, den englischen Handel in Frankreich auszuschalten. Dieser Handelsvertrag muß uns finanzielle und industrielle Bewegungsfreiheit in Frankreich schaffen - so, daß deutsche Unternehmungen nicht mehr anders als französische behandelt werden können.
  2. Belgien.
    Angliederung von Lüttich und Verviers an Preußen, eines Grenzstriches der Provinz Luxemburg an Luxemburg.
    Zweifelhaft bleibt, ob Antwerpen mit einer Verbindung nach Lüttich gleichfalls zu annektieren ist. Gleichviel, jedenfalls muß ganz Belgien, wenn es auch als Staat äußerlich bestehen bleibt, zu einem Vasallenstaat herabsinken, in etwa militärisch wichtigen Hafenplätzen ein Besatzungsrecht zugestehen, seine Küste militärisch zur Verfügung stellen, wirtschaftlich zu einer deutschen Provinz werden. Bei einer solchen Lösung, die die Vorteile der Annexion, nicht aber ihre innerpolitisch nicht zu beseitigenden Nachteile hat, kann franz. Flandern mit Dünkirchen, Calais und Boulogne, mit großenteils flämischer Bevölkerung diesem veränderten Belgien ohne Gefahr angegliedert werden. Den militärischen Wert dieser Position England gegenüber werden die zuständigen Stellen zu beurteilen haben.
  3. Luxemburg wird deutscher Bundesstaat und erhält einen Streifen aus der jetzt belgischen Provinz Luxemburg und eventuell die Ecke von Longwy.
  4. Es ist zu erreichen die Gründung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes durch gemeinsame Zollabmachungen, unter Einschluß von Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Österreich-Ungarn, Polen und eventl. Italien, Schweden und Norwegen. Dieser Verband, wohl ohne gemeinsame konstitutionelle Spitze, unter äußerlicher Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muß die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa stabilisieren.
  5. Die Frage der kolonialen Erwerbungen, unter denen in erster Linie die Schaffung eines zusammenhängenden mittelafrikanischen Kolonialreichs anzustreben ist, desgleichen die Rußland gegenüber zu erreichenden Ziele werden später geprüft.
    Als Grundlage der mit Frankreich und Belgien zu treffenden wirtschaftlichen Abmachungen ist eine kurze provisorische, für einen eventuellen Präliminarfrieden geeignete Formel zu finden.
  6. Holland.
    Es wird zu erwägen sein, durch welche Mittel und Maßnahmen Holland in ein engeres Verhältnis zu dem Deutschen Reiche gebracht werden kann.
    Dies engere Verhältnis müßte bei der Eigenart der Holländer von jedem Gefühl des Zwanges für sie frei sein, an dem Gang des holländischen Lebens nichts ändern, ihnen auch keine veränderten militärischen Pflichten bringen, Holland also äußerlich unabhängig belassen, innerlich aber in Abhängigkeit von uns bringen. Vielleicht ein die Kolonien einschließendes Schutz- und Trutzbündnis, jedenfalls enger Zollanschluß, eventuell die Abtretung von Antwerpen an Holland gegen das Zugeständnis eines deutschen Besatzungsrechtes für das befestigte Antwerpen wie für die Scheldemündung wäre zu erwägen.

natürlich gingen diese kriegsziel auf vorkriegsplanungen zurück, bestreitet hier wohl auch niemand. da aber entsprechende dokumente sich auch auf französisch, englisch oder russisch finden liessen, ist es eben kein nachweis dafür, dass nur das deutsche reich in den krieg zog um eroberungen zu machen.
 
Gandolf schrieb:
Warum nicht? Die juristischen Termini wurden doch zur Auflösung von Schuldfragen entwickelt.

Mag ja sein. Aber findest du es nicht etwas fragwürdig historische Vorgänge nach aktuellem, bundesdeutschen Recht zu beurteilen? Wie mag da wohl Dschinghis Khan, Cäsar oder Hung-ka-Tuk, der Neandertaler wegkommen? :grübel:


Gandolf schrieb:
Zum Versailler Vertrag sage ich jetzt mal nur soviel, dass dessen Kriegsschuldartikel nicht die moralische Verurteilung Deutschlands bezweckte, sondern die juristische Absicherung der Forderung nach Reparationen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht beziffert werden konnten.
Das lässt mich vermuten, daß du noch einige Themen in dieser Form abhandeln möchtest?
Da kann ich mich ja auf einiges einstellen...:rolleyes:
 
m.e. trat von den grossmächten keiner in den krieg ein, um eroberungen zu machen. dieses ziel verfolgten primär solche "nachzügler" wie japan, italien und rumänien.
 
collo schrieb:
natürlich gingen diese kriegsziel auf vorkriegsplanungen zurück, bestreitet hier wohl auch niemand. da aber entsprechende dokumente sich auch auf französisch, englisch oder russisch finden liessen, ist es eben kein nachweis dafür, dass nur das deutsche reich in den krieg zog um eroberungen zu machen.
Ich vermute, dass Sie mit diesem Beitrag offene Türen eintreten. Jedenfalls habe ich in diesem Strang nicht gelesen, dass irgendjemand behauptet hätte, dass nur das Deutsche Reich Eroberungen plante.

Unter Punkt 2 meines Eröffnungsbeitrages habe ich davon gepostet, dass Deutschland und Österreich-Ungarn die Hauptschuld am Ausbruch des Krieges trifft und in meinen Beiträgen vom 09.06.2005, 23.52 Uhr, und vom 10.06.2005, 11.08 Uhr, habe ich erläutert, warum dies für Deutschland so gesagt werden kann. Die Eroberungspläne tauchen dort nicht auf.
 
Arne schrieb:
Mag ja sein. Aber findest du es nicht etwas fragwürdig historische Vorgänge nach aktuellem, bundesdeutschen Recht zu beurteilen? Wie mag da wohl Dschinghis Khan, Cäsar oder Hung-ka-Tuk, der Neandertaler wegkommen? :grübel:
Bundesdeutsches Recht? Der Vorsatz und seine Erscheinungsformen ist ein altes Thema der Rechtswissenschaft. Unser Strafgesetzbuch stammt übrigens aus dem Jahr 1875 und das Reichsgericht hat schon unter Willis Zeiten zwischen Absicht, sicherem Wissen und bedingten Vorsatz unterschieden.:p
Arne schrieb:
Das lässt mich vermuten, daß du noch einige Themen in dieser Form abhandeln möchtest? Da kann ich mich ja auf einiges einstellen...:rolleyes:
Wir werden noch viel miteinander diskutieren.:D
 
Arne schrieb:
Wenn ich Hornochse aus Erfahrung nicht klug werde, ist das zu befürchten :autsch:
Hornochse? So würde ich Sie nicht bezeichnen wollen. ABER wenn Sie sich in dieser Selbstcharakterisierung wiederfinden, trete ich Ihrer Wortwahl nicht entgegen. Ich diskutiere gerne mit Ihnen über die Kriegsschuldfrage und den Versailler Vertrag. Was aber die Frage Ihrer Lernfähigkeit angeht, können Sie diese sicherlich viel besser einschätzen als ich.:D

Übrigens meine Lernfähigkeit hängt davon ab, ob man mir ein gutes Argument nennt, weshalb meine Auffassung nicht zutrifft. Dann kann es durchaus vorkommen, dass ich eine liebgewordene Vorstellung aufgebe.;)
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo miteinander,

ich habe lange überlegt, ob ich hier etwas schreiben soll oder nicht; jetzt sehe ich mich aber doch dazu gezwungen...

Eines im Voraus: Es bringt IMHO überhaupt nichts, bei diesem eigentlich sehr ernsthaften Thema zu sehr emotional zu werden :fs:

Zum Thema selbst: ich finde es nicht ganz korrekt, eine direkte Verbindung allein zwischen dem Zweibundvertrag von 1879 und der Schuld am Kriegsausbruch von 1914 zu ziehen. Zwischen beiden Ereignissen liegen immerhin 35(!) Jahre, in denen einiges passiert ist, und zudem in ihrem Umfeld noch einige andere Bündnisentwicklungen, die nicht ganz irrelevant sind.

Aber der Reihe nach...
Ausgangspunkt ist ja unbestritten Bismarcks Anstreben einer politischen Gleichgewichtssituation, die eben weitere (kontinentale) Kriege vermeiden sollte und damit jeglichen Gebietserwerb einer europäischen Großmacht (incl. Deutschland selbst) zu Ungunsten anderer europäischer Staaten.

Vor diesem Hintergrund steht zu Beginn das Dreikaiserabkommen von 1873 zwischen dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn und dem Russischen Reich mit dem Ziel einer gegenseitigen Unterstützung im Kriegsfalle. Praktisch gesehen wird Frankreich damit isoliert, was Großbritannien eine Verschiebung der von ihm seit Jahrhunderten erfolgreich praktizierten Ballance Of Power befürchten läßt. Es kann schließlich Rußland bereits 1875 gewinnen, ebenso für Frankreich Partei zu ergreifen gegen die neue stärkste europäische Landmacht Deutschland. 1876 zerbricht das Dreikaiserabkommen - vereinfacht gesagt - endgültig an den Spannungen zwischen Österreich-Ungarn und Rußland bezüglich ihrer Balkaninteressen.

1878 kam es zum Krieg zwischen Rußland und dem Osmanischen Reich, welchen Rußland gewann. Im darauf folgenden Berliner Kongress von 1878 wurde nun von Bismarck versucht, die von Rußland gewonnene Dominanz bzgl. Balkan und Orient einzudämmen, damit es zwischen ihm und den "Mit-Interessenten" Österreich-Ungarn und Großbritannien nicht zum nächsten Konflikt kam. Dies gelang zwar (durch Bestätigung der Unabhängigkeit Serbiens, Montenegros und Rumäniens sowie österreichische Verwaltung Bosniens und Herzegovinas), dennoch blieb der Konflikt auf dem Balkan ungelöst - und zudem wurde Rußland isoliert!
Damit und durch die Verschärfung der deutschen Zollbestimmungen für die Ostgrenzen war das Dreikaiserabkommen de facto obsolet...

Jetzt erst kommt der Zweibund 1879 ins Spiel: dieser beinhaltete jedoch im Angriffsfall Neutralität von einem der beiden Bündnispartner und nur im Verteidigungsfall militärischen Beistand. Für den Fall, daß in einen solchen Angriff einer fremden Macht Rußland diese unterstützte, sah man weiteren militärischen Beistand vor.
Wichtig ist hierbei aber noch, daß Bismarck auf Basis dieses Bündnisses noch weitere Bündnisse (allesamt gegen Rußland gerichtet) initiierte.
Natürlich blieb der Zweibund bis 1914 Grundlage der deutschen Außenpolitik...

Dennoch versuchte Bismarck, Rußland erneut wieder in seine Bündnispolitik einzubeziehen: namentlich mit dem Dreikaiserbündnis 1881 zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Rußland (Inhalt: Verpflichtung zur gegenseitigen Neutralität) und dem Dreikaiservertrag 1882 zwischen ebenjenen drei Staaten (Inhalt: kein Eingehen sonstiger Bündnisse und Beistand im Verteidigungsfall). Auch diese Bündnisse standen auf der Basis des Zweibundes...

Im Jahre 1882 wurde der Zweibund zum Dreibund durch den Beitritt Italiens erweitert. Damit hatte Bismarck eigentlich endgültig auf Basis des Zweibundes mit Österreich-Ungarn seine Bündnispolitik zur Bewahrung des europäischen (kontinentalen) Friedens erfolgreich umgesetzt.

1885 entlädt sich erneut der Interessenkonflikt zwischen Rußland und Österreich-Ungarn in der Bulgarienkrise, wobei Deutschland sich nun auf die Seite Österreich-Ungarns stellt und damit ebenfalls zu Rußland in Gegensatz gerät. Damit wird auch das letzte der Dreikaiserbündnisse wirkungslos...

1887 bezieht Bismarck schließlich gar Großbritannien in seine Bündnispolitik ein: in der Mittelmeer-Entente gelingt es ihm, Großbritannien sowie Österreich-Ungarn, Italien und Spanien in einem Schutzabkommen zusammenzubringen.
Im selben Jahr wird auch noch der Rückversicherungsvertrag mit Rußland für die Dauer von 3 Jahren geschlossen - quasi ein gegenseitiges Nichtangriffsabkommen, um die deutsche Ostgrenze zu sichern.

In ihrem Grundcharakter kann man sicher keines der genannten Bündnisse bzw. keinen der genannten Verträge als aggressiv o.ä. bezeichnen. Und an dieser Stelle kann man wohl auch mit Fug und Recht sagen, daß der Zweibund eine sichere Basis für Bismarcks Gleichgewichtspolitik gewesen ist, denn er konsolidiert einerseits die Bemühungen der vorherigen Jahre und ist andererseits grundlegend für die Bündnispolitik des selben Jahres wie auch der Folgejahre bis 1890!

Erst mit der Inthronisierung Wilhelms II. (1888) und der Ablösung Bismarcks (1890) änderte sich die Situation...

Zunächst war gravierend, daß der Rückversicherungsvertrag mit Rußland im Jahre 1890 nicht mehr verlängert wurde! Damit war EINE Grundlage (aber nicht die einzige!) geschaffen, daß sich Rußland später an Frankreich und Großbritannien annähern konnte.

Ich bin kein Jurist, so daß ich mich an der Diskussion über "bedingten Vorsatz" bezüglich Wilhelm II. nicht beteiligen will. Zumindest steht dem entgegen, daß unter seiner Regentschaft wieder ein freundlicherer Ton mit Frankreich gesprochen wurde (1893 erkennt Frankreich Elsaß-Lothringen als rechtmäßiges Territorium des Deutschen Reiches an) und zudem auch mit Großbritannien zusammengearbeitet wurde (aus verwandtschaftlichen Gründen zwar, aber immerhin).
Fatal wirkte sich dagegen die Politik der Aufrüstung, insbesondere die der Flotte, aus, was z.B. die Distanz zu Großbritannien nicht wirklich verringern konnte.

Persönlich folge ich allerdings der Ansicht, daß es Wilhlem II. und seine Regierung - im Gegensatz zu Bismarck - nicht verstanden, die europäischen Mächte durch eine gezielte Bündnispolitik auch weiterhin im Gleichgewicht zu halten.
Die Formierung der Entente Cordiale 1904 zwischen Frankreich und Großbritannien und die Erweiterung dieser zur Tripel Entente 1907 durch Beitritt Rußlands resultierten letztendlich daraus und haben mit dem eigentlichen Zweibund zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn nur bedingt zu tun.
Und 1914 griffen diese Bündnissysteme dann zudem auf eine sehr fatale Art und Weise, da das Deutsche Reich Österreich-Ungarns Ultimatum an Serbien guthieß bzw. unterstützte und sich andererseits Rußland als Schutzmacht Serbiens sah bzw. etabliert hatte...

In diesem Sinne

Timo

PS @Gandolf: Seit wann siezen wir in diesem Forum? Ich finde das sehr befremdlich :grübel:
PPS: Aufgrund der Länge dieses Beitrages mögen sich Tippfehler eingeschlichen haben; wer sie findet, gewinnt eine Gummimaus... =)
 
timotheus schrieb:
PS @Gandolf: Seit wann siezen wir in diesem Forum? Ich finde das sehr befremdlich :grübel:
Sorry. Ich gelobe Besserung.
timotheus schrieb:
Eines im Voraus: Es bringt IMHO überhaupt nichts, bei diesem eigentlich sehr ernsthaften Thema zu sehr emotional zu werden :fs:
Keine Sorge!:) Was genau heisst eigentlich IMHO?
timotheus schrieb:
ich finde es nicht ganz korrekt, eine direkte Verbindung allein zwischen dem Zweibundvertrag von 1879 und der Schuld am Kriegsausbruch von 1914 zu ziehen. Zwischen beiden Ereignissen liegen immerhin 35(!) Jahre, in denen einiges passiert ist, und zudem in ihrem Umfeld noch einige andere Bündnisentwicklungen, die nicht ganz irrelevant sind.
Zustimmung. Unter Punkt 2 des Eingangsbeitrages habe ich lediglich eine gegenüberstellung vorgenommen: 1879 das Defensivbündnis, 1914 das Bündnis der Hauptschuldigen. Da stellt sich natürlich die Frage, aufgrund welcher Entwicklung dieser Wandel eigentlich zustande kam.

Ein paar Erklärungsversuche habe ich ja unternommen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
- Abhandenkommen von Bündnisalternativen
- Wandel der Gestalt des internationalen Staatenssystems
- Mentalitätswechsel
- Denken in militärischen Kategorien
- Verhindern und Verschleppen notwendiger Reformen im Innern der beiden Bündnispartner
- Allianz der reformunwilligen Eliten D und ÖUs verschärfte das Nationalitätenproblem ÖUs
- Teil der konservativ-reaktionären Führungsschicht hält ÖU ohnehin für verloren
timotheus schrieb:
In ihrem Grundcharakter kann man sicher keines der genannten Bündnisse bzw. keinen der genannten Verträge als aggressiv o.ä. bezeichnen. Und an dieser Stelle kann man wohl auch mit Fug und Recht sagen, daß der Zweibund eine sichere Basis für Bismarcks Gleichgewichtspolitik gewesen ist, denn er konsolidiert einerseits die Bemühungen der vorherigen Jahre und ist andererseits grundlegend für die Bündnispolitik des selben Jahres wie auch der Folgejahre bis 1890!
Das sehe ich im Grunde genauso. Bezugs- und Fluchtpunkt der Generation Bismarck war der Frieden und dessen Erhaltung. Mit seinen Bündnisssen war Bismarck bestrebt den Frieden zu erhalten. Es sollte gar nicht erst zum Krieg kommen.
timotheus schrieb:
Erst mit der Inthronisierung Wilhelms II. (1888) und der Ablösung Bismarcks (1890) änderte sich die Situation...

Zunächst war gravierend, daß der Rückversicherungsvertrag mit Rußland im Jahre 1890 nicht mehr verlängert wurde! Damit war EINE Grundlage (aber nicht die einzige!) geschaffen, daß sich Rußland später an Frankreich und Großbritannien annähern konnte.
Die neue Generation hatte eine andere Mentalität. Sie war tatendurstig, kannte den Krieg nicht und war eher bereit diesen zu riskieren als die Generation Bismarck, die über die Erreichung der Deutschen Einheit überglücklich war und das Erreichte sichern wollte. Diese Generation veränderte die Gestalt des internationalen Staatenssystems. Neuer Flucht- und Bezugspunkt dieses Systems wurde der Krieg und dessen erfolgreiche Führung.

Interessanterweise wurde die erste verhängnisvolle Weichenstellung in diese Richtung vom nur 16 Jahre jüngeren Bismarck-Nachfolger Leo von Caprivi vorgenommen. Caprivi war zuvor General und kannte den Krieg. Er nahm sowohl am deutsch-österreichischen als auch am deutsch-französischen Krieg teil. Offensichtlich verstand sich die neue Generation mit den Militärs, die Bismarcks überlegener Diplomatie ablehnend gegenüberstanden, recht gut.

Caprivi verlängerte den russischen Rückversicherungsvertrag nicht, weil er Bismarcks Bündnissystem nicht unter dem Gesichtspunkt seiner friedensstiftenden Wirkung, sondern unter dem seiner Kriegstauglichkeit beurteilte. Er strebte nach klaren Verhältnissen und hatte für das Nebeneinander von Zwei- und Dreibund und Mittelmeerabkommen einerseits und des Rückversicherungsvertrages andererseits kein Verständnis.
timotheus schrieb:
Fatal wirkte sich dagegen die Politik der Aufrüstung, insbesondere die der Flotte, aus, was z.B. die Distanz zu Großbritannien nicht wirklich verringern konnte.

Persönlich folge ich allerdings der Ansicht, daß es Wilhlem II. und seine Regierung - im Gegensatz zu Bismarck - nicht verstanden, die europäischen Mächte durch eine gezielte Bündnispolitik auch weiterhin im Gleichgewicht zu halten.
Die Formierung der Entente Cordiale 1904 zwischen Frankreich und Großbritannien und die Erweiterung dieser zur Tripel Entente 1907 durch Beitritt Rußlands resultierten letztendlich daraus und haben mit dem eigentlichen Zweibund zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn nur bedingt zu tun.

Und 1914 griffen diese Bündnissysteme dann zudem auf eine sehr fatale Art und Weise, da das Deutsche Reich Österreich-Ungarns Ultimatum an Serbien guthieß bzw. unterstützte und sich andererseits Rußland als Schutzmacht Serbiens sah bzw. etabliert hatte...
Auch in der Zeit nach Bismarck beäugten sich England, Frankreich und Rußland misstrauisch. Auf die Annäherungsversuche dieser drei Mächte reagierte das Deutsche Reich ziemlich aggressiv. Ich denke da zum Beispiel an die Marokkokrisen, in denen das Reich versuchte, durch Kriegsdrohungen die "Bündnisse" der anderen aufzusprengen.

Doch Deutschland erreichte mit dieser Strategie gerade das Gegenteil. Der deutsche Druck schweisste England, Frankreich und Rußland immer enger aneinander. Zugleich wurde den verantwortlichen Politikern und Militärs dieser Länder in diesen Krisensituationen deutlich, welches Erbe ihnen die vorherige Generation hinterlassen hatte. Sie waren auf den Kriegsfall schlicht und ergreifend nicht vorbereitet. Vor allem fehlten natürlich die gemeinsamen Pläne. Allmählich begannen sich die Politiker und Militärs der Trippelentente auf den Krieg vorzubereiten. Sie wollten ihn nicht, aber sie fürchteten ihn - infolge ihrer Bündnisse und Planungen - auch nicht mehr.

Obwohl die Strategie des Aufsprengens der englisch-französischen Entente und der französisch-russischen Entente schon in Krisen der Jahre 1905-1911 nicht funktionierte, benutzte Deutschland die Julikrise 1914 interessantweise zu einem neuen Spaltungsversuch. Dieses Konzept beinhaltete den Übergang zum Krieg für den Fall, dass dieser Spaltungsversuch nicht gelingen sollte. Es kam so, wie es vor dem Hintergrund der letzten 10 Jahre nicht anders kommen konnte: die Spaltung mißlang erneut und der Krieg brach aus.
timotheus schrieb:
Ich bin kein Jurist, so daß ich mich an der Diskussion über "bedingten Vorsatz" bezüglich Wilhelm II. nicht beteiligen will.
Man muss kein Jurist sein, um sich an der Diskussion über die Kriegsschuld zu beteiligen. Ich erlaube mir im Rahmen dieser Diskussion lediglich den Einwurf, dass es verschiedene Fomen des Vorsatzes gibt. Man kann aus dem Umstand, dass eine Kriegsabsicht nicht nachweisbar ist, nicht darauf schliessen, der Krieg wäre nicht vorsätzlich herbeigeführt worden bzw. die Verantwortlichen wären fahrlässigerweise in diesen hineingestolpert.
timotheus schrieb:
Zumindest steht dem entgegen, daß unter seiner Regentschaft wieder ein freundlicherer Ton mit Frankreich gesprochen wurde (1893 erkennt Frankreich Elsaß-Lothringen als rechtmäßiges Territorium des Deutschen Reiches an) und zudem auch mit Großbritannien zusammengearbeitet wurde (aus verwandtschaftlichen Gründen zwar, aber immerhin).
Einspruch, Deine Ehren!:)

Wilhelm II. war - gerade wegen seinen verwandtschaftlichen Beziehungen - eine enorme Belastung für das deutsch-britische Verhältnis. Seinem Onkel Eduard VII. war er bestens bekannt. Er ging ihm seit langer Zeit gewaltig auf die Nerven.
Dann gab es da noch das Krüger-Telegramm und die "Daily Telegraph"-Affäre sowie Willi2s Lieblingsprojekt, die deutsche Hochseeflotte. Von Zusammenarbeit kann nicht die Rede sein.
 
Gandolf schrieb:
Was genau heisst eigentlich IMHO?.
in my humble opinion


Gandolf schrieb:
Zustimmung. Unter Punkt 2 des Eingangsbeitrages habe ich lediglich eine gegenüberstellung vorgenommen: 1879 das Defensivbündnis, 1914 das Bündnis der Hauptschuldigen.
Nein. Du hast das schärfer formuliert. Nämlich:
Gandolf schrieb:
Ganz offensichtlich entwickelte sich der Zweibund vom Verteidigungsbündnis zum Angriffsbündnis.


Gandolf schrieb:
Man kann aus dem Umstand, dass eine Kriegsabsicht nicht nachweisbar ist, nicht darauf schliessen, der Krieg wäre nicht vorsätzlich herbeigeführt worden bzw. die Verantwortlichen wären fahrlässigerweise in diesen hineingestolpert.
Verurteilung ohne Beweise? Sehr merkwürdig....:fs:
 
Hallo Gandolf,

Gandolf schrieb:
Was genau heisst eigentlich IMHO?

in meinem Beruf wird sehr viel auf Englisch kommuniziert, deswegen schleichen sich bei mir auch hier ab und an einige Abkürzungen ein. IMHO = in my humble opinion = meiner bescheidenen Meinung nach ;)

Gandolf schrieb:
Zustimmung. Unter Punkt 2 des Eingangsbeitrages habe ich lediglich eine gegenüberstellung vorgenommen: 1879 das Defensivbündnis, 1914 das Bündnis der Hauptschuldigen. Da stellt sich natürlich die Frage, aufgrund welcher Entwicklung dieser Wandel eigentlich zustande kam.

Ein paar Erklärungsversuche habe ich ja unternommen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
- Abhandenkommen von Bündnisalternativen
- Wandel der Gestalt des internationalen Staatenssystems
- Mentalitätswechsel
- Denken in militärischen Kategorien
- Verhindern und Verschleppen notwendiger Reformen im Innern der beiden Bündnispartner
- Allianz der reformunwilligen Eliten D und ÖUs verschärfte das Nationalitätenproblem ÖUs
- Teil der konservativ-reaktionären Führungsschicht hält ÖU ohnehin für verloren

Naja, mangelnde Bündnisalternativen gab es ja nicht grundsätzlich, was die verschiedenen Dreikaiserbündnisse mit Rußland ebenso verdeutlichen wie die Erweiterung zum Dreibund mit Italien. Es konnte keiner voraussehen - auch innerhalb der späteren Entente nicht -, daß sich Italien im Kriegsfall später neutral verhält und dann sogar die Seite wechselte.
An der Stelle möchte ich nur kurz anfügen, daß es mit einigen Staaten im Balkanraum (z.B. Rumänien) derartige Abkommen gab, an denen später nicht mehr festgehalten wurde. Selbst als sich im Krieg dann Bulgarien auf die Seite der Mittelmächte schlug, wurde dies im restlichen Europa mit Überraschung aufgenommen, da sich dieses zuvor eher Rußland zugewandt hatte (Anm.: Rußland betrachtete den bulgarischen Kriegseintritt 1915 als Verrat)! Bismarck hatte also noch im Balkanraum ebenso Bündnisse geschaffen, die dem Zweibund freundlich gesinnt galten; nach ihm wurde auch dies leichtfertig vertan, so daß es auch dort grundsätzlich keinen Mangel an Bündnisalternativen gab.

Einen Wandel im internationalen Staatensystem gab es für die auf Europa konzentrierte deutsche Bündnispolitik lediglich im Balkanraum, da dort das Osmanische Reich bröckelte und mehr und mehr Staaten selbständig wurden. Wie ich zuvor schon anmerkte, wurde unter Bismarck noch versucht, auch hier Gleichgewicht zu schaffen, was später nicht mehr der Fall war.

Da kommt nun der Punkt des Mentalitätswechsels und des Denkens in militärischen Kategorien... :grübel:
Hier muß angefügt werden, daß Wilhelm II. eigentlich Bismarck durchaus schätzte, seine politische Sichtweise jedoch für antiquiert hielt. Nach Bismarcks Suspendierung gelangten so Leute an die Regierung, denen weniger an Gleichgewicht und Ausgleich als vielmehr an Demonstration eigener Stärke gelegen war (was der Sichtweise des Kaisers entsprach).
Daraus jedoch auf ein vorsätzliches Kriegstreiben im allgemeinen zu schließen, wäre doch etwas sehr vereinfacht...

Die letztgenannten Punkte mit den Nationalitätenproblemen und Verhindern bzw. Verschleppen von Reformen waren nicht allein ein deutsches und österreichisch-ungarisches Problem. Dies galt mindestens, wenn nicht gar stärker, ebenso für das Osmanische Reich und für das zaristische Rußland.

Gandolf schrieb:
Man kann aus dem Umstand, dass eine Kriegsabsicht nicht nachweisbar ist, nicht darauf schliessen, der Krieg wäre nicht vorsätzlich herbeigeführt worden bzw. die Verantwortlichen wären fahrlässigerweise in diesen hineingestolpert.

Nun, zwischen diesen beiden Extremen (vorsätzliches Herbeiführen einerseits und Hineinstolpern andererseits) gibt es schon noch ein paar Nuancen ;)
Man nahm wohl eher leichtfertig einen regionalen Krieg, in dem Österreich-Ungarn Serbien in die Knie zwingen sollte, in Kauf.

Gandolf schrieb:
Wilhelm II. war - gerade wegen seinen verwandtschaftlichen Beziehungen - eine enorme Belastung für das deutsch-britische Verhältnis. Seinem Onkel Eduard VII. war er bestens bekannt. Er ging ihm seit langer Zeit gewaltig auf die Nerven.
Dann gab es da noch das Krüger-Telegramm und die "Daily Telegraph"-Affäre sowie Willi2s Lieblingsprojekt, die deutsche Hochseeflotte. Von Zusammenarbeit kann nicht die Rede sein.

Wilhelm II. wurde auch in der deutschen Generalität zu einem nicht unerheblichen Teil als "Einfaltspinsel" betrachtet (weswegen diese im Krieg dann auch die militärische Führung de facto vollständig übernahmen).
Zunächst aber war man schon um eine deutsch-britische Zusammenarbeit bemüht, welche dann natürlich durch "Aktionen" wie Krüger-Telegramm, "Daily Telegraph" Affäre und Flottenpolitik zunichte gemacht wurde.
Aber dies hatte ich ja bereits in meinem letzten Beitrag angedeutet...

Viele Grüße

Timo

PS @Arne: Ich sehe gerade, daß Du auch geantwortet hast, mußte diese Ergänzungen aber trotzdem loswerden...
 
Arne schrieb:
Nein. Du hast das schärfer formuliert. Nämlich:
Ach herrje, Arne. Warum zitierst Du von Punkt 2 nur meinen dritten Satz?

Mit Satz 1 und Satz 2 habe ich die Gegenüberstellung vorgenommen:

"Ursprünglich war der Zweibund als Verteidigungsbündnis gedacht, mit dem der Frieden erhalten werden sollte. 1914 entpuppte sich der Zweibund als ein Bündnis der beiden Mächte Europas, die für den Ausbruch des Ersten WK die Hauptschuld trugen."

Mit Satz 3

"Ganz offensichtlich entwickelte sich der Zweibund vom Verteidigungsbündnis zum Angriffsbündnis."

habe ich zum Ausdruck gebracht, dass dieser Wandel das Ergebnis einer Entwicklung von 35 Jahren ist.

Ziemlich eindeutig, oder?:p
Arne schrieb:
Verurteilung ohne Beweise? Sehr merkwürdig....:fs:
Merkwürdig ist allein der Umstand, dass Du nach unserer Diskussion versuchst, den Eindruck zu erwecken, jemand habe das Verdikt ausgesprochen, Deutschlands Krisenplanung enthielte die Absicht, in den Krieg zu ziehen. Wer soll dies wo getan haben? Ich jedenfalls habe mir zu Deinem Leidwesen die Fingerkuppen wund getastet, dass Deutschlands Krisenplan die Herbeiführung des Krieges nur mit bedingten Vorsatz enthielt: "Deutschland hat vorsätzlich gehandelt - nicht absichtlich, aber mit bedingten Vorsatz." Erinnerst Du Dich?

Übrigens in der Geschichtswissenschaft hat Prof. Dr. Fritz Fischer die These aufgestellt, dass Deutschland mit Absicht den Ersten Weltkrieg auslöste. Für diese These fehlte ihm - nach Auffassung der herrscheinden Meinung in der deutschen Geschichtswissenschaft - der letzte Beweis. Allerdings muß man an dieser Stelle bedenken, dass die deutschen Verantwortlichen die Akten und ihre Unterlagen manipuliert haben. Wenn über Fritz Fischers These in einem Gerichtsprozeß zu entscheiden wäre, würde das Gericht vom Umstand der Manipulation wohl darauf schließen, dass die deutsche Führung den Krieg mit Absicht herbeiführte.
 
timotheus schrieb:
Naja, mangelnde Bündnisalternativen gab es ja nicht grundsätzlich, ...
... nach ihm wurde auch dies leichtfertig vertan, so daß es auch dort grundsätzlich keinen Mangel an Bündnisalternativen gab.
Den Mangel gab es 1914 eindeutig. Das Deutsche Reich fühlte sich eingekreist. Weder ein Bündnis mit Frankreich, England oder Rußland war 1914 möglich.
timotheus schrieb:
Einen Wandel im internationalen Staatensystem gab es für die auf Europa konzentrierte deutsche Bündnispolitik lediglich im Balkanraum, ...
Das sehe ich anders. Der Wandel bestand darin, dass sich in den Bündnisse der Bezugs- und Fluchtpunkt änderte: vom Frieden und dessen Erhaltung zum Krieg und dessen erfolgreiche Führung.
timotheus schrieb:
Da kommt nun der Punkt des Mentalitätswechsels und des Denkens in militärischen Kategorien... :grübel:
Hier muß angefügt werden, daß Wilhelm II. eigentlich Bismarck durchaus schätzte, seine politische Sichtweise jedoch für antiquiert hielt. Nach Bismarcks Suspendierung gelangten so Leute an die Regierung, denen weniger an Gleichgewicht und Ausgleich als vielmehr an Demonstration eigener Stärke gelegen war (was der Sichtweise des Kaisers entsprach).
Daraus jedoch auf ein vorsätzliches Kriegstreiben im allgemeinen zu schließen, wäre doch etwas sehr vereinfacht...
Die deutsche Politik griff unter Wilhelm II. recht häufig zu handfesten Kriegsdrohungen. Ich hatte als Beispiel die Marokkokrisen erwähnt. Diese hätten auch rasch zum Krieg führen können. Aus diesen Drohungen lässt sich eben nicht nur das Bedürfnis der deutschen Führung ablesen, Stärke zu demonstrieren, sondern auch dass die neue Generation viel eher als Bismarck bereit war, die Karte des Krieges zu spielen.

Daraus? nicht allein daraus, aber auch daraus;)
timotheus schrieb:
Die letztgenannten Punkte mit den Nationalitätenproblemen und Verhindern bzw. Verschleppen von Reformen waren nicht allein ein deutsches und österreichisch-ungarisches Problem. Dies galt mindestens, wenn nicht gar stärker, ebenso für das Osmanische Reich und für das zaristische Rußland.
Weder das Osmanische Reich noch Rußland waren Mitglied des Zweibundes.;)

Bei den Zweibundstaaten unterblieben auch aus außenpolitischen Erwägungen die nötigen Reformen bzw. wurden diese verschleppt. Die hieraus resultierende Erstarrung dieser Staaten drückte sich u.a. dadurch aus, dass die konservativ-reaktionäre Führungsschicht dieser Staaten ihren Einfluß behielt und sich die Probleme insbesondere von ÖU verschärften. Infolgedessen schritt der Niedergang von ÖU derart fort, dass es 1914 einen Prestiegerfolg benötigte.
timotheus schrieb:
Nun, zwischen diesen beiden Extremen (vorsätzliches Herbeiführen einerseits und Hineinstolpern andererseits) gibt es schon noch ein paar Nuancen ;)
Extreme wären wohl eher Absicht und schuldloses (weder vorsätzliches noch fahrlässiges) Handeln. Zwischen bedingten Vorsatz und Fahrlässigkeit passt nichts mehr.
timotheus schrieb:
Man nahm wohl eher leichtfertig einen regionalen Krieg, in dem Österreich-Ungarn Serbien in die Knie zwingen sollte, in Kauf.
Das ist eine Geschichtslegende. ÖU strebte - zurückhaltend ausgdrückt - die Auslöschung Serbiens als politischen Machtfaktor an. Der Krieg mit Rußland war da vorprogrammiert. Das wußten auch alle in Berlin und Wien. Deshalb drängte Berlin darauf, dass ÖU schnell zum Krieg schreitet und somit die internationale Trauergemeinde (Attentat von Sarajevo) von ÖUs naßforscher Reaktion überrumpelt wird. ABER die Österreicher brauchten für ihre Reaktion eine Ewigkeit. Ja moi, wir sans halt net die schnellste.:)
 
Gandolf schrieb:
Der Zweibund wurde im Oktober 1879 vom Deutschen Reich und Österreich-Ungarn gegründet. Er beinhaltete das Beistandsversprechen im Falle eines Angriffs durch Rußland oder einen von ihm unterstützten Staat. Der Zweibund wurde von Bismarck gegen die rußlandfreundliche Neigungen Kaiser Wilhelm I. durchgesetzt.

1.
Mit dem Zweibund wollte Bismarck den Zaren bewegen zu einer deutschlandfreundlichen Außenpolitik zurück zu kehren. Interessanterweise waren am Anfang des Zweibundes Deutschland und Österreich-Ungarn in der Wahl ihrer Partner noch relativ frei. Doch im Laufe der Zeit entwickelte sich aus diesem Bündnis eine Art Fesselung. Andere Bündnisalternativen kamen abhanden. Deutschland und Österreich-Ungarn waren aufeinander angewiesen.

von den befreiungskriegen bis 1878 behandelten sich russland und preussen/deutschland zumindest wohlwollend neutral, wenn es um bewaffnete konflikte des einen mit andern parteien gab (krimkrieg, einigungskriege). die preussisch-deutsche aussenpolitik behandelte dieses wohlwollen auch als eine art konstante, die man nicht besonders pflegen musste. was u.a. auch daran lag, dass man sich ein bündnis der republik frankreich mit dem autokratischen russland nicht vorstellen konnte. daher war es wohl einigermassen überraschend auch für bismarck, als sich russland durch ihn beim berliner kongress zurückgesetzt fühlte. erst danach entstand das gefühl, sich ggf. auch gegen russland absichern zu müssen.
 
Gandolf schrieb:
2.
Ursprünglich war der Zweibund als Verteidigungsbündnis gedacht, mit dem der Frieden erhalten werden sollte. 1914 entpuppte sich der Zweibund als ein Bündnis der beiden Mächte Europas, die für den Ausbruch des Ersten WK die Hauptschuld trugen. Ganz offensichtlich entwickelte sich der Zweibund vom Verteidigungsbündnis zum Angriffsbündnis.

auch 1914 war es kein angriffsbündnis: österreich-ungarn fühlte sich nicht ganz zu unrecht von serbien angegriffen, die russische mobilmachung musste in deutschland nach "fahrplan" eine entsprechende gegenreaktion hervorrufen. alle militärischen planungen, sowohl auf seiten der mittelmächte als auch auf russischer und französischer seite waren offensiv ausgerichtet, eine rein defensiv ausgreichtete strategie gab es leider nicht.
 
Gandolf schrieb:
3.
Zur Zeit des Zweibundes veränderte sich die Gestalt des internationalen Staatensystems und die Mentalität der Verantwortlichen. Der Generation Bismarck war der Schrecken des Krieges noch bekannt. Sie versuchte 1871-1890 den Frieden zu erhalten und das Erreichte zu sichern. Die nachfolgenden Generationen hingegen kannten den Krieg nicht und waren eher bereit, diesen zu riskieren. Ihr Blick war nicht mehr auf den Frieden und dessen Erhaltung sondern auf den Krieg und dessen erfolgreiche Führung gerichtet

krieg war damals ein legitimes mittel der politik. niemand scheute es einzusetzen, wenn es erforderlich erschien und die aussenpolitischen gegebenheiten günstig erschienen. sowas wie "schrecken des krieges" gabs noch nicht (auch wenn auch schon damals kriege schrecklich waren).
bismarck erkannte nur, dass das deutsche reich zum einen eine kritische größe erreicht hatte, durch sein bündnissystem vor dem einzig wahrscheinlichen gegner abgesichert war und es nach der einigung um die innere struktur des reiches ging.
 
Gandolf schrieb:
4.
Der Zweibund war ein kontinentales Militärbündnis. Es sollte die Sicherheit seiner Bundespartner in einer Zeit sichern, in der die Internationale Politik globaler wurde und politische Ziele auch durch eine friedliche wirtschaftliche Durchdringung erreicht werden konnten. Die verantwortlichen Männer des Zweibundes dachten jedoch vorwiegend in militärischen Kategorien. Im Zuge der sich verschärfenden internationalen Entwicklung fielen sie auf die alte Methode der plumpen Eroberung zurück.

österreich-ungarn blieb bis zum ende eine kontinentale macht, das deutsche reich war um 1879 eine rein kontinentale macht ohne besondere kolonialen ambitionen. als grösste militärische und dann auch wirtschaftliche macht europas änderte sich die position deutschlands bis 1914 natürlich. aber global und europäisch waren bis 1914 weitgehend synonym (ausnahme usa) und auch der erste weltkrieg war in erster linie ein europäischer krieg, auch wenn einige unbedeutende kampfhandlungen in afrika und asien ausgetragen wurden (mit dem kriegseintritt der usa ändert sich das).
die wirtschaftliche verflechtung der kriegsgegner war auf einem niveau, welches erst vor ein paar jahren wieder im rahmen der eu erreicht wurde. aus wirtschaftlichen erwägungen hätte england neutral bleiben müssen.
und wenn man sich die kriegsziele bethmann-hollwegs durchliest, wird man fetsstellen müssen, dass die schaffung einer einheitlichen wirtschaftszone von deutscher seite geplant war, eine art frühe ewg. "plumpe eroberungen" waren sekundär.
 
Vielleicht sollte man sich mal genauer anschauen warum Österreich-Ungarn eine Auslöschung Serbiens als politischer Faktor wünschte. Die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und Serbien waren traditionell sehr gut, Wien galt für Jahrhunderte als Zufluchtsstätte der serbischen Intelligenza. Nach der Unabhängigkeit Serbiens bestand das gute Einverständnis zwischen der Regierung in Wien und Belgrad weiter bis 1903 der letzte Vertreter der Dynastie Obrenovic, König Alexander gemeinsam mit seiner Frau von einer Offiziersverschwörung umgebracht wurde.
Die nachfolgende Dynastie der Karadordevic verbündeten sich sofort mit Russland, dem größten Gegner Österreich-Ungarns.
 
collo schrieb:
von den befreiungskriegen bis 1878 behandelten sich russland und preussen/deutschland zumindest wohlwollend neutral, wenn es um bewaffnete konflikte des einen mit andern parteien gab (krimkrieg, einigungskriege). die preussisch-deutsche aussenpolitik behandelte dieses wohlwollen auch als eine art konstante, die man nicht besonders pflegen musste. was u.a. auch daran lag, dass man sich ein bündnis der republik frankreich mit dem autokratischen russland nicht vorstellen konnte. daher war es wohl einigermassen überraschend auch für bismarck, als sich russland durch ihn beim berliner kongress zurückgesetzt fühlte. erst danach entstand das gefühl, sich ggf. auch gegen russland absichern zu müssen.
Kaiser Wilhelm I. steht für diese Tradition der guten preussisch-russischen Beziehungen. Er war russlandfreundlich und musste von Bismarck zum Zweibund geradezu genötigt werden. Bismarck drohte mit seinem Rücktritt für den Fall, dass der Monarch den Vertrag nicht unterschreiben würde.

Erste Spannungen sind jedoch bereits nach der Reichsgründung (1871) aufgetreten. Rußland hatte diese unterstützt und erwartete nun die Dankbarkeit des neuen Reiches. Es spielte sich in der Folgezeit als dessen Gouvernante auf. Dies war noch kein offener Konflikt, aber lästig. Zudem fühlte sich Bismarck genötigt, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu demonstrieren. Reibungen gab es auch wegen der deutschen Schutzzollpolitik, durch die sich Rußland in seinen agrarischen Exportinteressen getroffen sah.

Nach dem Berliner Kongreß (13.6.-13.7.1878) brach der Gegensatz zu Rußland abrupt auf. In seinem Handschreiben vom 15.08.1879 (sog. "Ohrfeigenbrief") überhäufte der Zar den deutschen Kaiser mit Vorwürfen. Der Zweibund, deren abwehrende Spitze gegen Rußland gerichtet war, stellte als Defensivbündnis nur eine begrenzte Option für Österreich-Ungarn dar. Den Russen sollte die Gefahr einer Isolierung drohend vor Augen geführt werden und St. Petersburg zur Wiederannäherung an Berlin bewegt werden. Im Grunde hoffte Bismarck das Ziel des verlorengegangenen Dreikaiserabkommen (1872) auf diesem Weg zu erreichen.
 
Gandolf schrieb:
Deshalb drängte Berlin darauf, dass ÖU schnell zum Krieg schreitet und somit die internationale Trauergemeinde (Attentat von Sarajevo) von ÖUs naßforscher Reaktion überrumpelt wird. ABER die Österreicher brauchten für ihre Reaktion eine Ewigkeit.
Warum brauchte Wien so lange? Es tobten am Ballhausplatz erbitterte Kämpfe zwischen der Kriegspartei um Generalstabschef Conrad von Hötzendorf und der Friedenspartei rund um Aussenminister Graf Tisza und dem greisen Kaiser Franz Joseph. Letzterer - 84 Jahre alt und bereits 66 Jahre auf dem Thron - fuhr am 7. Juli 14 wie jedes Jahr nach Ischl, Aussenminister Tisza verlor damit seine wichtigste Stütze im Ministerrat in dem der Kaiser den Vorsitz führte.
Gandolf schrieb:
Ja moi, wir sans halt net die schnellste.:)
Sowas kannst dir sparen - dieser neureiche Hurra-wir-sind-nun-wer-Imperialismus war ja auch kein Musterbeispiel weitblickender Diplomatie
 
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