Indoeuropäisch / Indogermanisch

hyokkose schrieb:
Was ich davon halte? Nicht viel...

Woher kommt dann der germanische Ablaut?

Ganz einfach so von selbst kommt sowas ja nicht, oder? Eine Vereinfachung/Reduktion der Gramatik (Wegfall von Formen, Fällen, Endungen, usw.) ist ja nicht unüblich, aber eine zusätzliche Konjugationsregel greift man sich doch nicht aus der Luft.:grübel:
 
Pope schrieb:
Woher kommt dann der germanische Ablaut?

Der Ablaut als solcher ist ja keine germanische Erscheinung. Die traditionelle Erklärung lautet dahingehend, daß "der Ablaut im Germanischen bewahrt und ausgebaut worden" ist. (Michael Meier-Brügger, Indogermanische Sprachwissenschaft, Berlin / New York 200, S. 139)
 
hyokkose schrieb:
Der Ablaut als solcher ist ja keine germanische Erscheinung. Die traditionelle Erklärung lautet dahingehend, daß "der Ablaut im Germanischen bewahrt und ausgebaut worden" ist. (Michael Meier-Brügger, Indogermanische Sprachwissenschaft, Berlin / New York 200, S. 139)

Was demnach bedeuten würde, dass die Grammatik der PIE-Sprache(n) ein Ablautsystem bereits beinhaltet haben muss. Hatte das Hethitische denn auch eine Ablaut-Regel? Das Persische? Sanskrit? Oder haben die bereits 1.500-1.000 v.Chr. keine Spur mehr davon ... :grübel:
 
Jürgen schrieb:
Wenn das alles so stimmt, war die Bauweise der Gehöfte bereits "vor-indogermanisch".
mfG Jürgen

Lieber Jürgen,
das kann so gewesen sein. Anscheinend muß noch einige Zeit vergehen. Bis sich neuere Erkenntnisse durchgesetzt haben.:grübel:
 
El Quijote schrieb:
Alt, aber immer noch ein Standardwerk :D

Hängen wir mal vorsichtshalber noch eine Null daran:


Michael Meier-Brügger, Indogermanische Sprachwissenschaft, Berlin / New York 2000

Inzwischen gibt es wohl eine Neuauflage, ich bin aber zu faul, nach der neuesten Jahreszahl zu suchen.
 
Pope schrieb:
Was demnach bedeuten würde, dass die Grammatik der PIE-Sprache(n) ein Ablautsystem bereits beinhaltet haben muss. Hatte das Hethitische denn auch eine Ablaut-Regel? Das Persische? Sanskrit? Oder haben die bereits 1.500-1.000 v.Chr. keine Spur mehr davon ... :grübel:

Das indoeuropäische Ablautsystem wurde schon von den Vätern der Indogermanistik beschrieben. Es betraf ursprünglich nur die Vokale e und o, die als "Vollstufe", "Dehnstufe" (Langvokal) und "Schwundstufe" (Vokalverlust) auftreten.

Im Germanischen führt eine Serie von lautgesetzlichen Änderungen dazu, daß das System nicht nur auf e und o, sondern auf nahezu alle Vokale ausgedehnt wird.
Z. B. wird aus dem ur-indoeuropäischen *bhendh - *bhondh- *bhndh im Deutschen "binden - band - (ge)bunden".

In den indoiranischen Sprachen ist der Unterschied zwischen ursprünglichem e und o praktisch aufgehoben (urindoeuropäisch *kwod und *kwe werden z. B. vedisch zu kad und ca), daher ist hier der qualitative Ablaut praktisch nicht mehr erkennbar, jedoch sehr gut der quantitative Ablaut (z. B. "man"-"mn").

Dieser ist auch im Hethitischen nachweisbar (z. B. "kuen-zi" - "kun-anzi").
 
Aus dem oben angeführten Buch von Vennemann möchte ich eine interessante Sichtweise herausgreifen:

Vennemann schrieb:
Ich bin der Überzeugung, daß mehr als die Hälfte des altgermanischen Grundwortschatzes nicht auf indogermanisches Wortgut zurückgeht, sondern aus nicht-indogermanischen Sprachen entlehnt worden ist.
Dabei weicht meine Auffassung in einem wesentlichen Punkt von der Deutung derjeniger ab, die die These von dem Drittel nicht-etymologisierbaren germanischen Wortschatzes vertreten. Es wird von jenen Autoren immer behauptet, daß jener unetymologisierbare Wortschatz auf Substrateinfluß beruhe. Dabei werden regelmäßig die folgenden Sachgruppen genannt, auf die sich dieser Wortschatzanteil verteile:

1. Kriegswesen, Waffen und Verwandtes
Wörter wie *gunthjo 'Kampf', treffen, fliehen, Hader, zwingen, feige, Waffe, Krieg, Spieß, Schwert

2. Rechtswesen
Wörter wie Sühne, Rüge, stehlen, Dieb, Schuld, Gewähr/gewähren, ahd. ewa 'Gesetz".

3. Staatswesen und Gemeinschaftsleben
Wörter wie Knecht, Schalk, Sünde, Ding, Volk, Huld, weihen, Diener/Dirne, Adel, Leid, Schultheiß, Graf

[...]

Die Auffassung, daß es sich hier durchweg um Substrateinfluß handele, widerspricht den Erkenntnissen der Sprachkontaktforschung. Mindestens die ersten drei Gruppen deuten auf Superstrateinfluß. Man muß also entweder die Theorie eines fremden Einflusses in diesen Bereichen gänzlich aufgeben, also etwa wich die unhaltbare Auffassung Neumanns zu eigen machen, oder man muß sich zu der Auffassung bequemen, daß die Germanen in ihrer Vorgeschichte einem Superstrat ausgesetzt waren. Dies habe ich den Germanisten in meinem Aufsatz 1984a zu bedenken gegeben, aber ohne Echo. Selbst bin ich seither zu der Auffassung gelangt, daß sowohl die Voraussetzung als auch die Konsequenz richtig ist.

Zur Erläuterung des Begriffs "Superstrat":
Der Begriff bezeichnet eine Sprache oder Varietät, welche die Struktur einer anderen beeinflusst hat. Dabei nimmt eine Sprachgemeinschaft von der Sprache eines zugewanderten, oft erobernden Volkes Teile derer Sprache an.
http://de.wikipedia.org/wiki/Superstrat

Demnach hätten in unserem Fall die einwandernden (und als Eroberer auftretenden) Megalithiker die indoeuropäische Sprache der ansässigen Bevölkerung stark beeinflußt, und aus diesen Einflüssen wäre die Entwicklung des Germanischen zu erklären...
 
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Spannend, was der Herr Venneman da von sich gibt! Gibt es neben den drei Bereichen (Krieg, Rechts- und Staatswesen) noch andere abgrenzbare Sub- oder Superstratsbereiche, die er für nennenswert hält?

hyokkose schrieb:
Demnach hätten in unserem Fall die einwandernden (und als Eroberer auftretenden) Megalithiker die indoeuropäische Sprache der ansässigen Bevölkerung stark beeinflußt, und aus diesen Einflüssen wäre die Entwicklung des Germanischen zu erklären...

Mit den Megalithikern lehnst Du Dich hypothetisch etwas aus dem Fenster, es sei denn Du siehst dieses Superstrat auch in iberischen Sprachen oder im Keltischen, welche ja zu jener Zeit ebenfalls von "den Megalithikern" dominiert worden sein mussten.
 
Pope schrieb:
Spannend, was der Herr Venneman da von sich gibt! Gibt es neben den drei Bereichen (Krieg, Rechts- und Staatswesen) noch andere abgrenzbare Sub- oder Superstratsbereiche, die er für nennenswert hält?

Die übrigen - von mir nicht zitierten Bereiche - betreffen:
- Haus- und Landwirtschaft, Hausbau, Siedlungswesen u. dgl.
- sonstige Ausdrücke einer höheren Kultur ("tausend", "Zeit")
- Seewesen, Schifffahrt und Verwandtes
- Tier- und Pflanzennamen
- Ausdrücke aus den zahlreichen Sphären des täglichen Lebens



Pope schrieb:
Mit den Megalithikern lehnst Du Dich hypothetisch etwas aus dem Fenster, es sei denn Du siehst dieses Superstrat auch in iberischen Sprachen oder im Keltischen, welche ja zu jener Zeit ebenfalls von "den Megalithikern" dominiert worden sein mussten.

Nicht ich, sondern Vennemann lehnt sich aus dem Fenster. Das Superstrat meint er auch im Keltischen feststellen zu können.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Besten Dank, hyokkose, dass du die zentralen Thesen Vennemanns kurz vorgestellt hast. Aber was bedeutet das nun?

Nach Vennemann zählten große Teile Festlandeuropas zur prähistorischen vasconischen oder alteuropäischen Sprachfamilie, von der allein das Baskische erhalten blieb. Diese Sprachfamilie wurde im 6. Jahrtausend überlagert von den indoeuropäischen Sprachen, die – wieder nach Vennemann – vom Balkan her nach Mitteleuropa vordrangen.

Danach hätten wir es, wenn ich das recht interpretiere, beim Germanischen mit einer im Kern vasconischen, aber indoeuropäisch überformten Sprache zu tun!?

Für mich ist das eine äußerst interessante Theorie, denn ich habe mich ewig gefragt, was denn wohl vor Einbruch des Indoeuropäischen im alten Europa gesprochen wurde – sofern man, wie ich, davon ausgeht, dass Indoeuropäisch keine "autochthone" mitteleuropäische Sprache ist, d.h. nicht schon im Mesolithikum hier gesprochen wurde. Vennemann bietet da zumindest ein Denkmodell.

Was haltet ihr denn von seinen Thesen?
 
Dieter schrieb:
Danach hätten wir es, wenn ich das recht interpretiere, beim Germanischen mit einer im Kern vasconischen, aber indoeuropäisch überformten Sprache zu tun!?

Nein, es handelt sich um eine im Kern indoeuropäische Sprache mit einem vaskonischen Substrat und einem starken atlantischen Superstrat.


Dieter schrieb:
Für mich ist das eine äußerst interessante Theorie, denn ich habe mich ewig gefragt, was denn wohl vor Einbruch des Indoeuropäischen im alten Europa gesprochen wurde – sofern man, wie ich, davon ausgeht, dass Indoeuropäisch keine "autochthone" mitteleuropäische Sprache ist, d.h. nicht schon im Mesolithikum hier gesprochen wurde. Vennemann bietet da zumindest ein Denkmodell.

Ich hege die Vermutung, daß die vor-indoeuropäische Sprachlandschaft bunter war, als es Vennemann hinstellen will. Aus Iberien sind allein zwei Sprachen belegt, die sich weder mit dem Baskischen noch mit dem Indoeuropäischen verbinden lassen, nämlich das Tartessische und das Iberische (nicht zu verwechseln mit dem indoeuropäischen Keltiberisch). Aus Italien haben wir das Etruskische und das möglicherweise (aber nicht beweisbar) mit dem Etruskischen in einer Beziehung stehende Rätische. Von daher ist es wenig wahrscheinlich, daß das (hypothetische) Atlantische im Westen und das Indoeuropäische im Osten eine auch nur halbwegs einheitliche "alteuropäische" Sprache eingerahmt haben könnte.
 
hyokkose schrieb:
Ich hege die Vermutung, daß die vor-indoeuropäische Sprachlandschaft bunter war, als es Vennemann hinstellen will.

Was sind denn mögliche "Kandidaten" für die Formung der prä-historischen Sprachlandschaft Europas?

1. Die Mesolithiker

Kann man sich eigentlich nicht als homogene Sprachgemeinschaft vorstellen. Schon während der Eiszeit werden sich aufgrund von Regionalisierung mindestens starke Dialekte, wenn nicht gar neue Sprachen gebildet haben. Alleine schon die weiten Entfernungen werden keine direkten Kontakte zwischen Iberien und dem Balkan, Italien und Baltikum zugelassen haben. Auch die geographisch eingrenzbaren Erscheinungen, wie die Höhlenmalerei, deuten ja darauf hin, dass die Regionen sich eigenständig entwickelten.

Bestenfalls haben wir es demnach um 7.000 v.Chr. mit einem Sprachschatz von mehreren aus einer Sprache entstandenen Untersprachen oder Dialekten.

2. Das Frühneolithikum

Zum einen kommt aus Südeuropa das "La Hoguette"-Phänomen auf (Keramik, Ziegenhaltung, Sesshaftigkeit), das mögicherweise sprachliche Elemente mitgebracht hat. Zum anderen haben wir die anatolischen-südosteuropäischen Landwirte, die in Mitteleuropa als Bandkeramiker in Erscheinung treten.

3. Neolithikum, Chalkolithikum

Schnurkeramiker aus dem Gebiet des Schwarzen Meeres (?) breiten sich in Ost- und Mitteleuropa und frühe Megalithiker (von den Britischen Inseln?) an der atlantischen Küste aus.

--------

Wollte man dem folgen, hätten wir bereits fünf größere Sprachcluster, die in Europa um 2,000 v.Chr. anzutreffen wären.
 
Pope schrieb:
1. Die Mesolithiker

Kann man sich eigentlich nicht als homogene Sprachgemeinschaft vorstellen. Schon während der Eiszeit werden sich aufgrund von Regionalisierung mindestens starke Dialekte, wenn nicht gar neue Sprachen gebildet haben. Alleine schon die weiten Entfernungen werden keine direkten Kontakte zwischen Iberien und dem Balkan, Italien und Baltikum zugelassen haben. Auch die geographisch eingrenzbaren Erscheinungen, wie die Höhlenmalerei, deuten ja darauf hin, dass die Regionen sich eigenständig entwickelten.

Bestenfalls haben wir es demnach um 7.000 v.Chr. mit einem Sprachschatz von mehreren aus einer Sprache entstandenen Untersprachen oder Dialekten.

Das halte ich auch für wahrscheinlich.


Pope schrieb:
Schnurkeramiker aus dem Gebiet des Schwarzen Meeres (?) breiten sich in Ost- und Mitteleuropa und frühe Megalithiker (von den Britischen Inseln?) an der atlantischen Küste aus.

Hier würde ich vor allem die Fragezeichen dick unterstreichen. "Schnurkeramiker" gibt es am Schwarzen Meer nicht, allenfalls schnurverzierte Keramik. Die gab es aber auch in anderen Teilen Europas schon vor der Schnurkeramik.
Eine Schnurverzierung macht noch keine Kultur.
Roman/Dodd-Opriţescu/János schrieb:
Obwohl eine allmähliche Tendenz zu gemeinsamen Formen zu bemerken ist, unterscheidet sich die schnurverzierte Keramik Südosteuropas wesentlich von der Keramik anderer Zentren mit Schnurkeramik in Europa.
[...]
Schnurverzierung gibt es aber auch in älteren Perioden: vgl. Behrens, Jahresschr. Halle 64, 1979, 9 ff. und auch außerhalb des geographischen Raumes von Mitteleuropa [...]

Petre I. Roman, Ann Dodd-Opriţescu und János Pál, Beiträge zur Problematik der schnurverzierten Keramik Südosteuropas, Mainz 1992

* * *

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch die Theorie des finnischen Linguisten Kalevi Wiik vorstellen (Kalevi Wiik, Some ancient and modern linguistic processes in northern Europe, in: Time Depth in Historical Linguistics, Band 2, Oxford 2000):

Zunächst einmal betont Wiik, daß die Verbreitung einer neuen Kultur zwar die Verbreitung einer neuen Sprache bedingen kann, daß jedoch die Übernahme einer neuen Sprache sich mit beträchtlicher zeitlicher Verzögerung vollziehen kann.
Zunächst bringt die neue Kultur nur Lehnwörter mit sich, insbesondere für die neuen kulturellen Errungenschaften. Das kann der Beginn eines längeren Prozesses sein, bei dem immer mehr Lehnwörter übernommen werden, bis schließlich die Sprecher der alteingesessenen Sprachen dazu übergehen, auch die Grammatik der neuen Sprache (der lingua franca oder was auch immer) zu lernen.
Dieser Prozeß kann in wenigen Jahrzehnten vonstatten gehen, er kann aber auch tausend Jahre beanspruchen. (Wiik erläutert dies am Beispiel des Finnischen, das vor 800 Jahren begonnen hat, Lehnwörter aus dem Schwedischen aufzunehmen; dieser Prozeß ist heute noch nicht abgeschlossen.)
Laut Wiik wäre die Verbreitung des Ackerbaus zwar die Ursache für die Verbreitung des Indoeuropäischen, doch heißt das nicht, daß die frühen Linienbandkeramiker alle Indoeuorpäisch gesprochen hätten, sondern eventuell erst ihre Nachkommen 1000 Jahre später.

Ausgehend von den bis auf früheste Zeiten zurückreichenden gegenseitigen Beziehungen zwischen den uralischen und indoeuropäischen Sprachen kommt Wiik zu der Auffassung, daß einst große Teile Nord- und Osteuropas (bis einschließlich Norddeutschland) von uralisch sprechenden Jägern und Fischern besiedelt waren.

Das Proto-Germano-Balto-Slavische (das er mit der Trichterbecherkultur in Beziehung setzt) wäre somit die Schnittmenge aus Indoeuropäisch und uralischem Substrat.

Ähnlich wie Vennemann schreibt Wiik das rätselhafte Drittel des germanischen Wortschatzes einem Superstrat der Megalithkultur zu. Allerdings bezeichnet Wiik diese Sprache als unbekannte Sprache x und ordnet sie nicht dem semitischen Kreis zu.

Das Germanische bestünde also aus indoeuropäischem Kern + uralischem Substrat + unbekanntem (aber der Megalithkultur zuzuschreibendem) Superstrat.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
hyokkose schrieb:
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch die Theorie des finnischen Linguisten Kalevi Wiik vorstellen

Ich wollte schon anmerken, dass es für jeden Forscher eine Theorie gibt. Dann fiel mir Braasch ein, und ich komme zur Behauptung, dass es in dieser Frage sogar mehr Theorien als Forscher zu geben scheint.:weinen:
 
Im Gegensatz zu Vennemann finde ich bei Wiiks Ansatz sympathischer, daß er eine unbestimmte Anzahl von unbekannten Sprachen "x" einkalkuliert. Das gilt nicht nur für die Sprache der norddeutsch-südskandinavischen "Megalithiker", sondern auch für die vor-indoeuropäischen Sprachen Mittel- und Südosteuropas.

An den sehr frühen uralisch-indoeuropäischen Beziehungen ist nicht zu zweifeln. Ob das berechtigt, daraus eine Karte der ursprünglichen Verbreitung der uralischen Sprachen zu rekonstruieren, wie Wiik das tut (auch wenn Wiik selbst das eher als Vorschlag - "assumed areas" - ansieht), darf allerdings füglich bezweifelt werden.

Um noch einen archäologischen Standpunkt zur Sprache zu bringen: Der von mir bereits öfter zitierte Alexander Häusler hat ja immer wieder die verschiedenen Modelle für die Ausbreitung der indoeuropäischen einer sehr kritischen Prüfung aus archäologischer Sicht unterzogen.

Zu Vennemanns Thesen schreibt er:

Häusler schrieb:
Für die Dolmen und Ganggräber zeichnet sich ein hohes Alter (ab 5000 cal BC) vor allem in der Bretagne, Westzentralfrankreich und Westiberien, evtl. auch in Irland, ab. [...] Der gesamte skandinavisch-nordmitteleuropäische Megalithkomplex liegt in seinen Anfängen weit später als der westeuropäische und iberische Zeithorizont der Großsteingräber. Wesentlich jünger sind die Dolmen und Ganggräber der west- und südeuropäischen Mittelmeergebiete. Das "Ursprungsgebiet" der Megalithgräber kann schon deshalb nicht dort gelegen haben.
[...]
Die noch vor einem halben Jahrhundert anzutreffenden Vermutungen, die Megalithgräber Mittel- und Nordeuropas gingen auf das Wirken fremdländischer Missionare, Seefahrer, oder sonstiger Zuwanderer aus Ägypten, dem Mittelmeerraum oder von der Iberischen Halbinsel, zurück, sind forschungsgeschichtlich überholt.
Alexander Häusler, Ursprung und Ausbreitung der Indogermanen: Alternative Erklärungsmodelle, in: Indogermanische Forschungen, Band 107, 2002

Auch gegenüber der von Vennemann und Wiik vertretenen Theorie eines "megalitischen" Superstrats im Germanischen steht Häusler sehr reserviert gegenüber:
Häusler schrieb:
Es sei betont, daß die Termini TBK [=Trichterbecherkultur] und Megalithkultur bisweilen synonym verwendet werden (das wird u. a. auch bei Wiik 2000 übersehen). [...] Mit den Termini TBK und Megalithkultur werden also jeweils nur bestimmte auffallende Merkmale (eine spezifische Gefäßform; auffallende Grabformen) ein- und derselben Kultur (Bevölkerung) hervorgehoben [...] Alle Megalithgräber Mittel- und Nordeuropas wurden von der alteingesessenen, autochthonen Bevölkerung, insbesondere der TBK, angelegt [...]

Abgesehen von dieser speziellen Superstrattheorie hält Häusler dennoch Wiiks Modell der Ausbreitung des Indoeuropäischen für vertretbar:
Häusler schrieb:
Die Thesen von N. S. Trubetzkoy, W. P. Schmid und J. Udolph sowie von K. Wiik harmonieren mit den Ergebnissen der Archäologie über die Genese der Völker Europas. Deshalb ist ihnen gegenüber den archäologisch nicht zu verifizierenden, weithin grassierenden Migrationshypothesen, aus welcher Himmelsrichtung auch immer, der Vorzug zu geben.
 
Von den sprachlichen Eigenheiten abgesehen, sind die meisten dieser "Eigenheiten" so trivial, daß sie bei den meisten nicht-indoeuropäischen Völker ebenso zu finden sind.

Hallo Hyokkose,

Du scheinst dich, was die ganze Angelegenheit mit der indogermanistischen Historiolinguistik vorzüglich auszukennen. Und da man in den verschiedensten Threads immer wieder kursorisch auf dieses leidliche Thema der Indoeuropäer, die nur sprachlich ansonsten unbezegt sind, zurückkommt, würde mich mal eines interessieren:

Gibt es eigentlich eine Kritik der "Indogermanistik"? Ihre Anfänge liegen ja nuneinmal sehr weit zurück. Lassen sich ihre Basisannahme im 21. Jahrhundert nicht eigentlich mit alternativen Theorien besser erklären? Kennst du vielleicht Autoren, die soetwas wenigstens andeuten. Ich denke an einer Art "radikale Wellentheorie". Gibt es so etwas?
 
Gibt es eigentlich eine Kritik der "Indogermanistik"? Ihre Anfänge liegen ja nuneinmal sehr weit zurück. Lassen sich ihre Basisannahme im 21. Jahrhundert nicht eigentlich mit alternativen Theorien besser erklären? Kennst du vielleicht Autoren, die soetwas wenigstens andeuten. Ich denke an einer Art "radikale Wellentheorie". Gibt es so etwas?

Ich weiß nicht, was genau Du unter "Basisannahmen" verstehst.

Eine ziemlich radikale Kritik hat bereits in den 1930er Jahren Nikolai S. Trubetzkoy ("Gedanken über das Indogermanenproblem", erschienen 1939) geäußert, zumindest wird hier der Komplex "Ursprache/Urheimat/Urvolk" verworfen.
 
Germanisch / Indogermanisch

Eine Frage:
Sprachen Germanen untereinander Germanisch oder Indogermanisch / Indoeuropäisch ?
 
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