Ich bin der Überzeugung, daß mehr als die Hälfte des altgermanischen Grundwortschatzes nicht auf indogermanisches Wortgut zurückgeht, sondern aus nicht-indogermanischen Sprachen entlehnt worden ist.
Dabei weicht meine Auffassung in einem wesentlichen Punkt von der Deutung derjeniger ab, die die These von dem Drittel nicht-etymologisierbaren germanischen Wortschatzes vertreten. Es wird von jenen Autoren immer behauptet, daß jener unetymologisierbare Wortschatz auf Substrateinfluß beruhe. Dabei werden regelmäßig die folgenden Sachgruppen genannt, auf die sich dieser Wortschatzanteil verteile:
1. Kriegswesen, Waffen und Verwandtes
Wörter wie *gunthjo 'Kampf', treffen, fliehen, Hader, zwingen, feige, Waffe, Krieg, Spieß, Schwert
2. Rechtswesen
Wörter wie Sühne, Rüge, stehlen, Dieb, Schuld, Gewähr/gewähren, ahd. ewa 'Gesetz".
3. Staatswesen und Gemeinschaftsleben
Wörter wie Knecht, Schalk, Sünde, Ding, Volk, Huld, weihen, Diener/Dirne, Adel, Leid, Schultheiß, Graf
[...]
Die Auffassung, daß es sich hier durchweg um Substrateinfluß handele, widerspricht den Erkenntnissen der Sprachkontaktforschung. Mindestens die ersten drei Gruppen deuten auf Superstrateinfluß. Man muß also entweder die Theorie eines fremden Einflusses in diesen Bereichen gänzlich aufgeben, also etwa wich die unhaltbare Auffassung Neumanns zu eigen machen, oder man muß sich zu der Auffassung bequemen, daß die Germanen in ihrer Vorgeschichte einem Superstrat ausgesetzt waren. Dies habe ich den Germanisten in meinem Aufsatz 1984a zu bedenken gegeben, aber ohne Echo. Selbst bin ich seither zu der Auffassung gelangt, daß sowohl die Voraussetzung als auch die Konsequenz richtig ist.