Belgische Neutralität

Eusebius

Mitglied
Ich hätte da mal eine Frage:

1914 überrannte Deutschland Belgien (nachdem Druchmarschrechte abgelehnt worden waren), um Frankreich in einem schnellen Feldzug aus dem Krieg zu werfen. In den Unterlagen, die ich bisher gelesen habe, wird dafür immer die die strategische Planung des deutschen Genralstabes angeführt, in der Belgien als Aufmarschgebiet notwendigerweise mit allen dazugehörigen Risiken einkalkuliert wurde.

Belgien hatte sich neutral erklärt, trotzdem bewegt mich die Frage, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Kriegseintritt Belgiens auf Seiten der Entente zu befürchten war? Demzufolge wäre der Neutralitätsbruch nicht nur als taktische Notwendigkeit zu sehen, sondern als vorbeugende strategische Maßnahme.
Zugleich möchte ich keine "Was wäre wenn" - Diskussion vom Zaune brechen und meine Frage nochmal aus anderer Perspektive stellen: Hatte der deutsche Generalstab (oder für 1914 besser: die Verantwortlichen in Deutschland) Informationen, die auf eine langfristig aggressive Haltung Belgiens hindeuteten und eine Ausschaltung dieser Gefahr vorrangig erscheinen ließen? Es geht mir also nicht darum, was passiert wäre, wenn die deutsche Armee Belgien nicht überrannt hätte, sondern um die politische Lage im Vorfeld, den Informationsstand der Entscheidungsträger und deren Motivationen für ihre Entscheidungen.

Für Stellungnahmen und Antworten möchte ich mich an dieser Stelle bereits bedanken!
 
Das Deutsche Reich forderte Belgien im Vorfeld des ersten Weltkrieges auf, die Deutschen Truppen nach Frankreich durchmarschieren zu lassen (Schlieffenplan). Belgien lehnte ab, was dann zur Besetzung Belgiens führte. Es ging keine Aggression Seitens Belgiens voraus.

Trotz den massiven Repressionen gegenüber der Zivilbevölkerung und die Materialschlachten im Westen Belgiens, lehnte es Albert I ab, die Neutralität ganz aufzugeben und sich den Alliierten mit allen Konsequenzen anzuschliessen, er beharrte auf dem Status eines Assoziierten.
 
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Handelt es sich bei dieser Haltung des belgischen Königs um den Versuch, die Neutralität aufrecht zu erhalten, was für den unbedingten Wunsch spräche, sich aus dem Kriege herauszuhalten, oder handelt es sich hier um ein politisches Manöver, die dem militärisch wehrlosen Land in Zukunft eine gute diplomatische Position sichern sollte?

Welche Bedeutung ist dem Status eines "Assoziierten" der Ententemächte beizumessen? Wenn ich dies als "der Entente nahestehend" deuten kann und dieser Zustand schon vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten bestand, dann wäre eine skeptische Haltung Deutschlands gegenüber Belgien vielleicht nachvollziehbar.
 
Handelt es sich bei dieser Haltung des belgischen Königs um den Versuch, die Neutralität aufrecht zu erhalten, was für den unbedingten Wunsch spräche, sich aus dem Kriege herauszuhalten, oder handelt es sich hier um ein politisches Manöver, die dem militärisch wehrlosen Land in Zukunft eine gute diplomatische Position sichern sollte?

Die von mir beschriebene Haltung des Königs war während des ersten Weltkrieges, als sein Land schon von den Deutschen besetzt war und nicht vor dem Krieg. Da hatten Belgien einen neutralen Status.

Welche Bedeutung ist dem Status eines "Assoziierten" der Ententemächte beizumessen? Wenn ich dies als "der Entente nahestehend" deuten kann und dieser Zustand schon vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten bestand, dann wäre eine skeptische Haltung Deutschlands gegenüber Belgien vielleicht nachvollziehbar.

Wie oben schon gesagt, das war während der Besetzung und nicht vor dem Krieg. Deine Frage betrifft ja die Situation vor dem ersten Weltkrieg und nicht die Haltung während des Krieges. Wenn ich dich richtig verstehe.

Man kann es drehen und wenden wie man will, das Deutsche Reich hat ein neutrales Land überfallen, was dann zur Kriegserklärung Seitens England führte.
 
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Hallo,

Die Zuspitzung der Ereignisse, die zur Verletzung der Neutralität Belgiens durch deutsche Truppen führten, hat ursächlich nichts mit dem Ablauf einiger weniger Tage im Juli und August 1914 zu tun.

Vorab: Bereits am 2.8.1914 marschierten deutsche Truppen auf gleicher strategischer Basis in Luxemburg ein. Das Ultimatum an Belgien vom 3.8.1914, seine Zurückweisung waren politischer Bestandteil eines militärischen Automatismus der Schlieffen-Planung, die für einen (befürchteten) Zweifrontenkrieg als einzigen Ausweg die offensive und schnellstmögliche Kriegführung gegen Frankreich vorsah.

So gesehen war der Neutralitätsbruch am 4.8.1914 logische Folge einer politischen Eskalation, für die deutscherseits eine feste Militärplanung bestand. Der Krieg gegen Frankreich konnte in keiner Weise in der geforderten Schnelligkeit gegen die befestigte frz. Südfront geführt werden. Der Umgehungsgedanke lag also nahe, dazu musste man durch Belgien. So wurden im Rahmen des Schlieffens-Plans (und seiner Fortführung) die belgischen Straßenbelastungen (für den Durchmarsch ganzer Armeekorps in Kette) bereits Jahre zuvor detailliert berechnet, wie viele Regimenter pro Tag und Kilometerleistung auf welchen Haupt- und Nebenstraßen, ebenso exakt die Belastbarkeit des belgischen Eisenbahnnetzes für den Durchmarsch der deutschen Truppenverbände (die Berechnungen waren übrigens teilweise falsch). Die Neutralitätsverletzung existierte damit Jahre zuvor als „militärische Blaupause“.

All das hat somit nichts mit Besichtigungen frz. Generäle an den belgischen befestigten Ostgrenzen (wohin ein neutraler Staat seine Befestigungen mit Defensivcharakter legt, ist seine Angelegenheit, sie wird sich wohl nach der größeren Bedrohung richten; sicher waren auch mal deutsche Generäle in Belgien) oder konkreten frz. Aufmarschplänen zu tun. Vom militärischen Standpunkt aus wäre Frankreich sogar gut beraten gewesen, hinter seiner befestigten Grenze die Bindung der deutschen Truppen im Osten abzuwarten und dann erst loszuschlagen, wenn der russische Aufmarsch abgeschlossen ist. Dann wäre aber der Durchmarsch durch Belgien nicht mehr zwingend notwendig gewesen. Es war vielmehr der deutsche Zeitplan, der zur Eile drängte.

Die Zurückweisung des deutschen Ultimatums stellt ebenfalls keinen Kriegsgrund dar. Es handelt sich um einen strategischen Präventivschlag, der die Verletzung Neutralität Belgiens vom militärischen Standpunkt (wenn es zum Krieg mit Russland und Frankreich gekommen ist) als Zwangsläufigkeit behandelt, egal, wie andere Staaten sich verhalten oder verhalten hätten. Daher ist auch die deutscherseits geforderte Erklärung an GB und F, die belgische Neutralität zu achten, Makulatur.

Man hat sich schließlich nicht einmal die Mühe gemacht, die Neutralitätsverletzung (scheinheilig wie 1940) mit politischen Vorgängen oder falschem Verhalten durch Belgien zu begründen. In Aussicht gestellt war lediglich der Schadenersatz.

Grüße
Thomas
http://de.wikipedia.org/wiki/Schlieffen-Plan

ganz interessant zum Schlieffen-Plan ist auch Frieser, Blitzkriegs-Legende 1940, Militärgeschichtliches Forschungsamt, Operative Studien Band 2
 
Es geht mir also ... um die politische Lage im Vorfeld, den Informationsstand der Entscheidungsträger und deren Motivationen für ihre Entscheidungen.
Zu Beginn des Krieges war den deutschen Verantwortungsträger vollkommen klar, dass die belgische Neutralität allein deshalb verletzt wurde, um die Erfolgsaussichten ihres militärischen Angriffs auf Frankreich zu sichern, und dass die Neutralitätsverletzung völkerrechtswidrig war:

"Meine Herren, wir sind jetzt in der Notwehr; und Not kennt kein Gebot! Unsere Truppen haben Luxemburg besetzt, vielleicht schon belgisches Gebiet betreten. Meine Herren, das widerspricht den Geboten des Völkerrechts [...] Das Unrecht - ich spreche offen - das Unrecht, das wir damit tun, werden wir wieder gutzumachen suchen, sobald unser militärisches Ziel erreicht ist" (Reichskanzler Bethman Hollweg, Rede vor dem Deutschen Reichstag am 4.8.1914, in: Deutscher Reichstag, Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session, Bd. 306, Stenographische Berichte, 04.08.1914, S. 6 f. - zitiert nach Alan Kramer, Kriegsrecht und Kriegsverbrechen, in: Gerhard Hirschfeld u.a. (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 2003, S. 281, 282).

Nachdem die Briten den deutschen Völkerrechtsverstoß zum Anlaß nahmen, dem Deutschen Reich den Krieg zu erklären, war man in Deutschland bemüht, die Briten als Heuchler darzustellen, die unter einem juristisch-moralischen Vorwand traditionelle Machtpolitik betreiben würden. Unter dem Erfolgsdruck des Krieges konnte man sich in Deutschland offenbar gar nicht mehr vorstellen, dass eine moralisch intakte Regierung nur solche Verträge eingeht (z.B. die Neutralitätsverpflichtungen gegenüber Belgien), deren Erfüllung in ihrem Interesse ist und deren Erfüllung sie auch beabsichtigt.:rolleyes:
 
"Meine Herren, wir sind jetzt in der Notwehr; und Not kennt kein Gebot! Unsere Truppen haben Luxemburg besetzt, vielleicht schon belgisches Gebiet betreten.


Hallo Gandolf,

das berühmte Zitat.
Hast du Informationen über eine politische oder militärische Opposition gegen diese Inanspruchnahme des "Rechts" auf Notwehr?
Grüße
Thomas
 
Wie ich den letzten Stellungnahmen entnehme, gab es für die Verantwortlichen in Deutschland keinerlei Hinweis darauf, daß Belgien in seiner Neutralität schwankend, ggf. sogar der Entente zugeneigt sein könnte. Es bleibt also dabei, daß der Neutralitätsbruch lediglich aufgrund militärischer Planvorgaben in Kauf genommen wurde.

Vielen Dank für Eure Bemühungen!
 
Es erscheint mir äußerst kurzsichtig von deutscher Seite, den Bruch der belgischen Neutralität mit allen geopolitischen Folgen in Kauf zu nehmen, um einen höchst riskanten Angriffsplan gegen Frankreich durchsetzen zu können, ohne daß andere als militärisch-operative Gründe hierfür vorlagen. Soweit ich jetzt sehen kann, lagen tatsächlich keine anderen Gründe vor. Ich hatte auch nicht mit einem anderen Ergebnis gerechnet, wollte aber diese Frage trotzdem stellen, da es auf diesem Forum ggf. jemanden gibt, der sich mit den belgisch-deutschen Beziehungen der Zeit besonders gut auskennt und die Frage endgültig beantworten kann.
 
Es erscheint mir äußerst kurzsichtig von deutscher Seite, den Bruch der belgischen Neutralität mit allen geopolitischen Folgen in Kauf zu nehmen, um einen höchst riskanten Angriffsplan gegen Frankreich durchsetzen zu können, ohne daß andere als militärisch-operative Gründe hierfür vorlagen. Soweit ich jetzt sehen kann, lagen tatsächlich keine anderen Gründe vor. Ich hatte auch nicht mit einem anderen Ergebnis gerechnet, wollte aber diese Frage trotzdem stellen, da es auf diesem Forum ggf. jemanden gibt, der sich mit den belgisch-deutschen Beziehungen der Zeit besonders gut auskennt und die Frage endgültig beantworten kann.

Angesichts des sich immer deutlicher abzeichnenden Zweifrontenkrieg sah man die einzige Chance darin, dass sehr schnell einer der beiden Gegner besiegt werden sollte, um sich dann mit aller Kraft mit dem verbleibenden auseinander zu setzten. Wobei man insbesondere von der schnelleren Mobilmachung der deutschen Truppen ausging. Was sich schon als falsch herausstellte, die Franzosen waren fast gleich "schnell" und die Russen waren Wochen früher kriegsbereit als angenommen.
Im Osten schien ein schneller Sieg auf Grund der Weite des Raumes nicht möglich, im Westen hielt man einen schnellen Durchbruch durch die modernen franz. Festungen für nicht möglich, was ja dann auch Verdun bestätigte. So hielt man den Bruch der belgischen Neutralität für unausweichlich.

Als im Ergebnis richtig stellte sich die Annahme heraus, dass Deutschland in einem langen Krieg auf Grund der geringeren Ressourcen unterliegen müsste.
 
Eben dies ist die militärisch-operative Begründung der gewählten Vorgehensweise Deutschlands. Die Argumentation war 1914 schon nicht mehr neu und entsprach auch nicht mehr den tatsächlichen Verhältnissen, wobei natürlich ein rückblickendes Urteil leicht gefällt ist.
 
... entsprach auch nicht mehr den tatsächlichen Verhältnissen, wobei natürlich ein rückblickendes Urteil leicht gefällt ist.

... wieso das?
Krieg ist hier die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln gewesen. Wobei lediglich ein einziger (vom rein militärischen Standpunkt aus akzeptabler bzw. erfolgsversprechender) Schlachtplan zur Verfügung stand.

Eine interessante Frage ist natürlich, wie weit der militärische Optimismus die politischen Entscheidungen zur Krise befördert hat, was der Fall war, um dann im Fehlschlag zu münden.

Grüße
Thomas
 
Soweit ich jetzt sehen kann, lagen tatsächlich keine anderen Gründe vor. Ich hatte auch nicht mit einem anderen Ergebnis gerechnet, wollte aber diese Frage trotzdem stellen, da es auf diesem Forum ggf. jemanden gibt, der sich mit den belgisch-deutschen Beziehungen der Zeit besonders gut auskennt und die Frage endgültig beantworten kann.

Möchtest du aus dem Angriff auf Belgien ein Präventivschlag machen?

Deutschland wollte den Schlieffenplan durchführen. Die Voraussetzung des Schlieffenplans war aber, dass man durch das neutrale Belgien durchmsaschieren musste. Das ist der Punkt.

Hier kannst du über den Schlieffenplan weiterlesen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Schlieffen-Plan

http://www.preussen-chronik.de/ereignis.jsp?key=Chronologie_009480

http://www.dhm.de/lemo/html/wk1/kriegsverlauf/schlieff/
 
Der Schlieffenplan entstand viele Jahre vor Kriegsbeginn. Sein Urheber hat diesen Kriegsplan ausschließlich von der militärischen Warte aus konzipiert. Politische Überlegungen und Diplomatie wurden vernachlässigt. Sträflich vernachlässigt!

Hinzu kam, dass Schlieffens Nachfolger Moltke weiter an dem Plan herumgedoktort hat, mit dem Ergebnis, dass zwar der von Schlieffen als schlachtentscheidend angesehene rechte Flügel zugunsten des linken geschwächt wurde, aber noch immer keine politischen Überlegungen in das Konzept eingeflossen sind.

Der Marsch durch Belgien musst stattfinden, egal welche politische Situation zum Zeitpunkt eines Kriegsausbruches herrschte. Dass Großbritanien eine der Schutzmächte Belgiens war und daher auf eine Neutralitätsverletzung reagieren würde, wurde nicht geglaubt. Nach Kriegsende haben viele hochrangige deutsche Memoirenschreiber zugegeben, dass sie nicht mit einem Kriegseintritt der Briten gerechnet hatten, allenfalls mit einer Protestnote oder einem symbolischen Truppenkontingent.

Diese Nachlässigkeit hätte eigentlich zu einem Kriegsgerichtsverfahren führen müssen, ebenso wie der Umstand, dass sich der deutsche Generalstab blind auf den sog. "Schlieffenplan" gestützt hat, ohne ernsthaft über Alternativen nachzudenken.

Sebastian Haffner hat das Thema übrigens gut in seinem Standardwerk "Die sieben Todsünden des Deutschen Reichs im 1. Weltkrieg" dargestellt.

Gruß

Jacobum
 
Möchtest du aus dem Angriff auf Belgien ein Präventivschlag machen?

Hallo ursi,
genau das war er, ausschließlich im militärischen Sinn (als Bruch des Völkerrechts aufgrund der Neutralität) und als Angriffskrieg:
"Meine Herren, wir sind jetzt in der Notwehr; und Not kennt kein Gebot!

Die "Notwehr" bezog sich dabei nicht auf das in der Krise unbeteiligte Belgien, sondern auf Frankreich/Rußland.

Grüße
Thomas
 
Hallo ursi,
genau das war er, ausschließlich im militärischen Sinn (als Bruch des Völkerrechts aufgrund der Neutralität) und als Angriffskrieg:

Die "Notwehr" bezog sich dabei nicht auf das in der Krise unbeteiligte Belgien, sondern auf Frankreich/Rußland.

Grüße
Thomas[/QUOTE]

Das ist mir schon klar, aber ich bin mir nicht sicher ob das Eusebius auch so sieht.
 
Die "Notwehr" bezog sich dabei nicht auf das in der Krise unbeteiligte Belgien, sondern auf Frankreich/Rußland.

:grübel: mit dieser Sicht, so diese einen "notwendigen " Präventivschlag beinhaltet, wäre man bald bei Fritz des II. Begründung für den Präventiv- Einfall nach Sachsen, nach Überfall auf Schlesien . Den Sachseneinfall hat er auch als Notwehr tituliert, geflissendlich aber übersehen, daß er sich sich selbst in diese Lage manövriert hat......
Im Vorfeld und in Folge des völkerrechtswidrigen Überfalls dt. Truppen nach Belgien spielen m.M. nach nicht nur aktualisierte milit. Überlegungen des Schlieffenplans eine Rolle.
Die vorausgegangenen 3 Jahrzehnte des europ. Imperialismus kulminieren u.a. für Deutschland und Österreich auch in wirtschaftl.-strategischen Überlegungen .
Der Kriegsausbruch 1914 wurde im dt. Reich auch als 3. Aufbruch nach Frankreichfeldzug und Reichsgründung gesehen, als im Frieden nicht gegebene Möglichkeit zu expandieren, so wie man glaubte , das es einem zusteht. Das zeigen die sich am strategischen Kriegstagesverlauf ständig ändernden Kriegsziele von 1914- ca. 1916.
Was Belgien betrifft , so wollte die dt.Marine die flandrische Küste, der Generalstab die Festung Lüttich als Stützpunkt behalten. Die Wirtschaft forderte Kontrolle über die belg. Industrie und den Hafen Antwerpen.
Bethmann-Hollweg am 5.4.1916 : Wir werden uns reale Garantien dafür schaffen, daß Belgien nicht zu einem engl.-franz. Vasallenstaat ausgebaut wird...etc....auch hier kann Dtschl. den lange niedergehaltenen flämischen Volksstamm nicht wieder der verwelschung preisgeben......etc."
Derartige Töne und Wünsche sind sicher keine Erfindung am Vorabend des Überfalls auf Belgien, sondern sind m.E. in einem größeren hist. Zusammenhang wahrzunehmen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich möchte versuchen, mich zu den letzten Beiträgen zu äußern:

Zunächst möchte ich für ursi nachdrücklich betonen, daß ich den Angriff auf Belgien nicht zu einem Präventivschlag gegen dieses neutrale Land umdeuten möchte. Ich wiederhole nochmals meine Frage: Gab es in den Augen der deutschen Führung Anhaltspunkte dafür, daß sich Belgien kurz- oder langfristig auf die Seite der Entente hätte stellen können. Wenn dem so gewesen wäre, so wäre die Zustimmung der deutschen Regierung zu dem militärisch hochriskanten und völkerrechtswidrigen Angriffsplan verständlicher gewesen und der Angriff hätte, in welcher Form auch immer, Präventivcharakter gehabt, wenn er auch nicht zu rechtfertigen gewesen wäre. Es geht mir um die Frage, ob dahingehende Fakten vorlagen bzw. heute noch bekannt sind.
Diese Frage ist bislang nur indirekt beantwortet worden: Du hast in Deinem ersten Beitrag die strikt neutrale Haltung Alberts von Belgien selbst nach dem deutschen Überfall betont, was den Rückschluß zuläßt, daß Belgien auch vorher dem Deutschen Reich keinen Anlaß zum Mißtrauen gegeben hat, vom neutralen Status einmal abgesehen.
Silesia erwähnt in seinem ersten Beitrag zurecht, daß die Befestigung der belgischen Ostgrenze ein nationales Recht und keine Provokation dargestellt hat.

Eine indirekte Beantwortung der Frage stellt auch die Diskussion des Schlieffenplanes und die Sicht des deutschen Generalstabes bezüglich der Gesamtsituation dar: Man hatte sich unausgesprochen auf den Schlieffenplan festgelegt und beurteilte die Situation des Reiches dahingehend, daß nur ein schneller entscheidender Schlag gegen Frankreich eine Aussicht auf Erfolg hätte, da Deutschland in einem langen Zweifrontenkrieg unterliegen müsse. Diese Ansicht muß so wirkungsmächtig gewesen sein (oder ist so vehement vertreten worden, viele Beweggründe mögen sich hier anführen lassen), daß man sich offenbar auch ohne weitere Gründe auf den Weg nach Belgien begab.

Zusammenfassend betrachtet darf ich daher nochmals wiederholen: Belgien hat sich immer korrekt verhalten und ist vom Deutschen Reich sowohl zu unrecht als auch grundlos angegriffen worden.

Im Anschluß wäre vielleicht die Anregung von silesia interessant, ob der vielversprechende Schlieffenplan im August 1914 tatsächlich eine ernsthafte militärische Option war oder einer realen Grundlage entbehrte. Ich zweifle an seiner Durchführbarkeit, nicht retrospetiv, sondern aus damaliger Sicht. Jacobum weist in seinem Beitrag bereits daruf hin, daß der Plan in seiner abgeänderten Form, in der er in die Tat umgesetzt wurde, ohnehin aussichtslos war.
 
Ich zweifle an seiner Durchführbarkeit, nicht retrospetiv, sondern aus damaliger Sicht. Jacobum weist in seinem Beitrag bereits daruf hin, daß der Plan in seiner abgeänderten Form, in der er in die Tat umgesetzt wurde, ohnehin aussichtslos war.

Hierzu könnte man zwei weitere Klassiker anführen:
Ein Fehler in der Aufstellung ist im Gefecht nicht mehr korrigierbar ... und ... Jeder Operationsplan ist nach der ersten Gefechtsberührung überholt.

Über den Schlieffen-Plan sind nach dem Ersten Weltkrieg Kübel von Kritik ausgegossen worden. Ich meine aus dem Stand, dass Frieser dieses kritisch untersucht und davon trotz der Fehler davon abweicht (in seinem Buch geht es allerdings primär um den Operationsplan für Fall Gelb, 1940, Westfeldzug).

Grüße
Thomas

EDIT: Nachsatz:
Die Begehrlichkeiten der z.B. Marine würde ich nicht zu hoch bewerten. Das ist gehört in die Kategorie "Ansprüche anmelden". An der Seekriegslage und der strategischen Blockademöglichkeit durch die überlegene britische Flotte in der Nordsee änderte das 1914-1918 nichts (trotz der U-Boot-Stützpunkte).
In dem Zusammenhang ist vielleicht auch einmal auf die respektierte Neutralität der Niederlande zu verweisen, hier gab es keine Militärplanung, die aus operativen Überlegungen heraus zur Besetzung führte. Auch das zeigt, so meine ich, dass die Neutralitätsverletzung Belgiens dem Grunde nach durch die Schlieffen-Planung ausgelöst wurde.
 
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