Streuung der Fundstücke (Münzen!) in Kalkriese

Schleppschreck

Aktives Mitglied
Hallo!

Ich lese euer Forum nun schon - sporadisch - ein paar Jahre, um endlich zu erfahren, wo Varus besiegt wurde.

Die Diskussionen sind äußerst interessant, leider scheint sich die endgültige Klärung wohl noch etwas hinzuziehen.

Auch will ich nicht die aktuelle Diskussion um die Abkürzung L P A unterbrechen, jedoch haben sich für mich einige anderweitige Fragen ergeben. Sollte dieser Thread nicht der richtige Ort sein, bitte ich um einen Hinweis, wo sie zu stellen sind.

Da ist zunächst mal die Sache mit den Münzfunden in Kalkriese (aber auch an anderen Orten).
Was ich nicht verstehe, ist, wie Münzen in solchen Mengen (es sollen ja hunderte sein, dabei auch goldene) in den Boden kommen. Jeder Mensch achtet doch darauf, daß er sein Geld nicht verliert. Er transportiert es also so, daß es nicht gleich verloren geht, wenn er mal stolpert.

Wenn nun bei einem Kampf eine Anzahl geldtransportierender Menschen getötet werden, so ist das Geld doch noch immer bei den Gefallenen, und nicht im Boden. Es mag einige wenige Ausnahmen geben, wo durch den Kampf selbst´Münzen heruntergefallen und in den Boden getreten worden sind, aber eben nur sehr wenige.

Nun wird nach dem Kampf, vielleicht Tage danach, doch jemand die Kampfstätte absuchen, und dabei auch die Gefallenen untersuchen. Die Münzen hatten doch einen großen Wert, ob als Geld oder als Metall betrachtet.

Es ist doch auch nicht anzunehmen, daß ein Verletzter in einem letzten Anfall von Geiz und als letzte Handlung schnell noch seine Münzen vergräbt, das ist doch wohl das letzte, woran man in solch einem Moment denkt.

Also, wie ist das nun zu erklären?

Als zweites finde ich die Sache mit der gefundenen Maske (Gesichtshelm) interessant. M.W. ist es das erste und einzige Stück dieser Art, d.h. vor dem Fund in Kalkriese war so etwas von den Römern gar nicht bekannt.

Diente diese Maske als Gefechtsschutz oder als Schmuck? Es ist doch so, daß diese Maske das Gesichtsfeld und die Atmung stark behindert, daher glaube ich, es ist ein Schmuckgegenstand. Ist es nun wahrscheinlich, daß ein Legionär solch eine Maske mit sich führt, wenn er zu Beginn seines Marsches schon sicher weiß, daß es zu gefährlichen Kämpfen kommen wird? Oder ist es nicht anzunehmen, daß nur jemand eine solche Maske mitnimmt, der einen schönen Sommerausflug erwartet, der dann mit einem gemütlichen Marsch ins Winterquartier endet?

Bin neugierig auf eure Ansichten,

Euer Schleppschreck
 
Hallo Schleppschreck,

für die Streuung von Münzen kann es verschiedene Erklärungen geben. Die Einfachste und Häufigste ist die Verpflügung, d.h. die Streuung eines Hortes durch landwirtschaftliche Bearbeitung. Zweitens können die Umstände während und nach einer Schlacht zu einer weiten Streuung der Objekte geführt haben. Aufgrund dieses Problems kam Dr. Rost zu der Aussage, dass sich aus dem Fundort eines Objektes kaum Erkenntnisse zu einem möglichen Schlachtablauf gewinnen lassen.
Dazu ein Beispiel: Nach Dr. Rasbach wurden in Waldgirmes (das offensichtlich im Jahre 9 n.Chr. zerstört wurde) mehrere hundert, zum Teil nur fingernagelgroße Fragmente eines Reiterstandbildes gefunden. Wider Erwarten lagen diese Stückchen nicht in einem gewissen Umkreis um den vermuteten Aufstellungsort, sondern verteilten sich beinahe auf die gesamten 8 ha Fläche der ehemaligen römischen Stadtanlage. (Daraus zu schließen, dass die Germanen das Standbild gesprengt hätten, dürfte wohl falsch sein.) Ob dieses Standbild, das höchstwahrscheinlich Kaiser Augustus zu Pferd zeigte, von den Germanen zerstückelt und anschließend bewusst verstreut wurde, lässt sich nur mutmaßen.
Es zeigte sich auch, dass zwischen der Zerstörung des Standbildes und der Verfüllung der Gräben mit dem Schutt der Anlage einige Zeit vergangen war. Frau Dr. Rasbach folgerte daraus, dass jemand diesen Ort erneut aufsuchte, um „aufzuräumen“. Spuren einer jüngeren Wallanlage unmittelbar vor dem Osttor der ehemaligen Stadt, könnten auf ein Marschlager hinweisen, so Dr. Rasbach.

Gruß Cato
 
Auch will ich nicht die aktuelle Diskussion um die Abkürzung L P A unterbrechen, jedoch haben sich für mich einige anderweitige Fragen ergeben. Sollte dieser Thread nicht der richtige Ort sein, bitte ich um einen Hinweis, wo sie zu stellen sind.
Ob nun richtiger Ort oder nicht, ich denke der Übersichtlichkeit dient es, hierzu einfach einen eigenen Pfad zu eröffnen. Wenn Ihr anderer Meinung seid, hänge ich die Beiträge einfach wieder im vorherigen Pfad an. Ich bitte aber darum - sofern es sich vermeiden lässt - davon abzusehen zu diskutieren, welche Schlacht bei Kalkriese denn nun stattfand. Für dieses Für und Wider gibt es ausreichend andere Threads.
 
Als zweites finde ich die Sache mit der gefundenen Maske (Gesichtshelm) interessant. M.W. ist es das erste und einzige Stück dieser Art, d.h. vor dem Fund in Kalkriese war so etwas von den Römern gar nicht bekannt.

Diente diese Maske als Gefechtsschutz oder als Schmuck? Es ist doch so, daß diese Maske das Gesichtsfeld und die Atmung stark behindert, daher glaube ich, es ist ein Schmuckgegenstand. Ist es nun wahrscheinlich, daß ein Legionär solch eine Maske mit sich führt, wenn er zu Beginn seines Marsches schon sicher weiß, daß es zu gefährlichen Kämpfen kommen wird? Oder ist es nicht anzunehmen, daß nur jemand eine solche Maske mitnimmt, der einen schönen Sommerausflug erwartet, der dann mit einem gemütlichen Marsch ins Winterquartier endet?

Bin neugierig auf eure Ansichten,

Euer Schleppschreck

Das ist falsch. Maskenhelme, die lange Zeit unter dem Begriff "cavalry sports helmets" geführt wurden, sind schon einige Zeit und recht häufig bekannt.
Es gibt derer sogar verschiedene Typen.
Im Fall von Kalkriese gab es dazu eine interessante Publikation in: Rom, Germanien und die Ausgrabungen von Kalkriese.

Ob sie nun real im Einsatz, nur während Demonstrationen oder Paraden getragen wurden oder gar nur von bestimmten Rängen ist noch immer heiß diskutiert.
 
Es sind sogar über 100 Maskenhelme bekannt, teils perfekt erhalten, teils fragmentiert.
Die Maske von Kalkriese ist nur deshalb bemerkenswert weil sie die früheste ihrer Art im römischen Kontext ist.
Im Lager von Haltern, also fast zeitgleich, wurde übrigens eine unfertige Maske gefunden, sie war an einem Amboss festgerostet. Leider ging sie im 2. Weltkrieg verloren.
 
Was ich nicht verstehe, ist, wie Münzen in solchen Mengen (es sollen ja hunderte sein, dabei auch goldene) in den Boden kommen. Jeder Mensch achtet doch darauf, daß er sein Geld nicht verliert. Er transportiert es also so, daß es nicht gleich verloren geht, wenn er mal stolpert.

Wenn nun bei einem Kampf eine Anzahl geldtransportierender Menschen getötet werden, so ist das Geld doch noch immer bei den Gefallenen, und nicht im Boden. Es mag einige wenige Ausnahmen geben, wo durch den Kampf selbst´Münzen heruntergefallen und in den Boden getreten worden sind, aber eben nur sehr wenige.

Die Legionäre pflegten ihr Geld bei den Feldzeichen bzw. bei den signiferi, die zugleich Rechnungsführer waren, zu deponieren.
Bei Tacitus Annalen I.Buch (37) steht, daß die 1. und 20. Legion in einem Fall ihre Geldkasse zwischen den Fahnen und Adlern mit sich führten.
So hatte nicht jeder Legionär seinen Sold und Geldvermögen bei sich, sondern es wurde zentral gesammelt.
 
Danke für die Antworten!

Zunächst zu der Maske. Hier war mein Vorwissen wohl etwas sehr eingeschränkt

Man könnt ja meinen, daß es, zumindest in späterer Zeit, fast eine Standardausrüstung (für bestimmte Legionäre) war.

Da sie außerdem aus Eisen angefertigt ist (mit einem verlorengegangen Silberbeschlag), mag sie doch eine gewisse Schutzwirkung, vielleicht gegen Schleuderbleie oder Pfeile, gehabt haben.

Jedenfalls ist damit zumindest z. Zt. die Frage nicht mehr relevant, was eine Aufklärung der Geschehnisse betrifft.

Aus den Antworten zu den Münzfunden ergeben sich allerdings weiter Fragen.

Darf man sich das so vorstellen, daß in einer prekären Lage, wo die Legionsführung mit einer schweren Niederlage ohne geordnete Rückzugsmöglichkeit rechnen mußte, ein Befehl an die Signiferi erging, die Münzen zu vergraben, damit sie nicht dem Feind in die Hände fielen?

Weiter müßten sich doch aus den Streufunden bei genauer Kartierung Schwerpunkte erfassen lassen. Gibt es in Kalkriese auf diesem 29 km langen Stück mit auch anderen Funden mehrere solcher Münz-Schwerpunkte oder konzentrieren sich die Münzstreufunde auf die Gegend um den Wall herum?

Leider finde ich im Netz keine Hinweise hierzu.

Euer Schleppschreck
 
Ich halte es eher für wahrscheinlich, dass als es zu ersten Auflösungserscheinungen kam, Gruppen von Legionären die Kriegskasse plünderten, ähnlich, wie das beim Rückzug der Grande Armee von Moskau bezeugt ist.
 
Diese Legionäre hätten dann aber für den Fall, daß sich die Lage doch noch stabilisiert hätte, mit schärfsten Konsequenzen rechnen müssen, vermute ich.

Wie auch immer, ob nun per Befehl vergraben, oder durch plündernde Legionäre, man kann davon ausgehen, daß die Lage hoffnungslos war.

Man muß ja auch berücksichtigen, daß ein Großteil der vergrabenen Schätze direkt danach von den Germanen geborgen werden konnte. Es dürften also ursprünglich weitaus mehr Münzen gewesen sein.

Ich könnte mir auch vorstellen, daß eine solche Vergrabungsaktion vielleicht doch im Schutz eines provisorischen Lagers, vielleicht in der Nacht stattgefunden hat, denn tagsüber auf umkämpften Gelände.

Faßt man alles zusammen, läßt dies für mich schon gewisse Schlüsse zu, die aber auf Wunsch des MOD besser im "Schauplatz"-Thread aufgehoben sind.

Euer Schleppschreck
 
Zuletzt bearbeitet:
Ave Zusammen,

el Quijote schrieb:
Ich halte es eher für wahrscheinlich, dass als es zu ersten Auflösungserscheinungen kam, Gruppen von Legionären die Kriegskasse plünderten, ähnlich, wie das beim Rückzug der Grande Armee von Moskau bezeugt ist.

Schleppschreck schrieb:
Diese Legionäre hätten dann aber für den Fall, daß sich die Lage doch noch stabilisiert hätte, mit schärfsten Konsequenzen rechnen müssen, vermute ich.

Nun, Desertion und Meuterei war ein permanentes Problem der römischen Armee seit den Bürgerkriegen, aus dem Augustus als erster Kaiser hervorging. Dazu schreibt Militärexperte Junkelmann, Die Legionen des Augustus, Zabern 2003, S.136 ff. einiges:

"Die schwerste Probe für die Funktionsfähigkeit der römischen Berufsarmee stellten die großen Meutereien dar, die in den letzten Jahrzehnten der Republik zu einem Dauerphänomen wurden. Appian versuchte sie aus dem Wesen der Bürgerkriege zu erklären, der austauschbare persönliche Loyalitäten gegenüber verschiedenen Feldherren an die Stelle des alten Patriotismus gesetzt hätten." und weiter: "........Noch mehr waren es aber die altbekannten persönlichen Nöte und Wünsche der Soldaten, die immerwieder zum Zusammenbrechen der Disziplin führten, nämlich die Forderung nach höherem Sold, angemessener Vergütung am Ende der Dienstzeit, milderer Behandlung durch die Vorgesetzten, vor allem aber die Empörung darüber, länger bei der Fahne behalten zu werden, als es hergebracht war und gerechtfertigt erschien.Wurden diese Wünsche erfüllt, verhielten sich die Soldaten loyal und diszipliniert. Die letzte große Krise dieser Art fand im Jahre 14 n.Chr. bei Regierungsantritt des Tiberius statt,........Nachdem Tiberius in der Folge der großen Meuterei die gröbsten Misstände beseitigt hatte, spielten sich die Verhältnisse in der jungen kaiserlichen Armee ein.....Trotzdem sollte das Damoklesschwert der Meuterei nie verschwinden, und die Bürgerkriege der Jahre 68/69 und 193 trugen in der Tat wesentliche Züge einer Militärrevolte,....."

Zur Zeit des Varus darf man also davon ausgehen, das dem Durschnittslegionär das eigene Heil lieber war, als die Ehre des Varus. Vellius schreibt dazu: Vell,II,119,4. "Von den beiden Lagerpräfekten aber gab der eine, L. Eggius, ein heldenhaftes, der andere, Ceionus, ein erbärmliches Beispiel. Der letzte bot, nachdem der größte Teil des Heeres schon umgebracht war, die Übergabe an: Er wollte lieber hingerichtet werden als im Kampf sterben. Numonius Vala aber, ein Legat des Varus, sonst ein ruhiger und bewährter Mann, gab ein abschreckendes Beispiel: Er beraubte die Fußsoldaten ihres Schutzes durch die Reiterei, machte sich mit den Schwadronen auf die Flucht und suchte den Rhein zu erreichen. Jedoch das Schicksal rächte seine Schandtat: Er überlebte seine Kameraden nicht, von denen er desertiert war, sondern fand als Deserteur den Tod."

Nachdem die Lage, vielleicht ab dem zweiten Tag, immer schlechter wurde, dürfte Varus mit erheblichen Desertionen zu kämpfen gehabt haben.

Wie schon hier erwähnt muss zwischen zwei bzw. drei Fundtypen für Münzen unterschieden werden:

1) Streu- bzw. Einzelfund
2) Schatz- bzw. Hortfund
3) Grabfund

Statistisch am interessantesten sind für die Rückverfolgung von Menschenbewegungen natürlich die Streufunde, die man i.a. auf den unbeabsichtigten Verlust zurück führen kann.

Schatz oder Grabfunde dagegen wurden bewusst abgelegt, und können natürlich auch weit ab von Verkehrswegen, und auch zeitlich lange nach dem Erwerb, deponiert worden sein. Diese lassen damit also nur ganz andersartige Rückschlüsse zu.

Speziell hier interessant sind natürlich Hortfunde, die von Legionären im Verlauf einer Schlacht abgelegt werden konnten. Dies war eine übliche Methode, es gab meines Wissens sogar extra Siegel, um solche kleinen Horte später wieder identifizieren zu können. Nach einer erfolgreicher Schlacht konnten diese dann wieder ausgebuddelt werden.

Ein Thema ist auch des zerpflügen von Schatzfunden, so dass diese eventuell Streufunde vortäuschen können. Hierbei findet man aber dann verdächtige Häufungspunkte, da das Verpflügen natürlich nicht räumlich unbegrenzt ist, sodas ein solcher verpflügter Schatz meist auch noch als solcher erkannt wird. Selbiges gilt für das nachträgliche Plündern eines Lagers oder Schlachtfeldes, hierbei werden ebenfalls Fundstücke verschleppt und disloziert.

Sofern die Fundhäufung aber gross genug ist, spielt dies für die Gesamtstatistik nur eine untergeordnete Rolle; das grosse Bild der Bewegungen bleibt erhalten, auch wenn einige Details dabei verschwinden. In der Gegend Kalkriese findet man ausserordentlich viele Streufunde und einige wenige Horte. Das man aus dem Gesamtbild einen klaren Rückschluss auf die dortigen Militärbewegungen machen kann, steht ausser Frage.

Besonderes Augenmerk verdienen dabei die Goldmünzen. Im Raum Kalkriese wurden in den letzen 200 Jahren etwa 30 bis-augusteiische Goldmünzen-Streufunde gemacht. Da sie u.a. kilometerweit singulär auseinanderlagen ist auch sicher das es keine verpflügten Horte waren.

Eine solche Häufung gibt es in ganz Europa nicht mehr. In Haltern zum Beispiel, ein lange besetzter grosser und ergrabener Lagerkomplex, da wurden gerade mal 3 Stücke gefunden.

Der Wert eines solchen Goldstücks war enorm, es ist etwa ein Monatslohn eines gut verdienenden Legionärs gewesen, für den Durschnittsbürger noch viel mehr. Also nach heutigen Massstab wäre dass so etwa ein 3000-Euro-Stück. So was hatte der einfache Legionär nicht mal eben in seinem Beutel, und wenn überhaupt, dann hat man dass nicht einfach so verloren. Schon garnicht nimmt man so etwas mit, wenn Kampfhandlungen sicher zu erwarten sind.

Schleppschreck schrieb:
Faßt man alles zusammen, läßt dies für mich schon gewisse Schlüsse zu, die aber auf Wunsch des MOD besser im "Schauplatz"-Thread aufgehoben sind..

Für Numismatiker lässt dieser Gesamtbefund daher keinen nennenswerten Zweifel übrig, was die Interpretation vom Schauplatz Kalkriese angeht.

Beste Grüsse, Trajan.
 
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