Kelten im Urteil der Geschichtsforschung

Dann gehst Du schon jenen Leuten auf den Leim die die vorrömische Eisenzeit als Friede-Freude-Eierkuchen-Zeit verklären und dabei die ausgeprägte Kriegerkultur übersehen (wollen).
Das mit Sicherheit nicht, aber auch nicht den Leuten ,die Rom für den Gipfel der Kultur und Zivilisation halten, wie dies die thread-Überschrift suggerieren will.
Das Imperium war in seiner Grundstruktur zentralistischer und bis zu einem gewissen Grad technokratischer organisiert als die umliegenden Kulturen und die Auswirkungen seiner Eroberungszüge deshalb i.d.R. existentieller , nachhaltiger und radikaler für die Eroberten.
Was die kulturelle und zivilisatorische Ebene betrifft, so scheint der Level der Römer nicht wesentlich anders gewesen zu sein,als der der Kelten.
 
Fast zu neu um es schon in der Bib. zu finden, aber versuchen kann man es ja mal:
Wells, Peter S.: Die Barbaren sprechen. Kelten Germanen und das römische Europa. Darmstadt 2007.
Das Original ist aber schon ein paar Jährchen älter und daher vielleicht eher präsent:
The barbarians speak. How the conquered peoples shaped Roman Europe. Princeton 1999/2001.
Außerdem: Ade, Dorothee; Willmy, Andreas: Die Kelten. Darmstadt 2007.
 
Statt von "Wilden" und "Zivilisierten" zu sprechen, würde ich eher versuchen, den Organisationsgrad einer Population zu bemessen.

Ein hoher Organisationsgrad kann einer Kultur allerdings auch zum Verhängnis werden - nach dem Niedergang des Römischen Imperiums war die Millionenstadt Rom praktisch unbewohnbar, weil sie ohne eine komplexe Organisation nicht mehr funktionieren konnte. Die Nahrungsmittelversorgung z. B. klappt nicht mehr, wenn der Zahlungsverkehr zusammenbricht.

Als weiteren Index für die Stärke einer Zivilisation könnte man das Maß ansehen, in dem die Leute von ihrer eigenen Kultur überzeugt sind, bzw. wie leicht sie auf der anderen Seite ihre Sprache und ihre Religion zu Gunsten einer fremden aufgeben, vielleicht deshalb, weil sie diese selbst als "barbarisch" empfinden.

Und das ging bei den Kelten ziemlich flott.
 
Wie sollten wir die dieses Themengebiet deiner meinung nach um ändern? es sollten trotzdem die unterschiedlichen meinungen von heute mit eingebracht werden

Falls die Formulierung von den Barbaren und den Wilden von euch selbst stammt, möchte ich mich für meine relativ harschen Formulierungen entschuldigen. Ich wollte damit lediglich sagen, dass ich solche Bezeichnungen von einem Prof(i) heute nicht mehr erwarte; euch als (Nochnicht-)Profis wollte ich damit keinesfalls zu nahe treten. Dass unterschiedliche Meinungen aufgenommen werden sollen, ist sicher nicht verkehrt. Also warum dann nicht ungefähr: Waren die Kelten Barbaren oder Zivilisierte (oder ein Kulturvolk)? (und die Wilden bleiben weg, weil das Wort meiner Meinung nach sowieso in dem Kontext eher eine Tautologie zu Barbaren ist.)

Wie ihr das Ganze formal aufbauen könntet, hat TGDarmstadt ja schon dargestellt, wie ich es nicht besser könnte.
Viel Erfolg!
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Wir haben es mit zwei völlig unterschiedlich organisierten Kulturen zu tun: der dezentralistischen der Kelten und der zentralistischen der Römer.Letztere war offenbar ab einer gewissen Größe nicht mehr handlebar, was wohl letztlich auch zum Untergang bzw. der Verkleinerung des Imperiums führte.
Beim ersten Aufeinandertreffen der Kulturen in Spanien und Gallien war diese zentralistische Struktur aber offenbar noch intakt und wurde als Kultur der Sieger einfach übergestülpt.Und in dem Maße,wie Gallien romanisiert,d.h. durch römische Besatzung und Verwaltung umgeformt wurde, wurde auch römische Kultur aufoktroiert. und schließlich übernommen.
Das hat also weniger mit der "Überlegenheit" der Kultur an sich ,als mit dem Verhältnis Sieger/Besiegte und der Dauer und Intensität der Besatzung zu tun.
Hätte Brennus sich damals nicht "kaufen" lassen, wäre die römische Kultur heute nur eine Fußnote in der Geschichte und Europa vermutlich in wesentlichen Teilen keltisch geprägt.
 
Beim ersten Aufeinandertreffen der Kulturen in Spanien und Gallien war diese zentralistische Struktur aber offenbar noch intakt und wurde als Kultur der Sieger einfach übergestülpt.Und in dem Maße,wie Gallien romanisiert,d.h. durch römische Besatzung und Verwaltung umgeformt wurde, wurde auch römische Kultur aufoktroiert und schließlich übernommen.


Das Wort 'aufoktroiert' gefällt mir in diesem Zusammenhang überhaupt nicht, weil die Römer der eroberten Bevölkerung eigentlich immer ihren Lebensstil gelassen haben - solange davon keine Gefährdung der römischen Herrschaft ausging.

Romanisierung ist vielleicht in viel größerem Maße wirklich freiwillig passiert, weil die römische Kultur in vielen Bereichen einfach höherstehend gewesen ist, als die der eroberten Völker.


In einem Haus mit Hypokaust z.B. lebt es sich einfach angenehmer als in einem verrauchten mit offenem Feuer.
 
Vergesst mal nicht Theater, Aquädukte und Bäder. Oder den weitreichenden Handel, der immehin Waren aus dem ganzen Mittelmeerraum nach Gallien brachte. Diese Errungenschaften und andere hatten durchaus eine anziehende Wirkung auf die Kelten, wie auch auf die Germanen.
 
Vergesst mal nicht Theater, Aquädukte und Bäder. Oder den weitreichenden Handel, der immehin Waren aus dem ganzen Mittelmeerraum nach Gallien brachte. Diese Errungenschaften und andere hatten durchaus eine anziehende Wirkung auf die Kelten, wie auch auf die Germanen.

Die Kelten trieben aber z.B. auch schon mit den Griechen in Massilia (Marseille) Handel. Und es gab auch schriftlichen Verkehr, auch wenn die Kelten die Schrift nicht für eigene Zwecke, z.B. Geschichtsschreibung nutzten. Dass die Kelten keine Geschichtsschreibung hinterließen (vermutlich aus religiösen Gründen), hat dazu geführt dass sich die Version der Gegner festgesetzt hat, und mühsam durch die Archäologie korrigiert werden muss.
Dies nicht als Widerspruch, sondern nur damit nicht der Eindruck entsteht, die Kelten seien erst durch die Römer zivilisiert worden.
 
Die Kelten trieben aber z.B. auch schon mit den Griechen in Massilia (Marseille) Handel. Und es gab auch schriftlichen Verkehr, auch wenn die Kelten die Schrift nicht für eigene Zwecke, z.B. Geschichtsschreibung nutzten. Dass die Kelten keine Geschichtsschreibung hinterließen (vermutlich aus religiösen Gründen), hat dazu geführt dass sich die Version der Gegner festgesetzt hat, und mühsam durch die Archäologie korrigiert werden muss.
Dies nicht als Widerspruch, sondern nur damit nicht der Eindruck entsteht, die Kelten seien erst durch die Römer zivilisiert worden.

Es macht aber einen Unteschied, ob ein paar mal im Jahr ein Händler sich von Massilia zu den Kelten auf macht, sich dabei der Gefahr von Räubern und ein paar wenige Luxusartikel für die Häuptlinge gegen Naturalien eintauscht, oder ob Gallien Teil eines zusammenhängenden Wirtschaftsraumes ist, in dem einheitliche Maße und Münzen gelten, und in dem der Fernverkehr durch ein starkes Militär vor Räubern geschützt wird.

Ich würde die Situation der Kelten mit der osteuropäischer Staaten vergleichen, die in die EU wollen. Diese Staaten haben natürlich ihre eigene Kultur, doch die EU bietet große Vorteile: Bessere Handelsmöglichkeiten und vielleicht auch Zugang zu neuen Technologien. Diese Staaten erhoffen sich natürlich Vorteile vom EU-Beitritt, müssen sich dafür aber auch zu einem gewissen Grad anpassen.
 
Ich würde die Situation der Kelten mit der osteuropäischer Staaten vergleichen, die in die EU wollen. Diese Staaten haben natürlich ihre eigene Kultur, doch die EU bietet große Vorteile: Bessere Handelsmöglichkeiten und vielleicht auch Zugang zu neuen Technologien. Diese Staaten erhoffen sich natürlich Vorteile vom EU-Beitritt, müssen sich dafür aber auch zu einem gewissen Grad anpassen.

Nur daß die Kelten/Gallier gar nicht in einem annähernd zentralen Staatswesen organisiert waren, um in einer Art von bilateralen Verhandlungen mit dem römischen Reich "das Beste für sich herauszuholen". Sie wurden (in Gallien) militärisch besiegt und mußten sich, regional unterschiedlich stark, die römische Verwaltung gefallen lassen. Aber das ist, denke ich, ein anderes Thema.

Kulturell hätten sie sich vielleicht auch in eine andere Richtung entwickeln können, als sie (oder die meisten) es dann unter römischer Herrschaft taten. Daß die Kelten aber mit der, ich nenns mal "römischen Lebensart", so viel anfangen konnten, ist für mich eigentlich eher ein Anzeichen von der eigenen Kultiviertheit dieses Volkes, das eben in Sachen Lebensqualität und Staatsorganisation bisher etwas einfacher gestrickt war. "Perlen vor die Säue" scheint die römische Kultur den Kelten gegenüber jedenfalls nicht gewesen zu sein.
 
Dies nicht als Widerspruch, sondern nur damit nicht der Eindruck entsteht, die Kelten seien erst durch die Römer zivilisiert worden.

Das behauptet hoffentlich auch niemand. Die keltische Kultur in Mitteleuropa ist nach Ausweis der archäologischen Überreste mit Sicherheit eine hochstehende gewesen. Aber es gibt auch einige Gründe, warum sie dann die römische Kultur in weiten Teilen übernommen haben.

Ob das damit bedeutet, dass die römische Kultur 'höher' als die keltische war, würde ich nicht sagen, weil 'höher' ein Werturteil ist, dem man sich eher enthalten sollte.

Aber die römische Kultur war ganz offensichtlich für die Kelten eine attraktive Kultur.
 
Ob das damit bedeutet, dass die römische Kultur 'höher' als die keltische war, würde ich nicht sagen, weil 'höher' ein Werturteil ist, dem man sich eher enthalten sollte.

Ganz Deiner Meinung, deshalb verstehe ich auch das nicht:

tela schrieb:
Romanisierung ist vielleicht in viel größerem Maße wirklich freiwillig passiert, weil die römische Kultur in vielen Bereichen einfach höherstehend gewesen ist, als die der eroberten Völker.
 
Du hast vollkommen Recht. :red: Ich unterschreib mal Äußerung Nummer 1 und modifizier Äußerung Nummer 2 in diesem Sinne...
 
Es macht aber einen Unteschied, ob ein paar mal im Jahr ein Händler sich von Massilia zu den Kelten auf macht, sich dabei der Gefahr von Räubern und ein paar wenige Luxusartikel für die Häuptlinge gegen Naturalien eintauscht, oder ob Gallien Teil eines zusammenhängenden Wirtschaftsraumes ist, in dem einheitliche Maße und Münzen gelten, und in dem der Fernverkehr durch ein starkes Militär vor Räubern geschützt wird.

Ich hatte angenommen, als Hesse kenntest du den Glauberg
Keltenfürst
Glauberg - Wikipedia
Da kann man durchaus eine höhere Meinung von den Kelten gewinnen. Und Münzen hatten sie auch (nicht nur Tauschwirtschaft mit Naturalien), z.B. die "Regenbogenschüsselchen". Regenbogenschüsselchen - Wikipedia

:eek:fftopic:Kleine Anmerkung zum Verhältnis von Räubern und Militär:
Alexander (der "Große") soll einmal einen Piraten zur Rede gestellt haben. Der soll ihm geantwortet haben: Ich mache nur das auf See, was du an Land machst.
Im 30-jährigen Krieg gab es den Spruch: Der Krieg ernährt sich selbst.
 
@zaphodB.

Zur augusteiischen Zeit zum Beispiel ist die Selbstverwaltung der Gemeinden in den eroberten Gebieten weitreichend und absolut Standard. Ein ausgeprägter Zentralismus setzt sich erst mit dem absolutistischen Wohlfahrtsstaat der Spätantike durch.
Der Untergang des Reiches hat dann viele Gründe, sicher nicht nur den Zentralismus.
Auch sehe ich nicht, daß es DIE KELTEN gab, die sich dezentral organisierten. Es gab viele keltische Völkerschaften, die sich aber nicht zu einer gemeinsamen wenigstens politischen Vereinigung verdichteten.

Bezüglich der Wertigkeit kann man sicher über vieles streiten, doch unzweifelhaft erreichte keine andere antike Rechtsordnung das Niveau des römischen Rechts, das nicht umsonst in den meisten Rechtsordnungen bis heute fortwirkt.
 
Auch sehe ich nicht, daß es DIE KELTEN gab, die sich dezentral organisierten. Es gab viele keltische Völkerschaften, die sich aber nicht zu einer gemeinsamen wenigstens politischen Vereinigung verdichteten..

Nein, DIE KELTEN gab es bestimmt nicht und es bestand wie auch bei den Germanen kein "nationales" Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Stämme der Kelten fanden nie zu einem gedeihlichen Miteinander, sondern bekriegten sich, raubten und plünderten einander aus und verbündeten sich ohne Gewissensbisse mit anderen Völkern gegen ihre eigenen Stammesgenossen. Das ist sicherlich einer der Gründe, warum die Kelten ethnisch und sprachlich nahezu völlig von der Landkarte verschwanden.

Zur augusteiischen Zeit zum Beispiel ist die Selbstverwaltung der Gemeinden in den eroberten Gebieten weitreichend und absolut Standard. Ein ausgeprägter Zentralismus setzt sich erst mit dem absolutistischen Wohlfahrtsstaat der Spätantike durch.

Im Vergleich zu den Kelten oder Germanen muss man den römischen Staat von Beginn an als ein zentral gelenktes Staatswesen bezeichnen. Das schließt nicht aus, dass der absolutistische Zwangsstaat der späten Kaiserzeit noch zentralistischere Strukturen aufwies.

Andererseits versuchte man dem zu entgehen, indem man bei Installation der Tetrarchie vier Herrscher einsetzte, die von vier Hauptstädten aus das mehr und mehr unregierbar werdende Römerreich zu regieren versuchten. Allerdings hatte die Tetrarchie keinen Bestand und mit ihr auch keine nachhaltige Dezentralisierung, sieht man einmal vom Zerfall in ein West- und Oströmisches Reich ab.

Aber die römische Kultur war ganz offensichtlich für die Kelten eine attraktive Kultur.

Sie muss für die Kelten äußerst attraktiv gewesen sein, denn sonst ließe sich nicht die rasche und durchaus freiwillige Romanisierung der Gallier erklären, nachdem sie erst einmal die entscheidende Schlacht gegen die Römer verloren hatten. Hierzu zählt auch die schnelle Aufgabe der keltischen Sprache, was sonst unverständlich bleiben würde. Aber auch andere alte Völker konnten sich diesem Romanisierungsdruck nicht entziehen, wie z.B. die Iberer in Spanien, die Illyrer auf dem Balkan, die Etrusker, die Ligurer usw.

Ob das damit bedeutet, dass die römische Kultur 'höher' als die keltische war, würde ich nicht sagen, weil 'höher' ein Werturteil ist, dem man sich eher enthalten sollte.

Wenn man die ganze Breite einer Kultur betrachtet - Baudenkmäler wie Paläste, Tempel, Aquädukte, Städtebau, Straßen, ferner Literatur, Philosophie, Malerei, Kunsthandwerk usw. - so muss man die römische Kultur natürlich höher einschätzen als die keltische. Das ist kein Werturteil, denn eine Reihe handwerklicher Erzeugnisse wie keltische Torques, Kessel oder Waffen können es gewiss mit römischen Erzeugnissen aufnehmen. Aber die ganze Breite, zu der auch Philosophie, Malerei, Literatur, Bauwerke usw. zählen, wird nicht erreicht.
 
Hierzu zählt auch die schnelle Aufgabe der keltischen Sprache, was sonst unverständlich bleiben würde.

so schnell wurde das gallische garnicht aufgegeben, IIRC gab es durchaus noch reste des gallischen im 3. und 4. Jahrhundert vielleicht noch später...

das läuft durchaus parallel zur verdrängung von Sprachen in anderen Kulturkreisen.

IMHO war die Übernahme des Lateinischen zunächst ein eher urbanes Phänomen.
 
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