Mein Theater-Chef verwirrt mich bezüglich meines Promotionsvorhabens

Krusk

Mitglied
Mein Chef von der Theatergruppe warnt mich vor meinem Diss-Thema!


Hallo Leute. Ich komme mit meinem Dissertationsvorhaben gut voran. Im Moment bin ich dabei, mich bis spätestens 20. Januar 2008 um ein Stipendium der Uni Bielefeld zu bewerben. Eigentlich habe ich mein Ziel klar vor Augen gehabt, da verursachte mein Chef vom Theater, ein sehr geistreicher Germanist und Schauspieler der Uni Mannheim, bei mir Verwirrung. Er riet mir von meinem Promotionsthema, so wie ich es jetzt plane, ab. Begründung: Die Quellenlage zu meinem Thema sei zu „schmal“, „einseitig“ und das Thema in der Historikerzunft verpönt.


Mal kurz die Beschreibung meines Diss-Themas: In meiner Promo sollen die Arbeitsbegriffe bei den deutschen Unterschichten im 18. Jahrhundert untersucht werden anhand der Konflikte zwischen den Unter- und Oberschichten. Hierbei sollen auch die Wahrnehmungen der jeweiligen Schicht durch die Gegenseite untersucht werden. Einen Beitrag zur Forschung soll diese Diss deshalb sein, weil es bis heute keine Untersuchung auf diesem Gebiet gibt, die sich mit der Frage beschäftigt hätte, wie denn die Unterschichten die Arbeit wahrgenommen haben und ob sie mehrere Arbeitsbegriffe hatten, darunter auch negative. Bislang werden immer nur die von den Oberschichten geführten Diskurse zur Arbeit dargestellt, und daneben vielleicht kurz mal die Unterschichtenwahrnehmung beleuchtet erwähnt. Aber selbst bei diesen Untersuchungen wird ein positiver Arbeitsbegriff wie im heutigen Sinne meistens vorausgesetzt.
Meine Hypothese ist, dass im 18. Jahrhundert die Arbeit bei vielen Unterschichten keineswegs positiv und ontologisch aufgefasst wurde (Arbeit als zweckbestimmte, zielgerichtete Tätigkeit), sondern der Arbeitsbegriff negativ konnotiert war ähnlich wie in der Antike (Arbeit als entfremdende, zwanghafte Tätigkeit wie Lohn- oder Fronarbeit im Gegensatz zu selbstbestimmter Tätigkeit). Könnte man diese Hypothese bestätigen, so hätte man einen historischen Beleg gegen die moderne Arbeits- und Leistungsideologie („Menschen haben schon immer gearbeitet.“).


Zur Vorgeschichte: Nach einem Betreuer für mein Vorhaben suchte ich fast 1,5 Jahre lang. Zuerst bewarb ich mich bei einem Geschichtsprofessor in Berlin. Dieser sagte mir, die Quellenlage für mein Thema sei mangelhaft und ich müsste, wenn ich dieses Thema untersuchen wollte, andere Schichten in Betracht ziehen wie das Handwerk oder die Hausarbeit, die sich durchaus mit (Lohn-)Arbeit identifizierten. Mitte dieses Jahres war ich dann noch einmal bei demselben Professor, und diesmal meinte er, er würde dieses Thema nicht betreuen. Stattdessen solle ich es bei zwei anderen Professoren versuchen, einen in Bielefeld und einen in Bochum. Sollte es bei diesen beiden nicht klappen, würde er mich nehmen; allerdings müsste ich dann ein anderes Thema wählen.


Ich hatte Glück. In Bielefeld unterbreitete ich dem mir dort vorgeschlagenen Geschichtsprofessor mein Themenvorschlag und noch ein weiteres. Er meinte dann, ich solle ruhig das Thema über die Arbeitsbegriffe in der Frühen Neuzeit bei den Unterschichten nehmen.
Ich sagte ihm dann das, was mir bereits der Professor in Berlin sagte, nämlich dass doch die Quellenlage für mein Thema sehr dürftig sei. Er meinte, das sei aber eigentlich bei jedem historischen Thema der Fall. Überall in der Geschichte gäbe es zu wenig Quellen.
Nun ja, nach einem weiteren Strategiegespräch vor einer Woche zum Thema Stipendium fing ich gestern an, das Expose für mein Stipendium zu schreiben. Mein Doktorvater schlug mir bei unserem letzten Gespräch vor, ich solle mich an der Uni Bielefeld einer Soziologen-Gruppe, einem sogenannten SFB-Projekt der DFG, anschließen. Diese Soziologen-Gruppe sei völlig neu und beschäftige sich mit dem Begriff der „Diversität“.
Da ich in dieser Soziologen-Gruppe eine Chance sah, in den Universitätsbetrieb reinzukommen, habe ich eingewilligt. Mein Doktorvater gab mir eine Beschreibung dieser Gruppe und ihres Projektes mit. Es schien alles so perfekt.


Dann aber war ich gestern bei meiner Theatergruppe, die ich immer dienstags habe. Ich war der einzige dort, also sprach ich ein wenig mit meinem Chef. Wir kamen dann auf mein Promotionsthema und ich erzählte ihm von meinen Fortschritten und zeigte ihm das Projekt.


In der darauffolgenden Belehrung warnte er mich vor einem Fehlschlag mit meiner Dissertation, so wie ich sie jetzt plane. Er selbst ist kein Historiker und hat auch keine Geschichte studiert, aber er meinte zu mir in etwa das, was der Professor in Berlin zu mir sagte: Die Quellenlage für mein Thema sei mangelhaft und – und das hörte ich zum ersten Mal – „einseitig“ und das Thema verpönt. Auf keinen Fall, so sagte er, solle ich mich auf die Unterschichten beschränken. Dies drohe zu einer einseitigen Angelegenheit zu werden, die stark marxistisch riechen könne. Er meinte, ich könne mit diesem Thema subjektiv oder objektiv in die Nähe des DDR-Historikers Kuczinsky geraten, der bei den Historikern heute nicht verbreitet, dafür aber verpönt sei und müde belächelt werde wie einst Norbert Elias in der Politologie und Soziologie. Kuczinsky, so mein Theater-Chef, habe ähnlich der Schule der Annales damals die Unterschichten in der Frühen Neuzeit erforscht und eine siebenbändige Quellenedition zur ihrer damaligen Lage herausgebracht. Kuczinsky, so mein Theater-Chef weiter, sei aber in der heutigen Historikerzunft trotzdem kaum gelesen worden. Er werde aber von den Historikern als marxistischer Althistoriker „belächelt“.
Und ich drohe, so mein Theater-Chef, mit meinem Thema und meiner Fixierung auf die Unterschichten auf dieselbe Schiene zu geraten. Außerdem müsste ich, wenn ich etwas mit dem Soziologen-Projekt 'Diversität' etwas zu tun haben wolle, das Thema schon so ausrichten, dass ich die Arbeitsbegriffe auch bei den Oberschichten untersuche und die Kommunikationsprozesse und Entstehungsweisen dieser Arbeitsbegriffe bei Ober- und Unterschichen.


Ich entgegnete ihm daraufhin, dass mir das bislang keiner der Professoren, bei denen ich mich beworben habe, erzählt habe. Sowohl mein jetziger Betreuer als auch der Geschichtsprofessor in Berlin wissen von meinem Diss-Thema.
Des weiteren sagte ich, dass mein Thema ja nicht marxistisch „vorgefertigt“ wäre. Ich habe lediglich eine Hypothese, die ich anhand der Quellenlage überprüfen würde. Und wenn sich herausstellen sollte, dass es keinen negativen Arbeitsbegriff bei den Unterschichte im 18. Jahrhundert gab, so werde ich auch das so scheiben.
Letztendlich wies ich ihn aber auch noch auf die Forschungslücke hin. Es existiert bislang keine einschlägige Untersuchung zu diesem Thema. Stattdessen bleibt die Geschichte der Arbeit auf die Oberschichten und Intellektuellen beschränkt.


Er meinte daraufhin, dass ich – und das sei seiner Ansicht nach sehr wahrscheinlich – auch objektiv nach Auswertung neuzeitlicher Quellen der Unterschichen des 18. Jahrhunderts zu der Ansicht gelangen würde, dass es bei den Unterschichten einen speziellen, negativen Arbeitsbegriff wie bei Marx gegeben habe. Er untermauerte diese Behauptung damit, dass der Kuczynski massig Quellen in seiner siebenbändigen Quellenedition zu den Unterschichten der Frühen Neuzeit habe.
Ich fragte ihn daraufhin, ob Kuczynski denn auch Quellen über die Arbeitsbegriffe bei den Unterschichten in der Frühen Neuzeit genannt habe. Das wusste er nicht. Er meinte, ich solle mal in diese siebenbändige Ausgabe vom Kuczynski reinschauen und lesen, wie man es heute nicht machen sollte mit seiner Promotion.
Ich wusste jetzt nicht ganz, ob sich Kuczynski mit meinem Thema schon befasst hatte. Mein Theater-Chef konnte mir das jedenfalls auch nicht sagen. Jedoch wusste ich nicht ganz, was Kuczynski, von dem unklar ist, ob er sich mit dem Thema Arbeit befasst hat und den ich wahrscheinlich gar nicht in meiner Diss aufgreifen werde, mit meiner Diss zu tun haben sollte und warum ich durch verpönte Erinnerungen an ihn in marxistisches Fahrwasser geraten sollte.
Mein Theater-Chef meinte weiterhin zu mir, dass mein Betreuer und der Professor in Berlin mein Diss-Thema zwar kennen und mein Doktorvater mir auch grünes Licht gegeben hätte. Jedoch würden sich viele Professoren einen Dreck um ihre Doktoranden scheren und sie einfach, ohne sich mit dem Thema näher auszukennen oder zu befassen, ihren Doktoranden einfach schutzlos ins offene Messer laufen lassen. Außerdem sei es sehr wahrscheinlich, dass beide Professoren Kuczynski nicht gelesen hätten und sich daher mit dem Thema, über das ich promovieren will, nicht sonderlich auskennen würden.


Nach diesem Gespräch war ich erst einmal bedient. Mir gehen jetzt viele Fragen durch den Kopf. Z.B. warum der Geschichtsprofessor in Berlin mich an einen seiner eigenen damaligen Doktoranden nach Bielefeld, der jetzt mein Doktorvater ist, verwiesen hat mit den Worten, der Professor in Bielefeld sei besser für mein Thema geeignet.
Weiterhin frage ich mich, ob denn überhaupt jede historische Forschung über die Unterschichen verpönt ist.
Dass die Quellenlage zu meinem Thema dürftig ist, weiss ich seit einem Jahr. Der Professor in Berlin weiss es und mein jetziger Betreuer weiss es. Ich habe meinem Betreuer mein Diss-Thema ausführlich mündlich und schriftlich geschildert und mein Betreuer hat mir dennoch grünes Licht gegeben. Warum? Weil er keine Ahnung von meinem Thema hat? Weil ihn meine Promotion nicht interessiert? Weil er Kuczynski nicht gelesen hat?


Also ich weiss jetzt nicht mehr, wie ich mit meiner Bewerbung um das Stipendium weiter verfahren soll. Ich wollte ohnehin das Thema in Richtung 'Diversität' lenken, aber weiterhin bei den Unterschichten bleiben. Darum geht es ja auch in der Diss, und das weiss auch mein Betreuer.
 
Dann aber war ich gestern bei meiner Theatergruppe, die ich immer dienstags habe. Ich war der einzige dort, also sprach ich ein wenig mit meinem Chef. Wir kamen dann auf mein Promotionsthema und ich erzählte ihm von meinen Fortschritten und zeigte ihm das Projekt.


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Dann musst du dich nicht wundern, wenn du Selbstgespräche führst.
 
Begründung: Die Quellenlage zu meinem Thema sei zu „schmal“, „einseitig“ und das Thema in der Historikerzunft verpönt.

Meine Hypothese ist, dass im 18. Jahrhundert die Arbeit bei vielen Unterschichten keineswegs positiv und ontologisch aufgefasst wurde (Arbeit als zweckbestimmte, zielgerichtete Tätigkeit), sondern der Arbeitsbegriff negativ konnotiert war ähnlich wie in der Antike (Arbeit als entfremdende, zwanghafte Tätigkeit wie Lohn- oder Fronarbeit im Gegensatz zu selbstbestimmter Tätigkeit). Könnte man diese Hypothese bestätigen, so hätte man einen historischen Beleg gegen die moderne Arbeits- und Leistungsideologie („Menschen haben schon immer gearbeitet.“).
Also ich finde das Thema grundsätzlich interessant.
An Quellen wird es sicherlich mangeln. Wenn Du nun wirklich den untersten Teil der Bevölkerung untersuchen willst, sind schriftliche Selbstzeugnisse sicherlich schwer zu finden. Das warum ist leicht erklärt, da dieser Teil der Bevölkerung aufgrund mangelnder Bildung, aber auch mangelnder Muße und Zeit kaum Gelegenheit hatte, sich über ihre Situation zu äußern. Am ehesten wird sich etwas von Aufsteigern finden, welche aus der Retrospektive ihr Leben in der Unterschicht vielleicht analysierten, da es zu ihrer Vita gehörte.
Das heutige Bild der Unterschicht dieser Zeit, ist ja sehr von Tagebüchern, Memoiren usw. der Angehörigen der Oberschicht gesprägt, welche verschiedentlich die Menschen der Unterschicht charakterisierten und erwähnten.

Ich selbst verfüge über keine Quellen zur Unterschicht. Aber Deine Überlegungen kann ich so nicht nachvollziehen. Dass vielen Dienstboten etc. die Tätigkeiten der täglichen Arbeit negativ belegt war, was aus der Sicht der Oberschicht auf Arbeitsscheu etc. hinausliefe, war eigentlich eher meines Erachtens eine Argumentation der Oberschicht.

Konkret zu Dienstboten habe ich mein Wissen und interessante Literatur schon verschiedentlich gepostet:
http://www.geschichtsforum.de/f76/dienerschaft-im-spaeten-17-und-gesamten-18-jh-13984/
Forum des 18. Jahrhunderts - Lakaien - Karrieren und Aufgaben
Forum des 18. Jahrhunderts - Gesinde im 18.Jh., Verhältnis zu den Oberen
Ansonsten musst Du Dich mal durchwühlen.

Grundsätzlich ist der Begriff "Unterschicht" ja sehr breit angelegt. Er klammert einen erheblichen Teil der damaligen Bevölkerung ein, welcher im damaligen Verständnis untereinander sich bisweilen abzuheben suchte.
 
Dieses Thema geht grundsätzlich auch in die Richtung: http://www.geschichtsforum.de/f288/berufe-18551/

Im Übrigen habe ich mir noch einige Gedanken dazu gemacht. In Museen versuche ich mit Freunden ja, das Leben des "kleinen Mannes" möglichst realitätsnah mit gesellschaftlichen Schranken etc. an die Besucher zu vermitteln. Ich selbst habe mich auf die Dienerschaft spezialisiert und habe den Eindruck, dennoch kein umfassendes Bild davon zu haben. Ich stelle mir das extrem aufwändig vor ein zutreffendes Bild von dem Verhältnis von Millionen von Menschen zur Arbeit aufzuspüren. Von Beruf zu Beruf war dies ja unterschiedlich und ganz abhängig von dem gesellschaftlichen Ansehen der jeweiligen Anstellung, welche selbst innerhalb des Dienstbotenstandes enorm variierte, was auch an den Gehälter erkennbar ist. Aber mach ruhig. Wenn was Gutes bei rumkommt, hätte ich aber gern die Arbeit und bitte nicht zu den üblichen Preisen in dem Metier...:D
 
Aber Deine Überlegungen kann ich so nicht nachvollziehen. Dass vielen Dienstboten etc. die Tätigkeiten der täglichen Arbeit negativ belegt war, was aus der Sicht der Oberschicht auf Arbeitsscheu etc. hinausliefe, war eigentlich eher meines Erachtens eine Argumentation der Oberschicht.

Ich hätte mein Promotionsthema bestimmt nicht so, wie es ist, ausgewählt, wenn ich keine Indizien dafür hätte, dass es in den Unterschichten hier und da einen negativen Arbeitsbegriff gegeben hätte. In der Sekundärliteratur werden diverse Quellen seitens der Oberschichten genannt. Z.B. über die Weigerung der Unterschichten, Lohnarbeit anzunehmen und stattdessen deren Wille, ein Stück eigenes Land zu haben und davon leben zu wollen. Oder über die Empfehlung eines Gutsherren, den bäuerlichen Unterschichten ja nicht zu viel Land zu geben, das sie sonst nicht mehr arbeiten, sondern sich nur noch von ihren Feldern ernähren würden. Oder Berichte darüber, dass schlesische Bauern mit Waffengewalt zur Arbeit gezwungen werden mussten.

Natürlich werde ich überwiegend Oberschichtenquellen zu Rate ziehen müssen. Aber darum geht es auch gar nicht. Es geht darum, ob man heute eine Dissertation über Unterschichten anfertigen kann. Und ich sehe eigentlich angesichts diverser Sekundärliteratur über die Unterschichten nicht, warum das nicht gehen sollte.
 
Dieses Thema geht grundsätzlich auch in die Richtung: http://www.geschichtsforum.de/f288/berufe-18551/

Im Übrigen habe ich mir noch einige Gedanken dazu gemacht. In Museen versuche ich mit Freunden ja, das Leben des "kleinen Mannes" möglichst realitätsnah mit gesellschaftlichen Schranken etc. an die Besucher zu vermitteln. Ich selbst habe mich auf die Dienerschaft spezialisiert und habe den Eindruck, dennoch kein umfassendes Bild davon zu haben. Ich stelle mir das extrem aufwändig vor ein zutreffendes Bild von dem Verhältnis von Millionen von Menschen zur Arbeit aufzuspüren. Von Beruf zu Beruf war dies ja unterschiedlich und ganz abhängig von dem gesellschaftlichen Ansehen der jeweiligen Anstellung, welche selbst innerhalb des Dienstbotenstandes enorm variierte, was auch an den Gehälter erkennbar ist. Aber mach ruhig. Wenn was Gutes bei rumkommt, hätte ich aber gern die Arbeit und bitte nicht zu den üblichen Preisen in dem Metier...:D

Keine Sorge, du bekommst sie kostenlos.
 
Ich hätte mein Promotionsthema bestimmt nicht so, wie es ist, ausgewählt, wenn ich keine Indizien dafür hätte, dass es in den Unterschichten hier und da einen negativen Arbeitsbegriff gegeben hätte. In der Sekundärliteratur werden diverse Quellen seitens der Oberschichten genannt. Z.B. über die Weigerung der Unterschichten, Lohnarbeit anzunehmen und stattdessen deren Wille, ein Stück eigenes Land zu haben und davon leben zu wollen. Oder über die Empfehlung eines Gutsherren, den bäuerlichen Unterschichten ja nicht zu viel Land zu geben, das sie sonst nicht mehr arbeiten, sondern sich nur noch von ihren Feldern ernähren würden. Oder Berichte darüber, dass schlesische Bauern mit Waffengewalt zur Arbeit gezwungen werden mussten.
Hm, aber so ganz widerspricht das doch nicht dem grundsätzlichen Wunsch nach Arbeit oder einer positiven Bewertung von Arbeit.

Natürlich war Unabhängigkeit ein alter Wunsch der Unterschicht. Wenn man um die Lebensbedingungen von Dienstboten insbesondere, aber auch der engen Bindung und Beschränkung von Gesellen im Handwerk weiß, erscheint dieser Wunsch ganz natürlich. Dass diese Menschen allerdings von der Oberschicht ausgebeutet werden mussten, denn dies stellte ja die Existenz von Oberschicht grundsätzlich dar, erscheint mir auch einleuchtend und nicht unbedingt ein Beleg dafür, dass man die Tätigkeiten an sich negativ bewertete. Die Arbeitsniederlegungen in Schlesien während der Regierung Friedrich II. waren auch eher Mittel eines gewaltlosen Kampfes gegen spezielle Ungerechtigkeiten, welche den Bauern etc. dort widerfuhren. Da die preußischen Könige grundsätzlich für den Rückzug des Adelsstandes auf direkte politische Einflussnahme in Berlin den Landadeligen in ihren Domänen viele Freiheiten gewährten, kam es zu Übertretungen von den "gewöhnlichen" Forderungen, welche der Adel im Allgemeinen als Fronen den Abhängigen abverlangten.

In den Büchern von Siedlers Deutscher Geschichte dürfte etwas speziell zu den Unruhen in Schlesien stehen.
 
Zunächst einmal würde ich sagen, daß Bielefeld keine schlechte Adresse für so etwas ist. Du mußt Dich allerdings darauf einstellen, daß es die Heimatuni von Hans-Ulrich Wehler ist und die dortigen Mitarbeiter in ihren theoretischen Ansätzen drutlich von ihm geprägt sein dürften. Die "Bielefelder Schule" ist ja in der Sozialgeschichte ein fester Begriff. Hast Du den entsprechenden Band der "Deutschen Gesellschaftsgeschichte" schon inhaliert?
 
Zunächst einmal würde ich sagen, daß Bielefeld keine schlechte Adresse für so etwas ist. Du mußt Dich allerdings darauf einstellen, daß es die Heimatuni von Hans-Ulrich Wehler ist und die dortigen Mitarbeiter in ihren theoretischen Ansätzen drutlich von ihm geprägt sein dürften. Die "Bielefelder Schule" ist ja in der Sozialgeschichte ein fester Begriff. Hast Du den entsprechenden Band der "Deutschen Gesellschaftsgeschichte" schon inhaliert?

Ja, kenne ich. Mit der Bielefelder Schule habe ich mich bislang allerdings wenig auseinandergesetzt.

Aber zum Thema: Mein Betreuer hat meinem Thema doch zugestimmt. Wenn er Komplikationen bei diesem Thema sehen würde, hätte er es mir doch gesagt, oder? Er hat mir doch nicht ohne Grund zugestimmt, das Thema angehen zu dürfen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wo Du vielleicht fündig werden könntest, sind die Autobiographien, die hier gesammelt sind:
Autobiographien - Zeno.org
Es sind auch allerhand Vertreter unterer Schichten dabei wie etwa Prosch ; aber es gibt auch noch andere, die in der Edition nicht vertreten sind (Laukhard etc.), bei denen sich wohl auch Aussagen über ihr Verhältnis zur Arbeit finden lassen
 
Hallo Krusk, ich weiß nicht so recht, was Du von uns hören willst? Wenn Du mit viel Engagement Dir Dein Thema erarbeitet hast, einen Prof gefunden und Dich evtl. in einer speziellen Arbeitsgruppe eingliedern kannst, dann weiß ich nicht, warum Du Dir von Jemandem, der sich offensichtlich nicht so intensiv damit beschäftigt hast, aus der Bahn werfen läßt.
Du kannst Dein Thema hier vorstellen, mußt aber damit leben, dass alle Meinungen vetreten sein werden, von totalem Blödsinn bis zu gutes Thema. Wem willst Du vertrauen?
Du kannst es noch ein paar anderen Historikern und Nichthistorikern zeigen, manche werden ene Meinung haben, manche auch nicht. Diese kann richtig oder flsch sein, aber nach wessen Maßstäben? Deinen? Ihren?

Ein Beispiel noch dazu: Dein Theaterchef hat noch nie Kuczinsky gelesen, maßt sich aber ein Urteil an. Klar sind seine Ansichten zum Teil heute überholt, aber er war und ist angesehener Historiker.
 
Hallo Krusk,

rein so vom Gefühl her stufe ich dein Dissertationsthema auch nicht ganz einfach ein. Ich kann natürlich schwer beurteilen, wo du stehst und was du alles schon rausgeholt hast. Ich hatte mich im letzten Jahr selbst damit beschäftigt, ein Dissertationsthema zu finden, gehe jetzt aber einen anderen Weg.
Mit der Quellenbasis fällt und steht das Thema - da haben deine gewissen Gesprächspartner schon recht. Aber es gibt meines Erachtens noch ein weiteres Problem, die Unterschichtendefinition. Ich bin absolut kein Neuzeitexperte, aber aus den wenigen meist verfassungsgeschichtlichen Vorlesungen habe ich die Struktur Deutschlands im 18. Jahrhundert als extrem komplex in Erinnerung. Da stellt sich schon die Frage, welche Unterschichten genau gemeint sein sollen: Bettler? Manufakturarbeiter? Soldaten? Bauern? Knechte, Diener? Ich hoffe, du verstehst, was ich meine.
Dann kommen wir wieder zurück zum Quellenproblem. Unabdingbar für deine Arbeit sind ja nun Selbstzeugnisse der Betroffenen, wie sie ihre Arbeit bewerten. Wie gesagt - ich kenn mich mit der Zeit nicht richtig aus, aber das stell ich mir schwierig vor. Vielleicht könnte man noch in Prozessakten (ohnehin eine wichtige sozialgeschichtliche Quelle) Zeugenaussagen etc. zum Thema finden. Noch zu einigen konkreten Punkten:

Krusk schrieb:
Er meinte, ich könne mit diesem Thema subjektiv oder objektiv in die Nähe des DDR-Historikers Kuczinsky geraten, der bei den Historikern heute nicht verbreitet, dafür aber verpönt sei und müde belächelt werde wie einst Norbert Elias in der Politologie und Soziologie.

Da würde ich mir nun weniger Sorgen machen; im Gegenteil finde ich, dass die Sozialgeschichte durchaus noch immer ein gewisses Gewicht hat. Allerdings ist, wie schon erwähnt, das Problem die schwierige Unterschichten-Definition...



Krusk schrieb:
Außerdem müsste ich, wenn ich etwas mit dem Soziologen-Projekt 'Diversität' etwas zu tun haben wolle, das Thema schon so ausrichten, dass ich die Arbeitsbegriffe auch bei den Oberschichten untersuche und die Kommunikationsprozesse und Entstehungsweisen dieser Arbeitsbegriffe bei Ober- und Unterschichen.

Das scheint mir sogar sinnreich, weil durch die Gegenüberstellung die Quellenlage etwas vergrößert werden könnte.

Krusk schrieb:
Ich wusste jetzt nicht ganz, ob sich Kuczynski mit meinem Thema schon befasst hatte.

Wenn du es nicht weißt, dann schau doch erstmal rein.

Jedoch würden sich viele Professoren einen Dreck um ihre Doktoranden scheren und sie einfach, ohne sich mit dem Thema näher auszukennen oder zu befassen, ihren Doktoranden einfach schutzlos ins offene Messer laufen lassen.

Das ist hingegen eine ernst zu nehmende Sache. Dabei ist zu bedenken, dass Professoren zusätzliche Gelder für jeden Doktoranten bekommen (nagelt mich da nicht auf die genauen Rechtsvorschriften fest). So besteht ein vitales Interesse daran, viele Doktoranten zu haben - ohne das immer jeder bei seinem Doktorvater das gleiche Gewicht hat. Ich kenne selbst eine Kollegin, die quasi im stillen Kämmerlein promoviert hat und mit ihrem Titel nun wenig anfangen kann.

Krusk schrieb:
Außerdem sei es sehr wahrscheinlich, dass beide Professoren Kuczynski nicht gelesen hätten und sich daher mit dem Thema, über das ich promovieren will, nicht sonderlich auskennen würden.

Kuczynski ist ein relativ bekannter Name - aber wie gesagt: nicht so viel fabulieren, erst mal anschauen. Und an deiner Stelle würde ich mich sowohl zu den inhaltlichen wie formellen Problemen mit anderen Doktoranten oder Professoren aus dieser Richtung unterhalten - es kann ja auch ganz anonym bei einem "objektiven Dritten" sein.
 
Ich bin zwar Laie auf dem Gebiet, aber wenn mich mein Gefühl beim Lesen deines Beitrages nicht zu sehr täuscht, werfen auch Professoren gern einmal ihre eigenen privaten politischen Meinungen in den Geschichtstopf und quirlen dann ein bißchen herum, oder aber sehen das Ganze realisitscher, da das Thema Marxismus, das du unweigerlich streifen mußt, in Deutschland ein sehr heißes Eisen ist, während dein Betreuer es mögicherweise auch privat-politisch ein sehr gutes Thema findet. Aber das solltest du einmal in einem 4 augen Gespräch mit deinem BEtreuer erfragen, wie er politisch tickt und ihm deine Bedenken mitteilen.
 
@ashi

Als Quellen für meine Diss wollte ich Beschwerden, Memoiren, Gerichtsprotokolle etc. heranziehen. Mir ist schon bewusst, dass ich von den Unterschichten direkt nur wenig erfahren werde.

Und dass der Begriff 'Unterschichten' einen ganzen Wust an verschiedenen Schichten beinhaltet, weiss ich auch. Deswegen hatte ich geplant, mich auf das Handwerk und die bäuerlichen Unterschichten (Insten und Häusler) zu konzentrieren, also auf die ländlichen Personenkreise, welche nicht genug Land zur Eigenproduktion, aber auch nicht ausschließlich von Lohnarbeit lebte. Und das war meines Wissens auch noch auf dem Land des 18. Jh. die Mehrheit.

Bei Kuczynski habe ich jetzt mal reingeschaut und ehrlich gesagt bei ihm keine Unterschichtenquellen aus dem 18. Jh. zum Thema Arbeit gefunden, dafür aber ellenlange Zitate aus der Sekundärliteratur zu anderen Themen. Nein, also Kuczynski ist nicht sonderlich hilfreich gewesen.
 
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