Mein Theater-Chef verwirrt mich bezüglich meines Promotionsvorhabens

Ich kann Deinen Theater-Chef - ohne Kuczinsky zu kennen - nicht verstehen: Gerade dort, wo bisher nur einseitig geforscht wurde, ist doch noch Forschungsarbeit zu leisten. Man kann sich schließlich auch an seinen Vorgängern reiben!
Du solltest aber Deine Zweifel (sofern Du sie wirklich hast) mit Deinem Prof. besprechen, ihn zu einer Stellungnahme zwingen.

flo schrieb:
Zumindest, wenn er liesst, was du hier verzapfst.

Unwahrscheinlich. Es sei denn, er ist Didaktiker.
 
Die schlesischen Unruhen in der 2. Hälfte des 18.Jh.

Zur Schlesischen Erhebung im 18.Jh.:
Der Kern der Unruhen ging vom Gut Odersch im Kreis Lobschütz aus, welches einer Gräfin Geßler gehörte. Diese Adelige war bereits schon vorher mit der preußischen Justiz in Konflikt geraten, da sie die untertänigen Bauern in Ostpreußen misshandeln ließ. In Schlesien forderte sie von ihren Bauern erheblich höhere Frondienste ab. Die Bauern indes bezogen sich auf die Urbar von 1574, welche die Frondienste begrenzte und prozessierten bis vor das Berliner Apellationsgericht, welches ihnen auch 1747 Recht gab. Dennoch suchte die besagte Grundherrin die Bauern durch Arrest und körperliche Züchtigungen zu den bereits rechtlich als unbotmäßig erkannten Leistungen zu zwingen. Ein Vergleich, der im Sinne der Adeligen gewesen wäre, wurde 1753 in zweiter und dritter Instanz wieder zu Gunsten der Bauern abgelehnt. Da die Drangsalen dadurch nicht aufhörten und der Provinzialminister Schlabrendorf in seinen örtlichen Beamten befangene Leute hatte, weitete sich der Konflikt aus. Statt nämlich den richterlichen Entscheidungen Rechnung zu tragen, intervenierten die schlesischen Landräte im Sinne der Adeligen, Truppen wurden geschickt, um die Bauern zur Wiederaufnahme ihrer Dienstleistungen zu bringen, während die Bauern meinten mit der Niederlegung derselben endlich ihr Recht durchsetzen zu können. Viele Bauern gingen über die Grenze nach Österreich, andere wehrten sich so gut es ging gegen die entsendeten Truppen. Schließlich befanden sich 40 Dörfer im Aufstand. Schlabrendorf wurde von dem ortsansässigen Adel zu Fall gebracht, aber der Konflikt hielt in Schlesien bis in die 1790er, also noch über den Tod Friedrich II., der zu Ungunsten Schlabrendorfs entschieden hatte, an.

Also ich kann beim besten Willen in dieser Erhebung keinen Hinweis auf eine negative Einstellung der Bauern in Schlesien zu ihrer eigentlichen Tätigkeit finden. :nono: Ich würde da an Stelle von Krusk wirklich mal die inhaltlichen Kenntnisse soweit aufpolieren, dass man sich überhaupt an so eine Arbeit machen kann. Vorrangig ging es ja nichtmal den Bauern um eine Verbesserung ihrer Lage, sondern einem Beharren auf alten Rechten und Pflichten.

Literatur:
Horst Möller: "Fürstenstaat oder Bürgernation" Siedler S.148-150
 
Zur Schlesischen Erhebung im 18.Jh.:
Der Kern der Unruhen ging vom Gut Odersch im Kreis Lobschütz aus, welches einer Gräfin Geßler gehörte. Diese Adelige war bereits schon vorher mit der preußischen Justiz in Konflikt geraten, da sie die untertänigen Bauern in Ostpreußen misshandeln ließ. In Schlesien forderte sie von ihren Bauern erheblich höhere Frondienste ab. Die Bauern indes bezogen sich auf die Urbar von 1574, welche die Frondienste begrenzte und prozessierten bis vor das Berliner Apellationsgericht, welches ihnen auch 1747 Recht gab. Dennoch suchte die besagte Grundherrin die Bauern durch Arrest und körperliche Züchtigungen zu den bereits rechtlich als unbotmäßig erkannten Leistungen zu zwingen. Ein Vergleich, der im Sinne der Adeligen gewesen wäre, wurde 1753 in zweiter und dritter Instanz wieder zu Gunsten der Bauern abgelehnt. Da die Drangsalen dadurch nicht aufhörten und der Provinzialminister Schlabrendorf in seinen örtlichen Beamten befangene Leute hatte, weitete sich der Konflikt aus. Statt nämlich den richterlichen Entscheidungen Rechnung zu tragen, intervenierten die schlesischen Landräte im Sinne der Adeligen, Truppen wurden geschickt, um die Bauern zur Wiederaufnahme ihrer Dienstleistungen zu bringen, während die Bauern meinten mit der Niederlegung derselben endlich ihr Recht durchsetzen zu können. Viele Bauern gingen über die Grenze nach Österreich, andere wehrten sich so gut es ging gegen die entsendeten Truppen. Schließlich befanden sich 40 Dörfer im Aufstand. Schlabrendorf wurde von dem ortsansässigen Adel zu Fall gebracht, aber der Konflikt hielt in Schlesien bis in die 1790er, also noch über den Tod Friedrich II., der zu Ungunsten Schlabrendorfs entschieden hatte, an.

Also ich kann beim besten Willen in dieser Erhebung keinen Hinweis auf eine negative Einstellung der Bauern in Schlesien zu ihrer eigentlichen Tätigkeit finden. :nono: Ich würde da an Stelle von Krusk wirklich mal die inhaltlichen Kenntnisse soweit aufpolieren, dass man sich überhaupt an so eine Arbeit machen kann. Vorrangig ging es ja nichtmal den Bauern um eine Verbesserung ihrer Lage, sondern einem Beharren auf alten Rechten und Pflichten.

Literatur:
Horst Möller: "Fürstenstaat oder Bürgernation" Siedler S.148-150

Was willst du jetzt mit diesem Zitat belegen? Habe ich von diesem Zitat gesprochen?
 
Was willst du jetzt mit diesem Zitat belegen? Habe ich von diesem Zitat gesprochen?
Ganz kurz meinerseits, ich habe nicht zitiert, sondern das ganze in meine bescheidenen Worte gefasst.


Ergänzung:
@ Krusk
Wie kommst Du denn auf Deine Vermutungen? Ich meine, ich würde doch auf keine Thematik als Inhalt einer Arbeit welcher Güte auch immer kommen, wenn sich mir nicht zufällig oder gezielt Anhaltspunkte für eine erstaunliche Sichtweise gefunden hätten.

Alles was ich über die Unterschicht weiß, kommt aus allgemeinen Darstellungen zum 18.Jh., aus Primärliteratur der Oberschicht oder Gesindeordnungen. Die Verbote etc. aus Erlässen von letzteren Quellen legen ja die Handlungsweise der Unterschicht nahe, welche diese Verbote durchaus erforderlich machten.
Also ich würde nur ein Werk zu einem Thema schreiben, welches mich persönlich extrem interessiert, egal ob ich es als Laie oder als Wissenschaftler zu veröffentlichen gedenke.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie kommst Du denn auf Deine Vermutungen? Ich meine, ich würde doch auf keine Thematik als Inhalt einer Arbeit welcher Güte auch immer kommen, wenn sich mir nicht zufällig oder gezielt Anhaltspunkte für eine erstaunliche Sichtweise gefunden hätten.

Ich dachte eigentlich an dieses Zitat:

"Zwang zur Arbeit und dafür Bezahlung finden wir bei den Eisenhüttenwerken Malapane und Kreuzburgerhütte in Schlesien, wo zum Erzanfahren die Oppelnschen Domänenbauern verpflichtet waren; jährlich hatten sie 40 Kübel zur Hütte zu bringen und erhielten für Zentner und Meile 6, später 9 Sgr. und darüber. 1761 hatten sie - wohl wegen zu geringen Lohns - durch Militär zur Erzanfuhr gezwungen werden müssen; ... ."

aus:
Hinze, Kurt: Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in Brandenburg-Preussen 1685-1806, Berlin 1963; S.150f.

Hervorhebungen von mir.
Ich erwarte nicht, dass solche Zitate in jedem Werk stehen, welches sich mit Arbeitsgeschichte beschäftigt. Dann gäbe es ja in dieser Hinsicht nichts mehr zu erforschen.
 
Das Problem ist doch, dass es hier um unterdrückte Streiks wegen nicht gerecht entlohnter Arbeit geht, nicht um ein negatives Arbeitsbild der arbeitenden Bevölkerung.
 
Hervorhebungen von mir.
Ich erwarte nicht, dass solche Zitate in jedem Werk stehen, welches sich mit Arbeitsgeschichte beschäftigt. Dann gäbe es ja in dieser Hinsicht nichts mehr zu erforschen.
Dann sprachen wir von zwei verschiedenen Unruhen, aber die Einschätzung von El Quijote bleibt für beide Fälle ja gleich bedeutend.
 
Das Problem ist doch, dass es hier um unterdrückte Streiks wegen nicht gerecht entlohnter Arbeit geht, nicht um ein negatives Arbeitsbild der arbeitenden Bevölkerung.

Das lässt sich aus dem Zitat nicht ablesen, sondern das ist deine Interpretation. Ich sehe in diesem Zitat in Verbindung mit Klagen seitens vieler Grundherren über die "Arbeitsweigerung" der Unterschichten und dem Wunsch vieler Unterschichtenangehöriger in der FNZ, ein eigenes Stück Land zu haben, anstatt der Lohn- oder Fronarbeit nachgehen zu müssen, ein Indiz für einen negativen Arbeitsbegriff.
 
Ich sehe in diesem Zitat in Verbindung mit Klagen seitens vieler Grundherren über die "Arbeitsweigerung" der Unterschichten und dem Wunsch vieler Unterschichtenangehöriger in der FNZ, ein eigenes Stück Land zu haben, anstatt der Lohn- oder Fronarbeit nachgehen zu müssen, ein Indiz für einen negativen Arbeitsbegriff.

Nein, kann ich nicht nachvollziehen.
Die Leute wollen ja auch in dem von Dir zitierten Beispiel arbeiten, auf eigene Rechnung. Eben weil die Bezahlung für die andere Arbeit zu schlecht ist.
Eine "gerechte" Entlohnung gilt als Arbeitsanreiz, bei zu niedriger Entlohnung will eben niemand arbeiten.
Dann stellt sich auch noch die Frage, ob durch die zwangsweise Arbeitsleistung für zu geringen Lohn andere Verdienstmöglichkeiten ausfielen, die "Kosten" für den eigenen Arbeitseinsatz demnach die möglichen Einkünfte überstiegen. Das scheint ja hier gegeben zu sein, weil ja auf eigenem Land gewirtschaftet werden soll.
Der Begriff Arbeit ist mir ein wenig zu schwammig eingesetzt bei Dir. Widerstand gegen Fronarbeit scheint mir passender.
 
Zuletzt bearbeitet:
ein Indiz für einen negativen Arbeitsbegriff.

Arbeit an sich? Arbeit für andere Leute? Arbeit gegen zu geringen Lohn? Wovon sprichst du hier eigentlich? Wenn die Menschen ein eigenes Stück Land haben wollten, bedeutete dies doch ebenfalls Arbeit. :S
 
Dann weiß ich nicht, wie ich das "wohl wegen zu geringen Lohns" sonst zu lesen habe. Es ist ja zunächst mal jedermann einsichtig, dass einem die gebratenen Hühner nicht ins Maul fliegen, sondern, dass es Arbeit bedarf, um seine Bedürfnisse erfüllen zu können. Je komplexer die Welt ist, desto mehr Bedürfnisse entwickelt der Mensch (A. Maslow) kann aber durch seine Arbeitskraft all seinen Bedürfnissen nicht mehr gerecht werden, ergo muss die Arbeitsleistung geteilt werden, es entstehen Spezialberufe. Obwohl ich keine Schweine mehr züchte und keine Häuser mehr baue, kann ich dennoch in einem Haus leben und bekomme auch etwas zu essen. Dafür leiste ich andere Dinge. Nun erlebt aber der Arbeitnehmer der frühen Neuzeit, dass er zwar Arbeiten muss für seinen Lohn - was wie dargelegt einsichtig ist - sieht aber, dass der adelige Landesherr keinen Finger krumm macht und seinen Vergnügungen nachgeht (dies nur als vermeintliche Wahrnehmung frühneuzeitlicher Unterschichten). Ein Gefühl für strukturelle Ungerechtigkeit entsteht, was dadurch verstärkt wird, dass die geleistete Entlohnung mangelhaft ist oder zumindest wahrgenommen wird.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich dachte eigentlich an dieses Zitat:
Hier haben wir einen Punkt, den man von zweierlei Seiten betrachten kann. Die Werktätigen wollten nicht für einen scheinbar ihres Erachtens zu niedrigen Lohn arbeiten. Auf der anderen Seite bedeutete die Einstellung der Arbeit konkrete finanzielle Einbußen der Betreiber der Eisenhüttenwerke. Rechtlich müsste man schauen, wie das aussah. Hatten die Werktätigen ihren Dienst bereits zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb einer Art "Tarifjahr" angenommen, mussten sie dafür auch ihre Leistungen abliefern, alles andere stand schon damals unter Strafe. Es wäre also interessant, wann es genau zu den Arbeitsniederlegungen kam und wie die Termine zur Annahme eines Dienstes damals in Preußen geregelt waren.

Grundsätzlich kann ich auch trotz des Zitats von Krusk nicht erkennen, dass es den Werktätigen um die Ablehnung der Arbeit grundsätzlich ging, sondern vielmehr um gerechte Entlöhnung aus ihrer Sicht.

Mir scheint es logisch, dass die Leibeigenen mit ihrem Los nicht zufrieden waren. Aber Krusk hat für einen formulierten Willen der Unterschicht selbst zur Aufhebung der Leibeigenschaft keinen Beleg gebracht. Bemerkenswerterweise war die Befreiung von der Leibeigenschaft durch eine entsprechende Bitte beim Grundherren ja scheinbar nichtmal etwas so ungewöhnliches.
"Gesinde-Ordnung, von 1752
Wir Simon August, Regierender Fraf und Edler Herr zu Lippe...
...
II. Sollen auch diejenigen von den Hausleuten, so dienen können und wollen, nicht leicht sich außer Landes vermiethen, und ein jeder, der außer Landes zu gehen Willens, solches zuvorderst bei dem Amte, und daneben die Leibeigene bei ihren Leibeigenthums-Herren sich melden, und deren Bewilligung gewärtigen; wer sich aber heimlich außer Landes vermiethet, 5 Goldfl. Strafe erlegen, oder in Ermangelung solche mit dem Leibe abverdienen. ..."
Aus der Gesindeordnung von Lippe 1752.

Der Wunsch ist ja ganz natürlich, aber bemerkenswerterweise kam es darüber zu keinen flächendeckenden Erhebungen sondern zumeist eben zu den regionalen Unruhen und auch das nur, wo die Leibeigenschaft zu schwer wog bzw. die Mittel der Grundherren verschärft wurden. Aber eine breite Bewegung der Unterschicht, die Leibeigenschaft zu verlassen kann ich daran nicht erkennen, denn dies hätte zu deutlichen Problemen im ganzen HRR geführt, die ich bis jetzt noch nicht ausmachte.

Vielmehr stieß die Aufhebung der Leibeigenschaft wie im Falle der Gebiete von Joseph II. geschehen, auf ganz erstaunliche Reaktionen der Gemeinden. Das wäre natürlich auch so ein Thema.:fs:
Zu Leibeigenschaft hatten wir schonmal übrigens einen Thread: http://www.geschichtsforum.de/f288/leibeigenschaft-durch-geburt-16056/ Leider ist Prinz Eugen nur mittlerweile wieder entschwunden.
 
@el

Dann weiß ich nicht, wie ich das "wohl wegen zu geringen Lohns" sonst zu lesen habe.
Das ist ja auch die Interpretation des Autors, der dieses Zitat gebracht hat. Du kannst dich seiner Interpretation gerne anschließen - ich tu's nicht.

Es ist ja zunächst mal jedermann einsichtig, dass einem die gebratenen Hühner nicht ins Maul fliegen, sondern, dass es Arbeit bedarf, um seine Bedürfnisse erfüllen zu können.
Genau das es ja gerade die Frage. Aus den wenigen historischen Abhandlungen über die Geschichte der Arbeit (Kocka, Conze, Ehmer) lässt sich trotz der unkritischen Darstellungen dennoch explizit nachweisen, dass die Gleichung "Arbeit=notwendige Tätigkeit für den Menschen" eine Ideologie der Aufklärung und der modernen Gesellschaft ist.
Die Vorstellung, Arbeit sei ontologisch und essentiell mit unserem Überleben verknüpft, rührt daher aus einer spezifisch modernen Verabsolutierung der Arbeit. De facto aber ist Arbeit - in unserer modernen Gesellschaft wie vermutlich auch bereits in der Antike - ein Synonym für marktabhängige Tätigkeit. In der modernen Gesellschaft aber wurde dieser "enge Arbeitsbegriff" (Ehmer) totalisiert, um es mal polemisch auszudrücken. Zwanghafte Tätigkeit für den Markt und für Lohn - sprich: Arbeit - sollte zur natürlichen und menschennotwendigen Tätigkeitsform werden. Und genauso denken wir heute auch. Wir glauben, dass die kapitalistische Tätigkeitsform - Arbeit - die normalste Sache der Welt sei.
Wir benennen heute die kapitalistische, zwanghafte Konnotation der Arbeit nicht mehr explizit, aber sie wird weiterhin implizit vorausgesetzt.
Dabei widerspricht diese moderne Arbeitsideologie schlichtweg der ökonomischen Realität.
Denn wenn Arbeit gleich jede menschliche Tätigkeit und eine Naturnotwendigkeit ist, warum gibt es dann Arbeitslose, Zwangsarbeit für Arbeitslose, Ekel vor der Arbeit?
Warum wurden in der FNZ Menschen mit Zwang zur Arbeit erzogen (Stichwort Arbeitshaus/Sozialdisziplinierung)? Weil sie etwas völlig Natürliches ist?

Dass Menschen produzieren und tätig werden müssen, um zu überleben, ist eine Banalität und steht auch nicht zur Diskussion.
Aber die Tätigkeiten eines Menschen stehen niemals individualistisch für sich allein, sondern sind stets gesellschaftlich vermittelt.
Dass man, um Brot herzustellen, Getreide anbauen, ernten, schroten und das Mehl backen muss, bedarf keiner Erklärung. Aber in dieser "reinen" Form kommt die (Re-)Produktion des Menschen eben nicht vor. Wie Menschen produzieren und tätig sind, hängt von der Gesellschaft ab, in der sie leben.
Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, ob ich für mich oder andere Essen koche, oder ob ich Essen koche, weil es ein ominöser Markt von mir verlangt, damit ich Geld bekomme und damit ich mir davon Essen kaufen kann, was ich koche. Die Selbstbestimmung beim Essen kochen für mich oder andere ist sehr hoch, die Arbeit "Essen kochen" hingegen tendiert gegen Null.

Diese Betrachtung der Arbeit ist keineswegs neu, sondern wird in manchen Publikationen angesprochen.
Leider tun viele Ottonormalverbraucher diese Betrachtungsweise als semantische Wortspielerei ab. Aber genau das ist es ja nicht.

@brissotin

Grundsätzlich kann ich auch trotz des Zitats von Krusk nicht erkennen, dass es den Werktätigen um die Ablehnung der Arbeit grundsätzlich ging, sondern vielmehr um gerechte Entlöhnung aus ihrer Sicht.
Das steht aber nicht in der Quelle. Das interpretiert der Autor (Hinze).

@el quichote

Je komplexer die Welt ist, desto mehr Bedürfnisse entwickelt der Mensch (A. Maslow) kann aber durch seine Arbeitskraft all seinen Bedürfnissen nicht mehr gerecht werden, ergo muss die Arbeitsleistung geteilt werden, es entstehen Spezialberufe. Obwohl ich keine Schweine mehr züchte und keine Häuser mehr baue, kann ich dennoch in einem Haus leben und bekomme auch etwas zu essen. Dafür leiste ich andere Dinge.

Ja, das ist ein liberales kleinbürgerliches Märchen, das höre ich immer wieder. Lohnarbeit oder generell Arbeit sei nunmal notwendig, weil die Bedürfnisse irgendwie voll komplex sind und der Mensch halt nicht alles alleine machen kann. Das ist richtig, nur will mir nicht einleuchten, warum es der Lohnarbeit oder generell der Arbeit bedarf, um dieser Komplexität gerecht zu werden. Historisch gesehen ist die (Lohn-)Arbeit eine Seltenheit in der Geschichte der Menschheit. Zwar gab es sie bereits in der Antike, aber einen wesentlichen gesellschaftlich bestimmenden Stellenwert erhielt sie erst im Laufe der FNZ.

Dieses bürgerliche Ammenmärchen verhöhnt übrigens den tatsächlichen Geschichtsverlauf. Die (Lohn-)Arbeit breitete sich nicht aufgrund komplexer Bedürfnisse aus. Im Gegenteil: Die Forderung nach mehr Arbeit kam von geldgierigen Feudalherren und kriegstreiberischen absolutistischen Staatsfürsten, während viele Unterschichten gar keinen Bock auf mehr Arbeit oder gar Lohnarbeit hatten. So musste halt der militärische Druck her, um die Bevölkerungsmassen direkt oder indirekt aus ihrem Subsistenzleben in die Lohnarbeit zu pressen. Diverse Quellen, in denen die Faulheit und Arbeitsverweigerung der Unterschichten beklagt wird, in denen von aufmüpfigen Personen die Rede ist, in denen bezeugt ist, dass tatsächlich oder vermeintlich faule Personen in Arbeitshäuser gesteckt wurden, wo sie - laut Quellen aus dem Amsterdamer Arbeitshaus - unter Androhung von Folter und Nahrungsentzug lernen mussten, wie schön es doch sein kann, sinnlos zu arbeiten. Die Geschichte spricht irgendwie nicht ganz die Sprache, die uns das bürgerlich-liberale Märchen von der historischen Entwicklung zur Arbeit erzählen will.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nun werden aber spätestens seit der antiken Sklavenhaltergesellschaft regelmässig Überschüsse erwirtschaftet, welche es erlauben, dass ein Teil der Menschheit sich aus dem Arbeitsprozess bzw. Produktionsprozess zurückziehen kann und trotzdem überlebt (ja sogar im Luxus lebt!). Dieses Privileg der Wenigen, sich aus dem Wertschöpfungsprozess zurückziehen zu können, wollen nun aber auch diejenigen, denen das schichtspezifisch (weil nicht Adelig) oder finanziell (weil nicht reich genug) nicht zusteht, auskosten (klingt fast wie eine Apologie der Schichten- bzw. Klassengesellschaft). Die Arbeitslosigkeit selbst ist daher auch ein Zustand der Unnatürlichkeit, sie kann nur dort existieren, wo der Mensch über die Subsitenzwirtschaft hianusgekommen ist. Für Marx und Engels waren die Arbeitslosen eine Reservearmee der Bourgeosie, mit welcher diese den Forderungen der Arbeitnehmerschaft nach mehr Lohn entgegentrat, beliebig freisetzbar.

Edit: Mein Beitrag bezog sich auf den Beitrag vor dem Edit von krusk, die zweite Hälfte seines Beitrages kannte ich da noch nicht.
 
Kleinbürgerlich-liberale Märchen? Es ging weniger um die Lohnarbeit, wenn ich auch vom Lohn schrieb. Ich meinte mit Lohn aber nicht einen festgestezten Tariflohn oder eine sonstige durch Geld definierte Menge, sondern den Umstand, dass wer eine Leistung erbringt von dieser auch leben können will, nennen wir es Lohngerechtigkeit. Was Du mir vorwerfen kannst, ist vielleicht eine gewisse Unschärfe in der Formulierung (eben der Gebrauch des Wortes "Lohn"). Wenn Du aber meinen Beitrag als Apologie der Lohnarbeit gelesen hast, hast Du ihn grundlegend missverstanden, ich werde mir heute Abend mal ansehen, ob es am Sender oder am Empfänger lag.
Mir ging es vielmehr um die komplexe Arbeits- und Bedürfniswelt, im Übrigen schon durch Xenophon vor 2400 Jahren in der Kyropaidia beschrieben. Darin beobachtet Xenophon, dass im persischen Reich nicht mehr wie in Griechenland einer alles macht (Land bestellen, Heimarbeit), sondern dass es Spezialberufe gibt und selbst davon ncoh Spezialisierungen. Z.B. beobachtet X., dass es Schreiner gibt, die nur Stühle herstellen und andere, die nur Betten herstellen.
Über die Hauswirtschaft schrieb X. im Übrigen in der Oikonomia.
 
Ich denke eher, hier sollte jemand zunächst einmal einige Begriffe klären wie
-Arbeit,Arbeitsteilung, komparative Kostenvorteile, Wohlstand
-Markt, Markt-Preis-Mechanismus, Marktversagen, Nachfrageoligopole und Preisbildung,
-Begriff des Kapitals in der Produktion
- Rolle des Staates/ der Rechtsnormen in arbeitsteiligen Gesellschaften, Staatsversagen,
-Geschichte der Gewerkschaftsbewegungen und des Streiks,
-Wirtschaftsformen und Verteilungsgerechtigkeit
Dann ist auch das Diss-Thema so unergründet nicht...
 
Deinen Beitrag verstehe ich so, dass kritische Anmerkungen gewünscht sind. Damit ist mir jetzt auch der Sinn des Eingangsposts klar. Es geht ja schließlich um das Thema der Dissertation. Also los: :winke:

… lässt sich trotz der unkritischen Darstellungen dennoch explizit nachweisen, dass die Gleichung "Arbeit=notwendige Tätigkeit für den Menschen" eine Ideologie der Aufklärung und der modernen Gesellschaft ist. Die Vorstellung, Arbeit sei ontologisch und essentiell mit unserem Überleben verknüpft, rührt daher aus einer spezifisch modernen Verabsolutierung der Arbeit.
Expliziter Nachweis ... wie?
„Arbeit = essentiell mit Überleben verknüpft“ ist unten als Banalität bezeichnet und wird hier bestritten.
Diskussionsebene: Ökonomie

De facto aber ist Arbeit - in unserer modernen Gesellschaft wie vermutlich auch bereits in der Antike - ein Synonym für marktabhängige Tätigkeit. In der modernen Gesellschaft aber wurde dieser "enge Arbeitsbegriff" (Ehmer) totalisiert, um es mal polemisch auszudrücken. Zwanghafte Tätigkeit für den Markt und für Lohn - sprich: Arbeit - sollte zur natürlichen und menschennotwendigen Tätigkeitsform werden. Und genauso denken wir heute auch. Wir glauben, dass die kapitalistische Tätigkeitsform - Arbeit - die normalste Sache der Welt sei.
Wir benennen heute die kapitalistische, zwanghafte Konnotation der Arbeit nicht mehr explizit, aber sie wird weiterhin implizit vorausgesetzt.
Diskussionsebene: Soziologie/Psychologie
Ergebnis: mag sein, dass hier antrainiertes Verhalten vorliegt.
Ökonomie hat nichts mit Normalität (welcher Maßstab auch?), sondern Marktverhalten, Lenkung, Rentabilitäten und Effizienzen zu tun.
Ich brauche Geld, um meine Leistung zwecks Versorgung zu tauschen; ich muss also tauschen, um zu leben; ergo arbeite ich für Geld, sofern mich nicht der Staat oder meine Familie alimentiert. Das geht dem pizzaessenden Arzt genauso wie dem, der pizzaproduzierend den Arzt braucht.

Dabei widerspricht diese moderne Arbeitsideologie schlichtweg der ökonomischen Realität.
Denn wenn Arbeit gleich jede menschliche Tätigkeit und eine Naturnotwendigkeit ist, warum gibt es dann Arbeitslose, Zwangsarbeit für Arbeitslose, Ekel vor der Arbeit?
Der Zusammenhang ist zur Arbeitsideologie ist konstruiert, der scheinbare Widerspruch zur ökonomischen Realität wird durch temporäres Alimentatieren des Nichtarbeitenden aufgehoben. Nicht die Arbeitsideologie ist entscheidend, sondern der Wille und die Geduld der Alimentierenden, diesen Zustand fortzusetzen.

zur Naturnotwendigkeit:
Theoretisch könnte man in den Wald gehen und Rehe oder Hasen jagen (wenn es nicht verboten wäre). Ich würde dann gleich ein paar mehr erlegen (was ich allerdings realiter nicht vermag), und anschließend zwecks Altersvorsorge oder für Brennholz tauschen, weil ich keine Lust zum Holzhacken habe. Humor beiseite:
Arbeitslose gibt es, weil es nicht genug bezahlte und nachgefragte Arbeit gibt … Gründe sind verschiedene, können gern diskutiert werden.
Präzisierung: vielleicht meinst Du nicht nachgefragte, gleich unbezahlte Arbeit.
Unbezahlte (= nicht gegen Geld tauschbare), nicht vom Markt nachgefragte Arbeit oder Arbeit für den Eigenbedarf (fängt bei Hausfrau-/mann und Kinderaufziehen an, geht über das Hobby oder gemeinnütziger Tätigkeit auf) gibt es genügend zur Vollbeschäftigung. Gilt von der Antike bis zum Kapitalismus. Bezahlte Arbeit sollte zugemixt werden, um unbezahlte leisten zu können.

Dass Menschen produzieren und tätig werden müssen, um zu überleben, ist eine Banalität und steht auch nicht zur Diskussion.
Siehe oben den Widerspruch

Aber die Tätigkeiten eines Menschen stehen niemals individualistisch für sich allein, sondern sind stets gesellschaftlich vermittelt.
Das ist wohl richtig, wobei die ökonomischen Verhältnisse prägend wirken.

Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, ob ich für mich oder andere Essen koche, oder ob ich Essen koche, weil es ein ominöser Markt von mir verlangt, damit ich Geld bekomme und damit ich mir davon Essen kaufen kann, was ich koche. Die Selbstbestimmung beim Essen kochen für mich oder andere ist sehr hoch, die Arbeit "Essen kochen" hingegen tendiert gegen Null.
Ich kenne Köche, für die gilt das nicht. Hier scheint es also Abstufungen zu geben in der Entfremdung von der Arbeit.

Lohnarbeit oder generell Arbeit sei nunmal notwendig, weil die Bedürfnisse irgendwie voll komplex sind und der Mensch halt nicht alles alleine machen kann. Das ist richtig, nur will mir nicht einleuchten, warum es der Lohnarbeit oder generell der Arbeit bedarf, um dieser Komplexität gerecht zu werden. Historisch gesehen ist die (Lohn-)Arbeit eine Seltenheit in der Geschichte der Menschheit. Zwar gab es sie bereits in der Antike, aber einen wesentlichen gesellschaftlich bestimmenden Stellenwert erhielt sie erst im Laufe der FNZ.
Der technische Fortschritt ist Ursache und so gesehen, ebenfalls eine historische Seltenheit, weil in diesem Ausmaß 150 Jahre alt.


P.S. Dem sehr berechtigten Wunsch nach Begriffsklärungen von Penseo würde ich den Wunsch nach Klärung des Fachbereichs beifügen. Im übigen sind zwar reichlich dogmatische Aussagen und Thesen zur Ökonomie, jedoch wenig Quellenbasis zur Perzeption des arbeitenden Menschen in den angesprochenen Zeiträumen zu sehen.


EDIT: ich muss heute eh im Hotel absitzen und vertreibe mir die Zeit - ohne Arbeit. ;)
 
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