Fängt die deutsche Geschichte schon 113 v.Chr. an?

Q

Querdenker

Gast
Ich beschäftige mich derzeit mit dem Buch Schlaglichter der deutschen Geschichte von Helmut M. Müller.
Dort gibt es einen Zeitstrahl der beginnt im Jahre 113 v.Chr. [Kämpfe der Römer mit Kimbern und Teutonen] und endet mit dem 20.09.2006 [Zustimmung zur Entsendung von 2400 Marinesoldaten in den nahen Osten]

Fängt die deutsche Geschichte wirklich im Jahre 113 v.Chr. an, - oder ist das Datum doch ein wenig weit hergeholt?
Kann man den Anfang der deutschen Geschichte überhaupt an ein Datum festmachen?
 
Der Anfang ist völlig willkürlich. Genauso hätte man als früheste Quelle Pytheas von Massilia, der in der Nordsee war und berichtete, wählen können. Oder meinetwegen Homo erectus.

DIE Geschichte der Deutschen beginnt eigentlich erst 1871. Gestern bei "Krieg und Frieden" (Treffen auf dem Neman) fragte mich mein 10jähriger Neffe "...und Deutschland...?" Was soll man da sagen.
 
Querdenker schrieb:
Fängt die deutsche Geschichte wirklich im Jahre 113 v.Chr. an, - oder ist das Datum doch ein wenig weit hergeholt?
Kann man den Anfang der deutschen Geschichte überhaupt an ein Datum festmachen?

Nach dem derzeitigen Forschungsstand ist strittig, ob die Kimbern überhaupt Germanen sind - nur um mal den geringsten Nenner zwischen den Kimbern und den heutigen Deutschen herzustellen.

Zur Debatte: früher (vor 1945) konnten den Forschern die Anfänge Deutschlands nicht früh genug liegen, gerne sah man eine Kontinuität von den jungsteinzeitlich/bronzezeitlichen Überresten her. Die ganz Völkischen nahmen sogar eine germanische Urkultur an, die dann die Hochkulturen z.B. der Ägypter, Römer und Griechen geschaffen haben.
Meine Meinung zu der vieldiskutierten Frage: Die Anfänge liegen im Frühmittelalter, zwischen den Reichsgründungen Karls und Ottos. Das Stammesdenken verlor sich trotz des ausgeprägten deutschen Partikularismus im Hoch- und Spätmittelalter und irgendwann werden die Deutschen als Ethnie wahrnehm- und unterscheidbar.
 
Na ja, es geht um Schlaglichter.
Ob diese Portionierung der deutschen Geschichte in Schlaglichter wirklich auf einleuchtende Weise Zugang zum Verständnis geschichtlicher Vorgänge vermitteln kann, sei dahingestellt.
Meiner ist es nicht.
 
Na ja, es geht um Schlaglichter.
Ob diese Portionierung der deutschen Geschichte in Schlaglichter wirklich auf einleuchtende Weise Zugang zum Verständnis geschichtlicher Vorgänge vermitteln kann, sei dahingestellt.
Meiner ist es nicht.

Also Deine Bedenken mit dem "einleuchtend" teile ich. Ich hatte mir ein wenig mehr vorgestellt, - als das was ich beim ersten durchblättern gefunden habe.

Na ja, sind nur vier Euro die ich vergeigt habe und das Buch passt super unter ein Stuhlbein :D
 
DIE Geschichte der Deutschen beginnt eigentlich erst 1871. Gestern bei "Krieg und Frieden" (Treffen auf dem Neman) fragte mich mein 10jähriger Neffe "...und Deutschland...?" Was soll man da sagen.

Das seh ich anders. Die Geschichte (des modernen) Deutschlands kann man mit 1871 beginnen lassen, die Geschichte der Deutschen dagegen beginnt m.E. wesentlich früher.
Allerdings würde ich nicht mit 113 v.Chr. anfangen, sondern frühestens mit der Teilung des fränkischen Reiches.
 
DIE Geschichte der Deutschen beginnt eigentlich erst 1871. Gestern bei "Krieg und Frieden" (Treffen auf dem Neman) fragte mich mein 10jähriger Neffe "...und Deutschland...?" Was soll man da sagen.


Na ja, ich weiß nicht.

Die Schlagzeilen der Zeitungen der 1850er und 1950er gleichen sich sehr.

"Die deutsche Frage" war überaus aktuell.
 
Das sollte man nicht zu eng sehen.
Wenn man die englische Geschichte betrachtet, wird man auch nicht direkt am Namen klammernd die Einwanderung der Angeln als Ausgangspunkt nehmen, sondern sehr wohl die keltische und römische Epoche dazunehmen.
Und für Deutschland hat man deutlich mehr Kontinuität zwischen den frühesten bekannten germanischen Stämmen auf dem Gebiet des heutigen Deutschland und dem später von ihren Nachkommen gebildeten Staat.

Wesentlich ist Ashigarus Einwand, daß die Kimbern vielleicht gar keine Germanen waren - aber mit dem Hinweis, daß dies eben offen sei, kann man sie als ersten konkreten Bezugspunkt in eine Zeitreihe durchaus aufnehmen.

Ansonsten wäre wohl Ariovist die nächste wesentliche Nennung.
 
Das sollte man nicht zu eng sehen.
Wenn man die englische Geschichte betrachtet, wird man auch nicht direkt am Namen klammernd die Einwanderung der Angeln als Ausgangspunkt nehmen, sondern sehr wohl die keltische und römische Epoche dazunehmen.
Und für Deutschland hat man deutlich mehr Kontinuität zwischen den frühesten bekannten germanischen Stämmen auf dem Gebiet des heutigen Deutschland und dem später von ihren Nachkommen gebildeten Staat.

Wesentlich ist Ashigarus Einwand, daß die Kimbern vielleicht gar keine Germanen waren - aber mit dem Hinweis, daß dies eben offen sei, kann man sie als ersten konkreten Bezugspunkt in eine Zeitreihe durchaus aufnehmen.

Ansonsten wäre wohl Ariovist die nächste wesentliche Nennung.

Das ist aber etwas "germanozentrisch".:S

Für den süddeutschen Raum möchte ich doch einen ganz erheblichen Teil keltischer Abstammung annehmen.
Was für ein germanischer Volksstamm sollen denn die Bajuwaren überhaupt sein?

Ich denke schon, dass man den Beginn irgendwo zwischen Karl und Otto ansetzen kann.

Die Wissenschaft spricht doch glaube ich längst von Kulturen, nicht von Völkern.


OT: Der Ariovist soll übrigens seine Tage auf dem Neuffen beschlossen haben.
 
Wenn man die Germanen mit aufnimmt, versucht man wohl die Vergangenheit im Gebiet des heutigen Deutschlands nachzuzeichnen, wobei es dann sehr verwunderlich ist, dass man nicht noch versucht die Himmelsscheibe mitreinzubringen.
Frühe Anfänge sind allgemein recht beliebt. Überblicke zur griechischen Geschichte beginnen auch gerne mit den Minoern.
 
Themistokles schrieb:
Frühe Anfänge sind allgemein recht beliebt. Überblicke zur griechischen Geschichte beginnen auch gerne mit den Minoern.

Es gibt zwei Ansätze; die einen versuchen eher, bei der Geschichte des Volkes anzusetzen; andere bei den Ursprüngen der Staatsgründung (wie z.B. der Bernecker über die Geschichte Spaniens). Letzteres würde in Deutschland mit seiner über Jahrhunderte sehr komplexen Herrschaftsstruktur wenig Sinn machen - obwohl ich insgesamt in der öffentlichen Debatte auch einen Schwerpunkt in der Zeit nach 1871 sehe; Themen wie Verfassungsvergleich etc. sind ja auch beliebt in den Abiturprüfungen.
 
Das ist aber etwas "germanozentrisch".:S
Nun ja, um die Germanen wird man wohl bei der deutschen Geschichte nicht drumrumkommen.
Natürlich gibt es da (wie bei den meisten Völkern) eine ordentliche Beimischung aus anderen Ecken, z. B. die von Dir genannten Kelten oder die Slawen.
Aber die germanischen Stämme waren eben die dominierende Mehrheit und haben die übrigen Gruppen oder Einzelpersonen sprachlich und kulturell völlig assimiliert.

Wer auch immer z. B. die Bajuwaren "ursprünglich" gewesen sein mögen (da gibt es ja diverse Theorien) - am Ende waren sie eben ein Stamm mit germanischer Sprache und Bräuchen genau wie die übrigen Stämme, mit denen zusammen sie dann "Deutschland gründeten".

Die Wissenschaft spricht doch glaube ich längst von Kulturen, nicht von Völkern.
Das finde ich auch für viele Aspekte durchaus sinnvoll.
Man darf es aber historisch auch nicht ignorieren, wenn sich Völker selber als solche sehen und von anderen so wahrgenommen werden.
 
Aber die germanischen Stämme waren eben die dominierende Mehrheit und haben die übrigen Gruppen oder Einzelpersonen sprachlich und kulturell völlig assimiliert.

Die Preußen als ein prägender Faktor deutscher Geschichte waren keine Germanen, und auch heute existierten mit den Sorben in der Lausitz noch deutsche Slawen, welche ihre Urtümlichkeit recht gut behalten haben.
 
Die Preußen als ein prägender Faktor deutscher Geschichte waren keine Germanen,...

Das preußische Land (a.k.a. Ostpreußen) spielte in der deutschen Geschichte wahrlich eine bedeutende Rolle.
Das Volk der Pruzzen war aber mit der Eroberung des Baltikums durch den deutschen Orden schon Geschichte.
 
DIE Geschichte der Deutschen beginnt eigentlich erst 1871. Gestern bei "Krieg und Frieden" (Treffen auf dem Neman) fragte mich mein 10jähriger Neffe "...und Deutschland...?" Was soll man da sagen.
Meinst Du nicht die Memel, wo sich Zar Alexander und Napoleon I. trafen? Wenn Du die Memel meinst und den Tilsiter Frieden ist die Antwort etwas komplex. Im Vorjahr, also im Jahre 1806, hatte das Heilige Römische Reich zu existieren aufgehört, indem der Kaiser Franz II. seine Krone auf Druck Frankreichs niederlegte. Da somit das Heilige Römische Reich endgültig als Machtfaktor von der Landkarte verschwand, konnte auch niemand für einen Verband, welchem die deutschen Staaten angehörten, verhandeln. Gewissermaßen wurde natürlich in Tilsit 1807 auch das Schicksal Deutschlands mitentschieden, weil eben das Königreich Preußen ein bedeutender Bestandteil des alten Reiches gewesen war.

Wenngleich Deutschland also schon zuvor nicht als ein neuzeitlicher Staat existierte und das HRR nicht mit Staaten wie Frankreich oder Schweden zu vergleichen ist, hatte die Funktion des HRR als Klammer um die vielen einzelnen deutschen Staaten doch bis zum Ende des Reiches eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.
Nicht umsonst wurde das Ende des Reiches von Kritikern durchaus negativ bewertet und eine Restaurierung des Reiches mit einem mächtigen Herrscher gefordert.

Ich denke über den Beginn der Geschichte der Deutschen kann man trefflich streiten; das ist bei anderen Völkern nicht anders. Da wird 9 n. u. Z. so in die Runde geworfen wie die verschiedenen Daten, welche man mit der Abspaltung des ostfränkischen fränkischen Gesamtreich in Verbindung bringen kann. Eine Datierung hin ins 19.Jh. hielte ich zumindest als extrem zu kurz gegriffen, denn dies hieße die Traditionen des HRR und dessen kaum zu leugnenden deutschen Fokus zu übersehen.
 
Über die genauen Jahreszahlen weiß ich jetzt nichts, aber Wiki schreibt dennoch konnten die Prußen noch bis etwa 1700 ihre ethnische Identität bewahren, was zeitlich nach dem Orden anzusiedeln ist. Im Endeffekt hast du aber recht, der Beginn der bedeutenden preußischen Geschichte liegt erst nach 1700 und zu diesem Zeitpunkt dürfte die kulturelle Assimilierung vollzogen gewesen sein (auch wenn die Pruzzen nicht vollständig verschwunden waren).
 
Wenn man die Germanen mit aufnimmt, versucht man wohl die Vergangenheit im Gebiet des heutigen Deutschlands nachzuzeichnen,
Jein.
Natürlich ist die territoriale Komponente wichtig, aber da kann es ja durchaus Veränderungen geben.
Siehe z. B. mittelalterliche Ostsiedlung und umgekehrt die moderne Vertreibung: Pommern oder Schlesien waren über Jahrhunderte eindeutig deutsch, waren es aber vorher nicht und sind es heute nicht mehr.

Es gibt eben kein allgemein gültiges Muster, wie man historische Beschreibungsobjekte abzugrenzen hat. Mal ist das regionale dominant, mal das ethnische, mal das sprachlich-kulturelle.

Eine Geschichte Ägyptens wird wohl immer mit den Pyramidenbauern anfangen, die Geographie des Niltals dominiert eindeutig, und letztlich auch das ethnische: Die heutige Bevölkerung Ägyptens besteht trotz der vielen Eroberungen und sprachlichen, kulturellen und religiösen Umbrüche in Mehrheit wohl immer noch aus den Nachkommen der Menschen, die dort vor 4000 Jahren gelebt haben.

Bei einer Geschichte der Türken dagegen wird das ethnische dominieren. Man fängt in Zentralasien an, beschreibt ihre Westwanderung, die Eroberung Anatoliens und dann das osmanische Reich etc.
Daß auf dem Gebiet der heutigen Türkei einmal ganz andere Völker und Kulturen vorhanden waren, ist da eher von anekdotischem Interesse. Auch wenn die Osmanen einiges an byzantinischen Ideen weitergeführt haben - in ihrer Mehrheit haben die heutigen Türken eben nicht viel mit früheren Einwohnern Anatoliens zu tun.

Wenn man sich solche und andere Beispiele anschaut, dann finde ich es mehr als naheliegend, die deutsche Geschichte mit den in Mitteleuropa lebenden germanischen Stämmen zu beginnen.
Auch wenn der Begriff "deutsch" oder "Deutschland" erst viel später auftaucht - es gibt nunmal eine durchgängige kulturelle und sprachliche Traditionslinie von den ersten bekannten germanischen Stämmen in Mitteleuropa bis zum heutigen Deutschland.
Man kann sogar sagen, daß sich hier sogar eine verblüffend klare Kontinuität findet (zumindestens für die Gebiete außerhalb des Limes), außer der Christianisierung hat es keinen grundlegenden kulturellen Wandel gegeben, bei allen graduellen Änderungen redet wir eigentlich immer noch dieselbe Sprache wie unsere Vorfahren vor 2000-3000 Jahren.

Wobei dieses -3000 natürlich völlig gegriffen ist, weil wir nichts genaues über die Geschichte der germanischen Stämme vor ihrem Kontakt mit den Römern wissen.

Insofern:
wobei es dann sehr verwunderlich ist, dass man nicht noch versucht die Himmelsscheibe mitreinzubringen.
Die könnte reingehören - man weiß es nur nicht.
Die Germanen werden nicht drei Wochen vor Casär in Mitteleuropa aufgetaucht sein. Aber wie lange vorher sie schon in dieser sprachlichen/kulturellen Form ansässig waren, ist halt unbekannt.
 
R.A. schrieb:
Aber die germanischen Stämme waren eben die dominierende Mehrheit und haben die übrigen Gruppen oder Einzelpersonen sprachlich und kulturell völlig assimiliert.

In Deutschland selbst vergisst man aber gerne, dass man kein, überspitzt formuliert, "Alleinstellungsmerkmal" auf die Germanen hat; die diversen Stämme prägten die Geschichte ganz West- und Nordeuropas. In einigen Ländern - England, Frankreich, den skandinavischen Staaten - stehen die von diesen Stämmen begründeten Reiche und Herrschaften wie auch bei uns am Anfang der politischen Kontinuität.
 
Also könnte man sagen das die "Deutsche Geschichte" eigentlich erst im Jahre 800 begann?

Alles was sich davor abgespielt hat, fällt zwar grob gesehen auch unter deutsche Geschichte, kann aber vernachlässigt werden.

Würdet Ihr dann die Anfänge auf den 8.02.806 [Divisio Regnorum - Reichsteilungsgesetz von Karl dem Großen] "datieren", - oder auf den 28.01.814 [Todesdatum von Karl den Großen]?
 
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